42 | Tausendfach zerbrochen - Part II
Wenige Stunden später liegt das Kapitol in tiefem Schlaf, als Finnick in das Trainingscenter zurückkehrt. Er sieht Annie sofort, kaum, dass er im Halbdunkel durch die Türen des Distrikt-Appartements schlüpft.
Sie sitzt mit angezogenen Knien an dem großen Fenster im Essbereich, das einen prächtigen Ausblick auf den Korso und die glänzenden Häuser in der Ferne eröffnet. Ihre langen dunklen Haare fallen ihr vor das Gesicht.
Er steht nur da und starrt sie an, unsicher, ob er sich ihre Rückkehr nicht bloß eingebildet hat. Aber nein, da sitzt sie wirklich, in Fleisch und Blut. Sein Herz flattert vor Aufregung, drängt ihn, sie in seine Arme zu reißen. Das ist alles, was er will. Doch der letzte Rest verdammter Vernunft hält ihn zurück. Tu es nicht, wispert sie in seinem Kopf, denk an Snow.
Hätte er ihm doch nur die Gartenschere ins Herz gerammt. Nicht zum ersten und sicher nicht zum letzten Mal wünscht Finnick sich, ihm ein Ende bereitet zu haben. Seine Hände zittern und er ballt sie hilflos zu Fäusten.
Langsam dreht Annie ihr Gesicht zu ihm. Sie sieht ihn an, aus diesen meerblau-grünen Augen, in denen er ertrinken könnte. Ihr Ausdruck ist unergründlich. Abneigung? Enttäuschung? Er wartet darauf, dass sie etwas sagt – und wenn es nur Vorwürfe sind. Hauptsache, er hört ihre Stimme. Dann kann er sich sicher sein, dass sie zurück ist.
Genau wie er schweigt sie jedoch bloß. Ihre Hände zittern wie seine und sie drückt sie an ihre Brust. Es kommt ihm vor wie Stunden, die sie einander einfach ansehen, voller Angst und Verlangen.
Endlich traut Finnick sich, ein paar Schritte in den Raum zu gehen, aber auf halber Strecke verlässt ihn der Mut. Nicht hier, schreit wieder die Vernunft, nicht vor den verborgenen Augen des Kapitols!
Annies Lippen zittern, als sie schließlich spricht. Sie sagt nur ein Wort:
„Finnick."
Eine Stimme wie Muschelscherben, tausendfach gebrochen, rau und doch vertraut. Geliebt. Wärme steigt in ihm auf. Seine Sicht verschwimmt. Die Tränen bahnen sich unaufhaltsam ihren Weg und dann bricht schlussendlich die Vernunft.
Er stürzt auf sie zu und presst sie an sich, bis er ihren wilden Herzschlag an seiner Brust spürt. Niemals wieder will er sie gehen lassen. Finnicks Tränen fallen auf ihre Wangen und vermischen sich mit ihren eigenen.
„Annie", versucht er zu sagen, aber seine Stimme versagt und er beschließt, dass es warten kann. Jetzt reicht es, sie einfach nur in den Armen zu halten. Er vergisst sogar, dass der Geruch von Titania noch an ihm klebt. Kameras, Snow, sie alle sind in diesem Moment egal.
Nach einer viel zu kurzen Ewigkeit findet ausgerechnet Annie als erste ihre heisere Stimme wieder. „Ich bin so froh, dass du hier bist." Sie blinzelt ihn aus tränenverschleierten Augen an. Eine Träne tropft von ihrer Nasenspitze, was ihr ein kleines zersplittertes Kichern entringt.
Alle Anspannung und Angst von Finnick entlädt sich bei dem Anblick. Der Moment ist so absurd, so eigenartig und gerade deshalb kann er das Lachen nicht unterdrücken. Überglücklich und erfüllt von Leichtigkeit umfasst er ihr Gesicht. Ihr Kuss ist salzig wie das Meer.
Es gibt so vieles, das er ihr sagen will, doch als er sie ansieht, verschwinden die Worte schlicht aus seinem Kopf. Er lacht und weint zugleich und dann küsst er sie einfach nochmal. Und nochmal.
„Ich liebe dich", wispert er auf ihre Lippen. Soll Snow es doch mitbekommen. Seine Beteuerungen werden dieses Appartement nie verlassen. Das Kapitol wird nichts außer falscher Versprechungen zu hören bekommen. Nur hier drinnen, alleine zwischen ihm und Annie, kann er keine Lüge mehr leben.
Er streicht eine Träne von ihrer Wange. „Es tut mir so leid", setzt er erneut an, aber sie schüttelt den Kopf.
„Entschuldige dich nicht." Sie wischt sich die Augen. „Du hattest keine Wahl."
„Und trotzdem wollte ich dich schützen." Er lockert seine Umarmung etwas, um ihnen Luft zum Atem zu geben.
Erst jetzt kommt Finnick dazu, sie richtig zu betrachten. Gestern Abend hatte das Vorbereitungsteam sich jegliche Mühe gegeben, sie herauszuputzen, mit allem, was die Welt des Make-ups bietet. Im frischen Morgenlicht ist nichts davon übrig und stattdessen sieht er die tiefen Schatten unter ihren Augen – und die roten Ringe an ihren Schläfen. Eine ganz andere Angst brodelt in ihm hoch, begleitet von hunderten neuer Sorgen.
Annie scheint in seinem Gesicht zu lesen. Bevor ihm die erste Frage über die Lippen kommt, schüttelt sie wieder sanft den Kopf. „Nicht jetzt."
Mühsam unterdrückt Finnick den Drang und drückt sie stattdessen noch einmal an sich, froh, dass selbst das Kapitol sie nicht besiegen konnte. Erst in diesem Augenblick wird ihm klar, wie groß seine Furcht war, dass nach der Behandlung nicht mehr als eine leere Hülle von ihr bleiben würde.
Zwischen seine freudigen Gedanken mischen sich viel zu schnell die ersten Unangenehmen. Er trägt denselben Anzug wie letzte Nacht, dem der schwere Geruch von Titanias Parfüm anhaftet. Auf einmal kommt er sich unrein vor. Überzogen mit den Berührungen einer Fremden, wie ein dreckiges Hemd, das auch nach dem hundertsten Waschgang nicht mehr sauber wird. Und all das mutet er Annie zu.
Er traut sich kaum, seine Umarmung zu lösen, aber schließlich gewinnt das juckende Gefühl auf seiner Haut die Oberhand. Behutsam löst er seine Hände von Annies Rücken und tritt einen Schritt zurück.
Fragend sieht sie ihn an.
„Es ist nur – der Anzug. Ich –." Unglücklich zieht er eine Grimasse. Aber sie schafft es, wie immer, ihn zu überraschen.
„Geh ruhig duschen. Ich habe nicht vor, zu verschwinden." Irgendwo aus der tiefsten Reserve ihrer Kraft holt sie ein schwaches Lächeln auf ihr Gesicht, aber ihre Lippen zittern dabei und es fällt rasch in sich zusammen.
Es bedeutet Finnick mehr, als er je in Worte fassen könnte. „Danke", bringt er nur hervor und küsst sie noch einmal, fast schon verlegen.
Sie nickt wissend und sieht dabei beinahe so weise aus wie Mags, gezeichnet von den Spuren eines Lebens, das sie lange vor ihrer Zeit hat reifen lassen.
Er versucht, sich bei der Dusche zu beeilen, doch es dauert eine Weile, bis er den Juckreiz fortgewaschen hat. Zurück im Wohnzimmer ist die Sonne bereits am Aufgehen und zu seinem Leidwesen wachen die übrigen Bewohner des Apartments auf. Und nicht nur das, auch die Arena ist wieder zu Leben erwacht.
Annie sitzt auf dem Sofa, die Knie ans Kinn gezogen und fest die Arme um ihre Beine geschlungen, während auf dem Fernseher Katniss durch den Wald rennt – der lichterloh in Flammen steht.
Anscheinend ist es den Spielmachern nach einem weiteren Tag ohne Tote doch zu langweilig, selbst wenn Seneca Cranes gestrige Ankündigung Wellen geschlagen hat.
Finnicks Herz beschleunigt erneut seinen Takt, dieses Mal allerdings nicht vor Freude. Das Flammenmädchen, umgeben von einem Flammenmeer. Das Kapitol liebt seine pathetische Ironie.
Unsicher sieht er zu Annie herüber. Sie schenkt ihm einen gequälten Blick. „Die Spielmacher haben sie im Schlaf überrascht", sagt sie mit einer Handbewegung in Richtung Katniss. „Sie ... machen Jagd auf sie."
Zischend rast ein Feuerball auf die angesengte Gestalt der Tributin zu und sie wirft sich im letzten Moment zu Boden.
»Ich kann einfach nicht wegsehen«, flüstert Annie mit ihrer neuen zerbrochenen Stimme, die Finnick einen Schauer über den Rücken jagt.
»Aber du darfst«, erwidert er leise und tritt an ihre Seite, schützend eine Hand auf ihrer Schulter. Suchend tasten ihre kühlen Finger danach und umschließen sie.
Gemeinsam betrachten sie stumm Katniss Kampf ums Überleben. Sie ist indes nicht die Einzige, die von den Flammen überrascht wurde.
Die Kamera wechselt die Perspektive und nun sind es die Karrieros, die gezeigt werden. Unter seinen Fingern spürt Finnick, wie Annies Muskeln sich spannen.
Mit gezückten Waffen laufen die Tribute durch den dichten Wald, auf der Suche nach ihren nächsten Opfern. Noch sehen sie den Brand nicht. Als die ersten panisch davonspringenden Eichhörnchen ihren Weg kreuzen, ist es zu spät.
Mitfühlend stöhnt Annie bei dem Anblick von Cordelias grimmigen Gesicht auf.
Tatenlos müssen sie zusehen, wie die Karrieros einander verwundert anschauen. Da lassen die Spielmacher auch schon die ersten Flammen durch die Büsche züngeln. Das trockene Laub auf dem Boden um sie herum entflammt rasend schnell. Keuchend fliehen die Tribute vor der Feuerzunge, die ihnen aus dem Wald entgegenschlägt. Sie sind geradewegs in die Falle getappt.
Auf einer kleinen Karte werden ihre gegenwärtigen Positionen eingeblendet. Natürlich ist nichts in den Spielen ein Zufall und so erstaunt es Finnick wenig, dass sie in Richtung Katniss fliehen. Nach dem gestrigen Streit zwischen Peeta und Cato wollen die Spielmacher es offenbar wissen. Womöglich haben sie sogar Kenntnis von dem Bündnis mit Haymitch und arbeiten darauf hin, ihnen den Moment zu nehmen.
Amber kommt aus der Küche dazu, ein Stück Brötchen und ihr Tablet in der Hand.
„Wir sollten in die Zentrale gehen", sagt sie ohne Begrüßung.
„Ja." Finnick richtet sich auf und sieht hinunter zu Annie. Ihr Gesicht ist weiß, aber auch sie nickt mit zaghafter Entschlossenheit.
„Ich komme mit." Der Ausdruck in ihren Augen duldet keinen Widerspruch.
»Aber du kannst jederzeit gehen, in Ordnung?«
Annie versucht es mit einem zuversichtlichen Lächeln. »Okay.«
Sie folgen Amber in Richtung der Zentrale und wie von alleine finden ihre Hände wieder zueinander. Amber bemerkt es, sagt aber nichts.
Umgeben von Cordelias Vitaldaten, unzähligen verschiedenen Kameraperspektiven der Feuersbrunst und der hektisch blinkenden Karte der Arena nehmen sie ihre Plätze an dem Glastisch ein.
Annies Hand lässt Finnick dennoch nicht los. Ihr Atem geht schnell und ihre Finger sind schweißnass, trotzdem hält sie das Kinn hochgereckt und sieht nicht weg.
Floogs und Trexler kommen ebenfalls angestürzt, herbeigerufen von dem Alarm aus ihren Mentorentablets.
Routine ergreift Finnick, während sie sich einen Überblick der Situation verschaffen. Die Flammen bilden einen großen Ring mitten im Herz des Waldes. In ihm eingeschlossen sind die Karrieros, Katniss – und die kleine Tributin aus Distrikt elf, wie er beunruhigt feststellt.
Er ruft ihre Perspektive auf und sieht sie geschwind von Ast zu Ast springen, flink wie ein kleiner Vogel und genauso unsichtbar in den hohen Baumwipfeln. Aber um sie kann er sich jetzt keine Gedanken machen.
„Sie treiben die Tribute vermutlich in Richtung der Lichtung hier", sagt Floogs und tippt auf eine freie Stelle an der Karte, „die würde sich perfekt für einen Showdown eignen." Etwas unglücklich dreinsehend kratzt er sich am Kinn. „Die Frage ist – wollen wir das? Den Showdown, wie ihn sich die Spielmacher vorstellen?"
Grummelnd schüttelt Trexler den Kopf. „Nich' so, wenn's sich vermeiden lässt. Wir könnt'n Peeta noch gebrauch'n. Sollten das nich' auf's Spiel setzen."
Amber pflichtet ihm bei. „Wir sollten es rauszögern, solange wie es geht. Ich hab wenig Lust auf die Liebesschnulze, aber wenn Cordelia später mit Distrikt zwölf abhaut, kann es auch sie am Leben halten. Die Frage ist nur – was können wir tun?"
Finnick seufzt. „Vielleicht nichts, jetzt, wo sie um ihr Leben rennen. Aber das Feuer wird nicht ewig brennen. Vielleicht können wir sie im richtigen Augenblick mit einem Sponsorengeschenk ablenken, sodass sie die Verfolgung aufgeben – oder Katniss die Chance zur Flucht hat."
Er sieht auf, als Annie aufgeregt nach Luft schnappt. „Ein Bündnis mit Zwölf? Wirklich?" Mit großen Augen schaut sie in die Runde.
Erst jetzt wird ihm bewusst, dass sie die Entwicklungen der letzten Tage nicht mitbekommen hat. Entschuldigend nickt er. „Ja, es ist eine lange Geschichte, aber Haymitch und ich haben da einen Notfallplan, wie unsere Tribute das Karriero-Bündnis verlassen könnten. Weil Cato Edy ...", zögerlich bricht er ab. Die Erinnerung an Annie, zusammengesunken in den Armen der Friedenswächter, drängt sich ihm auf.
Doch sie schreit nicht. Konzentriert blickt sie auf das Tablet vor sich und nickt langsam. „Ja, Cordelia kann nicht bei den Karrieros bleiben. Wenn sie bleibt, verrät sie sich selbst. Dann passiert wieder das, was mit dem Jungen aus Distrikt fünf geschehen ist." Ihr Blick gleitet in die Ferne und darüber hinaus in ihre eigene Welt. Gedankenverloren spielt sie mit einer langen Strähne ihres Haars.
Alle anderen am Tisch schweigen. Offensichtlich weiß Annie, was in der Arena vorgefallen ist. Hat das Kapitol sie die Spiele sehen lassen? Unruhe packt Finnick bei dem Gedanken daran. Aber jetzt ist nicht der Zeitpunkt, darüber nachzudenken. Er drückt ihre Hand in einer Geste unausgesprochener Unterstützung.
„Könnte das die Chance für Cordelia sein, das Bündnis zu verlassen? Ich meine, falls ... falls die Karrieros verletzt werden ...", Annie beißt sich verlegen auf die Unterlippe, da alle Blicke auf ihr kleben, „naja, dann könnte sie ... mit Peeta flüchten. Vielleicht?"
In dem folgenden Schweigen kriecht ihr Röte in die Wangen. „Entschuldigt", murmelt sie. „Ich wollte nicht ... ich will bloß, dass sie überlebt." Ihr Blick fällt auf die gläserne Tischplatte, auf die sie in einem beständigen Rhythmus mit den Fingerspitzen tappt. Tipp-Tapp, Tipp-Tapp.
Doch Floogs Gesicht hellt sich auf. „Entschuldige dich nicht, Annie, du hast recht. Wenn wir es geschickt drehen, dann können wir das Bündnis beenden, ein für alle mal. Immerhin gibt es nichts, was die Karrieros uns länger bieten können. Haymitch hat den Charme der Außenseiter für sich und jeder will Teil ihrer Geschichte sein. Dort fließen genauso viele Sponsorengelder wie bei den Karrieros. Wenn nicht bald sogar mehr."
„Das Problem ist nur", meldet sich Amber zu Wort, „Cordelia weiß noch nichts von ihrem Glück. Haymitch hat gestern Abend Peeta einen Hinweis schicken können, aber wir hatten noch keine Chance, dasselbe für Cordelia zu tun. Und wie könnten wir das in diesem Chaos noch tun?" Sie verschränkt ihre breiten Arme vor der Brust, als ein unheilvolles Zischen alle Mentoren herumfahren lässt.
Ein Feuerball, von der Größe einer geballten Faust, rast bedrohlich knapp über die Köpfe der rennenden Karrieros hinweg und explodiert in einem Funkenregen an einem Baum. Krachend stürzt seine Baumkrone hinab. Die trockenen Äste fangen sofort Feuer. Fluchend stoppen die Tribute und sehen sich nach einem Ausweg um.
„Da drüben!", ruft Marvel und sie flüchten durch eine schmale Lücke in der Feuersbrunst, bevor ein neuer Feuerball den Rest des Waldbodens hinter ihnen in Flammen aufgehen lässt.
Herabfallende Äste hinterlassen Kratzer und blutige Striemen in ihren Gesichtern. Glühende Funken brennen sich durch ihre Kleidung. Mehr als einmal verfangen sich dornige Ranken an Schuhen und Hose. Wertvolle Sekunden vergehen, bis sie sich befreien können, und mit jedem Mal nähern sich die Detonationen der Feuerbälle.
Zum ersten Mal bekommen die Karrieros die volle Wucht der Arena zu spüren. Ihr Leben liegt nicht mehr in ihrer Hand. Einzig ihr Überlebensdrang lässt sie weiterrennen, ohne ihrem Schmerzen Raum zu geben. Cordelias Puls auf den Überwachungsbildschirmen rast im Gleichtakt mit Finnicks eigenem.
Wie ein einziges Wesen stöhnen die Mentoren auf, als ein brennender Ast Cordelias Jackenärmel aufreißt. Verbrannte Haut ist zu sehen. Der Geruch von angesengtem Fleisch dringt Finnick aus dem Nichts in die Nase, eine ferne Erinnerung an seine Hungerspiele. Er drückt Annies Hand noch fester, falls das möglich ist, und sie umklammert ihn ebenfalls.
Katniss ergeht es nicht besser. Blind rast sie durch den Wald. Funken versengen Jacke und Haare, jeder Einschlag näher als der vorherige. Schwer atmend bricht sie schließlich zusammen. Einen Moment gönnen ihr die Spielmacher Ruhe. Fast glaubt Finnick, dass sie es geschafft hat, obwohl er es besser wissen müsste.
Dann – ein Zischen. Der nächste Feuerball erwischt Katniss Unterschenkel und hinterlässt eine tiefrote Wunde. Mit schmerzverzerrtem Gesicht läuft sie weiter. Lange wird sie das Tempo nicht durchhalten können.
Das scheinen auch die Spielmacher zu begreifen, denn sie schicken zumindest keine neuen Feuerbälle in Richtung der Tribute. Der Wald jedoch brennt immer noch lichterloh und entwickelt sich zur Todesfalle.
Hände und T-Shirts vor Nase und Mund gepresst stolpern die Karrieros durch den verrauchten Wald. Die Schwaden hängen tief zwischen den Bäumen und rauben ihnen die Sicht. Mit kratzigen Stimmen rufen sie einander, um sich nicht zu verlieren. Ihre Waffen behalten sie trotzdem in den Händen, jederzeit bereit.
Ihre Kontrahentin hat mehr Glück, sie findet einen Weg hinaus aus dem Rauch und stolpert geradewegs in ihre Rettung, einen kleinen Teich, hinein. Die Augen geschlossen bricht Katniss stöhnend im Wasser zusammen und rollt sich auf den Rücken.
Ihr Leichtsinn lässt Finnick ärgerlich mit der Zunge schnalzen. Jeden Moment könnten die Karrieros über sie stolpern, doch das scheint sie nicht zu kümmern. Vielleicht denkt sie nicht daran. So oder so kann es sie das Leben kosten. Für den Augenblick muss er sich vorerst abwenden, denn Cordelia verlangt seine Aufmerksamkeit.
Glimmer hat einen verirrten Sonnenstrahl ausgemacht und mit tränenden Augen laufen die Karrieros ihm nach, fort von dem Brandherd. Sie landen auf einer vom Feuer unberührten Lichtung.
Nervös schaut Finnick auf die Karte. Nur etwas mehr als ein Kilometer trennt sie von Katniss Position. Sie sind genau dort, wo die Spielmacher sie haben wollen.
Zunächst sind sie indessen mit sich selbst beschäftigt. Cato reißt sich den prall gefüllten Rucksack vom Rücken und gräbt seine Wasserflasche aus. Ein Seufzer, zur Hälfte Schmerz, zur anderen Hälfte Erleichterung, entrinnt seiner Kehle, sobald er mit dem Wasser Augen und Mund auswäscht.
Die übrigen Karrieros tun es ihm gleich. In der Arena herrscht gespenstische Stille. Die Tiere sind fast alle vom Waldbrand vertrieben worden und nicht ein einziger Vogel singt, während die Tribute schwer atmend im Gras liegen.
Lediglich die schmale Tributin aus Distrikt elf sitzt unbemerkt im hohen Geäst und späht mit großen Augen hinab auf ihre Feinde. Ein kleines Lächeln in die Kameras und sie hüpft geräuschlos weiter. Entgegen Finnicks Befürchtungen hat das Feuer ihr nichts anhaben können. Rue. Er beschließt, sich endlich ihren Namen einzuprägen, sie hat es verdient.
Amber trommelt mit den Fingern auf den Glastisch, wie Annie. „Sieht aus, als wär's das mit dem Feuer. Also, was jetzt?" Sie schaut in die Runde.
„Wir warten", entgegnet Finnick entschlossen. „Lass Cashmere ihr wertvolles Sponsorengeld ausgeben, du weißt, es brennt ihr unter den Nägeln. Cato und seine Freunde werden sich darauf stürzen, sobald das erste Geschenk ankommt. Und dann, wenn sie auspacken –"
„ – Kommt unser Geschenk direkt zu Cordelia, sodass keiner von ihnen mitbekommt, was wir ihr schicken", greift Amber seinen Gedanken auf. Sie grinst. „Oh ja, das ist ein Plan. Also, was schicken wir ihr?"
Mit einem Räuspern meldet Floogs sich zu Wort. „Antiseptische Salbe. Cashmere wird sicherlich zur Brandsalbe greifen, aber wenn die Wunde erst einmal versorgt ist, besteht immer noch die Gefahr einer Infektion. So haben wir einen Grund, Cordelia ein eigenes Geschenk zu schicken, können die Botschaft unterbringen – und helfen ihr."
„Irgendwelche Einwände?", fragt Amber. „Nein, gut. Dann bereite ich den Abwurf vor. Hoffentlich fressen die Kosten nicht all unsere Reserven auf."
Für alle sichtbar ruft sie die Informationen zu ihren Geldern und den verfügbaren Sponsorengeschenken auf. Die Salbe kostet ein kleines Vermögen, aber zumindest weniger als die Brandsalbe. Und sie haben nicht zu viel gehofft – ein silbriger Schirm geht bereits in der Arena nieder, bevor Amber überhaupt ihre Bestellung tätigen kann.
Cato schnappt ihn direkt aus der Luft. Grinsend schwenkt er das Geschenk über seinem Kopf, damit alle Kameras es einfangen können. „Dann wollen wir mal sehen, was wir unseren Fans wert sind", verkündet er.
Glimmer springt auf, so schnell ihre Blessuren es erlauben. „Oh, lass mich sehen", quiekt sie freudig. „Ich hoffe, es ist was gegen den Rauch im Hals. Mir ist ganz übel."
Auch die anderen scharen sich um Cato – gerade rechtzeitig für die Ankunft eines zweiten Fallschirms.
„Sieht aus, als wäre Cash in Gönnerstimmung", kommentiert Amber, den Finger über dem Tablet schwebend, in Erwartung des richtigen Augenblicks.
Selbst Cordelia schließt sich ihren Verbündeten an, die gierig die Dosen aufreißen und Salbe sowie einige Tabletten gegen die Rauchvergiftung erbeuten. Stumm hält sie sich ein paar Schritte im Hintergrund und wartet darauf, das Medikament gereicht zu bekommen. Erst ist allerdings Cato an der Reihe, der sich großzügig die grüne Paste auf jede noch so kleine Blase schmiert, bis Glimmer ihn genervt anrempelt, um selber dranzukommen.
„Besser wird's nich' mehr", stellt Trexler nüchtern fest.
Amber schickt die Bestellung ab. Keine Minute später erscheint ihr silbriges Schirmchen in der Arena. Einen Moment lang sieht es so aus, als wolle Cordelia ihr Geschenk nicht ergreifen, doch sobald sie bemerkt, dass es nicht auf Cato zusteuert, streckt sie die Arme danach aus. Die anderen bemerken die Ankunft, geben sich aber damit zufrieden, dass sie kurz murmelt „Salbe gegen Entzündungen" und fahren fort, sich einzureiben.
Cordelias Miene ist ausdruckslos, während sie den kleinen Zettel mit Ambers Botschaft liest. Sie starrt kurz auf die Dose, dann knüllt sie kurzerhand den Papierstreifen und schiebt ihn tief in ihre Hosentasche.
„Gib mir auch mal die Salbe, Marvel", fordert sie und wirft ihm im Gegenzug ihr Sponsorengeschenk zu. Ihr Blick flackert kurz zu Peeta hinüber, aber sie lässt sich nichts anmerken. „Die Scheiße tut nämlich wirklich weh."
Neben Finnick stößt Annie einen Laut der Erleichterung aus. „Ich brauch eine kleine Pause", flüstert sie mit glasigen Augen. Steifen Schrittes geht sie zu dem Balkon, der an die Mentorenzentrale angeschlossen ist.
Rasch folgt Finnick ihr.
Fürs Erste ist die Gefahr gebannt und Cordelia in Sicherheit. Seine Angst um ihre Tributin wechselt sich fließend mit der um Annies Zustand ab. Er muss wissen, was das Kapitol ihr angetan hat, und fürchtet sich doch vor der Antwort, wie sonst nicht einmal vor dem Tod.
Endlich sind die Beiden wiedervereint! Ich hoffe das Wiedersehen ist so, wie ihr es euch erhofft habt :D
Das nächste Drama wirft allerdings seinen Schatten voraus ... aber sonst wären es auch nicht die Hungerspiele.
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