Ⅰ
Riesige Wassertropfen prasselten auf die Scheiben ein, nur um gleich darauf wieder an ihr abzuperlen. Doch die Tropfen waren nicht der Grund weshalb Keara am Fenster stand. Auch nicht die riesigen knallbunten Leuchtreklamen oder die schlecht gemachten Werbungen waren Schuld. Es waren die Schatten, die Keara dazu veranlassten sich die Nase an der Fensterscheibe plattzudrücken. Draußen regnete es in Strömen und trotzdem war ungefähr die halbe Stadt auf den Beinen. ,,Kein Wunder, dass sich so viele Schatten hier befinden" , murmelte sie vor sich hin. In so einer vollen Stadt, in der fast zu jeder Tageszeit jemand auf war, hatten sie echt leichtes Spiel sich auszubreiten. Sie wunderte sich, dass sie noch nie hier gewesen war.
Keara konnte genau sehen, wie schwarze Gestalten über den Boden glitten. Natürlich besaß nicht jeder so einen, denn dann wäre ihre Arbeit, die Arbeit ihresgleichen, ja komplett sinnlos. Aber trotzdem schafften es manche Schatten auszubrechen und die Menschen für immer zu verfolgen. Und sollte so etwas passieren gab es kein Zurück mehr. Keara war so etwas noch nie passiert und das würde es auch in Zukunft nicht. Das hatte sie sich selbst geschworen. Sie wollte ihren Job richtig machen und kein Versager sein.
Sie wollte den Menschen nicht noch mehr Leid bringen und doch sah sie dieses Leid oft. Wie das einer Frau, die in einem silbernen Partykleid und viel zu hohen Stöckelschuhen, über den Bürgersteig stakste, wobei sie ihre Füße so zart aufsetzte, dass man befürchtete sie würde jeden Moment umknicken. Klar konnte man in so einer überfüllten Stadt wie New York kaum eine Person aus dem achten Stock eines Hotels genau erkennen, aber Kearas Sicht war anders. Alle normalen Menschen – und das waren mehr als dreiviertel – sahen in ihren Augen ziemlich blass aus. Einfach verblasst weiß, als wäre sie nicht da, wie Geister. Und der Regen verschlechterte ihre Sicht nur noch mehr.
Menschen, die dagegen den Schatten ihrer Träume in sich trugen, stachen deutlich aus der Menschenmenge hervor. Nicht, dass sie leuchteten, aber Keara sah sie in etwas kräftigeren Farben, als die anderen Menschen. So sah sie auch die silberne Partykleid Frau. Auf ihrem Weg - wohin auch immer – tapste sie in zahlreiche Pfützen, sodass ihre Schuhe bald ziemlich dreckig waren. Durch die Pfützen sollte man den Schatten eigentlich nur verschwommen sehen, aber das tat man nicht. Man sah den Schatten mit schlackernden Armen genauso klar, wie ohne Wasser. Plötzlich – im Bruchteil einer Sekunde – beugte sich die schwarze Gestalt vor und ragte hinter der Frau hoch in den Himmel auf. Die ganzen Menschen auf der Straße merkten natürlich rein gar nichts. Für sie sah der Schatten völlig normal aus. Der Schatten streckte die langen Klauen aus und wisperte der Frau etwas ins Ohr. Und obwohl Keara nicht sah wie sie schrie, sah sie den weit aufgerissenen Mund und die hektischen Blicke um sich herum. Der Schatten lag wieder brav auf dem Boden und ahmte die Bewegungen seiner Herrin nach. Letztere dreht sich hektisch um und rannte. Sie rannte direkt in einen Mann hinein, der sofort pikiert zu ihr aufsah. Das silberne Kleid glitzerte stark und entfernte sich weiter in eine Gasse.
Keara wandte sich vom Fenster ab. Sie wusste, dass es sinnlos war vor seinem eigenen Schatten wegzulaufen. Er würde diese Frau ihr ganzes Leben lang verfolgen. Und obwohl Keara sie nicht kannte hatte sie starkes Mitleid mit ihr. Sie wusste, dass nicht einmal Wesen ihresgleichen etwas dagegen noch unternehmen konnten. Ihr Blick fiel auf ihr Bett und dann auf die Uhr. In spätestens einer Stunde musste sie wieder los. Also war es Zeit in ihre Traumwelt abzutauchen. Keara zog sich um und lies sich in die weichen Kissen fallen. Ein letzter Blick aus dem Fenster auf den leuchtenden Mond und schon schlummerte sie in der Welt der Träume.
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