5.Kapitel
Meine schwitzigen Hände waren total nass und ich bestimmt kreidebleich im Gesicht. Markus dagegen saß ganz locker auf seinem Stuhl und redete mit Jamie und David über irgendetwas. In der letzten Reihe hörte ich Leon, Luca, Oliver und Theo lachen, wahrscheinlich über mich. Ich rutschte unwohl auf meinem Stuhl herum und wäre am liebsten im Boden versunken. Bestimmt malten sich die vier jetzt schon aus, wie schrecklich ich das Referat gleich halten würde. Konnte nicht zufällig Frau Fischer auf dem Weg zu uns die Treppe herunterfallen? Oder hätte sie nicht kurzfristig dringend zu ihren Verwandten fahren müssen, weil irgendetwas passiert war? Oder sie vergaß einfach, dass sie in dieser Stunde Unterricht hatte. Das wäre am besten, denn schließlich wollte ich ihr auch nichts Schlechtes wünschen. Ich seufzte. Wer war eigentlich auf diese bescheuerte Idee gekommen und hatte Referate erfunden?
»Erde an Katharina, bist du noch geistig anwesend? Hallo?« Malena dehnte das 'Hallo' und fuchtelte ungeduldig mit ihrer rechten Hand vor meinem Gesicht herum. Sofort schoss mir leichte Röte anstelle der Blassheit ins Gesicht und ich starrte peinlich berührt auf den Boden. Warum musste ich ständig so in meine Gedanken vertieft sein? Warum hatte ich nur so viel Angst vor diesem läppischen Referat? Ich merkte, wie ich langsam anfing zu zittern. Nicht das auch noch. Das machte mich nur noch nervöser. Was sollten denn jetzt die anderen von mir denken, wenn sie das bemerkten?
»Hey, du schaffst das schon. Das ist doch nur ein klitzekleines Referat, mehr nicht«, versuchte Malena mich aufzumuntern und ich schüttelte meinen Kopf. Klitzeklein? Vielleicht für sie, aber definitiv nicht für mich. Ich starrte nun immer verzweifelter auf den hellgrauen Boden.
Ich hörte Malena seufzen und spürte, wie sich zwei Arme vorsichtig um mich schlangen. Erschrocken schaute ich auf und meine Freundin, falls ich sie überhaupt schon so nennen konnte, lächelte mich aufmunternd an. Überfordert lächelte ich zurück, entspannte mich aber ein wenig. Die Umarmung tat erstaunlicherweise gut. Trotzdem war es mir unangenehm, dass die ganze Klasse uns dabei beobachten konnte.
»Ich glaube an dich. Schau während des Referats einfach mich an und vergiss die anderen«, flüsterte sie mir ins Ohr und ich bekam eine leichte Gänsehaut.
»Danke«, flüsterte ich mit zittriger Stimme zurück und in diesem einen Wort steckte so viel mehr, als Malena in diesem Moment wahrscheinlich dachte.
»Guten Morgen und bleibt sitzen«, unterbrach Frau Fischer das laute Geschwätz der Klasse und Malena und ich lösten uns aus der Umarmung, die ich am liebsten nie, aber gleichzeitig auch so schnell wie möglich beenden wollte. Verlegen strich ich meine Haare aus dem Gesicht und atmete tief durch. Malena nahm meine Hand und drückte sie fest, worauf mein Gesicht immer heißer wurde. Wie peinlich, meine Hand war noch immer nass. Was dachte Malena jetzt nur? Bestimmt nichts Gutes. Bereute sie es insgeheim, dass sie gerade bei mir und nicht bei Cara war? Ich seufzte leise und befreite meine Hand aus Malenas. Das nutzte Malena und ging an ihren Platz.
»Heute hören wir ein Referat über das heliozentrische Weltbild. Markus und Katharina, kommt bitte nach vorne«, forderte unsere Physiklehrerin uns auf und mir wurde augenblicklich wieder schlecht.
Ich wartete, bis Markus an mir vorbeilief, und folgte ihm dann widerwillig mit meinen Karteikarten, die ich fast an meinem Platz vergessen hätte. Ich atmete einmal tief durch und stellte mich mit gesenktem Blick neben Markus, der gleich mit dem Referat begann. Während er redete, starrte ich abwechselnd meine türkisfarbenen Chucks und die Karteikarten in meiner mittlerweile deutlich zitternden Hand an.
»Jetzt erzählt euch Katharina noch die Vorgeschichte dazu«, beendete Markus seinen Teil und ich schaute erstarrt auf. Einige Sekunden bekam ich kein einziges Wort heraus. Mein Mund fühlte sich trocken an. Ich bewegte mich keinen einzigen Millimeter und befand mich in einer unangenehmen Starre. In meinem Kopf überschlugen sich dagegen meine Gedanken.
Ich räusperte mich leise.
»Äh, ja«, fing ich zögernd an und merkte schon jetzt, wie mir die Röte ins Gesicht stieg. Meine Karteikarten hielt ich verkrampft fest. »Also, wie Markus ja schon gesagt hat ...«
»Oho, der Stummkopf kann ja doch reden«, unterbrach mich Leon gespielt überrascht und die ganze hintere Reihe lachte laut auf. Oliver stach dabei am lautesten heraus. Ich drückte meinen rechten Fuß mit der gesamten Kraft, die ich aufbringen konnte auf meinen linken. Der Schmerz war nicht allzu groß, aber er reichte mir für diesen Moment.
Hastig schaute ich auf meine Karteikarten und hielt mit zitternden Händen mein Referat, bei dem ich mich immer wieder verhaspelte, stotterte und die merkwürdigsten Satzkonstruktionen bildete. Kurz gesagt, es war die Hölle.
Nachdem wir noch eine Ewigkeit vor der Tafel gestanden hatten und die Standardrückmeldungen wie 'Ich fand es gut, dass sie so frei gesprochen haben.' und 'Sie haben es gut erklärt, haben aber zu leise geredet.' anhören mussten, durften wir uns endlich wieder setzen. Ich war so erschöpft, als hätte ich einen Marathon hinter mir oder eine Dreifachtherapiestunde.
Nach der Schule stellte sich Malena mit Cara in dem überfüllten Bus zu mir.
»Katha? Ich und Cara wollten ...«, fing Malena an, doch sie kam nicht weit, denn Cara unterbrach sie gleich.
»Der Esel nennt sich immer als erstes!«, warf sie lachend ein und ihre eisblauen Augen funkelten dabei belustigt. Wie Cara sich so an das Fenster lehnte und vor Selbstbewusstsein nur so strotzte, ließ mich gleich noch eine Spur unsicherer werden. Warum bemühte sich Malena immer noch um mich? Sie hatte doch mittlerweile sowieso Cara, da brauchte sie mich nicht mehr. Ich war nur eine Last für sie. Mit mir konnte man ja nicht einmal ein vernünftiges Gespräch führen und außerdem war ich an der Schule der Stummkopf. Machte sich Malena dann nicht auch gleich automatisch unbeliebt, wenn sie mit mir Kontakt hatte?
»Ach Katha, von wem träumst du denn schon wieder? Von Markus oder wie?«, redete Malena auf mich ein und grinste spitzbübisch. Ich sah sie nur verwirrt an. Warum sollte ich von Markus träumen? Das machte ja mal gar keinen Sinn. Über die bevorstehende Ballettprüfung zu träumen, wäre doch viel realistischer gewesen, das schwirrte momentan am häufigsten in meinen Gedanken herum.
»Also, was ich sagen wollte, ich und Cara«, sie betonte das 'ich' grinsend mit einem Blick zu Cara und sah dann wieder zu mir, »wollten diesen Samstag zusammen ins Kino gehen. Hättest du Lust, mitzukommen?«
Als ich das hörte, machte mein Herz einen Sprung. Diese oder so eine ähnliche Frage hatte ich noch nie an mich gerichtet gehört. Ich versuchte mir meine Freude nicht allzu sehr anmerken zu lassen und nickte dann einfach lächelnd. Die Fragen danach, um wie viel Uhr der Film beginnen würde und was wir überhaupt anschauen würden, brannten mir auf der Zunge, doch ich stellte diese nicht.
»O super! Ich schreibe dir dann heute Abend oder so noch genauere Infos, okay? Ich und Cara«, wieder grinste sie kurz zu Cara, die lachend die Augen verdrehte, »sind uns nämlich noch nicht ganz sicher, welchen Film genau wir anschauen wollen.«
Wieder wollte ich fragen, welche Filme denn zur Auswahl ständen, doch stattdessen nickte ich nur.
Im Bus hatten sich Malena und Cara noch miteinander unterhalten, während ich wie das fünfte Rad am Wagen daneben gestanden und ihnen einfach nur zugehört hatte. Malena und ich liefen nach der Busfahrt zusammen nach Hause, wobei sogar ein einigermaßen normales Gespräch entstand und meine Zurückhaltung von vor ein paar Minuten im Bus gar nicht mehr so stark zu erkennen war. Zuhause hatte ich dann noch die ganze Zeit, bis ich zum Training gehen musste, mit Lienchen über ihr neues Kapitel von ihrem Buch geschrieben.
In Gedanken ging ich nochmal den Tag durch, während ich im Laufen meinen Dutt mit Haarnadeln befestigte. Ich hatte die Zeit vergessen. Zum Glück war auf den Straßen wie immer nicht viel los und so sahen mich wenigstens nicht allzu viele Leute komisch an. Ich ärgerte mich über mich selbst. Warum hatte ich auch vergessen auf die Uhr zu schauen? Das war mir bis jetzt noch nie passiert.
Ich hörte kurz mit dem Dutt auf und sah auf mein Handy um die Uhrzeit zu überprüfen. Mein Herz klopfte schneller, ich hatte nur noch zwei Minuten, bis das Training anfing. Hektisch steckte ich mein Handy zurück in die Jackentasche und beschleunigte meine sowieso schon schnellen Schritte.
Ich konzentrierte mich wieder auf meinen Dutt. Ein kleines Lächeln stahl sich trotz allem auf meine Lippen. Das war ja fast schon wie bei den Auftritten, bei denen man gefühlt ein halbes Lied zum Umziehen und Dutt machen Zeit hatte.
Plötzlich stolperte ich. Mein linkes Bein knickte ein und ich prallte auf den Teer. Schmerz durchfuhr mich und ich holte erschrocken Luft. Perplex saß ich nun dort und konnte mich nicht von der Stelle rühren. Ich brauchte ein paar Sekunden bis ich überprüfte, ob jemand meinen Sturz gesehen hatte. Wie peinlich das war. Mit zitternden Beinen stand ich wieder auf und klopfte den Dreck von meiner Hose, was verdammt wehtat. Meine Hände waren aufgeschürft und wie es sich anfühlte, waren das auch meine Knie. In Gedanken verfluchte ich meine Tollpatschigkeit. Ich war den Tränen nahe. Was würden gleich die anderen denken wenn ich in dieser Verfassung und sowieso schon zu spät im Studio auftauchen würde?
Die Haarnadel, die ich vor meinem Fall in den Dutt stecken wollte, rammte sich fast schon automatisch in meinen linken Handballen, was durch das Aufgeschürfte gleich noch mehr wehtat. Ich hasste mich verdammt noch mal für meine Tollpatschigkeit. Ich hasste mich. Ich hasste mich. Ich hasste mich.
Ich atmete tief durch und versuchte meine verkrampften Hände zu lösen. Die paar Tränen, die sich langsam auf den Weg machen wollten, hielt ich dagegen krampfhaft zurück und hob meine Trainingstasche vom Boden auf. Jetzt kam ich sowieso zu spät, also konnte ich auch genauso gut die letzten paar Meter in einem halbwegs normalem Tempo laufen, bevor ich ein zweites Mal fiel. Am liebsten wäre ich einfach umgekehrt und nicht zum Training erschienen, doch ich riss mich zusammen und machte mich auf den Weg.
Vor der Tür vom Tanzstudio blieb ich stehen und atmete noch einmal tief durch. Ich seufzte leise und betrat dann das Gebäude. Die Marmortreppen ging ich langsam hoch, darauf bedacht, nicht irgendwie wieder hinzufallen. Oben angekommen ging ich mit klopfendem Herzen zu unserer Umkleidekabine, in der wie schon zu erwarten, die Jüngeren vor uns sich bereits umzogen. Von den Mädchen meiner Gruppe war, auch wie zu erwarten, nichts zu sehen. Mit hochrotem Kopf und gesenktem Blick suchte ich mir einen freien Platz, was sich als ziemlich schwierig erwies. Schon allein das war der Grund, warum ich sonst eigentlich immer viel zu früh kam, nämlich um hundertprozentig einen Platz ohne peinliche Vorkommnisse zu bekommen.
Kurze Zeit stand ich in dem kleinen Raum und sprang dann schon fast zu dem Platz, der gerade frei wurde. Das rothaarige Mädchen, das am Gehen war, starrte mich darauf mit einem kaum deutbaren Blick an. Ich ignorierte diesen bestmöglich und zog mich stattdessen hektisch um. Danach eilte ich mit meinen Spitzenschuhen zum Tanzsaal, aus dem ich schon Musik hörte. Wahrscheinlich für die Tendus, diese Musik nahmen wir oft dafür. Ich wollte da jetzt aber nicht rein. Es war klar, dass dann die ganze Aufmerksamkeit auf mir liegen würde. Trotzdem legte ich meine rechte Hand auf die Türklinke, drückte sie jedoch nicht herunter. Als hätte ich mich verbrannt, zog ich blitzschnell wieder meine Hand zurück und wurde unruhig. Die paar Sekunden, die vergingen, bis die Musik aus war, kamen mir wie Minuten, viele Minuten, vor. Ich hätte jetzt auch einfach nach Hause gehen können, aber ich fasste all meinen Mut zusammen und öffnete vorsichtig die Tür, als die Musik verstummte. Die Tür gab kaum einen Laut von sich, trotzdem lagen alle Blicke automatisch auf mir, sogar meine Trainerin, Melissa Carter, war verstummt und ich umklammerte meine Spitzenschuhe in der linken Hand noch fester.
Ich starrte meine Trainerin an, fing mich dann aber recht schnell wieder und eilte zum Spiegel um dort meine Spitzenschuhe zu den anderen zu legen. Die Stille war beängstigend, niemand sagte etwas und immer noch wurde ich von allen angestarrt.
Ich hastete zur Stange und Kalea und Marija gingen etwas weiter auseinander, um mir Platz zu machen. Ich lächelte Marija dankbar an, da Kalea schon wieder zur Carter sah, und stellte mich zwischen die beiden.
»Gut«, hallte die strenge Stimme meiner Trainerin durch den totenstillen Raum und auch die anderen Mädchen konzentrierten sich nun endlich wieder auf sie. Erleichtert atmete ich auf und entspannte mich ein wenig.
»Dann machen wir jetzt mit den Glissés weiter«, meinte sie und erklärte uns die Übung.
Nach dem Training ging ich verschwitzt und erschöpft nach draußen und war froh über die kühle Luft. Mein Blick schweifte kurz über die dunkle Gegend und ich machte mich schließlich auf den Weg durch den Park. Normalerweise genoss ich den Spaziergang durch den nächtlichen Park, doch diesmal fühlte ich mich, aus welchem Grund auch immer, beobachtet. Etwas unwohl starrte ich unauffällig durch die finstere Umgebung des mir eigentlich vertrauten Parks. Meine Anspannung erhöhte sich mit jedem weiteren meiner Schritt. Mein Blick war nervös zur Seite gerichtet, bis ich auf einmal vier Gestalten entdeckte und vor Schreck stehen blieb. Mein Herzschlag beschleunigte sich deutlich und ich starrte auf die vier dort in der Finsternis, die mir immer näher kamen.
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