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65 | Danach - Part I

Annies Atem streicht erstaunlich regelmäßig und leicht wie eine Feder über sein Schlüsselbein.
Ein und aus.
Ein und aus.
Ein und aus.
Finnick horcht nach der Panik in ihrem Inneren, doch ihm antwortet nur Frieden. Da lauern keine wilden Schreie, nicht einmal hektisches Luftschnappen oder ein tränenschwerer Kloß in ihrer Kehle. Egal wie angespannt er auf die kleinste Veränderung lauscht, Annies leise Geräusche bleiben beständig wie das Meer. Ein beruhigendes Flüstern in seinen Ohren nach dem Sturm kurz zuvor.

Vor allem Amber hat geflucht und getobt wie ein Orkan. Mindestens eine Kristallvase ist in Floogs' Wohnzimmer zu Bruch gegangen, während sie gewütet hat. Auch seine Kehle fühlt sich Stunden später noch ganz rau an, als hätte er seit Tagen nichts außer Salzwasser getrunken. Dabei hat er nur versucht, Amber Mut zuzureden. Irgendwie hat er eine gute Miene zum bösen Spiel gemacht, obwohl in seiner Brust nur ein großes, schwarzes Loch klafft. Es frisst ihn von innen auf – aber dann streicht Annies Atem erneut über seinen Hals und er vergisst. Alles. Mit jedem Luftstoß schickt sie ein Kribbeln durch seinen Körper. Von den Haarspitzen bis in seine Zehen zieht es sämtliche Zellen zusammen. Und verdammt, er genießt es.

Eine schier unendlich lange Zeit konzentriert Finnick sich auf nichts außer das Heben und Senken von Annies Brustkorb. Er wagt es nicht einmal, den kleinen Finger zu bewegen. Wenn er das tut, verliert er. Dann fallen die hässlichen Gedanken endgültig über ihn her. Wie wütende Mutationen. Sie warten bereits darauf, ihre Krallen in sein Herz und Hirn zu schlagen; beides in kleine Stücke zu reißen. Hungernd ziehen sie ihre Kreise enger, das spürt er. Angst trieft wie der Geifer von ihren Lefzen. Aber er lässt die Monster nicht heran. Er atmet im Gleichklang mit Annie und lässt los, anstatt festzuhalten. Obwohl er nichts lieber tun würde, als sich verzweifelt festzuklammern, gibt er all die Anspannung Atemzug für Atemzug auf. Seine schlimmsten Gedanken werden nicht siegen. Genauso wenig wie Snow dieses Spiel gewinnen wird.

Finnick ist bewusst, dass Annie trotz ihres sanften Atems ebenso wach ist wie er. Dennoch will er die Illusion, dass sie in seinen Armen Ruhe gefunden hat, so lange wie möglich aufrechterhalten. Er redet sich viel zu gerne ein, ihr echten Frieden schenken zu können. Dabei weiß er, dass seine Liebe niemals alle Probleme fortwischen kann. Aber genau jetzt, im Halbdunkel ihres Schlafzimmers, existieren weder die Welt noch die Wahrheit da draußen. Hier gibt es nur sie beide unter einer dünnen Decke, Arme und Beine mindestens ebenso sehr ineinander verschlungen wie ihre Schicksale.

Auch wenn er schon viele Male auf Emerald Isle neben Annie eingeschlafen ist – so nah war sie ihm dabei nie zuvor. Da ist immer ein letzter Rest Abstand zwischen ihren Körpern geblieben. Nur ein winziger Spalt, kaum ein Fingerbreit. Eine vertraute Distanz, die sie unausgesprochen gewahrt haben. Ein Arm, der niemals zu schwer auf ihr lag. Falls die Albträume gekommen wären. Oder alles zu viel geworden wäre. Nicht ihr, sondern ihm, der schon ganz andere Situationen im Kapitol erlebt hat, mit unzähligen Menschen an seiner Seite und doch nie freiwillig.
Manchmal fürchtet er sich davor, den Unterschied zwischen gekauften Körperlichkeiten und liebevoller Geborgenheit nicht mehr zu erkennen. Solange sie gemeinsam in einem Bett liegen zumindest. Am Tag, in einer unverfänglichen Umgebung, ist es anders. Da kann er die Gedanken hinter seine Mauern verbannen und Annie so fest an sich drücken, dass es ihr die Luft raubt. Oder wenn sie eine Panikattacke hat und ihn braucht. Dann verschwinden seine Sorgen. Dann funktioniert er.

Doch ausgerechnet jetzt ist er so verletzlich wie selten zuvor. Vielleicht will sein Kopf ihn nur von seinen wahren Ängsten ablenken – er weiß es nicht. Jedenfalls schleichen sich all die Gedanken zurück, die er sonst mit Witzen und dem klebrigen Geschmack von Zucker auf seiner Zunge verdrängt.
Was, wenn eine falsche – oder vielmehr schlicht unbedachte – Berührung Annies ihn an Titania Creed erinnert? Wie wird er reagieren, sollte er anstelle von Annie plötzlich ihr Gesicht vor sich sehen, weil sie mit ihren rotlackierten Fingernägeln schon über dieselbe Stelle an seinem Oberkörper gestrichen hat, ein hungriges Grinsen auf den Lippen? In Annies Gegenwart will er nicht eine Sekunde an seine Käuferin denken! Schlimm genug, dass deren letzte Berührung immer noch unter seiner Haut brennt ...

Im Versuch, die Gedanken zu verdrängen, nimmt er einen tiefen Atemzug. Annie wird ihm nicht wehtun. Nicht einmal unabsichtlich, dafür ist sie viel zu vorsichtig. Dieser Moment ist so unschuldig wie der Wunsch, ihren Mittribut vor dem Tod zu retten. Und er wird den Teufel tun, etwas daran zu ändern. Es reicht schließlich, dass Annie seinem Herzen so nah ist wie niemand sonst. Schon das gleicht an manchen Tagen einer Flutwelle, die ihn tief unter sich begräbt. Mehr braucht er gar nicht, um unfassbar glücklich zu sein. Und sie ebenso wenig. Das weiß er, weil sie es immer wieder beteuert hat.
Trotzdem fällt es ihm mit dem konstanten Voranschreiten der Nacht schwerer, zu ignorieren, wie eng Annie sich an ihn schmiegt. Zuerst kitzeln ihre Zehen seine Waden, dann legt sie einen Oberschenkel quer über seinen. Schließlich spürt er nicht nur jeden Atemzug am Hals, sondern merkt auch, wie kräftig ihr Herz schlägt – als würde es an seine Brust drängen wollen. Und wieder später wandern ihre Hände über seinen Rücken. Langsam finden sie den Weg unter sein dünnes Schlafshirt, das im Laufe der Stunden hochgerutscht ist. Eine Hand landet zwischen seinen Schulterblättern, die andere kommt unterhalb seiner Taille zur Ruhe.

Eigentlich ist dieser Umstand nicht der Rede wert, nicht einmal mit der Furcht vor dem Gedanken an Titania. Annies Berührung auf seiner bloßen Haut ist ungewohnt, aber das heiße Gefühl in seinem Bauch wird rasch vergehen. Zumindest redet er sich das ein. Schließlich haben ihn schon so viele Leute ungeniert angefasst, an allen möglichen (und empfindlichen) Stellen seines Körpers, da ist der Rücken ihm vergleichsweise egal.
Hinzukommt, dass die wenigsten seiner Liebschaften zimperlich mit ihm umgehen. Meist sind ihre Berührungen viel energischer als Annies, mit deutlich mehr Druck dahinter. Kratzen und Beißen sind keine Seltenheiten. Somit ist er froh, wenn es ‚nur' seinen Rücken trifft. Sofern er das überhaupt noch spürt und nicht von ganz alleine den Schmerz ausblendet. Es gibt Tage, da kommt ihm die Haut zwischen seinen Schultern vor wie kalter Marmor, so wenig nimmt er dort wahr.

Aber er kann sich nicht belügen. Das hier, mit Annie, ist trotz seiner Steinhaut irgendwie besonders. Besonders schön. Besonders beruhigend. Noch nie hat jemand seinen Rücken an dieser Stelle berührt und dabei nicht lustvoll gestöhnt. Oder sich auffordernd an ihm gerieben. Die einzige Ausnahme dieser traurigen Regel ist Amber, die seine Wunden von manch scharfem Fingernagel (und Schlimmerem) verarztet hat. Bleibt vielleicht deshalb die befürchtete Panik aus? Weil Annie sich ganz anders verhält?
So oder so ist ihm bis eben nicht bewusst gewesen, dass sich eine so kleine Berührung von der richtigen Person nach so viel anfühlen kann. Natürlich war es mit Annie immer schön, aber nie so ... intim. Er wünscht, sie könnte ihre Fingerspitzen für alle Ewigkeiten auf seinem Rücken liegen lassen. Dann wäre das Kommende vielleicht einfacher zu ertragen.

Mit einem weiteren, tiefen Atemzug nimmt er den Duft ihrer frischgewaschenen Haare in sich auf. Ein Hauch von Hibiskusblüte und etwas Zitrone, mehr ist es nicht, wonach ihr selbstgemachtes Shampoo riecht. Genau das liebt er. Die Abwesenheit von all den künstlichen Parfüms aus dem Kapitol. Egal wie sehr ihn diese Situation an etwas Schlimmes erinnern könnte, es gibt genug Kleinigkeiten, die diesen Vergleich unmöglich machen. Unbeabsichtigt entfährt ihm ein Seufzen der Erleichterung.
In seinen Armen regt Annie sich und drückt die Stirn gegen seine Brust. Auch sie stößt leise Luft aus, als würde sie aus einem verwirrenden Tagtraum erwachen. »Fin?«, murmelt sie voller Müdigkeit.
»Mhm?«

Es sind die ersten gesprochenen Laute, die sie seit Stunden austauschen. Der alte Tag ist gegangen, der neue gekommen, doch sie haben weder geredet, noch geschlafen. Nicht mal geweint haben sie.
»Hast du es geahnt?«, fragt Annie nun so sanft, dass ihre Stimme ganz weit entfernt klingt.
Er muss nicht fragen, was sie meint. »Nein«, gibt er ehrlich zu. »Ich habe es höchstens ... befürchtet. Wobei – nicht einmal das so richtig. Es war eher ein Gedanke, der mir vor ein paar Wochen gekommen ist. Und nicht einmal dann hätte ich wirklich geglaubt ...«

Die Stille kehrt zurück, aber das heiße Gefühl in seinem Unterleib bleibt fort. Für einen Augenblick atmet Annie wieder so gleichmäßig, dass Finnick glaubt, sie würde erneut vor sich hindämmern. Doch dann hebt sie den Kopf von seiner Brust und sucht im Dämmerlicht des neuen Morgens seinen Blick.
»Das war kein Zufall, oder? Dieses Jubeljubiläum ...« Sie kräuselt ihre Nase, sodass es die Sommersprossen auf ihrem Gesicht zusammenzieht. »Das war Absicht.«

Ihre Worte sind eine Feststellung – der Finnick nicht widersprechen kann. Wer bei Snow noch an Zufälle glaubt, denkt auch, dass man mit Geld echte Liebe kaufen kann. Oder dass alle zwölf Distrikte die gleichen Chancen in den Hungerspielen haben.
Anstatt etwas zu erwidern, streicht er Annie eine lange Strähne hinters Ohr. Das Haar ist noch immer ein wenig feucht, obwohl die heiße Dusche, zu der Mags sie überredet hat, schon ewig her ist.

»Glaubst du, sie werden das Freiwilligmelden verbieten? Damit ...«
Ich mit dir in die Arena muss. Finnick weiß genau, woran sie denkt. Diese Überlegung ist eine der Sorgen, die nur danach trachten, ihn in die tiefste Finsternis zu reißen.
»Ich denke nicht, dass Snow das tun kann«, erwidert er und hofft, sich damit selber überzeugen zu können. Wer ahnt schließlich, was dem Präsidenten noch einfällt auf seinem Rachefeldzug? Seine Finger zittern, als er über Annies Wange streicht. »Es soll dem Kapitol doch nicht auffallen, dass Snow alles manipuliert«, bekräftigt er seine Gedanken. »Zumindest die Illusion des Zufalls will er sicherlich wahren.«

Annie hebt einen Mundwinkel, aber es ist kein Lächeln, was sich auf ihrem Gesicht ausbreitet. Dafür quellen dicke, glänzende Tränen in ihren Augen herauf. »Und er weiß, dass du gehen wirst. Weil du niemals einen anderen für dich leiden lassen würdest.« Der erste Tropfen löst sich lautlos aus ihrem Augenwinkel und landet auf seinem nackten Arm. »Außerdem weiß er, dass Katniss gehen muss. Sie hat schließlich keine andere Wahl. Und wenn sie geht, wird Peeta auch gehen. So bekommt Snow genau das, was er will.«
Distrikt Zwölf. An sie hat Finnick seit der Verkündung kein einziges Mal gedacht. Aber natürlich – ihr rebellischer Akt hat den Funken überhaupt erst entzündet. Wenn man so möchte, dann sind sie schuld. Johanna wird das sicher behaupten.

Sein Herz zieht sich zusammen, als würde es auf Stecknadelkopfgröße schrumpfen wollen. Bei diesem Jubiläum geht es viel mehr um Katniss und Peeta als um ihn oder Annie. Aber am allermeisten richtet sich dieser Angriff gegen ihre Gemeinschaft aus Siegern. Trotzdem kann er sich jetzt gerade für keinen Einzelnen davon interessieren.
»Vielleicht kann ich ja verhindern, dass Snow wirklich bekommt, was er will«, sagt er daher. Einen anderen Weg gibt es ohnehin nicht. Die Dreizehner müssen einen Plan finden, der diesem Irrsinn ein Ende setzt, begreift er, noch während er spricht. »Wer ein Spiel wagt, kann schließlich auch verlieren. Und wer behauptet, dass das Kapitol immer die besten Karten hat?«

Tapfer blinzelt Annie gegen die Tränen an. »Ich will gar nicht wissen, was du damit schon wieder meinen könntest. Ist wahrscheinlich auch besser, wenn ich das nicht weiß.« Sie zieht die Nase hoch und ein müdes Kichern entweicht ihr. »Mit mir kann man als Mentorin in diesem Fall schließlich eh nicht rechnen.«
Finnick schluckt. Er ahnt, dass Annie den dezenten Vorwurf in ihrer Aussage nicht wirklich meint. Sie hat ihm doch erst vor Kurzem auf Emerald Isle gesagt, dass er ihr nicht von seinen Aktionen mit der Letzten Welle erzählen soll. Das Problem ist nur – eigentlich will er sie nicht anlügen. Nicht die einzige Person, der er sein Herz in die Hände legen würde.
Er beißt sich auf die Unterlippe. »Wenn du mich dieses Mal darum bitten würdest, es dir zu erzählen –«

»Tue ich aber nicht. Im Gegenteil. Ich gebe dir die ausdrückliche Erlaubnis, ein paar Geheimnisse für dich zu behalten.« Annie drückt sich ein Stück hoch und küsst ihn sacht auf den Mundwinkel. »Es reicht mir, wenn du versprichst, dass du auf mich warten wirst. Irgendwo. Dann werde ich dich schon wiederfinden. Sei es in diesem Leben oder im Nächsten.«
»Und du behauptest manchmal, du wärst nicht stark.« Anstatt über seine Wangen zu laufen, sammeln sich die Tränen in Finnicks Hals und verwässern seine Worte. »Dabei bist du die stärkste Person, die ich kenne. Ich würde dir so gerne mehr versprechen ...«
Annie schüttelt den Kopf, bevor sie einen zweiten Kuss direkt auf seine Lippen haucht. »Ich will vielleicht nicht die ganze Wahrheit wissen, aber ich will auch nicht angelogen werden. Wir wissen beide, dass du nicht mehr versprechen kannst. Es sind immer noch die ... die Hungerspiele, von denen wir sprechen. Also werde ich einfach hoffen. Auf – auf das Beste.«

Die Tränen in Finnicks Kehle drohen, ihn zu ersticken. »Es tut mir so leid ...«
»Nicht«, murmelt sie zurück, ihre Stimme ebenso schwer wie seine. »Du hast es dir nicht ausgesucht.«
»Aber ich will nicht wieder dieser Mensch sein. Ich will nicht wieder zum Dreizack greifen – ich will dich nicht enttäuschen.« Die Sorgen, die Finnick so lange zurückgehalten hat, erobern seinen Kopf im Sturm. »Ich will mich nicht daran erinnern, wie es sich anfühlt zu –« Er hält den Atem an. Er kann es nicht aussprechen, nicht vor Annie!
»Ich werde dich trotzdem lieben«, flüstert sie in sein Stocken hinein. »Auch wenn du wieder jemanden tötest. Ich werde dich immer lieben.«
»Aber ...«
»Kein aber. Andere sehen vielleicht nur einen Sieger, doch ich weiß, wer du wirklich bist. Und wenn du diese Dinge tun musst, damit wir eine Zukunft haben könnten, in der du nie wieder jemand anderes sein musst, dann ist das so.«

Zukunft. Das Wort fühlt sich so groß an. Und verloren, wenn man bedenkt, was in nicht einmal sechs Monaten auf ihn wartet. Schon vorher hat er kaum gewagt, an so etwas wie eine gemeinsame Zukunft zu denken, geschweige denn diese wirklich zu planen, doch jetzt ...
»Was wäre das für eine Zukunft?«, hört er sich fragen. »Ich meine – was würden wir überhaupt tun, wenn wir ... frei wären?«
Annie stützt sich auf ihren Ellenbogen. Nachdenklich wickelt sie eine Haarsträhne um ihren Zeigefinger. »Ich bin mir ehrlich gesagt nicht sicher. Es gäbe so viele Möglichkeiten ...« Ihr Blick wandert gen Zimmerdecke. »Wenn ich alles tun könnte, würde ich gerne für immer auf Emerald Isle leben. Ich würde aus unserem Haus dort ein richtiges Zuhause machen. Mit einem Anleger für Boote und ganz viel Platz für alle aus unserer Siegerfamilie.«

»Das klingt sehr schön.«
»Mhm.« Ein abwesendes Lächeln schleicht sich auf Annies Lippen. »Wir könnten draußen am Stand eine große Feuerstelle aufbauen und dort mit den anderen zusammensitzen. Wir könnten Fische braten. Vielleicht würde jemand Musik spielen und wir könnten tanzen. Oder singen. Trexler könnte seine Gedichte vorlesen. Also die Richtigen, nicht die, die er nur für Snow schreibt.«
Die wenigen Worte malen ganze Bilder vor Finnicks inneres Auge. Er kann die Funken vor sich sehen, die knisternd in den Nachthimmel aufsteigen. Unzählige Sterne schimmern über ihrer kleinen Gruppe und manchmal sieht er eine Sternschnuppe, die ihm keinen Wunsch mehr erfüllen muss, weil er vollkommen zufrieden ist. Gelächter klingelt in seinen Ohren, während die Wellen von Frieden flüstern.

»Was hältst du von einem Schaukelsitz am Meer?«, schlägt er vor. »Man könnte ein Gerüst am Strand aufbauen und wenn die Flut steigt, die Füße ins Wasser halten. Ich könnte einen Korbsessel flechten, den man mit Kissen auspolstert. Dann könntest du darin weiter an deinem Mobile arbeiten oder lesen.«
Annie schlägt die Lider nieder. Das Lächeln auf ihrem Gesicht wächst. »Das klingt traumhaft. Aber du musst es groß genug für uns beide machen! Damit du auch dort sitzen und basteln kannst. Oder angeln. Wenn wir schon alles tun können, würde ich dich am liebsten immer in meiner Nähe haben. Als Ausgleich für all die letzten Jahre.«
»Das ließe sich einrichten.« Finnick schmunzelt. Seine Mundwinkel brennen glatt von der inzwischen so ungewohnten Bewegung, aber es ist ein guter Schmerz. Genauso wie das sehnsüchtige Ziehen in seinem Herzen schön ist. Nicht halb so schön wie Annie jedoch, deren blau-grüne Augen selbst fernab des Lichts funkeln.

»Das ist allerdings noch nicht alles, wovon ich träume«, sagt sie überraschend ernst. »Ich ... ich würde dich gerne heiraten. So richtig ... offiziell.«
Im Halbdunkel ist Finnick nicht sicher, doch er meint zu erkennen, dass Annies Wangen sich rosa färben. Seine Eigenen tun es zumindest. Wie Kohlen im Feuer glühen sie. Ihm fehlen die Worte und verlegen lässt Annie die Haare vor ihre Augen fallen.
»Ich weiß, es ist nicht wirklich wichtig«, setzt sie schnell hinzu, »wir wissen ja, dass wir uns lieben, daran ändern auch keine Feier und kein Ring am Finger etwas, aber ... ich finde den Gedanken einfach so schön und – also nur, wenn du es auch willst, natürlich –«

»Oh Annie. Was denkst du denn?« Finnick zieht ihre Hand von seinem Rücken, auch wenn er deren Wärme dort schmerzlich vermisst, und drückt sie auf sein entflammtes Gesicht. »Natürlich würde ich mit dir unter einem Fischernetz tanzen und unsere Hände zusammenbinden lassen! Ich würde nichts lieber tun, als das Salz von deinen Lippen zu küssen, mit dem Meer als Zeugen unseres Versprechens. Egal wo, egal wann. Wenn ich dürfte, würde ich sofort dein Ehemann werden! Damit jeder sieht, dass es nur eine Liebe in meinem Leben gibt.« Nun schaffen es die Tränen in seiner Kehle doch in seine Augen und er hört nur, wie Annie schnieft, weil ihr Anblick in lauter Farbkleckse verschwimmt.
Erneut verbirgt sie ihren Kopf zwischen seiner Schulter und dem Kinn. Ein leises Hicksen schüttelt sie. »Oh Fin«, stößt sie gepresst hervor, »oh Fin ...«

Behutsam schlingt er seine Arme wieder fester um sie und drückt einen Kuss auf ihren Haaransatz. »Ich werde darum kämpfen, das für uns möglich zu machen«, flüstert er. »Ich soll dir vielleicht nichts versprechen, was ich nicht halten kann, aber das hindert mich nicht daran, mir selber etwas zu versprechen. Also – wenn die Spiele vorbei sind, werde ich vernünftig vor dir niederknien und um deine Hand anhalten. Das schwöre ich mir
Nun weint Annie hemmungslos. »Ich liebe dich so sehr«, murmelt sie immer wieder gegen sein durchweichtes Shirt, »oh ich liebe dich so sehr ...«
»Ich dich doch auch«, hält er sanft dagegen. »Mindestens ebenso sehr.«

Anstatt sie zu beruhigen, entlocken ihr die Worte ein lautes Schluchzen. Für einen Herzschlag fragt Finnick sich glatt, ob er – ohne es mitzubekommen – etwas ganz anderes gesagt hat. »Was ist los? Ist das nicht ... gut?«, stammelt er und hasst seine eigene Hilflosigkeit. Doch mit dieser Reaktion hat er schlicht nicht gerechnet. Und dabei dachte er, Annie inzwischen besser zu kennen als sich. »Bitte sag mir, was ich falsch gemacht habe.«
»N-nichts!« Annie unterdrückt hörbar ein weiteres Schluchzen, aber letztlich will es ihr nicht gelingen. »Ich bin es, d-die ... Ich bin furchtbar!«
»Hey ...« Er küsst ihre Schläfe. »Sag so etwas nicht, ja? Du bist nicht furchtbar. Du bist wunderbar, mit allem Drum und Dran.«

»A-auch wenn ich dir etwas ... ge-gestehen muss?«
»Auch dann«, erwidert er und bekräftigt die Aussage mit einem zusätzlichen Kuss auf ihr Haar. »Immer.«
»Und was – was wenn es ... unsere Zukunft betrifft?«
Verwundert stockt er, als Annies gehickste Worte zu ihm durchdringen. Sie klingen nicht so verzweifelt wie ihre Schluchzer, eher ... niedergeschlagen. Nach einer Schlacht in ihrem Inneren, die sie längst verloren hat, und trotzdem noch kämpft. »Worum geht es denn ...?«, fragt er besorgt. »Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst. Auch die ganz hässlichen Gedanken. Ich sage dir schließlich nicht zum Spaß, dass ich dich bedingungslos liebe.«

Sie nickt tapfer. »A-aber ich – ich will dich auch nicht ... verletzen.«
Er leckt sich verlegen über die trockenen Lippen. »Das wirst du schon nicht. Nicht wenn du dir so viele Gedanken machst.«
»Auch die gut gemeinten Worte können schärfer sein als Messer«, murmelt Annie mit einer Weisheit gegen seine Brust, die ihm die Sprache verschlägt. Bevor er etwas erwidern kann, nimmt sie einen tiefen Atemzug und fährt fort: »Bitte, sei mir nicht böse, aber ... ich habe mir noch eine ganz andere Zukunft vorgestellt. N-noch ... mehr.«
»Mehr ...?«
»Ich wollte es nicht, das musst du verstehen! Es ist von ganz alleine ... passiert.«
Finnick legt den Kopf schief und versucht, sie anzusehen, doch Annie drückt sich zu fest an ihn.
»I-ich kann nichts dagegen tun«, wispert sie, »ich muss mir einfach immer vorstellen, wie es wäre, wenn ... wenn wir ... wenn wir ein Baby haben.«

»Ein ...« Unbeabsichtigt versagen ihm die Worte. Ein Baby, hallt es durch seinen Kopf. Ein gemeinsames Kind. Er und Annie, eine richtige, kleine Familie. Ein Zittern beginnt in seiner Unterlippe und arbeitet sich durch seinen Körper vor. Ehe er sich versieht, beben sein gesamter Kiefer, dann seine Schultern und schließlich der ganze Oberkörper.
»Es tut mir so leid«, stöhnt Annie, »aber ich – ich musste es einfach jetzt loswerden –«
So fest er kann, presst Finnick die Lider zusammen und schlingt seine Arme um sie wie einer der mutierten Bäume in ihrer Arena, die Tribute mit ihren Wurzeln gefangen haben. Er atmet tief ein, den wunderbaren Duft von Meer, Hibiskus und Zitrone. »Es ist okay.« Seine Stimme klingt morsch; nach einem alten Stück Holz, das wochenlang auf offener See getrieben ist. »Ich bin ehrlich froh, dass du es mir gesagt hast.«
Das ungesagte ‚Aber' schwebt in der Luft über ihnen. Nicht zwischen ihnen, denn da ist kein Platz mehr.

»Ich will nicht, dass du denkst ich würde ...« Annie an seiner Brust zittert ebenso sehr wie er selber. Ihre Schultern verkrampfen sich und er fühlt, wie sie die Fingernägel in sein Schlafshirt krallt. »Es geht mir nicht darum, dir dasselbe anzutun wie die Leute im Kapitol, das musst du mir glauben!«, platzt es aus ihr hervor. »Wirklich, daran denke ich nicht!«
Irgendwo tief in Finnicks Bauch löst sich ein Knoten. Ein Lachen wird frei. Wie Blubberblasen in einem der Whirlpools, die das Kapitol so liebt, steigt es seinen Hals empor. »Daran, wie man ein Kind zeugt, habe ich gerade ehrlich gesagt kein bisschen gedacht«, sagt er offen heraus. Es kostet ihn einige Mühe, ein albernes Kichern zu unterdrücken. Mindestens das Grinsen auf seinem Gesicht kann er trotz aller Bemühungen nicht verbergen, als er Annie einen weiteren Kuss auf den Haaransatz drückt. »Keine Sorge, ich würde nie annehmen, dass deine Gedanken denen der Leute im Kapitol irgendwie ähnlich wären. Sich ein Baby zu wünschen, weil wir uns lieben, ist etwas ganz anderes als das, wovon die Menschen dort träumen, das kannst du mir glauben.«

»Aber manche ... manche wollen das doch von dir, weil sie auch denken, dass sie dich lieben. Sie schreien danach, sobald du aus dem Zug aussteigst!«, stößt Annie verschnupft hervor. »Und die, die du wirklich triffst ...«
Mit dieser Unterhaltung hat Finnick kein bisschen gerechnet und so weiß er nicht recht, was er sagen soll. Aber muss er das? Das hier ist Annie, die er liebt. Schon so lange. Sie können das hier klären, ohne dass er seine Worte tagelang im Voraus planen braucht. »Hey«, murmelt er, die Lippen auf ihr Haar gedrückt, »magst du mich ansehen? Ich würde dir gerne in die Augen sehen, wenn wir darüber sprechen.«
Ein paar Herzschläge lang regt sie sich nicht, doch dann löst sie sich zögerlich. Lächelnd streicht er ihr die Tränen von den Wangen.
»Danke.«

Zwischen ihren Augenbrauen zeichnet sich eine kleine Falte ab. »Ich weiß, dass es zu viel ist, auch nur darüber nachzudenken«, sagt sie mit schwacher Stimme. »Wir können das nicht und – ich hatte nur plötzlich das Gefühl, ich platze, wenn ich jetzt nicht sofort davon spreche.«
»Wie lange begleitet dich diese Vorstellung denn schon?«
Annie rollt sich auf den Rücken, aber ihr Blick bleibt bei ihm, genauso wie ihre linke Hand, die seine umfasst. »Ich ... weiß es nicht. Ein paar Wochen. Oder Monate. Irgendwann im letzten Jahr war plötzlich diese Frage da, wie unser Kind aussehen könnte. Und dann musste ich mir vorstellen, wie es sich anfühlen würde, Mutter zu sein. Oder eher zu werden. Plötzlich hab ich überall dieses Baby gesehen. In unserem Haus. Unter meinem Mobile. In deinen Armen ...«

Langsam nickt Finnick. »Manche Gedanken haben das so an sich, dass sie einen nicht mehr loslassen. Gerade wenn man sie eigentlich gar nicht bei sich haben will. So ging es mir damals, als du in den Spielen warst ... ich musste mir die ganze Zeit vorstellen, wie du überlebst. Zurückkommst. Auch wenn gar nichts sicher war und du dich für Pon opfern wolltest – wenn ich die Augen geschlossen habe, sah ich, wie Snow dich zur Siegerin krönte.«
»Aber ein Baby ist etwas anderes. Das wäre eine Entscheidung, kein Schicksal.«

»Das stimmt.« Finnick hebt ihre verschränkten Hände an seine Lippen und küsst Annies Fingerknöchel. »Ich wünschte, es wäre eine Entscheidung, die ich in einer freien Zukunft treffen könnte. Aber nicht einmal dann ...«
Erkenntnis schleicht sich in ihre tränenfeuchten Augen. »Sag nicht, das haben sie dir auch genommen.«
Entbunden von der Last, die Worte sprechen zu müssen, nickt er. »Das Kapitol hat schnell erkannt, dass meine ... Tätigkeit andernfalls eine Gefahr wäre. Also haben sie dafür gesorgt, dass nichts Unvorhergesehenes passiert. Mit 17 haben sie mich sterilisiert.«
Scharf saugt Annie die Luft ein. »Oh Fin ...«

Er blinzelt die Tränen aus seinen verklebten Wimpern. »Ich habe es dir nie gesagt, weil ich nicht dachte, dass es mal ein Thema für uns sein würde, ehrlich gesagt. Du weißt ja, was mit Siegerkindern passiert – und wir waren nie in einer Situation, in der Snow es überhaupt so weit hätte kommen lassen. An den meisten Tagen war ich froh, überhaupt deine Hand halten zu dürfen. Und ich hab mir nie mehr gewünscht.«
»Ich doch auch nicht.« Eine weitere Träne läuft aus Annies Augenwinkel, aber sie wird nicht von Schluchzen oder Schniefen begleitet. Stattdessen entlässt sie einen langen, zittrigen Atemzug aus ihren Lungen. Dann strafft sie ihre Schultern. »Ich würde niemals etwas von dir verlangen wollen, das dir wehtut. Und ... ich muss auch nicht mit dir schlafen, um glücklich zu sein. Oder gar ein Kind haben. Das ist alles nicht so wichtig wie du.«
»Du tust mir nicht weh. Hast du noch nie.« Bevor Annie den Mund ganz geöffnet hat, schüttelt Finnick schon den Kopf. »Auch nicht jetzt, mit dieser Wahrheit darüber, wie du dir die Zukunft vorstellst. Im Gegenteil.«

»Aber ich ... ich könnte, oder?«
»Annie ...« Er führt ihre Hand an seine Brust und drückt sie über sein schnell schlagendes Herz. »Spürst du das? Das ist alles, was du mit mir machst, selbst in den schlimmsten Momenten.« Etwas ungelenk krempelt er den Ärmel seines Shirts hoch. »Siehst du meine Gänsehaut?« Vergessen sind die Tränen, als sämtliche Muskeln in seinem Gesicht ein Strahlen formen. »Du machst überhaupt nichts Schlechtes mit mir. Abgesehen davon finde ich deine Vorstellung sogar sehr schön.«
»... wirklich?«
Er hat bisher noch keine Sekunde darüber nachgedacht. Er weiß einfach, dass er bereit dazu wäre. Wenn er die Wahl hätte, würde er sie treffen. Ihn ihm ist so viel Liebe zu Annie, dass es auch für fünf weitere Menschen reichen würde. Ach was, mehr!

»Wirklich. Haus, Boot, und unsere kleine Siegerfamilie mitsamt einem Kind. Alles davon klingt nach dem Leben, das ich führen würde. Stell dir nur mal vor, was ich so einem kleinen Racker alles beibringen könnte! Fischen, tauchen, schwimmen ... und ich könnte so viele Spielzeuge basteln! Vielleicht eine Puppe aus Stoff mit Perlenaugen oder kleine Tierfiguren aus Holz geschnitzt ...«
Annie schließt mit einem zarten Lächeln auf den Lippen ihre Augen. »Das wäre sehr schön. Oh, du wärst so ein guter Vater ...«
»Meinst du?«

Sie schaut ihn unter trägen Lidern hervor an. »Natürlich! So wie du von meinem Gedankenbaby sprichst ... Ich hatte schon Angst, dass du die Vorstellung absurd findest. Oder einfach nie ein Kind willst. Und jetzt stellst du dir schon vor, was du für das Kleine bastelst!«
»Na, es hätte ja auch nur das Beste verdient! Für unser Kind würde ich sogar eine Ausnahme machen und bei der Konditorei diese winzigen Marzipandelfine kaufen, auch wenn die völlig überteuert sind. Als ich klein war, habe ich mir immer so einen gewünscht...«
Ein Grübchen zeichnet sich in Annies Wange ab, als ihr Mundwinkel zuckt. »Die sind aber auch süß. Und lecker!«
»Du hattest mal einen?«
»Nur einmal. Zu meinem 18. Geburtstag. Ein Geschenk von Papa.«

Das Lächeln auf Finnicks Gesicht wird schwerer. »Siehst du? Solche schönen Erinnerungen würde ich unserem Kind auch mitgeben wollen. Auch wenn ich nicht weiß, ob das reicht, um ein guter Vater zu sein. Immerhin ...« Er sieht für einen Moment ins Nichts. »Immerhin weiß ich nicht, was einen Vater überhaupt ausmacht, nachdem ich nie einen hatte.«
»Oh Fin ...« Annie hält die Luft an, dann streicht sie ihm über die Stirn, zur Schläfe, die Wange hinab. »Daran habe ich nicht gedacht ... Es tut mir so leid! Ich wollte nicht –«
Zusammen mit ihrer Berührung verschwindet schon wieder der Schmerz über etwas, das er gar nicht richtig vermissen kann. Manchmal ist es auch ein Segen, seine Eltern nie gekannt zu haben. »Halb so schlimm«, flüstert er und schluckt die letzte Bitterkeit in seiner Stimme hinunter. »Ich würde mir nur wünschen, wenigstens ein wenig Ahnung davon zu haben, wie man ein toller Vater ist. Damit ich zumindest irgendwie glauben könnte, dass ich das hinbekommen würde.«

Zu seiner Überraschung gluckst Annie leise. »Ich glaube nicht, dass du dafür eine Anleitung brauchst. Du weißt doch schon, wie man aus vollem Herzen liebt. Das ist das Allerwichtigste. Für den Rest könnten wir ganz viele andere tolle Menschen um Rat fragen. Mags zum Beispiel ...« Ihre Stimme verliert sich im Nichts.
»Das stimmt. Wir sind ja nicht alleine«, nimmt Finnick schnell das Gespräch wieder auf. Hauptsache, sie müssen beide nicht daran denken, wie limitiert ihre Zeit mit Mags seit gestern Abend ist. »Amber könnte dem Kind knallhartes Verhandlungsgeschick für den Markt beibringen und Trexler schöne Gutenachtgeschichten schreiben. Isla würde vielleicht mit ihm kochen, während Floogs immer gute Ratschläge auf Lager hat. Dann müssten wir ja kaum noch etwas machen!«
Er zwinkert, doch Annie kann er nicht täuschen. Sie bearbeitet ihre Unterlippe mit den Zähnen.

»Ja ... das wäre schön«, murmelt sie. »Aber ... denkst du, das Kapitol könnte es uns erlauben, wenn du ... gewinnst? Ich meine – könnten sie ... diese Prozedur ... überhaupt rückgängig machen?«
Finnicks Kopf schwimmt vor lauter Bildern von einem lockenköpfigen kleinen Baby, sodass er einen Moment lang gar nicht antworten kann. »Das ...« Er reibt sich die Stirn. »Das weiß ich gar nicht. Es hat nie jemand etwas dazu gesagt ... vielleicht wäre es das. Dort ist doch quasi alles möglich.« Dass ihm das Kapitol niemals seine Freiheit geben wird, nicht einmal wenn er Katniss Everdeen auf der großen Leinwand den Hals umdreht, erwähnt er lieber nicht.

»Mh.« Mit der Unterlippe immer noch zwischen den Zähnen sieht Annie gen Decke. Ihre freie Hand streicht über ihren flachen Bauch. »Wir könnten natürlich auch ...«
»Adoptieren?«
Sie nickt. »Es gibt schließlich so viele Kinder hier, die kein zuhause haben und ... alles andere ist doch irgendwo egoistisch ... Gerade nachdem du auch ...«
Er schiebt seine Hand über jene auf ihrem Bauch. »Es ist keine Schande, wenn du spüren möchtest, wie ein Kind hier drinnen wächst.«
Annie schluckt hörbar. »Ich ... ich weiß nicht ... ob ich das überhaupt ... kann ...« Sie presst die zitternden Finger flacher gegen sich. »Manchmal denke ich an den Schmerz und dann ...« Kopfschüttelnd kneift sie die Augen zu. »Sorry.«
»Hey ...« Finnick reibt ihren Handrücken. »Es gibt nichts zu entschuldigen, okay? Ich finde es sehr schön, dass du so ehrlich bist. Und ... wenn ich ehrlich bin, würde ich es auch sehr schön finden, mich neun Monate lang mit dir auf ein Baby zu freuen. Ich würde jeden Moment des Weges genießen wollen.«
»Aber wenn es doch nicht geht ...«
»Ändert das nichts daran, dass du es dir wünschen darfst. Das ist schließlich etwas Besonderes.«

Annie schnauft, doch ihr Lächeln erstarkt wieder. »Es ist so verrückt, Fin. Ich hätte nie gedacht, dass ich wirklich einmal spüren wollen würde, wie mich ein kleiner Fuß von innen tritt. Mein ganzes Leben habe ich nur die Konsequenzen gefürchtet. Aber jetzt – mit dir – wird der Wunsch immer stärker. Ich ... ich glaube, ich würde das Kind so sehr lieben. Mehr als alles andere auf dieser Welt. Kannst du dir das vorstellen? Mehr als dich!«
Sie lacht hilflos und er steigt mit ein. »Ja, ein bisschen kann ich das«, murmelt er und haucht einen Kuss auf ihre Schulter. »Mir würde es wohl kaum anders gehen.«
»Oh Fin ... wie kann man etwas so sehr wollen und gleichzeitig so viel Angst davor haben?«
Er schmunzelt sanft. »Ich habe mal gehört, das wäre normal. Ein Kind bekommen ist die mutigste Sache der Welt, egal ob es nun die Hungerspiele gibt oder nicht. Und dasselbe gilt wohl dafür, diese Entscheidung überhaupt zu treffen.«

Wachsam mustert Annie ihn. »Ich hoffe, ich habe dir das jetzt nicht ... aufgeschwatzt? Ich ... ich wollte doch Rücksicht nehmen ...«
»Alles gut. Du hast mich vielleicht überrascht, aber nicht unangenehm. Ich habe zwar bisher nie über so etwas gedacht, aber das liegt wohl vor allem daran, dass ich ja um meine Situation weiß. Diese Vorstellung allerdings ...« Er sieht auf ihre miteinander verflochtenen Hände. »... die wird mich jetzt nicht mehr verlassen. Was ich nicht schlimm finde, ja?«
»Aber ...« Annie sammelt sichtlich ihren ganzen Mut. »Das ist ja nicht alles, was jetzt im Raum steht. Würdest du überhaupt ...«
»... mit dir schlafen wollen?« Finnick hofft, dass er Annies Gedanken hier nicht völlig falsch interpretiert. Doch erleichtert registriert er, wie sie nickt. »Möchtest du es denn?«, fragt er zurück.
»Das ist unfair«, murmelt sie und schürzt die Lippen. »Ich habe die Frage zuerst gestellt.«
»Du hast ja recht. Sorry.«

Es ist schon lange her, dass Finnick diese Aufregung verspürt hat, die sich just in diesem Moment in seinem Bauch zusammenzieht. Vielleicht hat er sie auch noch nie auf solche Art empfunden. Auf jeden Fall kann er nicht liegen bleiben. Entschlossen klopft er sein Kopfkissen auf und schiebt es in seinen Rücken, damit er sich bequem gegen das Kopfende seines Bettes lehnen kann.
Annie wirft ihm einen fragenden Blick zu, aber dann breitet er einen Arm für sie aus und schon rutscht sie wieder an seine Seite. Ihr warmer Atem, der erneut seinen Hals streift, ist gleichzeitig sehr beruhigend und überhaupt nicht hilfreich.
»Es ist wohl an der Zeit, dass wir einmal richtig und offen über das Thema sprechen, oder? Mit all seinen Hässlichkeiten.«

Sie zögert einen Moment, doch dann nickt sie. »Wenn nicht jetzt, wann dann, hm? Man kann schließlich nicht von Kindern sprechen und dann nicht daran denken, woher sie kommen.« Ein zittriges Kichern entflieht ihr und sie schüttelt über sich selber den Kopf – was Finnick sie nur noch mehr lieben lässt.
»Gut«, sagt er leise, »dann – keine falsche Verlegenheit. Du sagst offen, was du darüber denkst, und ich halte es ebenso, ja? Ich mache auch den Anfang.«
»Okay.« Ihre Stimme klingt ein wenig atemlos, aber sie wendet den Blick nicht ab.

Er holt tief Luft. »Lass mich eines vorweg sagen – ich habe noch nie mit jemandem geschlafen, den ich liebe. Nicht ein einziges Mal. Ich weiß nicht, wie sich das anfühlt, wenn echte Gefühle im Spiel sind. Was man überhaupt tut, wenn man sich ... einfach liebt. Der Gedanke, mit dir zu schlafen, erscheint manchmal ... schlicht beängstigend, muss ich zugeben. Denn darüber nachgedacht, das habe ich schon.«
»Oh ...« Beschämt und erleichtert zugleich versteckt Annie ein Lächeln in seinem Oberteil. »Das habe ich nicht gewusst.«
»Ich habe mich auch sehr bemüht, es dich nicht wissen zu lassen. Immerhin habe ich große Angst, das Falsche zu tun. Dir womöglich wehzutun. Oder dass die Grenzen zwischen hier und dem Kapitol verschwimmen. Nicht weil du bist wie irgendwer dort, sondern weil ich ...« Sein Blick fällt auf die verkrampfte Hand in seinem Schoß. »Ich weiß manchmal nicht, wozu mich das Kapitol gemacht hat. Es gibt diese Tage da ... da – da ...«

Er riecht förmlich den Schweiß auf seiner Haut, der sich mit dem Gestank des Kapitols vermischt, als die Erinnerungen ihn schlussendlich doch überfallen. Fremde Hände gleiten über seinen Körper und ihnen folgen gierige Münder. Schrilles Kichern füllt seine Ohren.
»Du bist so schön – und du bist mein!«
»Na los, küss mich!«
»Nimm mich!«
»Mehr!«
Duschen. Er muss duschen! Die Schande von seinem Körper waschen –

»Fin ...«
Sein Name, gestöhnt von violett gefärbten Lippen.
»Bitte, Fin ...«
Gleich mehrere Personen, die sich um seine Aufmerksamkeit streiten.
»Finnick!«
Sein eigenes Lächeln klebt wie Schmutz an seinem Gesicht. Es tut weh, so weh, wenn sie ihn bestrafen – wenn sie ihn sich selber bestrafen lassen. Und trotzdem gibt er ihnen, was sie wollen. Mit Kusshand.
Er will nicht mehr. Nicht so!
»Finnick. Sieh mich an. Bitte.«

Er blinzelt. Diese Sanftheit ... Sein Brustkorb hebt und senkt sich, als wäre er gerade wieder vor Nike aus Distrikt Eins geflüchtet, quer durch die Arena der 65. Hungerspiele.
»Das sind nur Erinnerungen«, hört er es flüstern. »Nicht die Realität.«
Es sind Annies Worte, die ihn in die Wirklichkeit zurückziehen. Sie hält eine Hand ausgestreckt, aber ihre Fingerspitzen berühren seine Wange gerade so nicht. In ihre Augen zu blicken, fühlt sich nach ertrinken an.
Am liebsten würde Finnick lachen. Er weiß doch, wo er ist. Normalerweise. Nur ausgerechnet jetzt ... Hustend versucht er, sein rasendes Herz wieder unter Kontrolle zu bringen.

»Es ist okay.« Auch Annies Stimme ist ganz zittrig und dabei dennoch ausnahmsweise beherrschter als seine. »Es ist okay ...«
Für einen Moment drückt er nur seine Stirn an ihre und versinkt wieder im Schweigen. Es kommt ihm naiv vor, dass er wirklich geglaubt hat, er könne einfach so über dieses Thema sprechen und dabei grinsen und zwinkern wie sonst. Aber nach all den Jahren hat er den Schmerz so gut versteckt, dass er selber kaum bemerkt hat, wie groß er tatsächlich ist. Und jetzt hat er den Schlüssel in die Tür zu seinem Käfig gesteckt.
»Du musst nicht weitermachen«, murmelt Annie auf seine Lippen. »Ich verstehe auch so.«

Er schluckt. In seinem Hals brennt die Spucke wie frisches Meerwasser. »An manchen Tagen ekle ich mich einfach nur vor diesem Körper«, flüstert er schließlich. »Dann würde ich dich am liebsten gar nicht berühren, weil ich so ...« Auf der Suche nach dem richtigen Wort schüttelt er kaum merklich den Kopf. »Ich bin so widerwärtig. Beschmutzt.«
»Nein.« Annies Haare fliegen, als sie es ihm gleichtut. »Du kannst nichts dafür, was das Kapitol mit dir gemacht hat. Nichts. Und – und du bist mehr als das! Alles an dir ist mehr als die Berührungen von anderen!« Rote Flecken zieren ihre Wangen und in ihren Augen glüht ein Feuer. »Du bist so viel mehr wert!«
Das Lodern in seiner Kehle wird zu einem Flächenbrand. Er lächelt und Tränen fließen seine Wangen hinab und unten ist plötzlich oben, weil sein Herz so voll ist, dass er es kaum erträgt. »Ich liebe dich«, murmelt er fahrig. Irgendwie hat er seine Worte vergessen – und im Endeffekt sind sie auch gar nicht länger wichtig.

Erst jetzt legt Annie ihre Hand wirklich an seine Wange. »Ich würde dir gerne zeigen, dass ich dich alles andere als ‚widerwärtig' finde«, haucht sie. »Und ich würde gerne zusammen mit dir herausfinden, wie es sich anfühlt, wenn man sich liebt und miteinander schläft. Nicht jetzt, aber ... wenn du dich dafür bereit fühlst. Oder eher wir. Ich habe mich an den Gedanken nämlich auch noch nicht gewöhnt. Ich weiß nur, dass ich es mit dir erleben möchte.«
»Du ...« Finnick blinzelt. »Du willst mich wirklich? Auf diese Art?«
Sie nickt, das erkennt er gerade noch durch den Tränenschleier. »Ja, ich will dich.« Er hört ihr leicht beschämtes Glucksen. »Ich hätte nicht gedacht, dass ich mal den Mut finden werde, das zu sagen. Aber jetzt ist es ganz einfach. Vielleicht liegt es am Jubeljubiläum. Vielleicht habe ich jetzt erst erkannt, wie wichtig es ist, über alles zu sprechen. Selbst die unbequemen Dinge. Am Ende zählt doch nur, was wir jetzt haben. Und das wird nur besser, wenn wir reden.«

Ein Geräusch zwischen Zustimmung und Schluchzen entweicht Finnick. Er streichelt über Annies Handrücken. »Dann lass mich dir sagen – ich will dich auch. Ich habe Angst, aber ... der Wunsch, bei dir zu sein, ist größer. Wenigstens einmal möchte ich alles mit dir teilen.«
»Noch haben wir ja auch Zeit«, erwidert Annie sanft. »Wir können es ganz langsam auf uns zukommen lassen, in Ordnung? Und falls es nicht passiert, ist das auch okay. Hauptsache, wir leben die nächsten Monate ganz nach unseren Bedingungen.«

Finnick findet sein Lächeln wieder, als er Annies Lippen für einen Kuss streift. »Das können wir uns versprechen«, schlägt er nur Millimeter von ihrer zarten Haut entfernt vor. »Lass uns die nächsten Monate leben, als wäre es die Zukunft, ja?«
»Ja.«

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