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50 | Die stärkste Macht - Part II

Mit einem sanften Ruck kommt der Wagen zum Stehen. Einen Moment lang bleibt Finnick sitzen, den Blick auf den hohen Wolkenkratzer gerichtet, vor dem sein Fahrer gehalten hat. Aus unzähligen hell erleuchteten Fenstern pulsiert das Leben.

Am liebsten würde er hier unten bleiben, im Halbdunkel des Autos, zwischen weichen Lederpolstern und mit einem schweigsamen Friedenswächter als Chauffeur. Allein bei dem Gedanken daran, auszusteigen und seinem nächsten Termin entgegenzutreten, verknotet sein Magen sich in einen komplizierten doppelten Achterknoten.

Selten hat er eine Woche wie diese erlebt. Es scheint, dass Snow alles daran setzt, ihn aus dem Distrikt vier Appartement – und damit von Annie – fernzuhalten. Einladungen zu unnützen Partys und weiteren Stelldicheins füllen seinen Terminplan, genau wie heute Abend. Eine Menge Geld hat zweifellos den Besitzer gewechselt, damit er in dieser Nacht einmal nicht Titania Creed mit seiner Anwesenheit beehren muss, sondern jemand neuen.

Der Friedenswächter beobachtet ihn aufmerksam im Rückspiegel, also wirft Finnick ihm ein übertriebenes und absolut unaufrichtiges Lächeln zu, fährt sich durch die Haare und tritt hinaus auf den Bürgersteig. Seine Gedanken kreisen um Haymitch und seine Tribute, aber diese Überlegungen muss er nun für die Nacht verdrängen. Hoffentlich ist es morgen nicht bereits zu spät, seinen Plan Beetee zu verkünden.

Die warme Sommernacht lockt Finnick mit vollmundigem Blumenduft und Gelächter, das von einem Restaurant ein paar Häuser entfernt zu ihm herüberweht, doch er ist sich des stechenden Blicks seines Chauffeurs im Rücken nur allzu bewusst. Keine Fehltritte.

Straffen Schrittes betritt er die kühle Lobby des hoch aufragenden Wohngebäudes. Heller Marmor und feine Goldakzente setzen ein deutliches Statement für den Wohlstand der Menschen, die sich hier ein Leben leisten können. Der Rezeptionist hebt nur kurz den Blick und nickt ihm zu. Offenbar ist er über sein Kommen unterrichtet.

Der Fahrstuhl informiert Finnick, dass das Gebäude mehr als vierzig Stockwerke hat. Sein Klient wohnt nur in Etage vierzehn, was ihn überrascht. Er kennt die Preise nicht, aber bloß eine Stunde mit ihm ist nicht billig. Für gewöhnlich wohnen seine Liebschaften in den riesigen Penthouses ganz oben in den Wolkenkratzern.

In der vierzehnten Etage selber hält sich der Prunk eher zurück. Zwar ist der Boden mit einem schweren grauen Teppich belegt, der jeden Schritt schluckt, aber die Wohnungstüren reihen sich dicht aneinander und davor liegen vereinzelt bunte Schuhpaare und Regenschirme. Manche haben auffällige Klingelschilder aufgehängt, die stolz die Namen der Anwohner verkünden. Untern den glänzenden goldenen Flurlampen wirken die Spuren des Lebens ernüchternd normal.

Vor der Tür von Finnicks heutigem Kunden herrscht Leere. Verunsichert schaut er auf das Memo – nur Adresse und Datum, kein Name – das Cece ihm beim Frühstück zugeschoben hat. Er ist richtig hier. Nervös betätigt er die Klingel.

Es dauert nicht lange und ein groß gewachsener Mann öffnet ihm die Tür. Ein warmes Lächeln breitet sich auf dessen Gesicht aus. „Schön, dass Sie hergefunden haben. Bitte sehr." Einladend weist er in seine Wohnung.
Doch Finnick steht wie angewurzelt draußen und starrt seinen neuen Kunden an. Das schlichte Äußere und die kurzen dunklen Locken kommen ihm bekannt vor, er weiß nur nicht mehr woher ... womöglich der Spross einer reichen Familie, der erst noch groß rauskommen will?

Der schwarze Stoff des legeren Anzugs seines Käufers raschelt leise, als dieser mit einem fragenden Blick beiseitetritt. In Gedanken weiter rätselnd, folgt Finnick seiner Einladung.

In der Wohnung ist es dunkel. Nur ein paar Kerzen erhellen den versenkten Wohnbereich und irgendwo spielt leise Klaviermusik. Das ganze Ambiente jagt ihm einen Schauer über den Rücken.

Er hasst diese Klienten, die es auf die romantische Art versuchen. Komischerweise fällt es ihm leichter, wenn sich beide Seiten einig sind, dass das Interesse rein körperlicher Art ist. Hoffentlich erwartet der junge Mann, der Ende zwanzig sein muss, keine aufrichtigen Gefühle. Finnick ist schon vollauf damit beschäftigt, Titania Creed zufriedenzustellen.

Er vergräbt die Hände in den Hosentaschen und wartet darauf, was sein neuer Liebhaber unternimmt, um sich seinem Takt anzupassen. Der schließt jedoch nur die Tür und verharrt dann in einigem Abstand. Wieder drängt sich Finnick die Frage auf, wo er diesen Mann nur zum ersten Mal gesehen hat. Der schlichte schwarze Anzug ist so untypisch für das Kapitol, er fällt auf wie ein Hai unter Fischen.

„Es freut mich, dass wir uns endlich persönlich kennenlernen, Mr. Odair."
„Die Freude ist ganz meinerseits", entgegnet er mit einem leichten Kopfnicken. Zumindest ist sein Gegenüber höflich.

Der weiche Kerzenschein tanzt über die dunkle Haut des Manns und bringt sein dezentes goldenes Make-up zum Glühen. Unvermittelt regt sich eine Erinnerung in Finnicks Gedanken. Er hat ihn tatsächlich schon einmal gesehen, aus der Ferne. Umringt von Gratulanten. Vor ihm steht der Stylist von Distrikt zwölf.

Vor Überraschung entkommt Finnick ein Keuchen. Sicher, auch die gefeierten Modeschöpfer sind mal Kunden der Sieger, aber nie war einer aus Zwölf darunter. So wie die Wohnung des Mannes aussieht, verdient er trotz seines neugewonnenen Ruhmes nicht mehr als seine Vorgänger. Wie kann er sich das Treffen leisten?

Sein Gegenüber scheint die Verwirrung zu bemerken, denn ein belustigtes Funkeln stiehlt sich in seine dunklen Augen. „Verzeih, falls das hier einen – merkwürdigen Eindruck macht. Es kommt mir zugegeben sehr falsch vor", entschuldigt sich der Stylist mit einer kleinen Verbeugung. „Darum soll es hierbei nicht gehen. Oder um falsche Gefühle und dergleichen."

Reichlich verwirrt mustert Finnick den jungen Mann, dem seit der Wagenparade das ganze Kapitol zu Füßen liegt. Der Schöpfer des Mädchens in Flammen. Aus der Nähe wirkt er weit weniger unnahbar. Fast wie ein Arbeiter aus den Distrikten.
„Worum geht es sonst?", stellt er die einzige Frage, die ihm in den Sinn kommt. „Es gibt viele andere Dienste ..."

Der Stylist lächelt warm. „Nun, Mr. Odair, so weit wollen wir nicht gehen. Es gibt da eine oder besser zwei Personen, die mit ihnen sprechen wollen. Ich bin nur ein einfacher Mittelsmann, wenn man so will."
Bevor er weiterredet, unterbricht Finnick ihn. „Oh, bitte, nenn mich Finnick." Die ganzen Förmlichkeiten gefallen ihm nicht. Nur Snow nennt ihn ‚Mr. Odair', keiner seiner Kunden.
Sein Käufer neigt den Kopf. „Nur zu gerne. Ich bin Cinna."

„Also, Cinna – wem soll ich meine Aufmerksamkeit schenken?"
Bestürzt hebt dieser seine Hände. „Missversteh mich bitte nicht, Finnick. Es geht hier keinesfalls um deine üblichen, ah, Verpflichtungen." Seine dunklen Augen bohren sich in Finnicks. „Nur ein Gespräch – unter Freunden?"
Zusehends verwirrter mustert Finnick den Stylisten. Für eine Unterhaltung hat er all das Geld ausgegeben? Die hätte er umsonst haben können, im Trainingscenter oder bei einer der zahlreichen Partys des Präsidenten.

„Bitte, folge mir."
Die Hände immer noch in den Hosentaschen vergraben, folgt Finnick Cinna in einen angrenzenden Raum, der offenbar so etwas wie ein Atelier ist. Ringsum an den Wänden befinden sich deckenhohe Regale voller Stoffballen und anderem Krimskrams. Wie geköpfte Trainingsdummys ragen Schneiderpuppen aus der Dunkelheit hervor, die meisten mit halbfertigen Kleiderstücken behängt. An einer davon scheint sogar ein langer Schwanz herabzuhängen.

Finnick will schon den Kopf angesichts der komischen Mode schütteln, als der plüschige Tigerschwanz geräuschlos über den Boden fegt. Bildet er sich jetzt bereits Sachen ein? Nein, sein Eindruck wird bestätigt von zwei gelblich schimmernden Katzenaugen, die in der Dunkelheit aufflammen. Sie sind nicht alleine. Entsetzt macht er einen Schritt zurück. Kratziges Gelächter füllt seine Ohren.

Was auch immer in Cinnas Atelier auf ihn lauert, ist schnell. Scharfe Klauen packen sein Kinn – und auf ein Klatschen des Stylisten hin erhellt unvermittelt taghelles Licht den fensterlosen Raum.
Gegenüber Finnick steht nicht etwa eine Raubkatze, bereit zuzuschlagen, sondern die wohl unheimlichste und entstellteste Frau, die ihm je begegnet ist. Sie ist der Ähnlichkeit mit einem Menschen so weit entfremdet, dass er sich unweigerlich die Frage stellt, ob sie nicht eher ein Tiger ist, den das Kapitol nach dem Vorbild einer Person geformt hat.

„Endlich treffen wir uns", schnurrt die Frau, während sie sein Kinn leicht anhebt. „Endlich kann ich mich von Roans prächtigem Werk überzeugen." Ihre überdimensionierten Schnurrhaare erzittern bei den sehnsüchtigen Worten. „Und wie hübsch du bist."
„Süße, ich hoffe, du willst ihm nicht an die Wäsche", mischt sich jemand Drittes dazwischen, den Finnick nur zu gut kennt. „Dann schlägst du ihn sicherlich in die Flucht."

Die Tigerdame zieht ihre Hand mit den langen, scharfen Fingernägeln zurück, als hätte sie sich verbrannt. „Ich bin Tigris", zischt sie leise, wobei sie die Buchstaben schwer über ihre Zunge rollt. „Und ihn kennst du eh." Sie tritt einen Schritt zur Seite und enthüllt einen feixenden Haymitch, der hinter ihr an einem großen Tisch lehnt.
Reglos starren die Mentoren einander an. Schließlich grinst Distrikt zwölfs berühmter Trunkenbold dreist. „Damit hast du nicht gerechnet, was?"

Unwirsch lässt Finnick ein Brummen hören. Am liebsten würde er laut lachen. Vorhin noch hat er den Mentor gesucht und jetzt hat Haymitch ihn gefunden. Zunächst jedoch kramt er in seinem Gedächtnis nach einer Erinnerung an die menschgewordene Tigerfrau. „Entschuldigung – Tigris – sind wir uns schon einmal begegnet?"

Die katzenhafte Gestalt lässt ein leichtes Grollen hören. Erst beim Anblick ihrer erhobenen Mundwinkel, die ihre scharfen Zähne enthüllen, wird ihm klar, dass es ihre Version eines Lachens sein muss. „Nein, noch nicht. Aber Cinna hier war so freundlich, das zu ändern." Sie dreht ihm den Rücken zu und präsentiert Finnick damit ihren getigerten Schwanz, der ein eigenes Leben zu haben scheint, so wie er hin und her peitscht.

„Entschuldige, dass ich dich unter falschen Vorgaben hierher gelockt habe", mischt sich Cinna ein. „Aber es erschien uns der sicherste Weg, um in Kontakt zu treten. Keine Sorge, mein Atelier ist sorgfältig ausgewählt und überprüft. Hier können wir uns unbesorgt unterhalten, besser als im Trainingscenter."
„Also ... hast du – habt ihr – bei Snow eine Nacht gekauft, um – ja warum?" Misstrauisch gleitet Finnicks Blick zwischen dem Stylisten, Haymitch und der raubtierhaften Frau vor und zurück.

„Ach, Süßer", gluckst Haymitch, „überleg mal! Vielleicht könnte es etwas mit Dreizehn zu tun haben ..."
„Dreizehn?", echot Finnick überrumpelt. Seine Gedanken unternehmen eine Schlingerfahrt auf stürmischer See. Weiß Haymitch längst Bescheid? Und was ist mit Cinna und Tigris? Sicher, es gibt im Kapitol ein ganzes Untergrundnetzwerk, doch bisher war zwischen ihnen und den Siegern jeglicher Kontakt untersagt. In Distrikt dreizehn befürchtet man, dass zu viel Durchmischung Aufsehen an falscher Stelle erregt.

„Oh ja", schnurrt Tigris, „wir sind eingeweiht. Teils seit Jahrzehnten." Das tiefe Rumpeln aus ihrer Kehle erinnert Finnick an eine Mutation in der Arena. „Ich warte nur auf den Tag, da sie hier einmarschieren und endlich dieses Elend beenden. Sein Leben beenden. Coriolanus Leben."
Haymitch lacht bitter. „Dem kann ich mich nur anschließen. Seit vierundzwanzig Jahren warte ich auf das Gleiche. Fast hätte ich jegliche Hoffnung am Boden einer Flasche verloren."

Der Hass tropft aus jedem ihrer Worte, sodass Finnick ihnen einfach Glauben schenken muss. „Also seid ihr alle Teil des Plans."
In Cinnas Augen tritt erneut ein Funkeln. „So kann man es nennen, ja."
„Oder waren es zumindest, bis man vergessen wurde", grummelt Haymitch dazwischen.
Ungerührt fährt Cinna fort. „Wir sind davon überzeugt, dass die Spiele nicht länger stattfinden dürfen. Ich weiß, du denkst vermutlich, dass ich gut reden habe, solange ich Teil des Zirkus bin ..."

„Wer das System stürzen will, muss es von innen kennen", knurrt Tigris. „Und wer das System kennen will, muss ein Teil von ihm sein." Ihre gebleckten Reißzähne glitzern unter den großen Leuchtstoffröhren an der Decke. „Ich war fast mein Leben lang ein Teil. Als naive Jugendliche habe ich geholfen, diese Hölle aufzubauen, und nun werde ich sie einreißen, bis nichts als Asche bleibt – denn Asche ist alles, was mir blieb, nachdem Coriolanus sich entschied, dass ich ihm nicht länger von Nutzen war."

Wie hypnotisiert verfolgt Finnick den Tigerschwanz, der im Einklang mit Tigris wütenden Worten zuckt. „Du warst Stylistin?"
„Oh ja. Ich habe all das Elend ertragen, unfähig mich freizumachen, aus Angst vor Coriolanus." Ihre gelben Augen verengen sich. „Beinahe bin ich dankbar, dass dein Stylist, Roan, mir alles genommen hat – meine Kleider, meine Entwürfe, meinen Stolz – als er mein Studio in Flammen steckte. Ohne seinen Verrat würde ich vielleicht heute noch dort stehen und nach Coriolanus Regeln spielen."

Es braucht einen Moment, bis diese Erkenntnis in Finnick einsinkt. Wie ein Schatten in mondloser Nacht löst sich eine Erinnerung aus dem Nebel seiner Gedanken. Tribute aus Distrikt eins, gehüllt in scharfkantige Diamanten, ihre Körper blutrot geschminkt. Dazu die begeisterten Rufe Caesar Flickermans. „Was für eine Pracht, was für eine – Brutalität! Einen großen Applaus für Tigris, meine Damen und Herren, die Distrikt eins zu den 63. Hungerspielen einen ganz neuen Stil verleiht!"
Es waren ihre letzte Spiele als Stylistin. Angesichts des lodernden Hasses in ihrem Blick ist Finnick sicher – das zwischen ihr und dem Präsidenten ist etwas Persönliches.

Der doppelte Achterknoten in seinem Magen löst sich langsam, aber sein Platz wird von einer unbestimmten Skepsis ausgefüllt. Wenn Snow von diesem Treffen erfahren sollte ... die Konsequenzen will er sich nicht einmal vorstellen. Sie tanzen auf dünnem Eis.
Prüfend lässt er den Blick durch Cinnas Atelier gleiten, aber vor lauter glitzernden Stoffbahnen und Modezeichnungen an den Wänden kann er nicht beurteilen, ob dieses Zimmer wirklich geschützt ist, oder doch nur eine perfide Falle.

Cinna allerdings folgt wachsam seinem Blick. „Ich würde meine Hand dafür ins Feuer legen, wenn ich dir versichere, dass wir hier sicher sind. Echtes Feuer. Immerhin ist dieser Ort meine Lebensversicherung. Sonst hätte man mich längst in das tiefste Loch unter der Erde gesteckt."
Schnaubend stößt Haymitch sich vom Tisch ab und kommt zu Finnick herüber, um ihm auf die Schulter zu klopfen. „Klar, das hier ist ein Schock für dich, aber jetzt vertrau ausnahmsweise dem alten Säufer, ja?" Er zwinkert und mimt mit der freien Hand, wie er ein Cocktailglas hebt und in einem Zug leert.

„Okay." Langsam atmet Finnick aus. Es ist völlig verrückt, doch was bleibt ihm anderes, als diesem eigenartigen Trio zu trauen? Nachdem sie ihn gekauft haben, gehört er für den Abend ihnen. „Also, warum genau habt ihr ein Vermögen ausgegeben, um mich zu sprechen?"

Tigris, die zwischen den kopflosen Schneiderpuppen umherstreicht, entfährt ein neuerliches Grollen. „Um dir eine Botschaft zu überbringen." Sie lässt ihre mit langen Fingernägeln bewährte Hand seufzend über den Seidenstoff eines hellgelben Kleids fahren. „Ihr Sieger müsst vorsichtiger sein! Eure Bewegungen haben Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die falsche Aufmerksamkeit. Unter den Friedenswächtern gibt es Gerüchte. Und alles, was die Soldaten reden, erreicht früher oder später auch Coriolanus."

„Friedenswächter?", fragt Finnick und kann nicht verhindern, dass Besorgnis seine Stimme ins Schwanken bringt. Ist es möglich, dass Edmont am Ende doch geplaudert hat? Nur warum sollte der rundliche Mann auspacken? Unvorsichtigkeit? Oder gar Verrat?
„Sie gehen ein und aus in der Bar eines guten ... Freundes. Man erfährt so einiges, wenn man gelernt hat, zuzuhören." Tigris Schnurrhaare zucken verächtlich. „Man erzählt sich, dass die Sieger gemeinsame Sache machen. Einander unterstützen, anstatt sich zu hassen. Und diese Solidarität darf nicht sein."

Finnicks Mund ist so trocken, als hätte er seit Tagen nichts getrunken. „Gibt es noch mehr solcher ... Gerüchte?"
„Eine Menge, jedes haarsträubender als das vorherige", entgegnet die ehemalige Stylistin. „Aber du und Beetee – ihr müsst aufpassen. Ich habe eure Namen gehört." Sie entblößt ihre nadelspitzen Zähne. „Mehr als einmal. Und auf Haymitch sind sie ebenfalls aufmerksam geworden."
Der alte Sieger grinst sarkastisch, schweigt aber.

„In Ordnung." Finnick erlaubt sich, durchzuatmen und seine angespannten Fäuste zu lockern. Es ist nicht das erste Mal, dass er vorsichtig sein muss. Sie werden das überstehen, irgendwie.
„Aber das ist noch nicht alles", durchbricht Cinna seine mutmachenden Gedanken. Der Stylist seufzt schwer. „Du weißt von den Unruhen in Distrikt elf. Die Lage hat sich verschlimmert. Vorgestern haben Rebellen das Depot 43 dort in die Luft gejagt, ein strategisch wichtiger Versorgungspunkt für das Kapitol. Ohne lang weiterzureden – Dreizehn baut darauf, dass der Distrikt unter der harten Hand des Kapitols kippt. Wenn nötig sollen die Leute dort angestachelt werden. Ein Sieger aus Elf soll her."

„Aber ihr weigert euch die Hoffnung für Distrikt zwölf aufzugeben?", rät Finnick ins Blaue hinein. Immerhin steht er vor denen, die Katniss Everdeen zur Unvergesslichkeit verholfen haben. Zumindest zwei von ihnen.
Cinna sieht auf seine dezenten goldenen Manschettenknöpfe herab, während Tigris im Hintergrund ihr unheimliches Raubtiergelächter hören lässt. „Ich würde auf Katniss Everdeen wetten, ja."

„Ich bin es dem Mädchen schuldig", ergänzt Haymitch, dieses Mal ganz ohne seinen üblichen Schalk. „Verdammt, sie erinnert mich an mein jüngeres Ich. Sie hat diesen ungebrochenen Überlebenswillen, den ich ersoffen habe. Auch wenn ich weder Thresh noch Rue den Tod wünsche." Seine rotunterlaufenen Augen schauen unendlich traurig drein.

„Hm", brummt Finnick zustimmend. „Deswegen haben wir euch unsere Sponsorengelder gegeben."
„Wofür ich nie genug danken kann." Haymitch fährt sich über das stoppelige Kinn. „Aber ihr Überleben garantiert kein Geld der Welt. Trotzdem bist du genau deswegen hier. Weil ich weiß, dass ihr anderen Sieger schlauer seid als die Höhlenratten in Dreizehn. Ihr erkennt wahres Potential. Und so leid es mir tut, aber Distrikt elf braucht keine Sieger mehr. Diesen Kampf hat das Kapitol längst verloren, sie wissen es nur noch nicht."

Tigris heftet aus der Ferne ihre glühenden Katzenaugen auf Finnick. „Leider hat man in Dreizehn nicht verstanden, wie das Publikum seine Sieger auswählt, dabei ist es seit dem Beginn der Spiele gleich." Sie steckt ein paar Nadeln an dem Oberteil des hellgelben Kleides um und lässt dann prüfend ihren Blick über die angetäuschten Falten gleiten. „Katniss ist längst etwas Besonderes. Nicht für die Spielmacher oder Politiker – für die einfachen Menschen. Tragischer Heldenmut, zwei Schicksale die ihren Weg kreuzen und nur einer darf überleben", schnurrt sie mit einem bedrohlichen Unterton. „Katniss Everdeen hat dank ihrer mutigen Aktionen in der Arena bereits bewiesen, wie ungerecht die Spiele sind. Die Leute wollen eine Heldin in ihr sehen, die nicht den Regeln des Kapitols folgt. Es liegt in unserer Hand, ob es zur Tragödie wird."

„Sie ist ... eine Hoffnung auf mehr", setzt Haymitch hinzu. „Kein Thresh, der genau wie die Karrieros seinen Weg freikämpft, oder Rue, die so klein und unschuldig ist. Zweimal hat sie sich den Karrieros gestellt und gewonnen! Distrikt dreizehn macht einen Fehler, wenn sie das ignorieren." Während seiner inbrünstigen Rede ballt sich seine Hand immer fester zur Faust, bis seine Knöchel weiß hervortreten. „Aber wir brauchen verdammt nochmal Unterstützung, damit das klappt! Wenigstens als Reserveplan. Ich bin nicht bereit, diese Tribute aufzugeben!"

Fast bricht Finnick in lautes Gelächter aus. Bisher hat er nie verstanden, warum Annie manchmal in den unpassendsten Momenten ein Kichern entweicht, doch jetzt schnellen Hoffnung und Erleichterung so rasant durch ihn, dass er nur mit Mühe widersteht. „Wie passend, dass das Kapitol uns die Chance quasi auf dem Silbertablett serviert. Eine Regeländerung? Es ist nicht mal Stunden her, dass mir der Geistesblitz kam, was man aus dieser Situation machen kann. Ich hoffe, es stört dich nicht, aber ich habe ein kleines Gespräch mit deiner Eskorte geführt."

„Elfchen?" Jetzt ist es an Haymitch, verwirrt dreinzusehen.
Finnick kann sich ein triumphierendes Grinsen nicht verkneifen. „Richtig, Effie Trinket. Was sagte sie noch gleich? ‚Der Junge liebt sie wirklich'." Aufgeregt läuft er zwischen Cinnas Entwürfen auf und ab. „Und da kam mir die Erkenntnis – wovor fürchtet Snow sich?"

Tigris saugt die Luft durch ihre gespitzten Zähne und entlässt sie mit einem tiefen Knurren. „Coriolanus behauptet, keine Furcht zu kennen, und doch jagt ihm jeder Schatten in der Dunkelheit Angst ein", kichert sie, bevor Finnick seine rhetorische Frage beantworten kann.
„Ähm", räuspert er sich überrascht, „nun, ich meine die Liebe."

Für einen Sekundenbruchteil verharrt Tigris wie erstarrt, dann schlingt sich ihr Tigerschwanz eng um ihre Hüfte. „Nein", flüstert sie unerwartet weich, „er fürchtet sie nicht, er hasst sie." Spätestens jetzt ist Finnick sich sicher – sie stand dem Präsidenten einst näher, als ihr lieb ist.

„Umso besser. Jedenfalls kontrolliert er genau, welcher Sieger wen liebt – oder lieben muss. Aber die Zuschauer können sich mit Liebesgeschichten identifizieren. Das Kapitol verzehrt sich nach Drama, einer berührenden Geschichte – und in den Distrikten haben so viele einen geliebten Menschen verloren, für sie ist es ein Teil ihres eigenen Schmerzes." Er kommt hinter einer Schneiderpuppe zum Stehen, die Katniss flammendes Kleid von den Interviews trägt. „Liebe brennt am hellsten. Es braucht eine Regeländerung, die aus Katniss und Peetas Geschichte ein Inferno macht."

Stille senkt sich wie eine schwere Decke über das Atelier. Haymitchs graue Augen stieren auf das Kleid, als könne er es immer noch brennen sehen. Langsam wandert sein Blick zu Finnick dahinter. „Dafür müssen wir sie zusammenbringen. Oh, das wird der Kleinen nicht gefallen ..." Er stützt sich mit den Händen auf dem großen Arbeitstisch ab. „Es gibt nur eine Lösung, um die beiden wirklich in ein tragisches Liebespaar zu verwandeln. Wir brauchen zwei Sieger", stellt er nüchtern fest.

Tigris fällt eine Stecknadel aus der Hand und ihr Aufprall scheint so laut wie die Explosionen der Minen am Nachmittag. „Das wird Coriolanus niemals zulassen! Ganz zu schweigen, dass ihr damit euren Kopf riskiert!"
Eine leise Stimme in Finnicks Innerem pflichtet ihr bei. Das ist zu viel des Guten, das ist tollkühner als jeder seiner Pläne.

Doch Haymitch hebt nur einen Zeigefinger in ihre Richtung. „Richtig. Aber erstens, machen die Spielmacher die Regeln; zweitens würde das Kapitol die daraus resultierende Quotensteigerung nur zu gerne mitnehmen – und drittens: Was, wenn das Kapitol seine eigene Regeländerung bricht? Das wäre unverzeihlich. Sollte diese Regeländerung auch nur zur Auswahl stehen, gäbe es keinen Weg zurück. Die Zuschauer würden dafür stimmen. Da würde ich drauf wetten."

Cinna hat die Stirn in tiefe Falten gelegt, aber schließlich nickt er ebenfalls. „Ja, das würden sie. Plutarch muss es nur in Senecas Unterlagen bringen ... sie würden nicht einmal ahnen, wer dahintersteckt."

Über die Stylisten hinweg tauschen die beiden Mentoren einen langen Blick. „Zwei Sieger, aus demselben Distrikt", sagt Haymitch leise. „Drei Distrikte hätten im Moment die Chance. Man kann nicht sagen, dass es unfair wäre."

Finnick schluckt schwer, als eine Flutwelle der Anspannung ihn durchspült. Nach dieser Lösung verzehrt sich insgeheim jeder Mentor. Er kann sich nicht einmal vorstellen, was die Regeländerung auslösen wird. Nur eines ist sicher: Die Hungerspiele werden sich ändern.

Von einer reißenden Strömung ergriffen wird er immer weiter hinaus auf die stürmische See aus wilden Tagträumen von der erfolgreichen Rebellion gezerrt. Für Annie. Für ihre gemeinsame Zukunft schwört er sich. Er hebt den Kopf und sieht Haymitch fest an. „Ich bin dabei."

Entschuldigt die Überlänge, aber die Charaktere haben Platz verlangt ;)
Ich hoffe ihr seid ähnlich wie Finnick etwas überrascht von dieser etwas anderen Zusammenkunft!
Mal so aus Neugier – kennt ihr eigentlich „Das Lied von Vogel und Schlange"? Hin und wieder kann ich mir Anspielungen darauf nämlich nicht verkneifen, so wie hier.

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