II
Unbemerkt lief der Mann, der, was die Geschwister in dem Moment natürlich noch nicht wussten, ein Gestapo-Mann war, davon. Er hatte offensichtlich jedes einzelne Detail des Gesprächs der Geschwister aufgefasst. Einmal blickte er noch zurück zum Familienhaus der Kunzes. Mit einem schadenfrohen Lächeln wandte er sich ab und ging durch die nahezu menschenleere Straße.
Im Haus der Familie Kunze ahnte man indes nichts von diesem Spion. Die Familienmitglieder packten in aller Ruhe Klamotten, Spielsachen und etwas Proviant ein. Als Leon gerade seinen Koffer zumachen wollte, wurden er und seine Schwester von ihrem Vater gerufen. Leon überlegte, ob er, bevor er ins Zimmer seiner Eltern lief, noch den Koffer zumachen sollte, entschied sich aber dagegen. Er ging mit seiner Schwester zwei Zimmer weiter zum Schlafzimmer, wo gerade beide Eltern waren. „Was ist denn?", erkundigte Leon sich mit ruhiger Stimme. Bernd kramte seinen Geldbeutel hervor und antwortete: „Da ich fast mein ganzes Geld in meinem Laden gelassen habe, bleiben uns nur noch fünfzig Mark." Fünfzig Mark waren nicht wirklich wenig, reichten aber kaum für vier Personen. „Deswegen muss ich schauen, wie ich hier noch Geld auftreiben kann", fuhr der Familienvater fort, „bis dahin müssen eure Mutter und ich noch in Potsdam bleiben, aber ihr müsst hier so schnell wie möglich weg, ich möchte euch nicht unnötig in Gefahr bringen." Leon sah seine Schwester vorsichtig an. Sie nickte langsam. „Aber, wo sollen wir übernachten, wenn wir erst einmal dort sind?", fragte Franziska mit leiser Stimme. „In Zürich wohnt ja, wie ihr wisst, mein Bruder Herbert. Wir wollten gleich telefonieren, bei der Gelegenheit werde ich ihn fragen, ob er euch für einige Tage aufnehmen kann. Ich schreib euch die Adresse auf einen Zettel. Ihr könnt dann mit der Bahn dahin fahren", erklärte ihr Vater. „Okay", antwortete nun Leon, welcher jetzt etwas mehr Selbstvertrauen hatte, „das kriegen wir hin."
Zur gleichen Zeit, nur an einem anderen Ort, nämlich einer Gestapo-Zentrale im Westen von Berlin kam gerade der Mitarbeiter, welcher das Gespräch der Geschwister belauscht hatte, an. Er hob seinen rechten Arm, sodass die Hand vorne und auf der selben Höhe wie seine rechte Schulter war. „Heil Hitler!", begrüßte er seine Kollegen. „Ich habe vorhin etwas sehr interessantes mitbekommen", berichtete er, als er den großen Saal betrat, welcher bereits gut mit anderen Gestapo-Männern gefüllt war. „Das sagst du doch immer, selbst wenn du mitbekommst, dass der Zug von Charlottenburg nach Karl-Marx-Stadt⁵ ausfällt oder irgend so einen unnötigen Humbug", unterbrach ihn ein recht kleiner Mann mit einem Schnurrbart und der gleichen Uniform wie die übrigen Leute. „Nein", widersprach der Mann, der die Geschwister gehört hatte und fuhr direkt fort: „Eine jüdische Familie aus Potsdam wird morgen in die Schweiz fliehen. Ich kann euch die Adresse der Familie geben, versucht mit allen Mitteln, dass sie die Fahrt in die Schweiz nicht überleben." „Geht klar", meldete sich der Mann mit dem Schnurrbart wieder, „weißt du denn, wohin genau sie fahren und, ob mit Auto oder Zug?" - „Nein, kann ich dir nicht sagen." - „Dann müssen wir zufällig jemanden töten?", hakte der mit dem Schnurrbart leicht lachend nach. „Ich kann dir sagen, wie die Kinder aussehen", meinte der andere, „der eine, Leon heißt er, ist etwas größer und hat blonde, kurze Haare. Das Mädchen ist relativ klein und hat schwarze, schulterlange Haare."
541 Wörter
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