II
Wochen waren vergangen. Nach einer zermürbenden Schiffsüberfahrt hatte ich eine kleine Pause eingelegt, bevor ich zu Pferd weitergereist war. Hier auf der Insel verging Zeit anders als in meiner Heimat. Technologie spielte nur eine geringe Rolle, Gesellschaft, Technologie und Handel hingen hinterher. Es fuhren weder Autos noch U-Bahnen, die Straßen wurden von Kutschen übervölkert. Wir befanden uns etwa zwischen Mittelalter und Wildem Westen.
Vorsichtig sprang ich von meinem Pferd ab, band es an einem dürren Strauch fest und robbte zu Boden weiter. Irgendwo hier musste er sein, irgendwo hier sein Unterschlupf. Aus der Hauptstadt hatte man ihn bereits vertrieben, ihm seine Heimat und Gesundheit genommen, nun lag er krank darnieder, fern von Familie oder Freunden. Ein Opfer des Wandels.
Mit vorsichtigen Bewegungen bewegte ich mich näher an das Lagerfeuer zwischen den Büschen heran. Es warf flackernde Schatten durch die Umgebung und tauchte die Nacht in eine geisterhafte Atmosphäre. Der Rauch biss mir in die Nase, machte das Atmen schwer. Geräuschvoll holte ich Luft, richtete mich auf und trat näher an die Lagerstelle heran.
Der Todkranke blieb einfach liegen. In ihm steckte kaum noch Willenskraft. Die einst hünenhafte, mächtige Gestalt wirkte dürr und ausgemergelt, die Muskeln hingen schlaff um die vertrockneten Gliedmaßen. Am passendsten wäre wohl die Beschreibung eines „Dead Man Walking".
Kaum besser ging es seinem Begleiter. Dennoch sprang der klein gebaute, ausgeglichen wirkende Kämpfer auf, zog sein Schwert und wollte auf mich losgehen. Nur mit Mühe konnte ich seine Attacke abwehren, ohne meinerseits zum Gegenschlag ansetzen zu müssen. Jedoch dauerte es nur wenige Worte meinerseits, bis er den Angriff unterließ, um mich an das Feuer treten zu lassen. Ruhig setzte ich mich hin, den nachdenklichen Blick auf das Feuer gerichtet.
„Weit werden wir nicht mehr kommen, wir sind beide am Ende. Wenn nicht bald ein Wunder geschieht, erleben wir die nächste Sonnenwende nicht mehr." Die Lage war ernst, das war mir klar gewesen. Ich hatte aber keine Ahnung gehabt, wie schlimm es bereits war.
„Ich bin gekommen, um euch einen Vorschlag zu unterbreiten. Ich will euch helfen, mein Meister hat mich dazu bestimmt, sein Werk zu verbreiten, dafür zu kämpfen. Genau genommen hat er mich inspiriert, aber das tut hier nichts zur Sache. Das geht hier jedoch nicht. Es ist Zeit, zu kämpfen, den Feinden entgegen zu ziehen. Hier einsam zu sterben hilft niemandem weiter."
Es folgte ein langes Gespräch, dessen Einzelheiten ich euch gerne ersparen möchte. Meine Tage sind gezählt, eure ebenso, darum sollen sie nicht mit Nichtigkeiten gefüllt werden. Dazu sei angemerkt, dass es keine einfache Diskussion war, viele Argumente und Entkräftigungen ausgetauscht wurden, jedoch am Ende beide mir zustimmten. Es war Zeit für einen letzten, alles entscheidenden Kampf. Gemeinsam mit mir waren sie sogar dazu bereit, ihn bald aufzunehmen. So begann unsere Freund- und Partnerschaft, ein Bündnis mit vielen Höhen und Tiefen.
Strapazen und Entbehrungen verändern einen Menschen. Erst recht, wenn sie mit Überlebenskämpfen sowie Verfolgungswahn verbunden werden. Bereits seit drei Jahren zogen wir nun durch das Land, sammelten Verbündete, nahmen einzelne Außenposten ein. Meine zunächst todkranken Begleiter hatten neuen Mut gefasst und dafür eine letzte Gnadenfrist ihres Lebens erhalten. Wir alle brannten für den Kampf. Hätte man mich heute gefragt, was eine U-Bahn sei, hätte ich keine Antwort geben können; dabei schien es wie gestern, dass ich eine bestiegen hatte, um wie gewöhnlich zur Arbeit zu fahren, jedoch danach hier gelandet war. Der Tag, als ich meinen Meister getroffen hatte.
Ich dachte häufig an ihn zurück. Wäre er stolz, könnte er mich jetzt sehen? Erinnerte er sich überhaupt noch an mich? Kämpfte er noch für die gleiche Sache? Fragen über Fragen, auf die ich keine Antwort fand. Ich stand an der Spitze einer Bewegung, die ich führen musste, dabei war ich selbst unsicher, was ich wollte. Dieser Flug war zum Scheitern verurteilt.
Wir alle wussten, dass wir scheitern würden. Dass dies bald schon geschehen würde. Jedoch hatte niemand damit gerechnet, wie oder wie bald es geschehen würde. Niemand von uns hatte diesen Schrecken geahnt.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro