24.Kapitel
»Kommt ihr her? Bevor wir anfangen, darf ich euch noch etwas geben.«
Meine Trainerin lächelte. Marija bekam leuchtende Augen.
»Also sind bestimmt auch unsere Ergebnisse da. Das macht auch Sinn, wenn die Gruppe vor uns sie auch bekommen hat«, folgerte sie aufgeregt und strahlte Kalea und mich an. Wir nickten voller Vorfreude und gesellten uns zur Carter und den anderen, die laut ihren Gesichtern auch schon eins und eins zusammengezählt hatten.
»Wie ihr euch schon denken könnt, bekommt auch ihr heute eure Prüfungsergebnisse, die gestern bei mir angekommen sind.« Miss Carter wurde von dem aufkommendem Jubel unterbrochen und musste kurz warten, bis sich alle wieder beruhigt hatten. »Sie sind nach dem Alphabet und nicht nach der Punktzahl sortiert, das mag ich so mehr. Bevor ich sie euch gebe, möchte ich davor noch etwas sagen. wie erwartet ist keiner durchgefallen.«
Marija strahlte darauf unübersehbar.
»Insgesamt sind die Bewertungen auch ungefähr so ausgefallen, wie ich es vermutet hatte. Zu den Punktzahlen: Insgesamt hättet ihr 100 Punkte erreichen können. Bis 39 Punkte wärt ihr durchgefallen, das war hier aber nicht der Fall. Von 40 bis 54 hättet mit Bronze bestanden. Das gab es bei uns nur einmal und auch da war es mit 53 Punkten sehr knapp. Von 55 bis 74 gab es dann Silber, das hat der Großteil von euch erreicht. Von 75 bis 100 gibt es logischerweise Gold, das haben hier zwei Leute erreicht.« Sie machte eine Pause und jeder schaute sie gespannt an. Bronze hatte ich nicht, das wusste ich.. Die Carter hatte mich in den letzten Stunden vor der Prüfung oftmals gelobt und ab und zu ihr Schätzung unserer Leistung in Punkten gesagt. Ich hatte oftmals 8, aber obwohl meine Trainerin streng war, war die Prüferin bestimmt mindestens doppelt so streng wie sie. Marija bekam wahrscheinlich auch kein Gold, sondern Silber. Kalea hätte sicherlich Chancen auf Gold, Ella wahrscheinlich auch.
»... gut gemacht«, lobte meine Trainerin Ella und ich sah sie verwirrt an. Ich hatte schon wieder nicht aufgepasst. Das musste ich nun wirklich ändern.
»Wen haben wir als nächstes? Ella, du hast 86 Punkte erreicht und somit die höchste Punktzahl der ganzen Gruppe. herzlichen Glückwunsch!« Miss Carter lächelte stolz und Ella wurde von Glückwünschen überhäuft, während sie ihre Urkunde und den Anstecker in Gold plus eine Umarmung von unserer Trainerin entgegen nahm.
»Auch von mir herzlichen Glückwunsch«, gratulierte ich ihr schließlich durch das Stimmengewirr. Überraschenderweise fiel mir das leichter als gedacht. Ich lächelte. Ich wusste noch, wie ich vor ungefähr einem Jahr hier stand und Ella nicht zu ihrem Wettkampferfolg gratulieren konnte, weil ich mich nicht traute. In diesem einen Jahr hatte ich so viele Fortschritte gemacht, wie noch nie. Malena und Markus spielten dabei sicherlich eine große Rolle. Ohne die beiden hätte ich nie in dieser Zeit diese Fortschritte machen können. Sie halfen mir, wenn auch unbewusst, meine Selbstsicherheit zu stärken. Die beiden taten mir gut. Ich war froh, dass Malena hier hergezogen ist und dass Markus, aus welchem Grund auch immer, mich nach sieben Jahren wahrgenommen hatte. Hatte da wirklich nur der Anstoß von dem Referat gefehlt? Oder warum hatte er sich ab diesem Zeitpunkt Mühe um mich gegeben? Ganz verstand ich es immer noch nicht, aber ich war dankbar dafür.
»Ich habe 71 Punkte!« Jubelnd umarmte Marija erst mich, dann Kalea und dann wieder mich. Auch ihr gratulierte ich und freute mich wirklich für sie. Ich wusste, sie hatte Angst wegen einem kleinen Fehler nur Bronze zu bekommen. So war das für sie wirklich ein Grund zu freuen. So langsam bekam ich ein beklemmendes Gefühl, was ich bekommen hatte.
»Als nächstes haben wir Katharina«, sagte meine Trainerin als hätte sie meine Gedanken gelesen und ich bekam vor Nervosität leichte Bauchschmerzen. »Du hast 82 Punkte bekommen und bist somit die zweite Goldkandidatin«, verkündigte Carter lächelnd und Marija stieß einen Jubelschrei aus, während ich ein weiteres Mal an diesem Tag stürmisch umarmt wurde. Ich hatte Gold! Ich konnte es noch gar nicht richtig glauben, aber auch nicht aufhören zu lächeln. Das war so surreal. Meine Trainerin übergab auch mir die Urkunde und das Goldabzeichen. Es war klein, aber wunderschön. Der Rest bekam ihr Ergebnis, aber ich hörte kaum noch zu. ich war vertieft in den Bewertungsbogen und meinen Gedanken.
»Ella und Katharina haben die beiden besten Ergebnisse. Wie ich ja schon vor der Prüfung angesprochen habe, dürfen die beiden besten bei der diesjährigen Aufführung von uns jeweils ein Solo aufführen, das gleiche Spielchen bei der Gruppe vor euch. Ich habe mich entschieden, dass Ella das klassische Solo aufführen wird, darin glänzt sie. Somit führt Katharina den Charaktertanz auf, bei dem man auch merkt, wie sehr sie dabei in ihrem Element ist. Ich denke, das ist die beste Aufteilung.« Fragend sah Miss Carter mich und Ella an, um zu sehen, was wir davon hielten. Also nickten wir beide. Ich wäre mit beiden Tänzen zufrieden gewesen. Es freute mich schon wahnsinnig, dass ich überhaupt einen Tanz aufführen durfte.
»Oha, nochmal Glückwunsch«, gratulierten nun auch Kalea und mehrere Personen. Ich dankte lächelnd, aber so langsam wurde mir die vermehrte Aufmerksamkeit immer unangenehmer. Umso erleichterter war ich, als unsere Trainerin uns aufforderte, zur Stange zu gehen.
Nach dem Training unterhielten sich alle lautstark über die Prüfungsergebnisse. Ich hielt mich zurück, sagte aber hin und wieder doch etwas dazu, was mich noch weiter fröhlich stimmte. Es war zwar schwer, mich in das Gespräch einzubringen, aber immerhin schaffte ich es. Wieder musste ich daran denken, dass ich das vor einem Jahr nicht geschafft hätte. Ich lächelte vor mich hin und zog meine Jacke an.
»Tschüss«, verabschiedete ich mich noch, wurde umarmt und ging dann schließlich aus dem Gebäude. Bis jetzt war der Tag ausgesprochen gut, auch wenn es das von der Schule heute nicht behaupten konnte. Ich schauderte leicht, als ich daran zurück dachte. Malena war mit Cara in der Pause zusammen und Markus hatte seine Zeit für mich geopfert, weshalb das viele für den passenden Moment hielten und blöde Sprüche losließen. An sich war das für mich nicht schlimm, es war harmlos gegenüber das, was sie sonst auf Lager hatten. Ich machte mich auf den Nachhauseweg. Aber ich schämte mich vor Markus, dass die Jungs und Mädchen mich so niedermachten. Markus beteuerte zwar immer wieder, dass es für mich keinen Grund dazu gab, aber trotzdem schaffte er es nicht, das auch in mein Gehirn wirksam einzupflanzen.
Den Weg über dachte ich weiter über Markus und mich nach. Wie immer kam ich zu dem Schluss, dass ich nicht gut genug für ihn war. Ich bekam diesen Gedanken einfach nicht aus meinem Kopf. Es war verflucht.
Ich versuchte meine Gedanken nun zu Malenas Geburtstag zu lenken und klingelte an unserer Haustür. Mein Vater machte auf.
»Hi«, brachte ich erschrocken heraus. Ich hatte nicht erwartet, dass er aufmachen würde. Er grummelte etwas Unverständliches und machte dann Platz, um mich herein zu lassen. Die beste Laune hatte er nicht, das merkte ich sofort. Ich ging in unseren Eingangsbereich und zog Jacke und Schuhe aus. Während ich sie an den richtigen Platz stellte, ging mein Vater ohne ein weiteres Wort in die Küche.
»Tut mir Leid, der Postbote war da.« Ich hörte meinen Vater gedämpft reden und runzelte die Stirn. Postbote? Um diese Uhrzeit? Es war kurz nach acht, da kam doch kein Postbote mehr. Da hätte sich mein Vater auch eine bessere Ausrede überlegen können, wenn er es schon so schlimm fand, dass sein Arbeitskollege mitbekam, dass während er Homeoffice hatte, seine Tochter nach Hause kam. Und warum arbeitete er überhaupt noch so spät? Das tat er doch nie, vor allem nicht, wenn er mal von zu Hause aus arbeiten durfte.
»Und jetzt noch einmal zu der Firma. Es ist also nun sicher, dass es keine andere Möglichkeit gibt?«
Ich konzentrierte mich auf die Stimme meines Vaters und verharrte in meiner Bewegung. Mein Vater klang so, als wäre das ein riesiges Problem für ihn. Was war da los?
»Genau ... Umstände, die nicht verhinderbar ... keine bessere Möglichkeit ... garantierte Zuschüsse ... einmalige Chance.« Ich verstand nur Bruchteile von dem, was der Mann am Telefon sagte. Ich kannte diese Stimme, es war die von dem Chef meines Vaters. Mit ihm telefonierte er in letzter Zeit oft. Warum, wusste ich nicht, aber ich konnte mir auch keinen Reim aus den zusammenhanglosen Fetzen machen.
Ich wollte weiter zuhören, aber ich hörte, wie mein Vater die Küchentür schloss. Jetzt konnte ich nur noch hören, dass er redete, was genau, verstand ich aber kaum. Ich seufzte. Wahrscheinlich war es besser so. Ich musste mich beeilen, damit ich nicht erst zu Malena kam, wenn alle schon gingen. Ich nahm meine Trainingstasche und ging nach oben. Dort duschte ich, zog mir anschließend eine blaue Bluse und eine helle Jeans an und machte mir mit dem Lockenwickler noch Locken in die Haare, die ich offen trug. Skeptisch betrachtete ich mich in dem Badspiegel. Ein paar kurze Haare standen mir vom Kopf ab. Ich hatte es einfach nicht unter Kontrolle, mit dem Haareausreißen aufzuhören. Ich war am Verzweifeln. Jetzt, als ich endlich über Trichotillomanie Bescheid wusste und mir bewusst war, dass das auch auf mich zutraf, bemerkte ich ständig, wie ich mir Haare ausriss. Manchmal schaffte ich es, dann sofort damit aufzuhören, oft hatte ich dafür aber nicht genügend Selbstdisziplin. Die kurzen Haare verleiteten mich zu sehr, sie wieder auszureißen, da sie das Gesamtbild zerstörten. Oft tat ich es auch und der Teufelskreislauf begann. Auch jetzt hatte ich diesen unwiderstehlichen Drang in mir. Ich durfte es nicht tun, es tat meinen Haaren nicht gut. Das versuchte ich mir einzureden, während ich immer noch die abstehenden Härchen anstarrte. Ich wollte vom Spiegel weggehen. Ich wollte es wirklich. Ich hatte schon einen Schritt getan, doch dann gewann der Drang gegen meine Vernunft und ich riss die Härchen aus, die am meisten störten. Es tat gut, auch wenn ich wusste, dass es das eigentlich nicht tat. Das Gesamtbild sah nun besser aus, doch trotzdem hasste ich mich für meine Tat. Schnell verschwand ich aus dem Bad. Ich konnte meinen Anblick nicht mehr ertragen. Warum schaffte ich nicht einmal so eine einfache Aufgabe, wie keine Haare auszureißen? Ich war nichts wert. Ich verdiente mein Leben nicht.
Mit diesen Gedanken ging ich in mein Zimmer, um das Geschenk für Malena zu holen. Schließlich ging ich die Treppen hinunter, sah davon ab, mich von meinem Vater, der immer noch telefonierte, zu verabschieden und ging nach draußen, um ein Haus weiter die Klingel zu betätigen. Die Tür ging auf und ich sah in das recht strenge Gesicht von Malenas Mutter.
»Hallo Katharina, ich habe heute nicht mehr mit dir gerechnet. Malena ist im Garten, den Kuchen habe ich schon weggepackt und deine Mutter wollte bald gehen.« Mit diesen Worten ging sie und ließ mich stehen. Meine Mutter war immer noch da? Ich wusste, dass sie für maximal eine Stunde am Nachmittag kommen wollte, als ich zum Ballett ging, um Malena zu gratulieren und Malenas Mutter ein wenig Gesellschaft zu leisten, da sie hier noch kaum jemanden kennt. Wahrscheinlich wollte sie meinen Vater in Ruhe arbeiten lassen oder hatte einfach spontan ihren Plan geändert.
Ich entfernte mich also wieder von der Tür und ging direkt in den Garten durch die Tür im Zaun. Auf eine Jacke hatte ich verzichtet, ich war schließlich nicht einmal eine Minute draußen in der beißenden Kälte. Das bereute ich jetzt. Ich fröstelte und lief um das Haus, bis ich im größeren Bereich des Gartens angelangt war. Die Terrasse war beleuchtet, doch an dem Tisch saß niemand. Malena plus zwei weitere Gestalten konnte ich auf dieser typischen Kinderschaukel, an deren Seite eine Rutsche war, entdecken. Die zwei Schaukeln bewegten sich unmerklich mit je einer Person darauf und auf der Plattform, an die die Rutsche anschloss, saß auch jemand. Ich kam näher.
»Oh, hallo Katha!« Malena unterbrach das Gespräch mit Cara und Markus, wie ich jetzt erkennen konnte, und sprang von der Schaukel, um auf mich zuzurennen.
»Schön, dass du jetzt auch endlich da bist, jetzt sind wir komplett«, sagte sie zufrieden und umarmte mich zur Begrüßung. Ich passte auf, das Geschenk in meiner rechten Hand nicht zu zerquetschen und erwiderte die Umarmung.
»Nochmal alles Gute zum Geburtstag«, brachte ich währenddessen heraus. In der Schule hatte ich ihr schon gratuliert, das Geschenk wollte ich aber nicht mit in die Schule nehmen.
»Dankeschön!«, erwiderte Malena freudig und ließ mich los. Auf einmal spürte ich die Kälte wieder vermehrt und streckte ihr schnell das in gold-weiß eingepackte Geschenk entgegen, um nicht noch weiter an die Kälte zu denken. Eine leichte Jacke wäre wirklich sinnvoll gewesen.
»Uii, nochmal dankeschön!« Ich lächelte als Antwort und folgte Malena zu den anderen.
»Hallo«, begrüßte ich sie, was diese auch erwiderten. Unsicher sah ich zu Markus, der nicht einmal ein Lächeln zustande brachte, als er mich ansah. Ursprünglich wollte ich mich zu ihn setzen, aber seine missmutige Mine hielt mich davon ab. Ich suchte mir rasch einen anderen Platz und stand wenige Augenblicke später angelehnt an dem Pfosten von dem Gestell. Somit waren Markus und ich durch die beiden Schaukeln getrennt.
Malena packte ihr Geschenk aus, doch ich konnte mich kaum darauf konzentrieren. Die Gedanken, was mit Markus los war und ob er sauer auf mich war, schwirrten nur in meinem Kopf herum. Auch den Rest vom Abend bekam ich kaum noch mit, da Markus mir ständig das Gefühl gab, dass er genervt von mir war.
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