I.
Schlecht gelaunt lenkte ich mein Auto in die letzte freie Parklücke vor meiner Arbeit. Ich war wieder einmal spät dran, da ich den starken Verkehr um diese Uhrzeit erneut unterschätzt hatte. Was typisch für mich war, so verpeilt wie ich mich mit meinen 20 Jahren bereits durch das Leben gekämpft hatte. Schwungvoll schlug ich die Autotür zu und wollte los marschieren. Doch weit kam ich nicht, denn ich hatte mir meine Haare in der Tür eingeklemmt. Ich jaulte auf und schloss mit zusammengebissen Zähnen das Auto wieder auf.
"Na Schnecke?", nahm ich plötzlich eine Stimme wahr. "Bist du mal wieder zu spät dran?".
Ich verdrehte die Augen. Das konnte natürlich nur wieder unser neuer Praktikant sein, der seit letzter Woche auch in meiner Gruppe war und mir bereits jetzt mit seiner eingebildeten und arroganten Art auf die Nerven ging. Genervt blickte ich zu dem jungen Mann auf und sah ihm in die Augen.
"Du bist auch jetzt erst gekommen", erwiderte ich mürrisch und machte Anstalten zu gehen, doch er hielt mich am Arm fest.
"Hanna, wenn du so weiter machst, werden sie dich noch kündigen", sagte er und grinst schadenfroh.
"Das hättest du wohl gerne", fauchte ich und ging schnellen Schrittes auf die Tür zu, die zur Aula führte. Ich arbeitete an einer Schule für Kinder mit Behinderung. Aktuell war ich in der Ausbildung, doch mein Ziel war, Erzieherin zu werden.
Als ich den Klassenraum betrat, war es bereits kurz vor acht. Mist, jetzt hatte mich dieser Idiot solange aufgehalten, sonst hätte ich es noch rechtzeitig geschafft.
"Du bist schon wieder zu spät", nahm ich auch schon die hohe Stimme meiner Anleitung wahr.
"Ich weiß, tut mir leid, wird nicht mehr vorkommen", entschuldigte ich mich und begab mich auf den für mich vorgesehenen Platz.
"Benedikt fehlt auch noch", stellte Anna, unsere Fachkraft leise fest und sah unsere Anleitung Mira fragend an.
"Du hast recht, wo ist er?", wollte sie nun von mir wissen.
Ich zuckte die Schultern. "Woher soll ich das denn wissen? Vorhin stand er noch neben meinen Auto, um mich zu nerven", erwiderte ich gelangweilt.
Endlich klingelte es und es war Mittag. Nun kamen Mitarbeiter von der Heilpädagogischen Tagesstätte, um uns abzulösen. Benedikt, meinst nur Bene genannt, war mittlerweile auch aufgetaucht, wenn auch mit etwas Verspätung. Auch er konnte sich das Geschimpfe von unserer Anleitung anhören, was ihm aber recht geschah. Gerade verließen wir das Klassenzimmer, als der Direktor Herr Lauster ebenfalls die Tür öffnen wollte.
"Ah, da sind Sie schon", begrüßte uns der kleine, etwas dickerer Mann, freundlich und schob seine Brille zurecht. Neben ihn wirken unsere Anleitung und die Fachkraft wie zwei Riesen. Denn sie waren beide fast 1,85 m groß.
"Ich wollte mit Ihnen noch über das bevorstehende Fest nächste Woche reden", begann er und strich sich durch die immer weniger werdenden Haare. "Selbstverständlich werden wir wieder in unserem großen Partyraum im dritten Stock feiern. Da gibt es bloß ein Problem, denn der ganze Raum ist mit allem möglichen voll gestellt. Wir bräuchten jemanden, der ihn ausräumt und sauber macht".
"Das kann sie machen, sie hat sowieso nichts zu tun", mischte sie Bene ein und deutete mit dem Finger auf mich, während er dreckig grinste.
"Mach du das doch, für das, dass du mich letztens einfach im Auszug sitzen lassen hast", entgegnete ich und erinnerte mich schaudernd zurück.
Letzte Woche musste ich einen Rollstuhl vom ersten Stock in den zweiten Stock befördern, doch mitten in der Fahrt blieb er stecken. Er bewegte sich weder einen Milimeter nach oben, noch nach unten. Panisch fing ich an, um Hilfe zu rufen, doch keine hörte mich. Das dachte ich zumindest, denn im Nachhinein erfuhr ich, dass Bene mich sehr wohl gehört hatte, es ihm jediglich egal war.
"Hast du verdient", bemerkte er mit einem fiesen Grinsen im Gesicht.
"Idiot", zischte ich sauer und wandte mich zum Gehen.
Mit diesem Menschen wollte ich keine Sekunde länger mehr in einem Raum sein. Mir war durchaus bewusst, dass ich ihn morgen wieder sehen würde, aber den Gedanken schob ich schnell beiseite.
"Hier geblieben", nahm ich den eiskalten Ton der Stimme von meiner Anleitung wahr. "Mir reichen eure ständigen Streitereien endgültig. Könnt ihr euch nicht einmal wie erwachsen Leute verhalten? Alt genug seid ihr".
Das stimmte, ich war 20 und Bene war bereits 22. Wir benahmen uns echt wie im Kindergarten. Aber was sollte ich denn machen? Ich konnte und wollte mir seine Sticheleien nicht gefallen lassen.
"Morgen ist Freitag", fuhr sie fort. "Da könnt ihr gleich nach der Arbeit damit anfangen".
Wir wollten noch protestieren, doch sie ließ uns nicht mehr zu Wort kommen. Mit hängendem Kopf trottete ich zu meinem Auto und setzte mich hinein. Ich drehte die Musik auf laut und versuchte somit die negativen Gedanken von mir zu verbannen. Ich hatte zwar überhaupt keine Lust, mit ihm morgen den Partyraum aufzuräumen, aber das war erst morgen. Ich konnte mich morgen immer noch genug darüber aufregen.
Am nächsten Morgen hatte ich richtig schlechte Laune aufgrund der bevorstehenden Aufräumaktion mit Benedikt am Nachmittag. Wieso musste ich ausgerechnet mit ihm den Partyraum wieder auf Vordermann bringen? Konnten das nicht irgendwelche anderen Praktikanten erledigen? Aber nein, unsere wundervolle Ziege von Anleitung hatte uns das aufgehalst und nun mussten wir das auch machen, ob wir wollten oder nicht.
Ich hatte leichte Schuldgefühle gegenüber den Kindern, die meine schlechte Laune anhand von meiner außergewöhnlichen Strenge ausgesetzt waren. Natürlich war mir durchaus bewusst, dass das nicht passieren durfte, wenn ich so einen Beruf auch anstrebte, aber was sollte ich machen? Ich konnte nichts daran ändern. Viel zu schnell verging der Vormittag und der Nachmittag kam immer näher. Bene und ich wechselten bisher an diesem Tag kein einziges Wort, wir ignorierten uns regelrecht.
Doch schließlich gab es kein Entkommen mehr. Mira schickte uns, nachdem wir alle Kinder zum Bus gebracht hatten, welche Freitags immer früher nach Hause fuhren, nach oben, in den Partyraum. Schweigend gingen wir nebeneinander her und ich musterte meine Schuhspitzen. Wieso war schon wieder ein fetter Fleck auf meinen weißen Schuhen? Wie hatte ich das denn geschafft?
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