20 | Flammen in der Dunkelheit - Part II
Eilig kehre ich anschließend zu den anderen Mentoren zurück. Finnick schenkt mir ein anerkennendes Nicken. Anscheinend habe ich meine Sache gut gemacht. Erleichtert atme ich auf. Zum ersten Mal an diesem Tag fühle ich mich danach, einen Happen zu essen.
Köstliche Törtchen füllen meinen Magen, während wir darauf warten, dass die Parade endlich beginnt. Im Fernsehen können wir die Interviews der übrigen Mentoren verfolgen, darunter, wie könnte es anders sein, Haymitch Abernathy. Das gesamte Interview über klammert er sich an dasselbe Glas pinker Flüssigkeit, das er schon vorhin in der Hand hatte.
Er trinkt nicht einen Schluck, aber trotzdem scheint er nicht ganz Herr seiner Sinne zu sein. Immer wieder gleitet sein Blick abwesend in die Ferne und Caesar muss seine Fragen wiederholen. Von Seiten der Mentoren aus Distrikt zwei und eins erklingt höhnisches Gelächter. Sie nehmen ihn auf jeden Fall nicht ernst.
Bald darauf ist die Zeit gekommen, unsere Tribute bei den Streitwagen wieder zu treffen. Mit dem Fahrstuhl fahren wir hinunter ins Erdgeschoss, wo uns wildes Gewusel empfängt. Nervöse Aufgeregtheit liegt über der ganzen Halle.
Wohin ich auch schaue sehe ich bunt gekleidete Personen, unfähig zu unterscheiden, wer zum Kapitol gehört und wer Tribut ist. Überall gibt es Farbkombinationen zu bestaunen, die mir in den Augen wehtun. Selbst einige Sieger sind so exzentrisch gekleidet, dass sie in der Menge untergehen.
An Finnicks Seite schiebe ich mich durch das Gedrängel. Im Vorbeigehen schnappt er sich eine Hand voll Zuckerwürfel, die eigentlich für die Pferde bereit stehen. Auf meinen fragenden Blick hin wirft er mir einen zu.
„Den Pferden geht es gut genug, aber wir haben uns ein bisschen Luxus verdient. Und es beruhigt die Nerven."
Ich stecke mir den Würfel in den Mund und spüre, wie sich Süße auf meiner Zunge ausbreitet.
Unsere beiden Tribute sind schon auf ihrem Wagen, gehören sie doch zu den ersten, die hinaus auf den Korso fahren werden. Ihre Kleider sind himmelblau und mit silbrigem Glitzer bestäubt. Cordelia ist stark geschminkt, was zu dem aufreizenden Schnitt ihres Kleides passt, das ihre Kurven umschmeichelt.
Roan ist mal wieder in seinem Element. Der Blickfang ist allerdings die gewaltige Krone auf ihrem Haupt. Muscheln, Korallen und allerlei billiger Plastikkram sind zu einem kolossalen Turm verklebt, der scheinbar durch pure Magie auf ihrem Kopf hält. Auch Edy ist nicht unversehrt geblieben, wenn auch seine Krone spürbar kleiner ist. Sobald ich sie sehe, muss ich an die elf Kondolenzkarten in meiner Tasche denken. Es fühlt sich an wie Verrat, bereits an ihren Tod denken zu müssen.
Unsere Blicke treffen sich und Edys rundliches Jungengesicht hellt sich auf. Er winkt uns freudig zu.
„Und, wie geht es euch?", fragt Floogs, als wir sie erreichen. „Zufrieden mit euren Paradenkostümen?"
Roan, der gerade Cordelias Kleid richtet, grummelt etwas Unkenntliches. Cordelia schneidet nur eine kleine Grimasse, wohl, um ihm gegenüber nicht zugeben zu müssen, was sie über ihr Outfit denkt, aber glücklich scheint sie nicht zu sein.
Auf jeden Fall gab es schon bessere Outfits. Ich gebe es nicht gerne zu, aber mein eigenes Paradeoutfit damals war definitiv vorteilhafter.
Edy dagegen grinst breit, als er erwidert: „Ich hatte schon Schlechteres an. Immerhin hab ich jetzt schon mal eine Krone, vielleicht überzeugt das ja manchen Sponsor, dass es auch für die Siegeskrone reicht."
Das bringt mich zum Lächeln. Sein Optimismus ist ansteckend, obwohl ich weiß, dass es nicht lange währen wird. Schon gestern im Zug fiel es ihm schwer, die Ernte seiner Gegner gelassen anzusehen und nun gleiten seine Blicke wiederholt zu den muskulösen Karrieretributen. Den Funken Furcht in seinem Inneren kann er nicht vollständig verbergen. Er ist nicht wirklich freiwillig hier. Immerhin lässt er den Kopf nicht hängen, so wie einige seiner Konkurrenten.
Aus Richtung der Distrikte eins und zwei werden längst bedrohliche Blicke in alle Richtungen verteilt, doch Cordelia und Edy werden eher mit Interesse gemustert.
„Sieht so aus, als wenn die anderen Karrieros ein Auge auf euch geworfen haben", bemerkt Amber. „Vermutlich solltet ihr euch im Training schon mal mit ihnen bekannt machen."
„Oh, ich habe mein Auge auch auf sie geworfen", gibt Cordelia frei heraus zu und winkt dem riesigen Jungen aus Distrikt zwei kühn zu. Der Tribut aus Distrikt zwei nickt uns knapp zu. „Ich weiß, wie wichtig Verbündete sind."
Edy hingegen wendet den Blick ab und blickt unglücklich zu Boden.
„Na schön ihr zwei, dann seid ihr ja jetzt vorbereitet auf euren großen Auftritt, nicht wahr?" fragt Floogs. Beide nicken. „Das Wichtigste ist, dass ihr gute Laune da draußen verbreitet, das lieben die Zuschauer. Strahlt als wärt ihr die Sonne. Dann werden sie euch nicht vergessen." Wie auf Kommando wirft Cordelia sich in Pose. Niemand muss ihr sagen, dass sie mit ihren weiblichen Reizen spielen sollte, sie tut es bereits ganz von alleine.
„Noch dreißig Sekunden!" tönt eine Ansage durch die Halle.
Hastig werden letzte Korrekturen vorgenommen und Pferde scharren unruhig mit den Hufen. Plötzlich fällt mir noch etwas ein. Ohne nachzudenken platzt es aus mir heraus: „Schaut ob ihr eine Blume oder so auffangen könnt! Das lieben die Zuschauer, wenn die Tribute ein Geschenk fangen können." Überrascht schaut mein eigenes Team mich an. Bisher habe ich kaum etwas zu unseren Tributen gesagt, auch gestern Abend im Zug nicht. Aber jetzt erscheint es mir wichtig, ihnen diesen kleinen Tipp aus meiner eigenen Erfahrung mitzugeben.
Dankbar lächelt Edy mir zu. „Ich werds versuchen!"
In diesem Moment setzt sich der erste Wagen in Bewegung. Die großen Rolltore gleiten auf, um den Blick auf den prächtig geschmückten Korso freizugeben. Eine Welle des Jubels strömt herein und schickt einen überwältigenden Schauer durch meinen Körper. Es ist genauso atemberaubend wie damals, als ich auf dem Streitwagen stand. Wir alle wünschen unseren Tributen viel Glück, sobald auch ihr Wagen sich in Bewegung setzt. In meinem Hals bildet sich ein Kloß, während ich sehe, wie sie in die Nacht entschwinden. Stumm beobachte ich die Tribute, die ihnen folgen, bis zuletzt Distrikt zwölf an mir vorbeizieht.
Mein Atem stockt, als ich sie erblicke. Kohlestaub und Elend sind fortgewischt. Stattdessen steht dort auf dem Streitwagen eine Kriegerin in schimmernder Rüstung. Sofort wird mir klar, dass Distrikt zwölf nie so ausgesehen hat. Grimmig blickt sie nach vorne, nicht einen Blick an uns verschwendend. Und noch etwas ist anders – ihre Hand hält die des Jungen.
Er sieht weniger wie ein Krieger aus, doch ihre Stärke färbt auf ihn ab. Vielleicht gerade, weil sie Hände halten, überlege ich.
Wie von alleine folge ich dem Wagen einige Schritte in Richtung Ausgang. Während sonst oft die Kostüme die Tribute tragen, ist es bei ihnen umgekehrt. Sie überschatten alles, was ihr Designer ihnen angezogen hat. Mich beschleicht die Vermutung, dass er das beabsichtigt hat.
Kurz vor den Toren halte ich inne, während ihr Wagen weiter fährt. Dunkelheit verschluckt sie, nur um im nächsten Moment von einer hellen Flamme zurückgedrängt zu werden.
Erschrocken weiche ich einen Schritt zurück, als Funken um mich her zu Boden gehen. Feuer umhüllt die Tribute aus Distrikt zwölf. Wild zucken orange Zungen über ihre Körper. Die Flammen sind stumm, brennen nur zur Show. Ihr Wagen gewinnt an Fahrt, einen Schweif aus Funken hinter sich zurücklassend. Erstarrt blicke ich ihnen nach. Ihre hoch erhobenen, verbundenen Hände umhüllt vom Feuerschein sind das Letzte was ich sehe, ehe sich die Tore des Vorbereitungscenters vor mir schließen. Vor meinen Augen scheinen die Flammen allerdings immer noch zu tanzen.
„Wow", flüstere ich leise.
Gerade will ich mich abwenden, da sehe ich Haymitch Abernathy neben mir stehen. Ausnahmsweise hält er keinen Drink in den Händen. Seine schmutzig blonden Haare fallen ihm vor die Augen, sodass ich seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen kann.
„Die Kleine ist wirklich ne Erscheinung", brummt er.
Höflich nicke ich ihm zu, ohne zu wissen, ob er mich hinter seinem Vorhang aus Haaren überhaupt sehen kann. Unsere letzte Begegnung auf der Siegestour ist mir auch jetzt noch unangenehm. Trotzdem lasse ich mich dazu hinreißen meinen Eindruck seiner Tribute mit ihm zu teilen. „Sie überstrahlen alles heute Abend. Ich weiß nicht viel über die Spiele, aber selbst ich kann erkennen, dass du zwei außergewöhnliche Tribute hast dieses Jahr."
Lässig schüttelt er die Haare aus seinem Gesicht und mustert mich prüfend. „Muss wohl so sein, wenn alle das Gefühl haben, es mir andauernd sagen zu müssen. Als hätte ich keine Augen im Kopf." In seinen sturmgrauen Augen sehe ich tiefliegenden Schmerz, uralt und doch frisch. Ich kann mir nur vorstellen, wie viele Geister ihn seit den 50. Spielen begleiten. „Ich sehe sie und ich sehe auch die Tribute aus Eins, aus Zwei und ja ... auch aus Vier." Sein Blick durchbohrt mich geradewegs.
Fest klammere ich mich an das Tablet in meinen Händen. „Ich weiß, wir sollten Feinde sein-"
„Nein, wir sollten nicht", unterbricht er mich, „wir sind Feinde."
„Und trotzdem denke ich, dass sie eine Chance verdient haben", sage ich leise, fürchte ich mich doch davor Cordelia und Edy zu verraten. Irgendwas in mir hat der Auftritt dieser anderen Tribute bewegt, nur kann ich es nicht in Worte fassen. Alles was ich weiß, ist, dass Haymitch ihnen helfen muss, sonst haben sie keine Chance.
Finnick und Amber, die offensichtlich schon auf mich gewartet haben, kommen zu uns herüber. Krachend beißt Finnick auf einen Zuckerwürfel. Grinsend wirft er einen weiteren Würfel in Haymitchs Richtung, der ihn erstaunlich geschickt aus der Luft greift. Mit einem Achselzucken wirft er sich den Würfel in den Mund, verzieht aber das Gesicht.
„Ich werde nie verstehen, was du an diesem Süßkram findest."
Darüber lacht Finnick nur und schiebt sich noch einen zweiten Zuckerwürfel hinterher. „Jeder hat so seine ungesunden Laster, Haymitch." Er wirft ihm einen vielsagenden Blick zu. „Sieht ganz so aus, als wenn Distrikt zwölf bei der Wagenparade dieses Jahr den Vogel abgeschossen hat", fährt er fort, „denn die da drüben können sich gar nicht einkriegen", er deutet hinter sich, wo der Rest von Mentoren und Stylisten tuschelnd im Kreis steht, die Blicke auf einen einsamen Monitor gerichtet auf dem wir die Parade verfolgen können. Sie zeigen fast ausschließlich die in Feuerschein gebadeten Tribute aus Zwölf. Erneut überkommt Gänsehaut mich.
Haymitch schnauft angestrengt. „Da hab ich mir was eingefangen ..."
„Ja, und Annie hat Recht", sagt Amber eindringlich, „dein Stylist hat dafür gesorgt, dass ihr Auftritt unvergesslich ist, aber danach ist es an dir, sie durch die Arena zu bringen. Zumindest dein Mädchen ist eine Kämpferin. Aus ihr könntest du was machen. Lass sie nicht hängen. Das hat sie nicht verdient." Bei ihren Worten werde ich rot. Eigentlich wollte ich nicht, dass sie hören wie ich unsere Schützlinge hintergehe.
„Solltet ihr nicht lieber an eure eigenen Tribute denken?", grummelt Haymitch verstimmt.
„Keine Sorge, wir werden alles geben für unsere Tribute", erwidert Finnick. „Aber man weiß ja nie, ob das Glück einem gewogen ist ..."
„Wenn es nicht mit unseren Tributen ist, dann sollen es wenigstens würdige Gewinner sein", setzt Amber bedeutungsvoll hinzu. „Auf die brutalen Karrieros aus Eins oder Zwei können wir alle verzichten."
Haymitch seufzt nur. Ich spüre, dass sie recht haben und doch fühle ich mich, als würde ich unseren Tributen eigenhändig ein Messer ins Herz rammen. Sollte es uns nicht egal sein, was aus Haymitchs Tributen wird? Nein, höre ich eine leise Stimme in meinem Inneren, denn das haben die Beiden nicht verdient.
Unsere Unterhaltung wird von einer aufgescheuchten Cece unterbrochen, die uns unter wüsten Schimpftiraden in einen Wagen hetzt, der zum Trainingscenter fährt.
Während der Fahrt schauen wir uns die Parade auf den Tablets an. Wieder scheint die Kamera an den Tributen aus Distrikt Zwölf zu kleben. Katniss Everdeen und Peeta Mellark, informiert das Tablet mich. Beide sechzehn Jahre alt. Immerhin bekommen unsere Tribute ebenfalls etwas Aufmerksamkeit von den Moderatoren – wegen ihrer grotesken Kronen. Besser als nichts.
Ehe ich mich versehe, sind wir im Trainingscenter angekommen und die Streitwagen kommen unter lautem Klappern herein gerollt.
Für kurze Zeit erhasche ich einen Blick auf die nicht mehr brennenden Zwölfer, dann scheucht Haymitch seine Schützlinge in Richtung der Fahrstühle. Alle Blicke folgen ihnen.
Trotz dessen bin ich bemüht, unseren eigenen Tributen ein fröhliches Lächeln zu zeigen, sobald sie von ihrem Wagen steigen. Wir loben ihren Auftritt, machen ihnen Mut, dass es schon einige Interessenten für sie gibt. Das ist nicht einmal gelogen, die ersten Sponsorenanfragen sind bereits auf den Tablets eingetrudelt. Ihr Auftritt hat damit wenig zu tun, denn es sind die üblichen Verdächtigen, wie Amber mir versichert, die jedes Jahr für Distrikt vier spenden. Leute wie Titania Creed, die nur spenden weil sie einen Narren an Finnick gefressen haben. Mir soll es recht sein, so ist das Leben einfacher, als in armen Distrikten. Wie Distrikt zwölf. Aber nach diesem Auftritt ... wird sich bestimmt ein Sponsor finden lassen. Mein Herz wird schwer, während ich erahne, dass wir es schwer haben werden in diesem Jahr.
Der erste Auftritt von Katniss und Peeta verursacht mir jedes Mal Gänsehaut. Ich hoffe es ist mir gelungen diesen Moment würdig zu beschreiben.
Was ist euer Gänsehaut-Moment von den 74. Hungerspielen?
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