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Die Zelle war schmal, eng, komplett hellgelb und außerdem Alex neues Zuhause. Es gab keine Risse in der Wand, nicht einmal ein Bett oder eine Pritsche. Einzig eine Toilette war da, neben einem kleinen Waschbecken. Das Licht brannte, doch sie konnte nicht bestimmen, woher es kam. Vielleicht leuchteten die Wände selbst. Isaac würde es wissen. Isaac würde nie mehr die Möglichkeit haben, es ihr zu sagen.
Kein direkter Kontakt. So lauteten die Zauberworte. Jetzt war es nur noch Alex, eine Zelle und ihre Gedanken. Fast musste sie lachen. Genauso hatte es angefangen. Mit ihr in einem zu kleinem Zimmer und zu vielen, zu lauten Gedanken, entstanden aus zu wenig Beschäftigung. Ihr seid nicht Ich. hat sie damals an sie Wand geschrieben und dann ist es ihr Motto geworden, ein Mantra, zu dem sie morgens erwachte und abends einschlief. Aber es stammt aus einer anderen Zeit. Einer, voller Frieden und Hoffnung.
Sie hörte, wie die Kamera in der Ecke auf sie fokussierte, bemerkte das leichte Surren, reagierte nicht darauf. Hoffentlich hatten sie eine gute Show. Sollten sie sie doch beobachten, zeigen würde sie ihnen nichts. Aber Alex konnte etwas anderes. Sie richtete ihren Blick auf die Kamera, hörte auf zu blinzeln. Sie wusste nicht sicher, dass da jemand saß, aber wenn es so ist, dann sollte er wissen, wenn er hier einsperrt hatte. Einen Menschen, noch nicht erwachsen nach dem Gesetz, dazu müsste sie einundzwanzig sein, und doch wird sie so verurteilt werden. Sollten sie doch. Mit Gewalt zwang sie ihre Finger dazu, offenzubleiben, ihre Augen begannen zu brennen. Nur noch ein paar Sekunden, flüsterte sie, ein bisschen länger. Sie hörte erneut ein leises Surren, konnte den Anflug eines Lächelns nicht unterdrücken. Alex blinzelte. Sie hatte gewonnen. Wenigstens einmal. Ihr Protest war gestoppt worden oder hatte sich in einen Krieg verwandelt und sie würden Alex hinrichten, aber diesen einen kleinen, unbedeutenden Sieg konnten sie ihr nicht mehr nehmen.
Von da an spielte sie dieses Spiel öfter, starrte in die Kamera, wenn sie hörte, dass sie sich bewegte, stoppte ihr Blinzeln. Eine stumme Herausforderung, eine lautlose Botschaft. Ihr habt mich, nicht meine Gedanken. Die könnt ihr ihr nicht kontrollieren. Eine stille Lüge. Sie konnten. Alex wusste das, besser als so viele andere Menschen. Willenlos hieß das Programm, gegen das sie protestiert hatten. Zumindest war es ein Grund für den Protest gewesen, vielleicht auch einer der letzten Tropfen, neben den an der Grenze sterbenden Menschen, neben all dem Hass, der von denen ausging, die sie eigentlich beschützen sollten. Willenlos war eine neue Art der Gefängnisstrafe, ein Ort, an dem die Häftlinge keinerlei eigene Entscheidungen treffen konnten, solange, bis sie es nicht mehr versuchten. Bis sie sich tragen ließen, nicht mehr aufmuckten, es nie wieder wagen würden, etwas zu hinterfragen.
Gänsehaut breitete sich auf ihren Armen aus, Übelkeit stieg in ihren Magen hoch, schon allein, wenn sie daran dachte. Willenlos war noch nicht getestet worden, aber das war nur eine Frage der Zeit. Alex spürte es. Und doch war da immer noch eine leise Hoffnung gewesen, Hoffnung auf Einlenken, Hoffnung auf die Erkenntnis, dass Willenlos niemals existieren sollte. Willenlos, welches nicht so hieß. Offiziell hatte es einen anderen Namen, einen schönen, harmlosen Namen. Isolation.
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