mare
Ich bin nicht oft in dem kleinen Dorf an der Küste. Die Menschen tratschen gerne, weil sie nichts anderes zu tun haben. Hier gibt es nur zwei Läden. Einer führt Lebensmittel, der andere alles andere was man zum Leben braucht.
Der Boden ist ganz schlammig unter meinen Schuhen. Lyra trägt meine alten gelben Gummistiefel und einen Mantel, damit sie sich nicht erkältet. Das Klima ist rau an diesem Ort und erbarmungslos wie die See selbst. Ich spüre die Blicke auf uns. Sie mustern uns ausführlich, stellen fest, dass ich an diesem Tag nicht allein unterwegs bin. Ich kann sie reden hören, doch meine Aufmerksamkeit gilt Lyra, die so erhaben durch diese Gassen schreitet, als würden ihr diese paar Hütten gehören. Nur ihr.
"Was willst du essen?"
Ihr Blick geht zu Seite, ich sehe, dass sie auf den wolkenlosen grauen Himmel starrt. Er wirkt fast weiß, einnehmend. Ich vermisse die Sonne manchmal. Oft hat sie sich durch die schweren Seiten gequält und versucht etwas Licht in diesen Teil des Landes zu bringen. Mittlerweile hat sie es aufgegeben.
"Wie bitte?"
"Ich habe gefragt, was du essen möchtest", wiederhole ich die Frage ruhig. "Also.. was wir einkaufen sollen." Ihre geschwungenen Augenbrauen haben die Farbe ihrer widerspenstigen Locken. "Ich weiß nicht", antwortet sie. "Gibt es denn etwas, was du gerne isst?"
Natürlich gibt es das, aber wenn man allein lebt, muss man oft Kompromisse machen. Ich habe nicht viel Geld, weil mein Einkommen von meinem Erfolg auf See abhängt. Wieder wird mir bewusst, dass ich mir etwas für das kaputte Netz überlegen muss. Im Dorf gibt es einen Fischer, der es reparieren kann, aber er ist ein Halsabschneider, der es sich bestimmt gut bezahlen lassen wird. Eine Frau bleibt stehen. "Fjonn, ich habe dich ja seit Ewigkeiten nicht mehr hier gesehen!", lacht sie. Die Lücke zwischen ihre Schneidezähnen blitzt kurz auf. Moira ist eine gutmütige Frau, seitdem ihr Mann an einem schweren Husten verstorben ist lebt sie allein. Doch ihr Lachen ist nie vergangen, sie wirkt stets fröhlich und schenkt auch Lyra ein freundliches Lächeln. "Es gab viel zu tun", erwidere ich nur ruhig, zögere tatsächlich für einen Moment, aber lächle zurück. "Viel passiert ist auch, wie mir scheint." Moiras Blick richtet sich auf Lyra, welche die Frau eine Weile aus ruhigen, meerblauen Augen beobachtet hat. Ich weiß nicht, ob ich etwas dazu sagen soll oder ... "Äh..", fahre ich dazwischen, bevor es zu irgendwelchen Missverständnissen kommt. "Das ist Lyra. Eine Freundin. Lyra, das ist Moira... sie lebt hier und ist eine Freundin der Familie." Irgendwie fühlt es sich komisch an, das so zu sagen und ich erkenne sofort, was die Frau vor hat. "Eine Freundin also?", wiederholt sie und geht einige Schritte um uns herum. "Genau." Lyra lächelt nur, sie scheint amüsiert von der Situation zu sein, aber ich finde keinen Grund für die Belustigung. Es ist mir eher unangenehm. "Armes Ding, ist dir nicht kalt?" Ich folge dem Blick der Frau. Lyras dünnes Leinenkleid und die Gummistiefel wirken nicht angemessen für dieses Wetter. Ich weiß das. Moira auch. Bevor Lyra allerdings antworten kann, wendet sich die Frau wieder an mich. "Komm doch heute Abend vorbei, dann kann ich dir ein paar Sachen mitgeben. Ich wollte die Kleidung von meiner Tochter verkaufen, aber ich schätze eine Hose und einen Pullover kannst du besser gebrauchen." Ich sehe den Blick genau. Tadelnd. Eine Erklärung wäre zu kompliziert, ich wüsste selbst nicht wo ich beginnen sollte.
Ich habe meine Schuppen verloren.
Ich brauche dringend Antworten auf die vielen Fragen.
"Vielen Dank", antwortet Lyra in diesem Moment und umfasst meinen Arm. Ich sehe sie an, aber sie lächelt nur, als würde sie wissen, was tut. Ich nicht. "Gehen wir?" Ich nicke, verabschiede mich von der Frau, aber beschließe den Vorschlag anzunehmen. Ich besitze keine Kleidung für Lyra, ich weiß nichts über das Mädchen aus dem Meer. Die Blicke der anderen sind eindeutig. Mein Blick senkt sich fast wie automatisch. "Sie ist freundlich", stellt Lyra in dem Moment fest. "Ja, ist sie."
Lyra lächelt nur. Sie hat meinen Arm noch immer nicht los gelassen, so spazieren wir durch die Gassen. Ich spüre die Kälte. "Shepherd's Pie esse ich gerne."
"Oh", sie klingt nicht sonderlich interessiert. "Dann lass uns das essen."
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