II
II) Die Erfüllung eines Wunsches
Sein Vater war ganz in Schwarz gekleidet. Ebenso seine Brüder, die alle vollzählig an dessen Seite saßen und auf den Beginn der Versammlung warteten.
Dorchadas nahm seinen Platz am äußersten linken Ende ein. Rechts saßen seine Schwestern und seine Mutter, stolze Königin der Dunkelelfen, neben ihrem Gemahl.
Der junge Dunkelelf spürte den abfälligen Blick seines Vaters auf sich ruhen, während er versuchte, eine bequeme, aber gerade Haltung einzunehmen. Der Kriegsrat würde dauern. Sein Vater liebte es, über seine Macht und die Festigung seiner Herrschaft zu reden und er hatte am Morgen von einer Gesandtschaft aus dem Norden Neuigkeiten erhalten, über die er am Vormittag ausführlich mit seinen Beratern gesprochen hatte.
Bis zum Ende der Versammlung standen die Chancen gut, dass der König das Zuspätkommen seines jüngsten Sohnes vergessen haben und gar nicht erst nachfragen würde, wo sich dieser so lange herumgetrieben hatte.
König Tenebris erhob sich und die versammelten Dunkelelfen, vorwiegend Krieger und Kundschafter, verstummten. Das Licht der unzähligen Wandfackeln spiegelte sich in dem faustgroßen, schwarzen Diamanten wider, der an einer schweren Eisenkette um seine Brust hing. Glänzende Lichtpunkte tanzten über die Wände aus grob behauenem Blutstein. Wer den Königsstein trug, regierte das Volk der Dunkelelfen. Doch Dorchadas trachtete nicht nach Macht, so wie einige seiner Brüder, sondern bevorzugte sein ruhiges Leben und die Streifzüge durch den Untergrund. Bei einem von diesem war er auf die unterirdische Grotte und auf das Nixenmädchen Cahaya gestoßen. Er hätte die Begegnung gegenüber seinem Vater erwähnen müssen und das wusste er. Trotzdem hielt er an der Überzeugung fest, dass seine Entscheidung, darüber zu schweigen, richtig war.
Der Zeremonienmeister trat hervor und ließ ein Pulver in die Feuerschale rieseln, die direkt vor König Tenebris auf einem Sockel stand, woraufhin sich die Flammen rot färbten. Der Kriegsrat war eröffnet.
Kaum dass sich der Zeremonienmeister zurückgezogen hatte, begann der König zu sprechen.
»Ich habe Kunde von meinen Spionen aus dem Norden erhalten. Die Waldelfen haben neue Hinweise zum Aufenthaltsort der Prophezeiung. Ein kleiner Trupp von ihnen hat vor wenigen Tagen die Berge in südliche Richtung verlassen. Zwei meiner fähigsten Späher verfolgen sie und zwei weitere wurden heute Morgen als Verstärkung entsandt.«
Stille hatte sich über die Halle gelegt. Keiner tuschelte mit seinem Nebenmann. Alle Blicke waren starr auf den König gerichtet. Die verlorene Prophezeiung verriet, wer der wahre Herrscher über die sieben Reiche der Elfen war. Eine Position von unsagbarer Macht, die das Ende aller Kriege und Streitigkeiten zwischen den verfeindeten Völkern von Velka Riska bedeutete. Selbst wenn so manch einer von ihnen heimlich oder offen davon träumte, seinem Vater den Königsstein zu entreißen, um selbst zu regieren, einte sie der Wille und der Wunsch, einer aus den eigenen Reihen möge sich als Herrscher der Sieben hervortun.
Die Prophezeiung durfte niemals in die falschen Hände geraten.
»Sie dürfen sie nicht finden.«
Zustimmendes Gemurmel erfüllte den Saal. Mit einer Geste seiner Hand brachte der König sein Kriegervolk zum Schweigen.
»Während die Waldelfen von der Suche abgelenkt sind, werden wir angreifen. Ihre Augen sind nach Süden auf den Suchtrupp gerichtet und Späher berichten mir, dass sie nur eine dünne Verteidigungslinie im Norden aufrechterhalten. Wir schleichen uns durch das Höhlensystem bis in die Berge, umrunden ihr Reich und fallen ihnen in den Rücken.«
Die Worte des Königs wurden von Jubel begleitet. Dunkelelfen waren immer bereit, zu den Waffen zu greifen. Wenn man ihnen keine Gelegenheit bot, begannen sie, sich untereinander wegen des kleinsten Vorwands abzuschlachten. Dorchadas verstand seine eigenen Leute manchmal nicht.
Aber er war noch zu jung, um einen der bis zu den Zähnen bewaffneten Verbände anzuführen. Anders als seine älteren Brüder, die jetzt der Reihe nach von seinem Vater ausgewählt und eingewiesen wurden. Er hörte nur mit halbem Ohr hin, wie Snaga, Krag und Sgrios nacheinander aufgerufen und mit stolzem Grinsen auf dem Gesicht die Stärke und Ausrüstung ihrer Heerschar zur Kenntnis nahmen.
Die restlichen Kleinigkeiten, wer welche Route zu nehmen und wann an welchem Sammelpunkt zu sein hatte, würden sie im kleinen Rat besprechen. In Dorchadas keimte die Hoffnung auf, der düsteren Halle und dem langgezogenen Gerede über Krieg und Angriffstaktiken doch recht bald entkommen und für den Rest des Nachmittags weiter durch die geheimen Gänge und Tunnel streifen zu können. Vielleicht würde er dabei eines Tages durch Zufall auf die Prophezeiung stoßen und sein Ansehen in den Augen seines Vaters wachsen.
Doch seine Hoffnung wurde jäh zerschlagen.
Die Diskussionen seiner Brüder und der Generäle seines Vaters über komplizierte Manöver und tödliche Schwertkombinationen waren verstummt. König Tenebris' schwarze Augen ruhten auf seinem jüngsten Sohn.
»Ja, Vater?«, stammelte dieser, weil er merkte, dass eine Antwort von ihm erwartet wurde.
»Du taugst nicht zum Heerführer. Für dich habe ich eine andere Aufgabe.«
Dorchadas Herz verkrampfte und er rutschte tiefer auf seinem Stuhl. Er wusste, dass es am besten war, wenn er von seinem Vater übersehen wurde. Aber dafür war es zu spät.
»Du kennst die Tunnel in den Dunkelbergen wie kein Zweiter und du vermagst es, dich bei deinen Streifzügen unsichtbar zu machen. Du wirst bis ins Reich der Lichtelfen schleichen und dich dort umhören, ob auch sie nach der Prophezeiung suchen. Du wirst herausfinden, wo sie suchen und was sie wissen. Bist du fähig, dich dieser Aufgabe zu stellen?«
»Ja, Vater.« Dorchadas richtete sich auf, so wie man es ihn gelehrt hatte. Ein Dunkelelf hielt sich stolz und gerade.
»Und du wirst mich nicht enttäuschen?«
»Nein, Vater.« Der junge Prinz wusste, dass Scheitern einem Todesurteil gleichkäme. Sein Vater duldete keine Versager in seinen Reihen, erst recht nicht unter seinen Söhnen.
»Dann geh, such dir in der Waffenkammer eine gute Ausrüstung und lass dir von Anammath Verpflegung und Proviant geben. Du hast keine Zeit zu verlieren.« Mit diesen Worten wurde Dorchadas' Wunsch nach einer vorzeitigen Entlassung aus der Versammlung erfüllt und er durfte sogar mit Erlaubnis seines Vaters durch den Untergrund streifen.
Trotzdem beschlich den jungen Dunkelelfen eine ungute Vorahnung.
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