16 | Kristallblut - Part II
Das Erste, was mir auffällt, als wir in den prunkvollen Saal im Herzen der Präsidentenvilla geführt werden, sind die überdimensionalen Kronleuchter, die von der hohen Decke herab hängen. Unzählige Kristallsplitter brechen das Licht der Kerzen und tauchen die bunte Gästeschar in scharfkantiges Licht, gezackt wie Messer.
Ich spüre einen leichten Schauer meine Wirbelsäule entlang laufen. Die Lichter sehen aus, als wären sie bereit einen aufzuspießen. Nur mit Mühe kann ich meinen Blick lösen. Das nächste was meinen Blick einfängt, sind die Berge an Essen, die sich auf langen Tafeln vor uns auftürmen.
Ein Überfluss an erlesensten Speisen, die man so nur im Kapitol serviert bekommt. Doch das Essen hat längst seinen Charme verloren, nachdem wir zwölf Tage lang jeden Abend ein Festessen hatten. Am Anfang kam es mir noch wie der Himmel auf Erden vor, doch mittlerweile schmeckt alles gleich. Zu fettig, zu künstlich. Inzwischen sehne ich mich einfach nur nach einem Bissen frischen Fisches, doch alles was ich hier sehen kann sind Garnelen, die längst nicht mehr fangfrisch sind. Stattdessen sind sie in Öl eingelegt, um den Geschmack zu verschleiern. Das halten sie im Kapitol nur für eine Delikatesse, weil sie noch nie einen frischen Fisch hatten, immer nur Eingefrorenes, denke ich.
Den anderen Mentoren scheint es ähnlich zu gehen. Auch sie machen um die Garnelen einen großen Bogen. Nur Cece schlägt mit Wonne zu, sich offensichtlich nicht bewusst, dass wir anderen die Garnelen verschmähen.
Ich begnüge mich mit ein wenig Reis und Hühnchen, da ich sowieso keinen großen Appetit habe. Wir werden ohnehin immer wieder unterbrochen von begeisterten Leuten aus dem Kapitol, die unbedingt Riven vorgestellt werden wollen, oder einen Plausch mit den Mentoren halten wollen.
Mir kommt jetzt meine Rolle als „die Verrückte", wie sie mich nennen, zu pass, denn die meisten von ihnen ignorieren mich glatt, auch wenn mich hin und wieder neugierige Blicke streifen. Sie wollen lieber Finnick hofieren, der seine Rolle heute Abend mal wieder voll ausfüllt.
Ich kann ihn dabei beobachten wie er mit Leuten jeglichen Alters flirtet. In meinem Magen regt sich ein eigenartiges Gefühl und ich wende mich lieber ab. Es ist die eine Sache, daheim in Distrikt vier zu sein und nur zu ahnen, was jedes Mal im Kapitol passiert, doch eine andere jetzt hier zu stehen und es einfach ertragen zu müssen. Am liebsten würde ich es den ganzen bunten Kapitolvögeln gleich tun und aufs Klo stürmen, um mich zu übergeben. Nicht, weil ich etwa von dem klaren Abführmittel getrunken habe so wie sie, sondern um meinen Magen endlich zum Schweigen zu bringen.
Ich drücke einem vorbei eilenden Avox meinen halbvollen Teller in die Hand, da ich keinen Bissen mehr runter bringe. Stattdessen lasse ich lieber den Blick über die Menge schweifen. Man könnte sich glatt ein Spielchen daraus machen, die wildesten Kostüme in der Menge zu suchen. Ich habe wirklich vergessen wie verrückt es hier ist. Ob ich wohl auch Lust auf ein paar Tierohren hätte, wäre ich im Kapitol geboren? Gerade sinniere ich noch darüber nach, welches Tier zu mir passen würde, als eine rundliche Frau an mich herantritt.
Sie trägt ein überraschend schlichtes weinrotes Kleid, nur verziert mit einer goldenen Stickerei am Ausschnitt. Kleine Fische und Dreizacke. Nett. Ihr rabenschwarzes Haar ist zu einem schlichten Knoten geschlungen und außer einigen goldenen Strähnen und sehr stark aufgetragenem Eyeliner kann ich nichts ungewöhnliches an ihr entdecken.
„Sie sind Annie Cresta, nicht wahr?", fragt sie mich mit fröhlicher Stimme.
Überrascht starre ich sie an. Man hat mich also nicht vergessen. Ich nicke höflich.
„Freut mich!", sie streckt mir eine mit Ringen geschmückte Hand entgegen, „ich bin Titania Creed."
Ich schüttle ihre Hand und bin erstaunt, wie kräftig ihr Händedruck ist. Als ich nichts weiter sage fügt sie hinzu: „Erste Sekretärin der Innenministerin."
Unsicher, was ich mit dieser Information anfangen soll, nicke ich noch einmal und schenke ihr mein bestes Höflichkeitslächeln. Cece wäre stolz auf mich.
Mein Schweigen scheint die kleine Frau ohnehin nicht zu beirren, denn sie spricht einfach weiter.„Aber für Sie bin ich einfach Tita!" Sie lächelt mich verschwörerisch an, als wären wir beste Freundinnen.
„Dann können Sie mich Annie nennen", sage ich der Höflichkeit halber. Das scheint Titania zu entzücken, denn sie schenkt mir ein noch breiteres Lächeln.
„Ganz schön viel Trubel heute Abend, nicht wahr?" Sie wirft einen Blick in Richtung Riven, die zusammen mit Amber und Finnick von einer großen Traube Bewunderer umgeben ist. „Ich hatte noch gar keine Gelegenheit, eure entzückende Siegerin kennen zu lernen." Sie seufzt gespielt dramatisch, doch ihr Blick haftet sich jetzt an Finnick, der gerade irgendeiner Dame im zitronengelben Ballonkleid etwas zuflüstert. Täusche ich mich, oder gleitet ein düsterer Schatten über das Gesicht von Titania Creed?
„Aber von dir hört man ja auch Interessantes in letzter Zeit", wendet sie sich wieder an mich.
„Äh, so?", rutscht es mir steif heraus. Da scheint sie wohl die Erste zu sein, die mich interessant findet.
„Stimmen die Gerüchte und du trittst in die Fußstapfen von der alten Mags?"
Mir gefällt nicht wie sie das „alt" betont. Als wäre Mags eine alte Spielsache, die langweilig geworden ist und jetzt entsorgt werden soll. Aber für das Kapitol sind wir ja letztlich auch nichts anderes als Entertainment. Unbestimmt zucke ich mit den Schultern.
„Mags ist leider krank, also wer weiß ...", sage ich vage. Ich sehe keinen Anlass darin ihr mehr Informationen als nötig zu geben.
„Ja, ich habe es gehört, schrecklich, nicht wahr? Die Arme ist ja so etwas wie eine Legende, die erste weibliche Siegerin, da geht einem das schon zu Herzen."
„Hmm", murmle ich, nicht wirklich wissend was ich sagen soll. Als Mags ihren Schlaganfall hatte, hat das Kapitol sie jedenfalls ignoriert und keine helfenden Medikamente geschickt, obwohl sie das hätten tun können. Ich denke an die Wundersalbe die Glista mir gegeben hat.
Es sieht nicht so aus, als wären wir die Lieblingskinder des Kapitols. Aber das werde ich Titania sicherlich nicht erzählen. Deren Blick ist aber ohnehin schon wieder sehnsüchtig zu Finnick geschweift, der sich inzwischen nicht mehr mit der Zitronendame unterhält, sondern mit einigen älteren Männern in steifen Anzügen, die alle gleich aussehen. Obwohl ich die Spielmacher nur einmal, während der Vorbereitung auf meine Spiele, getroffen habe, erkenne ich sie sogleich wieder. Anscheinend hat sich bei ihnen nicht viel geändert, angefangen bei den uniformen Anzügen.
Meine Hände werden zittrig und ohne groß darüber nachzudenken, schnappe ich mir ein Glas bernsteinfarbener Flüssigkeit, das ein Avox auf einem Silbertablett durch die Menge trägt. Hauptsache meine Hände sind beschäftigt. Hoffentlich nur lasse ich das Glas nicht wieder fallen. Zum Glück ist Titanias Aufmerksamkeit noch auf Finnick fixiert und so bemerkt sie meine Unsicherheit nicht. Das Getränk muss irgendetwas alkoholisches sein, denn es brennt scharf in meiner Kehle, als ich einen winzigen Schluck nehme. Ich frage mich wie Haymitch Abernathy diesen Geschmack bloß aushält.
Titania schafft es jetzt endlich ihren Blick von Finnick zu lösen und sie winkt den Avox zu sich, um sich ebenfalls ein Glas zu nehmen. „Nun denn, auf die nächsten Hungerspiele mit dir als Mentorin", prostet sie mir zu.
„Danke", entgegne ich, als unsere Gläser mit einem leisen Klirren gegeneinander stoßen. Auch der zweite Schluck brennt in der Kehle. Nur mit Mühe unterdrücke ich ein Husten.
„Weißt du, ich habe eine kleine Vorliebe für Distrikt vier", sagt Titania mit einem Zwinkern und deutet überflüssigerweise auf ihre thematische Stickerei am Kleid, „also bin ich schon sehr gespannt auf die 74. Hungerspiele. Zwei aufeinanderfolgende Sieger, das wäre doch ein Traum! Ich glaube das hat es seit Ophelia und wie hieß er noch ... Brandon? Nicht mehr gegeben." Sie seufzt schwärmerisch. „Die beiden waren ein tolles Paar und so eine rührende Geschichte. Kaum zu glauben, dass sie beide schon tot sind."
Mein Höflichkeitslächeln verrutscht leicht. Distrikt vier hat in der 73-jährigen Geschichte der Hungerspiele bisher genau neun Sieger hervorgebracht und zwei davon sind bereits tot. Weder Ophelia noch Brandon habe ich je kennengelernt. Aber ihre Geschichte ist berühmt.
Gewinner der 23. und 24. Hungerspiele im Alter von 16 Jahren. Zwei ihrer drei Kinder starben bei den 50. Hungerspielen. Nur ihre jüngste Tochter hatte Glück, als sie im Alter von zwölf Jahren für die 52. Hungerspiele ausgelost wurde, meldete sich jemand freiwillig für sie. Was kein Schicksal war, denn Ophelia und Brandon waren diejenigen, welche die Trainingsakademie begründet und damit unseren zeitweisen Ruf als Karrieredistrikt zementiert haben. Ich beschreibe ihre Geschichte lieber als traurig, anstatt als rührend.
„Ach, da fällt mir ein, natürlich, Cashmere und Gloss, die beiden haben auch aufeinanderfolgende Spiele gewonnen. Wie konnte ich die nur vergessen!" Titania lacht laut und ich zucke zusammen. „Muss wohl sein, weil ich keinen Distrikt so ins Herz geschlossen habe wie vier." Sollte ich mich jetzt geehrt fühlen?
„Nun jedenfalls", sie legt eine Hand auf meinen Arm, „wenn mir gefällt was ich sehe, kann ich bestimmt die ein oder andere Unterstützung organisieren. Vielleicht ja auch etwas, was nicht auf dem Menü steht."
Ich muss mich zusammenreißen um ihr nicht meinen Arm zu entziehen, denn das wäre mit Sicherheit unhöflich. „Da werden wir bestimmt drauf zurück kommen", entgegne ich flach. Die Gewichtigkeit von Sponsoren muss sie mir nicht erst in Erinnerung rufen. Jemand anderes an meiner Stelle hätte Titania bestimmt geschickter umgarnen können, aber ich bin froh sie überhaupt noch nicht verschreckt zu haben. „Ich fühle mich geehrt", schiebe ich schnell hintendrein. Offenbar scheint das gereicht zu haben, denn sie zeigt mir ein neuerliches Grinsen.
„Alles für den schönsten Distrikt Panems."
Ich könnte schwören, dass ihr Blick schon wieder zu Finnick hinüber gleitet. Ein saurer Geschmack macht sich in meinem Mund breit. Da ich nur dieses eine Getränk habe, nehme ich noch einen Schluck, um den Geschmack zu vertreiben. Warm kribbelnd breitet sich der Alkohol in meinem Magen aus. Titania gelingt es unterdessen, Finnicks Aufmerksamkeit zu erregen. Zu meinem Übel kommt jetzt auf einmal der bunte Haufen rund um ihn herüber, auch die Spielmacher. Einzig Amber ist es gelungen sich aus dem Staub zu machen.
Mehr als einen kurzen Blick kann ich nicht mit Finnick tauschen, doch ich kann an dem Schatten in seinen Augen erkennen, dass dieses Fest ihn genauso anstrengt wie mich. Ich versuche mein Bestes, ihm ein aufmunterndes Lächeln zu schenken. Wenn wir diesen Tag durchgestanden haben können wir endlich wieder nach Hause und alles wird normal werden. Obwohl wir jeden Tag auf engem Raum beieinander waren, habe ich mich noch nie ferner von ihm gefühlt als jetzt. Schon schiebt sich Titania zwischen uns und eine beringte Hand landet auf Finnicks Schulter.
Neben mir steht jetzt ein beleibter Spielmacher, der sich eifrig Häppchen in den Mund schiebt, auch wenn alle anderen schon bei den Drinks angelangt sind. Als er meinen Blick bemerkt, schenkt er mir ein Lächeln von fetttriefenden Lippen. Es kostet mich einige Überwindung, zurück zu lächeln.
„Miss Cresta, ich muss sagen, ich hätte Sie fast nicht wiedererkannt heute Abend", bringt er zwischen zwei Bissen heraus. „Das letzte Mal, als ich Sie gesehen habe, war glaube ich auf Ihrer Siegertour, als Sie etwas neben der Spur wirkten." Er lacht wenig charmant. „Es scheint als wären Sie erwachsen geworden."
In meinem Kopf höre ich Ceces Stimme, die mir Höflichkeit um jeden Preis einhämmert. Mit dem schmalsten Lächeln erwidere ich: „Dinge ändern sich." Gleichzeitig versuche ich mich möglichst so hinzustellen, dass der Schlitz geringstmöglich auffällt. Lüsterne Blicke haben mir gerade noch gefehlt. Dem Spielmacher scheint es nicht aufzufallen.
„Dann können wir ja gespannt sein, was wir bei den 74. Hungerspielen von Ihnen sehen dürfen", sagt er mit einem Zwinkern.
Zu meiner Rettung schiebt sich aus dem Nichts Trexler zwischen uns, trotz seines Alters immer noch eine imposante Erscheinung. Sein Anzug spannt sich straff über das breite Kreuz und der Spielmacher mitsamt Häppchen sucht nicht lange danach das Weite. Ich schicke Trex einen stummen Dank mit den Augen.
Eine Sekunde später bin ich noch dankbarer für seine Anwesenheit, denn ich erspähe einen blütenweißen Anzug in der Menge, ganz in unserer Nähe. Der schiere Anblick von Präsident Snow schafft es mein Blut zum Gefrieren zu bringen. Wenn er nicht wäre, dann hätte ich noch eine Familie. Alles an ihm stößt mich ab, bringt die Kälte zurück in meine Glieder. Gerade will ich hinter Trex verschwinden, als Titania Creed die Aufmerksamkeit des Präsidenten auf unser Grüppchen lenkt. Ausgelassen winkt sie Snow zu und schon richten seine Schlangenaugen sich auf uns. Zu spät um abzuhauen. Also gebe ich mein Bestes um in Trexlers Schatten möglichst klein und unscheinbar auszusehen. Ich erinnere mich nur zu gut daran, wie gefährlich er ist.
Ein schmales Lächeln liegt auf Präsident Snows Lippen, als er zu unserem Grüppchen stößt. „Miss Sanders, es ist mir eine Freude unsere strahlende Siegerin wiederzusehen! Ich hoffe Sie haben Spaß an Ihrem Ehrentag?"
Riven erglüht förmlich, als er sie anspricht. „So ein großes Fest ist eine wirkliche Ehre. Ich genieße jede Sekunde", antwortet sie. Eine Bilderbuchantwort.
Auch Snow scheint es so zu sehen, denn er nickt bedächtig. Mit angehaltenem Atem schiebe ich mich weiter in Trexlers Schatten. Dieser scheint es zu bemerken und tätschelt mit seiner rauen Hand kurz die Meine. Snow jedoch wendet seine Aufmerksamkeit ohnehin Titania Creed zu, die sich jetzt darüber ergeht, was für ein wundervoller Tribut Riven war und was für großartige Arbeit die Mentoren geleistet haben. Dabei himmelt sie immer noch Finnick an, als wäre er ein Gott für sie.
In seinen Augen kann ich sehen, wie es ihn drängt, Snow auf die Sache mit den Mentoren anzusprechen. Für ihn scheint die Gelegenheit sicherlich ideal, da sogar Zeugen aus dem Kapitol anwesend sind. Vor ihnen hat Snow eine andere Rolle zu spielen. Mit einem Kopfschütteln versuche ich ihm zu bedeuten, dass es nicht mehr wichtig ist, ich meine Rolle akzeptiere. Ob er es versteht kann ich nicht sagen. Schon bei unserem Disput im Zug hat er nicht verstanden.
Ich wünschte ich könnte ihm irgendwie vermitteln, dass er es nicht versuchen soll. Die Idee scheint sich jedoch bei ihm gefestigt zu haben. Dabei könnte ein falscher Satz ihn Gefahr bringen.
Der Präsident sieht aus als würde er etwas ahnen, denn er verfolgt langsam Finnicks Blick zu mir. Beinahe erwarte ich, dass etwas schreckliches passieren wird, aber er neigt nur den Kopf in meine Richtung.
„Miss Cresta, ich bin erfreut, dass auch Sie meiner Einladung gefolgt sind. Wie ich gehört habe, sind Sie an der Hand verletzt? Ich hoffe die Schnitte heilen gut."
Überrascht zucke ich zusammen. Es scheint zu stimmen, dass Snow seine Augen und Ohren überall hat. Wieder einmal zwinge ich mich zu einem Lächeln. „Vielen Dank, Sir. In der Tat merke ich es kaum noch."
Er lächelt, ganz so, als würde die Antwort ihn erfreuen. „Nun denn, dann hoffe ich, dass das auch bedeutet, dass Sie Ihrer Aufgabe gewachsen sind."
Als wäre es das Stichwort für Finnick, räuspert er sich. Doch Snow kommt ihm zuvor. Ob absichtlich oder nicht, kann ich nicht sagen. Ich bezweifle, dass er etwas dem Zufall überlässt.
„Meine lieben Sieger, es wäre mir eine Ehre wenn sie mich für einen Moment begleiten. Ich hatte schon lange nicht mehr das Vergnügen, Distrikt vier zu Gast zu haben. Es gibt sicherlich einiges zu erzählen. Sie müssen mir unbedingt von Miss Flanagan erzählen, denn ich sorge mich sehr um ihre Genesung." Einladend breitet er einen Arm aus in Richtung der großen Glastüren, die zu den Balkonen führen. Er scheint meinen Blick zu bemerken und fügt hinzu: „Um die Fische müssen sie sich im Übrigen keine Sorge machen, Miss Cresta. Wir haben Vorkehrungen zu ihrem Schutz getroffen."
Unangenehm berührt laufe ich rot an. Ich bin nicht besonders stolz darauf, bei meiner Siegesfeier in einem Teich des Präsidenten gelandet zu sein und einen der teuersten Fische zerquetscht zu haben. Was er nicht weiß, ist, dass es seine Anwesenheit war, die jene Panikattacke ausgelöst hat.
Um mich herum brechen alle in Lachen aus. Anscheinend scheint ausgerechnet dieser Fehltritt dem Kapitol in Erinnerung geblieben zu sein.
Draußen auf dem Balkon empfängt uns ein frischer Winterwind. Einzelne Schneeflocken trudeln vom dunklen Himmel herab. Damit der Balkon nicht verschneit wird stehen in den Ecken große Heizstrahler. Snows Gärten sind hell erleuchtet mit dutzenden Lampions. Allerdings nehme ich ebenfalls ein schwaches Flackern wahr, direkt hinter der Balkonbrüstung, vielleicht zwei Armlängen entfernt. Ich wette, dass es ein Kraftfeld ist. Scheint als hätte es Snow nicht gefallen, dass ich mich in seine Gärten verirrt habe.
Vereinzelt stehen kleine Grüppchen hier draußen, doch wir sind größtenteils alleine. Niemand, der uns belauschen könnte.
Trex steht wie ein Schatten hinter mir, stumm und abwartend. Insgeheim bin ich dankbar für seine Anwesenheit. Sollte ich wieder eine Panikattacke haben, kann er mich festhalten. Riven dagegen plaudert mit Snow über ihre Spiele, wie andere über einen Spaziergang am Strand sprechen.
Hintendrein folgt Finnick, endlich von Titania Creed befreit. Jetzt, wo Snow seine Pläne durchkreuzt hat, blickt er noch unglücklicher drein. Sein Anblick weckt in mir den Wunsch, ihn fest an mich zu ziehen.
Später, wenn wir wieder in Distrikt vier sind, verspreche ich mir. Dann werde ich ihn festhalten und lange Zeit nicht loslassen.
Präsident Snow beendet jetzt seine Unterhaltung mit Riven, um sich wieder Finnick zuzuwenden.
„Ich glaube, Sie wollten mir etwas sagen?", fragt er in überzeugendem Unschuldston.
Finnick nimmt all seinen Mut zusammen. Nach außen hin ist er schon wieder in die Rolle des selbstsicheren Siegers geschlüpft und lächelt verschlagen, aber ich kann die Risse in der Fassade sehen. Ob Snow es auch kann?
„Sir, wenn ich so frei sein darf, aber ich hätte eine Anregung vorzubringen."
Jedes von Finnicks Worten ist sorgfältig gewählt. Er sagt nicht Bitte, versucht nicht zu flehend zu klingen. Und doch spüre ich, dass es nicht laufen wird, wie er es sich erhofft. Snow betrachtet ihn aufmerksam.
„Ich ahne bereits, was sie mir vorschlagen könnten, mein Junge. Aber gut, ich will ihre Argumente hören."
Finnick holt tief Luft. „Ich sage es nur ungerne, aber ich befürchte, dass es ein Fehler ist, Annie Cresta als Mentorin zu berufen."
Schweigen senkt sich über die Gruppe. Riven steht die Verwirrung ins Gesicht geschrieben. Sie ist die Einzige, die nicht damit gerechnet hat.
„Das Kraftfeld über Ihren Gärten dürfte sie ja nur zu gut daran erinnern, was letztes Mal passiert ist, als sie im Kapitol war." Finnick deutet hinter sich auf die Grünfläche. „Gestern war es ein zerbrochenes Glas. Aber was könnte es morgen sein?" Hier macht er eine Pause um Snow eindringlich anzuschauen.
Ich wende meinen Blick ab. Trexlers raue Hand legt sich stützend auf meine Schulter. Auch wenn ich weiß, dass Finnick es nicht so meint, tun die Worte doch weh.
„Mit Verlaub, aber sie hat ihre Spiele durch Glück gewonnen, nicht durch Können. Distrikt vier ist stolz auf seine Sieger. Um diese Tradition fortführen zu können brauchen wir Mentoren, die wenigstens zurechnungsfähig sind. Jemanden wie Riven."
Seine Worte verfehlen ihre Wirkung nicht. Aufgeregt schnappt Riven nach Luft. Endlich scheint ihre Chance gekommen. Ich halte meinen Blick weiterhin gegen Boden gerichtet. Am liebsten wäre ich abwesend von dieser Unterhaltung.
„Ihre Sorge rührt mich, Mr. Odair. Aber ich wüsste nicht, warum das gegen Miss Cresta als Mentorin sprechen sollte. Sie hat ihre Spiele dennoch mit Bravour gewonnen. Niemand gewinnt nur durch Glück, das sollten sie eigentlich wissen. Vielleicht mag es sein, dass einige ihr den Spitznamen ‚die Verrückte' gegeben haben. Aber das heißt ja nicht, dass sie es wirklich ist." Sein Blick scheint auf mir zu ruhen. „Nein, ich glaube ganz und gar nicht, dass Sie verrückt sind, Miss Cresta."
Ich wappne mich, um Snow erneut anzublicken.
Seine Schlangenaugen bohren sich in mich, dann wandern sie über die Blumenkrone auf meinem Haupt. „Ich würde sagen, Sie sind einfach nur anders." Ein Funkeln scheint durch die kalten Augen zu gleiten. „Aber das, Mr. Odair, belebt die Spiele nur. Es wäre wünschenswert, dass sie diese Aufgabe übernimmt. Schließlich wollen wir Miss Sanders doch nicht gleich im ersten Jahr überfordern. Ihre Zeit wird noch kommen. Zunächst will der Sieg genossen werden." Er schenkt Riven einen freundlichen Blick. Diese sieht nicht gerade glücklich aus, doch natürlich wagt sie es nicht, gegen ihn zu sprechen. So einfach ist es also, schon ist Finnicks Vorhaben in sich zusammen gefallen. Er sieht aus, als würde er noch etwas sagen wollen, nicht so einfach aufgeben.
Kurzentschlossen straffe ich meine Schulter und komme ihm zuvor. „Natürlich werde ich die Aufgabe übernehmen, Sir. Schließlich ist es meine Verpflichtung."
So kann ich es den anderen wenigstens ersparen, diesen Kampf für mich zu führen. Sie davor bewahren, sich möglicherweise noch in Gefahr zu bringen.
Snow blickt erfreut drein und tritt einen Schritt näher an mich heran. „Nun, wie erfreulich! Ich bin mir sicher, dass Sie eine gute Mentorin sein werden, nicht wahr, Miss Cresta?" Der Geruch von Blut scheint plötzlich von Präsident Snow aufzusteigen. Einen Wimpernschlag später scheint der Eindruck verflogen und ich nehme nichts anderes als den durchdringenden Geruch von Rosen wahr.
Dennoch reicht es aus um ein Kribbeln durch meinen Körper zu senden. Worauf lasse ich mich nur ein, wenn ich mich dem Kapitol als Mentorin verpflichte? Ich weiß nur zu gut, wozu Snow in der Lage ist. Als Mentorin werde ich ihm nicht ausweichen können. Statt ihm zu antworten, nehme ich noch einen Schluck aus meinem Glas. Der Alkohol brennt sich durch meine Eingeweide.
Es ist ohnehin zu spät jetzt. Ich denke zurück an die zukünftigen Tribute in Distrikt eins. Snow hat uns zu Feinden gemacht. Alles was ich tun kann, ist unseren Kindern eine Chance zu schenken.
„Ich werde mein Bestes für die Tribute geben", sage ich und meine es auch so. Nicht für Snow, die Zuschauer oder mein Gewissen. Aber für die Kinder wie ich es einst war, die keine andere Wahl haben.
Am Ende entkommt niemand Snow....
Denkt ihr, dass Annie ihre Entscheidung bereuen wird?
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