II
Mein Atem ging unregelmäßig und viel zu hektisch, doch das war momentan meine kleinste Sorge. Die Augen hatte ich vor Schreck weit aufgerissen und falls mich jemand so eng an diesen Felsen gepresst gesehen hätte, wäre vermutlich davon ausgegangen, ich hätte einen Geist gesehen, oder wäre vollkommen durchgedreht. Oder beides.
Blanke Angst kroch mir bis in die Knochen, wie ein Tier, dass sich langsam anpirschte und zum Sprung ansetzte, um mich zu erledigen.
Ich rechnete damit, dass das Wesen um die Ecke stürmen würde oder das irgendetwas anderes passieren würde.
Doch selbst nach ein paar Minuten, die ich in der Felsnische ausharrte, blieb es still.
Ich brauchte noch einige Momente, bis ich meine Atmung wieder halbwegs unter Kontrolle bekam, doch meine Gedanken rasten weiterhin.
'Habe ich gerade wirklich gesehen, was ich gesehen hab?', fragte ich mich in Gedanken, denn ich konnte es einfach nicht glauben.
'Es kann auch sein, dass mir mein Gehirn einfach nur einen Streich gespielt hat. Ich bin ja sofort zurückgesprungen, wie kann ich mir sicher sein, dass ich es wirklich gesehen habe', versuchte ich mir einzureden, allerdings ohne großen Erfolg. Irgendwann gab ich die kläglichen Versuche, mir Mut zu machen auf.
Doch nun hatte mich die Neugierde vollends gepackt. Ich wollte einfach wissen, was dort genau war und warum ich noch lebte, vor allem mit dem mehr als dürftigen Versteck.
Vorsichtig und ganz, ganz langsam verließ ich meine Nische und schlich wieder auf die Ecke der Felswand zu.
Der weiche Boden, den ich unter meinen Füßen spürte, gab glücklicherweise kaum ein Geräusch von sich.
An der Ecke angekommen, musste ich mir wieder einen Ruck geben, um nicht erneut in eine Art panische Starre zu verfallen. Ich lugte um die Ecke herum, so vorsichtig als hinge mein Leben davon ab. Nun ja, dass tat es ja in gewisser Weise auch, zumindest Ma's Erzählungen nach.
Vor mir breitere sich dasselbe Bild aus wie eben schon.
Die Felswand mündete in einen breiten Höhleneingang und ein kleiner Bach, der seinen Ursprung anscheinend in der Höhle fand, plätscherte fast lautlos an dem Stein entlang.
Zu meiner Linken waren fast sämtliche Bäume in einer Spur abgeknickt oder ganz aus dem Boden gerissen worden und eine tiefe Furche zog sich dort entlang, als wäre etwas in die Erde eingeschlagen. Fehlte nur noch der Stein am Ende des Kraters. So einen, den man manchmal am Nachthimmel beobachten kann, wie er vorbeizieht und vielleicht irgendwo einschlägt.
Doch dort lag kein Stein, dort lag ein riesiges Geschöpf, welches mir den Rücken zugekehrt hatte. Es war bestimmt achtmal so groß wie meine Stute, die schon nicht klein war. Es war das größte Geschöpf, dass ich je gesehen hatte, aber es war wirklich schön.
Die Sonne spiegelte sich matt in den dunklen, indigoblauen oder nachtschwarzen Schuppen, die den gesamten schlanken aber muskulösen Körper bedeckten, der mit dem langen Schwanz, an dessen Ende ebenfalls dunkles und ziemlich zerzaustes Fell wuchs, entfernt an eine Echse erinnerte. Ein langer Hals verband den Körper mit dem Kopf, der schlaff auf dem Boden lag. Er hatte eine lange Schnauze, die vorne spitz zulief, was dem Kopf insgesamt eine längliche Form verlieh. Er war zusätzlich mit zwei Hörnern besetzt, die mindestens so lang waren wie mein ausgestreckter Arm, wahrscheinlich sogar länger. Außerdem wuchs etwas wie eine Mähne an seinem Kopf, die ungefähr zwischen den Hörnern anfing und sich bis zum Rücken runterzog. Das Fell war genauso dunkel wie an seiner Schwanzspitze und mindestens genauso zerzaust.
An seinem Rücken entsprangen zudem zwei riesige, mit Leder bespannte Flügel, die momentan schlaff auf dem Boden lagen.
Alles andere wurde von dem Rücken des Wesens verdeckt und blieb aus meinem Blickfeld.
Ich musste mich wirklich zusammenreißen, um nicht wieder zurückzutreten und sowohl Angst, als auch Ehrfurcht machten sich in mir breit, als ich mir das Wesen nochmal genauer ansah. Erst in diesem Moment wurde mir bewusst, dass ich nicht nur schon immer unglaublich fasziniert von ihnen war, sondern auch eine unglaubliche Furcht in mir trug. Nur wenige Schritte von mir entfernt lag tatsächlich ein Drache.
Doch es war seltsam, dass er sich nicht bewegte. Ich konnte nicht einmal ausmachen, ob er überhaupt noch atmete oder nicht. Jedes andere Wesen hätte sich sofort zurückgezogen oder gar angegriffen, aber er zuckte nicht einmal.
Langsam machte ich trotz der Angst, die immer noch tief in meinen Knochen saß, einen vorsichtigen Schritt auf ihn zu. Keine Reaktion. Noch ein Schritt, aber der Drache blieb bewegungslos.
'Was ist mit ihm los? Warum bewegt er sich nicht? Hat er sich verletzt?', überlegte ich in Gedanken. 'Er war offensichtlich abgestürzt, aber warum? Drachen können doch gut fliegen. War er vielleicht noch zu jung, um richtig zu fliegen?'
Bei dem letzten Gedanken lief es mir kalt den Rücken herunter. Wenn dieser hier noch nicht ausgewachsen war, wie groß konnten sie dann werden, wenn sie ausgewachsen waren?
Sofort verbannte ich den Gedanken wieder aus dem Kopf. Darüber konnte und wollte ich jetzt nicht nachdenken. Stattdessen konzentrierte ich mich wieder auf den Drachen und darauf, dass ich nur noch eine Pferdelänge von ihm entfernt stand. Immer noch gab es keine Reaktion von dem Drachen und ich begann wirklich, mir Sorgen zu machen.
'Ist er ohnmächtig? Oder... tot?'
Ich hoffte innerlich, dass er nicht durch so einen Absturz den Tod gefunden hatte, ganz egal ob mich Andere seiner Art fressen würden ohne zu blinzeln.
Ich machte noch drei letzte Schritte auf ihn zu. Wenn ich jetzt den Arm ausstreckte, würde ich direkt die schimmernden Schuppen an seinem Kopf berühren. Das geschlossene Auge war so groß, wie meine Handfläche und alleine sein Kopf war so lang wie ich groß war.
Es kam mir auf einmal so unendlich still vor, nicht einmal der Wind vermochte noch zu wehen.
Schließlich gewann die Neugier die Oberhand, ich nahm mir ein Herz und hob den Arm. Meine Finger blieben in der Luft stehen, nur kurz bevor ich die schwarzen Schuppen, die matt im Sonnenlicht glänzten, berührte.
Ich starrte direkt in Augen, die so intensiv blau strahlten, wie das Eis in der Wintersonne Veralias. In dem Cyanblau waren einige dunklere und auch hellere Sprenkel und es wirkte wie ein wunderschönes Mosaik aus Blautönen, die alle verschieden waren aber ein wunderbares Farbspiel ergaben.
Ich hätte mich für immer in diesen Augen verlieren können, als würde ich in einen Teich fallen und wäre unfähig, aufzutauchen, wäre da nicht diese winzige Tatsache gewesen, dass ich weniger als zwei Schritte von einem riesigen, gefährlichen Drachen stand, der gerade dabei war, sich aufzurichten.
Ehe ich mich versah, stand ich einem definitiv ausgewachsenen Drachen gegenüber, der hoch über mir aufragte. Nun konnte ich auch die messerscharfen Klauen, die so lang waren, wie mein gesamter Unterarm, an seinen muskulösen Beinen erkennen. Von seinem Kopf aus am Bauch lang und fast bis zum Ende seines Schwanzes waren stahlblaue Platten, die mir bis eben noch verborgen waren und von denen ich jetzt schon sagen konnte, dass man sie mit einfachen Pfeilen nicht durchdringen konnte. Sein langer Schwanz peitschte hin und her, wenn ich einen Schlag davon abbekommen würde, wären vermutlich meine sämtlichen Rippen gebrochen.
Er knurrte und bleckte die Zähne, wobei er Reihen von dolchlangen Zähnen entblößte. Ich wollte davonrennen, doch ich schien die Kontrolle über meinen Körper verloren zu haben und so bewegte ich mich kein Stück.
Der Drache ließ ein tiefes Knurren ertönen, dass mir bis ins Mark ging, bevor er rückwärts zurückwich, mich jedoch keine Sekunde aus den Augen ließ.
Und so standen wir dann da und starrten uns gegenseitig an. In seinen Augen lag reines Misstrauen und eine Kälte, die mir kurz tatsächlich Gänsehaut verschaffte. Ich wusste nicht, was er in meinen Augen sah, aber es war vermutlich eine Mischung aus Ehrfurcht, Angst und Faszination.
Schließlich brachte ich es zustande, mich doch zu bewegen. Ganz langsam, um den Drachen nicht zu erschrecken und mit dem Wissen, dass er mich jede Sekunde zerfleischen könnte, hob ich die Hände und zeigte, dass ich keine Waffe hielt. Ich wusste nicht, was ich sonst hätte tun sollen.
"Ich tue dir nichts, alles ist gut. Du kannst mir vertrauen", erklärte ich mit einem möglichst beruhigenden Ton, während ich mich bemühte, meine Stimme ruhig zu halten. Vom Drachen kam erst einmal keine Reaktion, also faselte ich weiter irgendetwas, einfach um den Drachen zu beruhigen.
Doch ich brach abrupt ab, als mein Blick an seltsamen Ausbeulungen an seinem Körper hängen blieb, oder sonderbaren... 'was war das?'
Es dauerte ein paar Sekunden, bis ich es erkannte.
An manchen Stellen ragten Pfeile aus dem Körper und das ungewöhnliche Glänzen auf manchen Schuppen entstand durch Blut, dass aus zahlreichen Wunden sickerte, die mir jetzt erst auffielen. Ich bemerkte auch, dass der Drache trotz seiner imposanten Position kaum merklich zitterte und es wirkte, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. Und der Drache war nicht schlank, sondern abgemagert.
"Lass mich dir helfen." Die Worte verließen meinen Mund, ehe ich mich hindern konnte. Es war dumm und absolut lebensmüde, noch eine weitere Sekunde in der Nähe eines ausgewachsenen Drachen zu sein, egal wie faszinierend sie waren, doch der Wunsch, ihm zu helfen, war in mir aufgebrannt wie ein Feuer auf den Feldern nach einer langen Trockenzeit.
Gerade wollte ich einen Schritt auf ihn zu machen, da hörte ich eine Stimme in meinem Kopf, die von überall zu kommen schien. Es waren fünf einfach Worte, die mir allerdings einen eiskalten Schauer über den Rücken jagten und mein Blick huschte wieder zu den Augen des Drachen, in denen ein blaues, eiskaltes Feuer brannte.
"Man kann Menschen nicht trauen."
Die Stimme war so voller Kälte und Abneigung, dass es sich anfühlte, als hätte mir jemand ins Gesicht geschlagen.
Ich hatte keine Ahnung, was passiert war, aber eine Sache wusste ich: Menschen waren dafür verantwortlich, dass er hier abgestürzt ist und dass er verwundet war, wer weiß wie schwer.
Man konnte sagen, dass ich einige schlechte Eigenschaften hatte, doch meine schlimmste war wohl die, dass ich in Situationen stur und dumm handelte, obwohl es einfacher und weitaus sicherer gewesen wäre, einfach die Klappe zu halten und nichts zu tun. Einmal hatte ich mir beispielsweise bei einer Prügelei im Dorf harte Verletzungen zugezogen, nur weil ich nicht dazu in der Lage war, den älteren Jungs gegenüber still zu sein, während sie mich runtermachten. Ich hätte einfach weggehen sollen, aber nein, ich feuerte zurück.
Ich vertrieb die lästige Erinnerung aus meinem Kopf. Ich stand ein paar Pferdelängen von dem Drachen entfernt und konnte ihm nicht gefährlich werden, dennoch blieb er auf der Hut und verfolgte jede sonst so kleine Bewegung.
Langsam wanderte meine Hand zum Gürtel und ich löste einen der Hasen. Das braune Fell war etwas struppig, ziemlich dicht und an der Stelle, wo meine Falle ihn erwischt hat, etwas blutverklebt.
Es war nicht viel, aber es würde ihm helfen... zumindest hoffte ich das, als ich ihm den Hasen vor die Füße warf. Der Drache gab ein misstrauisches Knurren von sich, und blickte mich noch einen Augenblick an, bevor er mit seinem Blick den Hasen fixierte, als würde er durch bloßes anstarren herausfinden, ob das eine Falle war oder nicht.
Ich warf ihm noch den zweiten Hasen hin, ehe ich mich langsam zurückzog. Der Drache beobachtete mich, wie ich Schritt für Schritt zurücktrat, dann blickte er wieder auf die beiden toten Hasen herab. Zuerst roch er nur an ihnen, wobei sich seine Nüstern etwas aufblähten, dann fraß er sie aber.
Bevor er noch einmal hochsehen konnte, drehte ich mich um und floh.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro