26 - Wo alles anfing
Wie sollte es auch anders sein, hat Landon am Abend mal wieder eine Überraschung für mich geplant.
Gemeinsam setzen wir uns auf sein Tandem, das mit bunten Blumenketten geschmückt ist, und radeln durch die Natur von Sunhaven. Die orangefarbene Sonnenscheibe fällt Stück für Stück vom Himmelszelt hinab und taucht die Welt in einen goldenen Schleier. Der Fahrtwind zerrt an meinen Haaren, verströmt einen süßen Geruch in der Luft und sorgt für eine angenehme Außentemperatur.
Am Wegesrand erstrecken sich Blumenwiesen, Wälder und Flüsse. In der Ferne erheben sich mehrere Berge aus dem Boden, die eine mystische Kulisse aus Schattenspielen erzeugen.
Ich versuche, diesen besonderen Moment in meinem Herzen zu speichern, damit er niemals in Vergessenheit gerät.
Schon nach wenigen Minuten löst sich mein Zeitgefühl vollständig auf. Ich schließe die Augen und lausche dem Plätschern der Bäche. Im Hintergrund höre ich, wie sich das Zwitschern der Vögel mit dem Rauschen des Ozeans vermischt.
Wie immer lotst uns Landon sicher durch die Straßen Sunhavens, bis wir irgendwann unser geheimes Ziel erreicht haben. Sofort steigen wir von dem Tandemrad und schließen es an einem Holzpfahl ab.
Mein Blick landet auf einer riesigen Treppe, die auf einen Hügel hinaufführt. „Wo sind wir hier?", möchte ich neugierig von Landon wissen.
Kaum ist meine Frage vom Winde verweht, richten sich seine dunkelbraunen Knopfaugen auf mich. Eine Mischung aus Belustigung und Enttäuschung schwingt in seiner Stimme mit, als er mich auffordert: „Schau nochmal genauer hin, Maila!"
Daraufhin drehe ich meinen Kopf zur Seite und erkenne einen Schotterplatz, auf dem sich eine grün gestrichene Bank befindet. Vereinzelte Bäume säumen den Wegesrand, aber ansonsten fällt mir nichts Besonderes auf.
Begleitet von meinem schlechten Gewissen murmele ich: „Tut mir leid, aber ich weiß wirklich nicht, wo wir hier sind."
Landon greift nach meiner Hand und führt meinen Zeigefinger in die Richtung der Steintreppe. Dann wispert er leise in mein Ohr: „Stell dir vor, wie die einzelnen Stufen von bunten Scheinwerfern angestrahlt werden und überall Windlichter und Fackeln stehen. An dem Geländer sind verschiedenfarbige Lichterketten angebracht, die abwechselnd blinken."
Im ersten Moment wirbelt ein Tornado der Verwirrung durch meinen Kopf, doch nach wenigen Sekunden lichtet sich der Nebel endlich.
„Oh mein Gott!", stoße ich einen überraschten Schrei aus. „Das Lichterfest und die Schlossruine!"
„Bingo!", lacht Landon.
Automatisch breitet sich ein nervöses Kribbeln in mir aus, das meinen ganzen Körper unter Strom setzt. Erinnerungen fluten mein Herz und zaubern mir ein glückliches Strahlen auf die Lippen.
An diesem besonderen Ort haben sich Landon und ich das erste Mal geküsst. Hier hat unsere Liebesgeschichte angefangen.
Zurück bei den Ruinen zu sein, fühlt sich schön und vertraut an.
Hand in Hand erklimmen Landon und ich die vielen Treppenstufen. Die Sonne ist mittlerweile von der Dunkelheit verschluckt worden und hat Platz für einen gigantischen Teppich aus funkelnden Sternen gemacht. Direkt über unseren Köpfen erstrahlt nun der Mond in seiner ganzen Pracht und leuchtet uns mit seinem silbrigen Licht den Weg.
Oben auf dem Hügel angekommen, wartet auch schon die nächste Überraschung auf mich.
Überall sind Lichterketten an den Ruinen angebracht, die den Ort in eine magische Atmosphäre aus Licht und Liebe hüllen. Rote Rosenblätter verzieren den Boden und im Hintergrund ertönen sanfte Pianoklänge, die aus einer Musikbox flattern.
Langsam führt mich Landon zwischen den Überresten des Schlosses her. Wir folgen der Spur aus Rosenblättern so lange, bis wir eine Picknickdecke erreichen, die mit flauschigen Kissen und Kuscheldecken dekoriert ist.
Bunte Windlichter sind ringsherum aufgestellt und hauchen der Szenerie sowohl Romantik als auch ein bisschen Magie ein.
„Wow", entfährt es mir leise. „Hast du das alles allein vorbereitet, Landon?"
Ich drehe mich zu dem Angesprochenen um und versinke in seinen braunen Augen. Am liebsten würde ich seine zuckersüßen Lippen in Beschlag nehmen und ihn nie wieder loslassen, aber stattdessen halte ich mich zurück und warte gespannt auf seine Antwort.
„Phil hat mir geholfen", offenbart Landon. „Er hat seine Ecken und Kanten, aber wenn es darauf ankommt, kann ich mich blind auf ihn verlassen. Die Idee mit den Rosenblättern kam sogar von ihm."
„Dann ist dein Bruder wohl eine richtige Wundertüte!"
Ohne uns abzusprechen, steuern wir schließlich die Picknickdecke an. Wir ziehen unsere Schuhe aus und kuscheln uns dann in die weichen Kissen und Decken. Als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt schlingt Landon seinen Arm um mich, sodass ich meinen Kopf auf seiner Brust betten kann.
Landons Herz schlägt schnell und ungleichmäßig.
Ob er wohl nervös ist?
Ich schlucke meine Frage hinunter und genieße einfach nur seine Nähe. So wohl wie bei Landon habe ich mich noch nie zuvor in der Gegenwart eines Mannes gefühlt.
Wir lassen die angenehme Stille auf uns wirken und verlieren unsere Blicke in dem leuchtenden Sternenhimmel. Landon ist nach etwa fünf Minuten der Erste, der wieder das Wort ergreift. „Darf ich dich etwas fragen, Maila?"
„Natürlich."
Landons Hand findet ihren Weg zu meinen Haaren. Er streicht mir liebevoll über den Kopf und beginnt dann, einzelne Strähnen zwischen seinen Fingerspitzen zu zwirbeln. „Was würdest du machen, wenn du nur noch einen einzigen Tag zu leben hättest?"
Puh, das ist eine gute Frage. Auch wenn mir nicht direkt eine Antwort in den Sinn kommt, liebe ich es, wie tiefgründig Landon ist. Mit ihm kann man sich prima unterhalten und ganz neue Sichtweisen auf das Leben kennenlernen.
„Ich glaube, ich würde zuerst meine alten Klassenkameraden aufsuchen und ihnen sagen, wie sehr sie mich damals verletzt haben", gestehe ich zögerlich. „Das jahrelange Mobbing wegen meines Gewichts hat nicht nur mein Selbstbewusstsein zerstört, sondern auch mein Selbstbild verzerrt. Wäre Franny nicht gewesen, würde ich mich immer noch nicht selbst lieben und akzeptieren können."
Bei der Erinnerung an meine Schulzeit überziehen sich meine Arme mit einer eiskalten Gänsehaut. Ich habe die fiesen Sprüche und Beleidigungen Tag für Tag über mich ergehen lassen, statt mich einfach mal zur Wehr zu setzen.
Wahrscheinlich wissen meine Klassenkameraden gar nicht, was sie mit ihren Worten angerichtet haben, denn es sind nicht immer Taten, die am meisten wehtun.
„Danach würde ich all die Menschen aufsuchen, die mir wichtig sind, und ihnen dafür danken, dass sie mein Leben bereichert haben", fahre ich mit bebender Stimme fort. „Franny und meine Eltern waren immer für mich da und haben mich unterstützt, wo es nur ging. Ohne sie wäre ich niemals zu dem Menschen geworden, der ich heute bin."
Ich mache eine kurze Pause und suche Landons Blick. Er hört mir aufmerksam zu und schenkt mir ein liebevolles Lächeln, als sich unsere Augen kreuzen.
„Die restlichen Stunden des Tages würde ich mit dir verbringen", sage ich ehrlich. „Einfach irgendwo ans Meers setzen und über das Leben philosophieren."
Landon haucht mir einen federleichten Kuss auf die Stirn. Dann murmelt er: „Also ich würde meinen letzten Tag damit verbringen, dich zum Lachen zu bringen und dafür zu sorgen, dass du glücklich bist."
Wow. Bei der Aufrichtigkeit, die in seiner Stimme mitschwingt, bilden sich Tränen in meinen Augen. Ich bin zutiefst gerührt, weil er mein Wohl an oberste Stelle setzt und mir dadurch zeigt, wie wichtig ich ihm bin.
„Ich habe übrigens noch eine weitere Frage an dich, Maila." Auf einmal klingt Landon nervös und verunsichert. Er löst sich aus unserer Kuschelposition und hockt sich stattdessen wenige Zentimeter vor mich, sodass er mir tief in die Augen schauen kann.
Ein paar Sekunden zögert er noch, ehe er eine kleine Schmuckschatulle hinter einem Kissen hervorzieht und mir diese überreicht.
„Für mich?", hake ich überrascht nach.
Sobald Landon nickt, hebe ich vorsichtig den Deckel an und erstarre, als ich sehe, was sich in dem Kästchen befindet.
Eine silberne Kette mit einem Herzanhänger kommt zum Vorschein. In dem Herz stehen die Worte niedergeschrieben, die mich auf meiner gesamten Reise in Sunhaven begleitet haben. You're not lost. You're here.
Ich nehme die Kette mit bebenden Fingern aus der Schatulle und lege sie mir um den Hals. Direkt spüre ich eine Verbundenheit zu Landon.
„Danke! Die Kette ist wunderschön!" Um meinen Dank angemessen zum Ausdruck zu bringen, möchte ich Landon einen Kuss auf die Lippen hauchen, doch er hält mich vorsichtig davon ab.
Ganz langsam verschränkt er unsere Hände miteinander und vereint unsere Blicke. Die Sterne spiegeln sich als atemberaubendes Lichtermeer in seinen Pupillen wider.
Mein Herz schlägt mit jeder Sekunde schneller und mir wird schwindelig.
Was hat er bloß vor?
Meine Frage beantwortet sich, als Landon mit nervöser Stimme zu sprechen beginnt: „Als ich gehört habe, dass du Joe vor dem Ertrinken gerettet hast, war für mich sofort klar, dass ich dich kennenlernen muss. Du hast mich von Anfang an fasziniert, Maila. Ich weiß, dass du dich selbst nicht so wahrnimmst, wie ich es tue, aber du bist eine inspirierende und vor allem starke junge Frau! Wenn du an dich selbst glaubst, kannst du alles schaffen."
Landons Worte treffen mich mitten im Herzen und nisten sich dort wie ein Bienenschwarm ein. Ich würde seine Komplimente gerne erwidern, doch mein Hals ist staubtrocken.
„Ich ..." Landon hält inne und fährt sich aufgeregt mit der Hand durch die Haare. „Es war nicht geplant, dass ich Gefühle für dich entwickele, aber das Schicksal und mein Herz hatten wohl andere Pläne. Ich habe mich in dich verliebt, Maila! Und zwar so stark, dass ich unbedingt eine Beziehung mit dir eingehen möchte."
Freudentränen schimmern in meinen Augen und kullern wenig später über meine Wangen. Mein Herz rast, mein Körper zittert und die Schmetterlinge in meinem Bauch schlagen Salti.
Jedes einzelne Wort berührt meine Seele und hilft mir dabei, die Wunden der Vergangenheit zu schließen.
Landon ist perfekt. Perfekt für mich!
„Deshalb komme ich jetzt zu meiner zweiten Frage." Landon holt noch einmal tief Luft. „Möchtest du meine Freundin sein, Maila?"
Kaum sind seine Worte laut ausgesprochen, bleibt die Welt um mich herum stehen. Ich blende die funkelnden Lichter aus, verdränge das Rauschen des Ozeans und tauche stattdessen in die unendlichen Weiten von Landons Augen ein.
Es gibt nur uns beide; niemanden sonst.
Unsere Blicke verschlingen sich wie Efeuranken und halten sich gegenseitig gefangen. Angst, Hoffnung und Liebe knistern in der Luft.
Passiert das alles gerade wirklich?
Begleitet von den Freudentränen, die noch immer über mein Gesicht wirbeln, beuge ich mich Landon entgegen und platziere meine Hände an seinen Wangen. Seine Haut ist warm und weich und vermittelt mir das Gefühl von Geborgenheit.
Noch nie war ich mir mit etwas so sicher, wie in diesem Augenblick.
Voller Leidenschaft verbinde ich unsere Lippen zu einem Kuss. Vertrauen, Erleichterung und Vorfreude auf die Zukunft tanzen zwischen unseren Mündern hin und her. Unsere Zungen spielen miteinander und entfachen ein loderndes Feuer in meinem Magen.
So fühlt es sich also an, wenn man die rosarote Brille trägt und aus tiefstem Herzen verliebt ist ...
Wir lassen unsere Lippen noch ein paar Mal aufeinander krachen, bevor wir uns langsam voneinander lösen. Landon streicht mir zärtlich die Tränen von den Wangen und lächelt mich liebevoll an. „Ist das ein Ja?"
„Was für eine Frage ... Natürlich ist das ein Ja!"
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