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6 | Wiedersehen macht Freude

Trotz der Anstrengung oder vielleicht auch gerade deswegen trugen mich meine Füße wie von selbst in die Küche. Meine Füße und der verführerische Duft nach Hackbraten. Der Duft zog sich durch alle Gänge und unter allen Türen hindurch. Alle Menschen schien es zu dem Restaurant zu führen beziehungsweise die Crewkantine, denn in dem Restaurant hatten wir, bis auf die Kellner natürlich, keinen Zutritt. Da ich diesen Morgen von einer ungehaltenen Frau Hoffenmeier in meinem Frühstück unterbrochen wurde, freute ich mich jetzt und bei diesen Gerüchen einmal mehr aufs Mittagessen.

Ich bemerkte erst, wie hungrig ich war, als der bloße Geruch nach Fleisch, Nudeln und Tomatensoße meinen Magen zum Knurren brachte. Ich hätte ein ganzes Pferd verspeisen können. Es roch verführerisch. Meine gute Laune und Vorfreude auf ein richtiges Essen wurden jedoch sofort gedämpft, als ich in den Speisesaal trat. Es war noch mehr los als am Morgen und überall liefen Küchengehilfen herum. Sie trugen Töpfe mit Soßen, Platten mit Obst und Gemüse und vielerlei andere Köstlichkeiten durch den Raum und zu den Aufzügen. Es war ein heilloses Durcheinander und die anderen Crewmitglieder machten es nicht gerade einfacher.

Es wäre ein Wunder, wenn ich überhaupt einen freien Platz in der Menge erhaschen könnte. Ich musste mich zwischen den Menschen hindurchschlängeln und zu einem freien Tisch gelangen, solange er noch frei war.

Im Gegensatz zum Morgen, als Tristan und Francesco bei mir gewesen waren, stand ich jetzt hilflos am Rande des Geschehens und versuchte mir einen Überblick zu meinem Ziel zu verschaffen.

Zu dem ganzen Trubel, dem Hin und Her, kam auch noch ein stetiger Lärm aus Rufen und Anweisungen. In dem ganzen Chaos war eine Person deutlich herauszuhören. Das war Herby, der Chefkoch, wie er leibt und lebt.

Das Personal versuchte seinen Anweisungen zufriedenstellend nachzukommen, doch auf seiner Stirn trat ganz deutlich eine Ader hervor. Ich schob es auf den Stress.

Nicht einmal Mia, oder die Motivierte Mia, wie Tristan sie liebevoll genannt hatte, konnte in diesem Durcheinander Ruhe bewahren und gut gelaunt sein. Es war nahezu unmöglich.

Ich vermisste beinahe das laute Geschrei von Tick, Trick und Track. So schlimm stand es schon um mich. Mein Magen knurrte erneut auffordernd.

Wie sollte ich in diesem Gewusel einen anständigen Platz finden und gleichzeitig dafür sorgen, dass mein Essen nicht auf meinen Kleidungsstücken landete? Das zählte schließlich nicht gerade zu meinen Stärken. Und das Schiff schaukelte zurzeit schrecklich hin und her, was allerdings nur lustig war, wenn man selbst saß, denn alle anderen mussten sich mit einem komischen Watschelgang fortbewegen. Ich konnte darüber nicht lachen. Ich versuchte mich so nah am Rand aufzuhalten, wie nur möglich und dabei niemandem im Weg zu stehen. Ab und zu musste ich auch einmal ausweichen. Bis zu einem halbleeren Tisch ging alles gut, aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich mir noch nichts zu essen geholt. Ich legte also meine Jacke auf einen Stuhl und nahm mir einen Teller von einer Theke in der Nähe. Mia, die uns an diesem Morgen mit ihren missglückten Croissants versorgt hatte, war wohl nur eine Ausnahme gewesen und ich glaubte nicht, dass Tristan dabei einen kleinen Anteil spielte. Man sah Mia an, dass sie ihn innerlich vergötterte. Das sah sogar ein Blinder mit Krückstock. Sie war so offensichtlich in ihn verschossen, dass ich schon bei dem Gedanken daran schmunzeln musste.

Ich tat mir reichlich von dem Essen auf und schlenderte zurück zu meinem Platz. Ich ging langsam, da ich nicht wollte, dass ich irgendetwas mit meinem Talent versaute. Eigentlich unterschied sich das Essen von dem im Restaurant kaum. Wir hatten genau das gleiche Fleisch und das gleiche Gemüse. Das Essen unterschied sich nur in der Art und Weise, wie es angerichtet war. Die Mannschaft nahm sich einfach direkt aus den Heizplatten oder direkt aus der Pfanne, während die Passagiere das Essen schön angerichtet bekamen. Mir machte das nicht sonderlich viel aus. Solange das Essen auch schmeckte hatte ich kein Problem damit wie es aussah war, denn wenn es nicht schmeckte nützte es mir auch nichts, dass es vorher schön dekoriert serviert wurde.

Ich ließ mich seufzend auf den Stuhl sinken, bereit das saftige Fleisch auf meiner Zunge zergehen zu lassen und hoffte, dass ich die nächsten paar Minuten einmal Ruhe hatte. Wobei der letzte Punkt bei dem ständigen Klirren und Brutzeln und den Rufen etwas kontraproduktiv war.

Ich nahm den ersten Bissen von Braten und seufzte. So schmeckte also der Himmel. Das Fleisch war saftig und zart und zerging mir auf der Zunge. Mein Magen knurrte bestätigend und ich schob mir schnell die nächste Gabel in den Mund. Herby machte seinem Namen alle Ehre. Anscheinend hatte Mia recht gehabt, als sie sagte er sei Fünf-Sterne-Koch. Und ich war ihm sehr dankbar, dass er sich für diese Arbeitsstelle entschieden hatte.

Mir gegenüber wurden plötzlich Stühle gerückt und mein Blick schnellte in die Höhe. Vor mir standen Francesco und Pablo in ihren Alltagsklamotten und mit ihren Tellern in den Händen.

„Na, Kleine?" Pablo grinste mich breit an und ich lächelte. Ich ignorierte einfach, wie er mich genannt hatte und machte eine einladende Geste. Außerdem war ich gar nicht so klein. Mit meinen 1,65m hatte ich in der Schule auch einige Jungs überragt. Natürlich hatte er einen etwas anderen Blickwinkel. Die beiden setzten sich auf ihre Plätze und fingen ihrerseits an zu essen, während ich mich nach ihrem Tag erkundigte.

„Du wirst es nicht glauben, wer uns beim Putzen geholfen hat.", sagte Francesco mit vollem Mund und ich zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Die Hoffenmeier.", sagte Pablo und zuckte merklich zusammen. Ich verschluckte mich an meinem heißgeliebten Braten.

„Und ich dachte sie kommandiert nur alle herum.", bemerkte ich und Pablo und Francesco nickten eifrig.

„Das ist auch das, was sie unter Hilfe versteht. Sie hat uns die ganze Zeit über die Schulter geguckt und uns gesagt, was wir falsch machen." Ich schaute sie mitleidig an. Das konnte ich mir bei der Frau nur allzu gut vorstellen. Die armen hatten bestimmt alles doppelt und dreifach putzen müssen.

„Wir haben bestimmt doppelt so lange für eine Kabine gebraucht, wie sonst." Francesco zeigte seine Hände.

„Hier meine Hände sind immer noch ganz verschrumpelt von dem vielen Wasser." Er seufzte und wandte sich seinem Teller zu. Pablos Teller war zu diesem Zeitpunkt bereits halb leer. Er aß sogar noch schneller als ich.

„Ich hoffe das war eine einmalige Sache. Diese ganze Babysittergeschichte geht auf Dauer einfach nicht gut.", sagte ich und Pablos und Francescos Blicke lagen neugierig auf mir.

„Was soll das denn heißen?" Ich seufzte. Der Gedanke an die drei Kinder ließ mich erschaudern. Ich war nur froh, dass ich das hinter mich gebracht hatte. Am Abend würde ich wieder beim Housekeeping zusammen mit Pablo und Francesco arbeiten und das war gut so.

Ich erzählte ihnen von den Streichen, die Tick, Trick und Track mir gespielt hatte und sie schüttelten den Kopf. Als ich zu dem Teil mit der Sahnetorte kam verzogen sie angewidert das Gesicht.

„Die arme Torte. Was kann sie dafür?", sagte Pablo und im Stillen pflichtete ich ihm bei. Mir wäre es auch lieber gewesen, wenn die Torte in meinem Magen und nicht in meinen Haaren oder auf meiner Hose gelandet wäre.

Das Einzige, was mich jetzt darüber freute, war das es eine einmalige Situation gewesen war, die dazu geführt hat, dass ich auf die Kinder aufpassen musste.

„Wenigstens war das Trinkgeld großzügig.", sagte ich und lächelte.

„Herr Gremperich hat mir einfach so einen fünfzig Euro Schein zugesteckt." Das schien für die beiden Cousins nichts Neues zu sein.

„Viele Gäste geben ein großes Trinkgeld.", erklärte mir Pablo nun.

„Das machen sie nur deshalb, damit die kleinen Stories an Bord nicht an die Öffentlichkeit geraten. Deswegen ist das Schiff auch so exklusiv. Nicht viele Menschen dürfen mitfahren und die meisten Skandale an Bord kommen so auch nicht nach draußen, ohne dass man weiß, wer dafür verantwortlich war. Andere Passagiere interessiert sowieso nicht, was die anderen machen, aber das Personal." Er schnalzte mit der Zunge.

„Das Personal sieht mehr als den Passagieren lieb ist und sie hören auch mehr. Flurfunk und so weiter. Das ist es was sie so gefährlich macht. Mit dem Geld erkaufen sie sich quasi dein Stillschweigen." Ich lauschte fasziniert Pablos Ausführungen.

Mein Mund stand offen vor Staunen. Ich hätte nie gedacht, dass es so viel zu erzählen gäbe. Ich bin auch nie davon ausgegangen, dass hier allem Anschein nach so viele Berühmtheiten mitreisten.

Ehrlich gesagt, hatte ich geglaubt, dass es sich bei den Menschen an Bord um ganz normale Familien oder Paare handelte und nicht um hochkarätige Politiker, Musiker und so weiter. Auch Emily hatte auf mich einen normalen Eindruck gemacht. Bis auf die Tatsache, dass ihr Vater reich war natürlich. Ich sollte sie wohl später, wenn ich sie wieder traf einmal fragen, welche Firma ihr Vater besaß, vielleicht kannte ich sie ja auch. Was die Politiker an Bord anging, die waren zumindest vor mir sicher, denn ich hatte, was Politik anging, wirklich keine Ahnung.

„Die Hoffenmeier hat ganz oft unser Trinkgeld eingesteckt, Pablo.", sagte Francesco und meine Augen wurden groß.

„Sie hat was?" Pablo war von seinem Platz aufgesprungen. Francesco nickte nur bedrückt.

„Ich habe gesehen, wie sie es immer ganz heimlich eingesteckt hat. Vor allem in den Suiten. Ich wollte nichts sagen, weil... naja, sie ist unsere Chefin." Pablos Gesicht wurde rot, als Francesco diese Neuigkeiten erzählte.

„Als würde die Schreckschraube nicht genug verdienen! Das ist unser Geld, was sie uns stiehlt.", rief er empört und seine Stimme übertönte sogar den Lärm der Küche.

Einige Blicke richteten sich auf uns und Francesco und ich senkten die Köpfe. Pablo hatte sich vor uns aufgestellt. Er sah so aus, als müsste er diesen Schock erst einmal verdauen. Er hatte die Hände zu Fäusten geballt, sodass seine Knöchel weit hervor traten.

„Dieses Biest.", murmelte er und ließ sich wieder auf seinen Platz sinken. Das war eine miserable Situation. Die böse Hexe verdiente gewiss mehr als Pablo und Francesco zusammen und sie hatten sich ihr Trinkgeld redlich verdient. Wer konnte aber auch ahnen, dass Frau Hoffenmeier diese zweite Einnahmequelle für sich beanspruchte?

„So langsam glaube ich, sie hat Solea nur zum Babysitten verdonnert, weil sie wusste, dass bei unserer Tour viel Trinkgeld herausspringen würde.", überlegte Francesco laut und jetzt, da ich so darüber nachdachte, machte es auch irgendwie Sinn. Die meisten Gäste geben schon zu Beginn ein hohes Trinkgeld, da sie sich so erhoffen, mehr Vorteile vom Housekeeping zu bekommen. Im Laufe der Reise geben sie dann nichts mehr. Vielleicht geben sie am Ende noch ein letztes Mal ein Trinkgeld für die Dienste des Housekeepings, aber das war in der Regel nicht mehr als ein paar Münzen. Frau Hoffenmeier hatte den beiden Cousins also wichtige Einnahmen genommen.

„Immerhin wird sie uns in nächster Zeit nicht mehr über die Schulter starren, wenn Solea dabei ist.", sagte Francesco nun und lächelte. Pablo saß noch in Gedanken versunken auf seinem Platz und stocherte in seinem Essen. Der Gedanke, dass die Hausdame ihr Geld genommen hatte, schien ihn mehr mitzunehmen als Francesco und ich konnte ihn verstehen. Ich hoffte nur nicht, dass es sich um sehr viel handelte.

Ich bekam einen Kloß im Hals, wenn ich allein an die fünfzig Euro Taschengeld von Familie Gremperich dachte. Die Hausdame wurde mir von Mal zu Mal unsympathischer.

Der Rest unseres Mittagessens verlief ruhig. Francesco und Pablo würden erst wieder ab 17 Uhr mit ihrer Schicht anfangen und ich würde sie dieses Mal begleiten. Für mich war es auf dieser Reise das erste Mal, dass ich beim Housekeeping war und ich war deswegen etwas nervös. Ich hoffte das Francesco und Pablo mir später alles erklären würden und dass ich auch alles verstand. Ich würde versuchen zu allen Gästen freundlich und zuvorkommend zu sein. Vielleicht ließ sich dadurch das Trinkgeld, welches ihnen die böse Stiefmutter hinterschlagen hatte, wieder wettmachen.

Ich hoffte zumindest, dass mein Plan so aufgehen würde. Ich ertrug es nicht, die beiden so niedergeschlagen zu sehen. Sie schauten traurig aus. Mein Plan wurde allerdings zum wiederholten Male von dem Drachen persönlich niedergemacht. Sie kam geradewegs auf unsere gemütliche Ecke zugelaufen. Ich hatte das Gefühl, dass es allein durch ihr Auftreten um zehn Grad kälter geworden war. Meine Nackenhaare stellten sich auf. Ihr Blick blieb schließlich an uns hängen. Ich schaute alarmiert zu Francesco und Pablo.

Die beiden saßen mit dem Rücken zur Tür, sie sahen also nicht das, was ich gerade sah. Eine groß gebaute und augenscheinlich schlecht gelaunte Furie, die sich ihren Weg nicht einmal zu uns durchbahnen musste, weil ihr alles freiwillig aus dem Weg ging, was nicht Niet und Nagelfest war. Ich schluckte schwer. Francesco zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.

„Drache im Anmarsch!", sagte ich leise und Pablo verspannte sich.

„Haben wir noch Zeit zu verschwinden?" Ich schüttelte den Kopf.

„Nein, sie hat uns gesehen und ist schon auf dem Weg." Das konnte ich gerade noch zwischen zusammengepressten Lippen hervorbringen, da stand sie auch schon neben uns.

„Aha, die Herren vom Housekeeping.", sagte sie und Francesco hatte sich so schnell etwas in seinen Mund gestopft, dass er nur noch mit vollem Mund nicken konnte. Pablos Wangen färbten sich rot und ich wusste nicht, ob aus Wut über das verlorene Geld oder aus Verlegenheit. Frau Hoffenmeier schnalzte missbilligend mit der Zunge. Dann wandte sie sich zu meinem Schrecken mir zu.

„Frau Müller!", sagte sie in einer Lautstärke, dass ich fast von meinem Stuhl sprang.

„Sie habe ich gesucht."

Was konnte sie schon wieder von mir wollen? Hoffentlich hatten die Kinder nichts Schlechtes über mich gesagt.

„Ihre Dienste werden noch einmal benötigt.", sagte die Frau und es gab nur eine Sache, die ich dazu zu sagen hatte.

„Was?"

Ich schaute sie verständnislos an. Sie schnalzte schon wieder mit der Zunge.

„Herr und Frau Gremperich haben mich darüber unterrichtet, dass Sie ihre Aufgabe anscheinend zu ihrer vollsten Zufriedenheit ausgeführt haben. Sie erbitten des Weiteren ihre Dienste für diesen Abend."

Mein Herz sackte mir in die Hose bei ihren Worten.

„Natürlich darf man ein solches Angebot in keinem Fall ausschlagen, sie werden also die Kinder um 19 Uhr heute Abend wieder in ihre Obhut nehmen."

Das konnte doch wohl nicht ihr Ernst sein. Mir hatten die vier Stunden in ihrer Gegenwart vollkommen gereicht. Noch weitere Stunden mit der Teufelsbrut konnte sie mir nicht zumuten.

„Aber-" Ich schaute hilflos zu den beiden Cousins und Francesco meldete sich zu meinem Glück zu Wort.

„Das geht nicht... Frau Hoffenmeier... wir brauchen Solea unbedingt beim Housekeeping. Sie haben ja gesehen, was heute Morgen los war. Wir könnten eine zusätzliche Hilfe gut gebrauchen.", sagte er und ich hoffte inständig, dass sein Plan aufging. Ging er natürlich nicht.

„Also war ich Ihnen nicht Hilfe genug?" Die eiskalten bernsteinfarbenen Augen lagen auf Francesco und er erstarrte wie ein Eisblock. Pablo lenkte ein.

„So war das ja gar nicht gemeint. Sie waren uns wirklich eine große Hilfe." Der sarkastische Unterton war gar nicht zu überhören. Hatten ihn alle guten Geister verlassen? Ich blickte ihn entgeistert an.

Die Hausdame ignorierte ihn zu seinem Glück.

„Ich werde Sie heute Abend bei ihrer Tour erneut betreuen."

Pablos Mund klappte zu, mein Mund stand dafür weit offen.

„Heißt das, dass-"

„Das heißt, dass Sie um 19 Uhr pünktlich vor der Kabine der Familie Gremperich stehen und die Kinder entgegennehmen. Ich habe dem Ehepaar in dieser Sache bereits zugesagt."

Sie verdrehte die Augen über mein langsames Auffassungsvermögen. Entweder hatte ich etwas richtig gemacht oder absolut falsch, denn dass man mir diese Kinder anvertraute war eher eine Strafe als eine Belohnung. Ich bezweifelte, dass sie mit den Kindern klarkommen würde.

„Ich erwarte höchste Professionalität von Ihnen und ich möchte nichts Negatives hören. Von Ihnen allen." Ihre Augen schweiften auch zu den beiden Cousins. Ich seufzte, allerdings so leise, dass es in dem allgemeinen Lärm unterging.

„Wir haben uns doch verstanden?" Ihre Augen lagen ein letztes Mal prüfend auf mir und ich nickte schnell.

„Ja, Ma'am."

Das ‚Aye, Aye, Sir' konnte ich mir gerade noch so verkneifen. Ohne ein weiteres Wort trat sie von unserem Tisch weg und verschwand in der Menge. Pablo atmete laut aus.

„Ich weiß man sollte nicht über Leute herziehen, die man nicht kennt, aber diese Frau macht es einem einfach unmöglich.", sagte er nur und ich nickte zustimmend. Ich konnte mein Pech kaum fassen. Ich war doch tatsächlich dazu verdammt ein zweites Mal auf die Geschwister aufzupassen.

Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Ich wusste ganz genau, wie das passieren konnte. Tick, Trick und Track. Bestimmt hatten sie es so gedreht, dass ich noch einmal bei ihnen antanzen musste.

Diesen Abend würde ich bestimmt nicht überleben. Das stand fest. Eher würde ich vorher an einem Herzinfarkt zugrunde gehen. Den sah ich nämlich schon vor mir. Die drei Brüder würden mir keine freie Sekunde geben und mich in den Wahnsinn treiben.

„Jetzt dürfen wir uns wahrscheinlich ein zweites Mal unser Geld abnehmen lassen.", ließ nun auch Francesco seine Sorgen laut werden. Pablo seufzte.

„Wir müssen einfach schneller sein als die alte Schreckschraube.", sagte er und die nächste Viertelstunde planten sie, wie sie ihr Trinkgeld dieses Mal schützen könnten. Ich ging in Gedanken den Abend durch und plante meinerseits, wie ich die Kinder unter Kontrolle bringen konnte. Zur Not würde ich sie zusammenbinden und in eine Ecke setzen. Dann hatte ich wenigstens meine Ruhe. Kurz bevor die Eltern sie abholen würden, würde ich sie einfach wieder losbinden. Stellte sich nur die Frage, wie ich die drei erst einmal einfangen sollte. Und durchkommen würde ich damit wahrscheinlich auch nicht. Das fiel bestimmt schon in die Kategorie Freiheitsberaubung oder so ähnlich und das konnte ich mir nun wirklich nicht leisten. So viel dazu, dass ich mich auf die Arbeit hier freuen konnte. Wenn so meine Arbeit aussah, dann würde ich lieber arbeitslos in dem Schrank unter der Treppe bei mir zuhause wohnen. So wie Harry Potter.

Ein weiterer Stuhl wurde zur Seite gerückt, dieses Mal war es der Platz neben mir. Langsam blickte ich hoch und entdeckte Tristan, der fröhlich grinste. Er hatte ebenfalls seine Alltagskleidung an. Anscheinend war es hier so üblich, dass man zum Essen seine Arbeitsklamotten eine Zeit lang an den Nagel hing.

„Na, wie lief es Kindermädchen?" Ich stöhnte.

„Erinnere mich bloß nicht daran. Zuerst waren Tick und Trick verschwunden, als ich mit Track auf Toilette war. Dann hatte ich Sahnetorte auf meiner Hose und später noch in meinen Haaren. Und jetzt soll ich zu allem Überfluss noch einmal auf die kleinen Biester aufpassen.", endete ich meine kleine Rede und wurde dafür von drei Augenpaaren gleichermaßen verblüfft, wie belustigt angestarrt.

„Tick, Trick und Track?" Tristan lachte laut auf, sodass es durch den ganzen Saal hallte.

„Mehr hast du nicht mitbekommen?" Ich verzog mein Gesicht.

„Ich hatte verdammte Sahnetorte in meinen Haaren." Meine Haare klebten immer noch. Ich würde sie nach dem Mittagessen erst einmal waschen müssen.

„Und auf der Hose.", warf Francesco schnell ein.

Und auf der Hose.", sagte ich aufgebracht.

Tristan lächelte immer noch. Ich war von meinem Stuhl aufgesprungen und brachte meinen Teller zur Spülküche, wo ich ihn einfach achtlos auf die Theke stellte. Mir war der Appetit vergangen. Dann kehrte ich wieder zum Tisch zurück und setzte mich. Tristan sah mich neugierig von der Seite an.

„Und das ist alles, was dir heute passiert ist. Dir sind zwei Kinder fast entwischt und du hattest Sahnetorte in den Haaren?"

„Und auf der Hose.", ergänzte ich.

„Und das waren alles... Tick, Trick und Track?" Das Lächeln breitete sich auf seinem Gesicht aus und ich musste ebenfalls grinsen.

„Ich kann mir einfach keine Namen merken."

Es war doch irgendwie lustig. Und dann fiel mir Emily ein.

„Aber das war gar nicht alles. Ich hab ein Mädchen kennen gelernt. Sie heißt Emily und ist mit ihren Eltern und ihrer großen Schwester an Bord. Sie scheint nett zu sein. Sie war über eine Stunde bei mir und den drei Jungs.", sagte ich und abrupt hoben sich die drei Köpfe.

„Emily Fehmann?"

„Die Emily Fehmann?" Ich zuckte nur mit den Schultern.

„Ich hab nicht nach ihrem Nachnamen gefragt, aber ich denke nicht, dass es so viele Menschen auf dem Schiff geben wird, die auch Emily heißt, oder?" Ich zog triumphierend die Augenbraue in die Höhe.

„Aber du weißt schon, was ihr Vater tut, oder?", fragte Pablo und ich schüttelte nur ratlos den Kopf.

„Es ist Geschäftsführer."

„Er ist Multimillionär.", erklärte Pablo und betonte dabei jede Silbe einzeln. Mein Mund klappte auf.

„Er hat ganz klein angefangen, aber heute ist seine Firma eine der wichtigsten auf der ganzen Welt. Er hat eine Softwarefirma, die beinahe in alle Länder exportiert. Er hat sogar einige Zweigstellen in Amerika und soweit ich weiß auch eine irgendwo in Asien."

„Er gehört zu den einflussreichsten Personen an Bord.", steuerte nun auch Tristan bei. Er beobachtete mich aus schmalen Augen. Ich wusste ja, dass Emilys Vater gut verdiente, aber das war doch nun etwas zu viel des Guten. Multimillionär! Wer rechnete denn auch mit so etwas?

„Wie hast du sie eigentlich kennengelernt?" Tristans Stimme brachte mich wieder in die Gegenwart zurück.

„Wie bitte?" Seine Augen lagen ruhig auf mir.

„Wie hast du sie kennen gelernt. Wenn ich mich richtig erinnere warst du doch in dem Aufenthaltsraum mit den Jungs. Wie konntest du sie da kennenlernen?"

Ach ja stimmt. Auweia. Wenn ich jetzt sagte, dass ich die Kinder allein bei einer Fremden gelassen hatte, während ich meine Hose von der Sahnetorte befreit hatte, stand ich bestimmt nicht so gut da. Ich schluckte, Ich merkte schon wie meine Hände plötzlich schwitzig wurden. Ich musste mir schnell eine Ausrede einfallen lassen.

„Ja also... das war lustig, weil sie hat sich... verlaufen und wollte nach dem Weg fragen. Genau, sie hat an der Tür geklopft, weil sie sich verlaufen hat. Und dann sind wir ins Gespräch gekommen.", sagte ich. Tristans Augen lagen misstrauisch auf mir. Er glaubte mir kein Wort. Ich hätte mir selbst auch nicht geglaubt, aber zu meiner Verwunderung beließ er es dabei. Er lehnte sich entspannt in seinem Stuhl zurück und grinste siegessicher.

„Was die Kinder betrifft. Ich habe nichts anderes erwartet. Aber egal, was du heute erlebt hast. Das was ich heute durchmachen musste, kann keiner toppen." Francesco, Pablo und ich lehnten uns neugierig weiter zu ihm.

„Na dann lass mal hören.", forderte Pablo ihn heraus.

„Heute Morgen musste ich um acht Uhr in dem Restaurant stehen und Gäste bewirten. Sie hatten zu wenig Mitarbeiter und ich durfte aushelfen. Das Baby vom Innenminister hat sich dabei fast auf mir übergeben und ein anderes Kind hat seinen Orangensaft auf mir verschüttet. Ich hatte ein weißes Hemd an, deswegen war mein ganzes Hemd orange plus meine Hose an einer sehr ungünstigen Stelle. Es roch übrigens genauso, wie ihr euch das gerade vorstellt." Er verzog sein Gesicht schmerzverzehrt, bevor er weitererzählte.

„Unter den Familien, war übrigens auch Familie Fehmann. Das eine Mädchen saß nur auf ihrem Stuhl und hat gelesen" Ich musste lächeln. Das war ganz klar Emily.

„Und das andere Mädchen hat die ganze Zeit versucht mit mir zu flirten."

„Das hat dir doch sicher gefallen." Die Worte waren mir schon herausgerutscht, da hatte ich noch nicht einmal darüber nachgedacht. Tristan lachte.

„Na klar, wem würde das nicht gefallen?" Er grinste verschmitzt und ich schüttelte den Kopf. Francesco klopfte Tristan freundschaftlich auf die Schulter.

„Unser Aufreißer." Wir lachten und Pablo erzählte nun von Francescos und seinem Tag. Es ließ sich nicht vermeiden, noch ein weiteres Mal über die Hausdame herzuziehen und er ließ wirklich kein Detail aus. Tristan hörte seinen Erzählungen aufmerksam zu. Am Ende schien er einen Augenblick lang zu überlegen, dann erhob er die Stimme.

„Wisst ihr, ihr könntet das ganze einfach melden. Ihr geht zum Kapitän und erzählt ihm davon. Er kann das bestimmt besser regeln." Francesco schüttelte energisch den Kopf.

„Wir können nicht einfach zum Kapitän gehen und ihn damit belasten. Nein, nein. Der soll sich schön darauf konzentrieren, dass wir heil im nächsten Hafen ankommen." Francesco war offensichtlich dagegen, aber Pablo schien ernsthaft darüber nachzudenken.

„Was ist denn mit deinem Onkel?", fragte ich stattdessen.

„Kann er da nichts machen?" Tristan schnaubte freudlos.

„Mein Onkel tut sonst auch nicht besonders viel. Ihm gehören nur die Schiffe und er redet mit seinen Angestellten, die dann alles regeln. Mit dem ganzen Rest will er nichts zu tun haben. Er und mein Vater besorgen mir den Job und damit hat es sich." Einen Augenblick schien Tristan etwas bedrückt zu sein. Ich legte meine Hand auf seine.

„Du wirst bestimmt ein besserer Geschäftsführer als er.", sagte ich überzeugt und Tristan lächelte schmal.

„Wenn es wenigstens das wäre, was ich auch gerne tun würde.", sagte er trocken und ich zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Was willst du sonst machen?" Ich fragte aus purer Neugierde. Francesco und Pablo hatten sich derweil ihrer eigenen Unterhaltung gewidmet.

Tristan zuckte mit den Schultern.

„Ich würde einfach herumreisen. Die Welt sehen. Erst einmal schließe ich mein Studium ab und dann übernehme ich irgendwann vielleicht wirklich die Geschäftsleitung."

„Wohin würdest du reisen wollen?" Bei der Frage meinte ich zu sehen, wie er rot wurde.

„Überall hin. Asien, Amerika, Australien... Die Liste ist endlos. Ich studiere zwar Eventmanagement, aber eigentlich würde ich auch gerne in die Entwicklungsländer reisen und dort selbst anpacken. Richtig etwas bewirken." Er schaute mich zögernd an und meine Augen weiteten sich erstaunt. Damit hatte ich nun wirklich nicht gerechnet. Tristan wirkte immer so selbstsicher. Aber nun schien seine steinharte Fassade langsam zu bröckeln.

„Ich weiß es klingt bescheuert.", sagte er knapp und ich schüttelte schnell den Kopf.

„Klingt es nicht! Das ist fantastisch. Wirklich. Du solltest daran festhalten."

Tristan winkte meine Aufmunterungsversuche ab und wechselte abrupt das Thema.

„Was würdest du machen, wenn du jetzt nicht hier wärst?", fragte Tristan unvermittelt. Ich biss mir auf die Lippe. Ja, was würde ich jetzt machen? Würde ich mir einen Job suchen? Eher unwahrscheinlich.

„Ich würde zuhause sein und mich entspannen.", sagte ich schließlich. Tristan hob eine Augenbraue.

„Und sonst nichts? Du würdest dich doch bestimmt mit deinen Freunden treffen." Ich schüttelte den Kopf.

„Meine Freunde sind alle im Urlaub und naja, meine Familie ist bisher jeden Sommer zuhause geblieben."

„Und du hast nie darüber nachgedacht allein etwas zu unternehmen? Einfach das Auto zu nehmen und wegzufahren?" Er schaute mich gerade so an, als wäre ich verrückt.

„Nein, natürlich nicht. Ich bin gerade erst 18 und habe wenig Fahrerfahrung." sagte ich und Tristan hob erneut eine Augenbraue.

„Und was ist mit Geschwistern?"

„Ich habe keine Geschwister. Nur ein paar Cousinen und Cousins, aber bei denen würde ich nicht einmal im Traum mitfahren."

Ich schüttelte mich bei dem Gedanken. Mir war noch zu gut in Erinnerung geblieben, wie der älteste meiner Cousins mich auf seinem Gokart mitgenommen hatte. Da war ich neun gewesen und er dreizehn. Er war damals total begeistert von Autos, Gokarts und Motorrädern. Das war er heute auch noch. Bei dem Vorfall, der mich so geprägt hatte, waren wir auf einem Übungsplatz gewesen. Das war für uns kostenlos gewesen, weil meine Tante und Onkel in dem Club waren, der diesem Übungsplatz gehörte. Wir standen also Sonntagsmorgens auf dem Platz. Mein Cousin war ganz aufgeregt und ich ebenfalls, weil er mich das erste Mal mitnehmen wollte. Das war allerdings auch das letzte Mal gewesen, dass er mich mitnehmen durfte. Nach einem sehr holprigen Start ist er so viele Kurven gefahren, dass mir beinahe schlecht geworden war und nachdem wir fast auch noch in einem Busch gelandet waren, war ich so schnell abgesprungen und zu meiner Mutter gelaufen, wie mich meine Füße hatten tragen können. Seitdem war ich kein einziges Mal mehr mit dem Gokart mitgefahren, auch wenn es mir noch so oft angeboten wurde. Meine Nackenhaare stellten sich allein bei der Erinnerung auf.

„Warum bist du überhaupt so neugierig?", fragte ich Tristan und er lächelte verlegen.

„Ich würde nur gern wissen, was andere machen, wenn sie Freizeit haben. Ich war bis jetzt alle meine Sommerferien auf einem Schiff und hab gearbeitet." Ich schaute ihn mitleidig an. Das hörte sich nicht nach sonderlich viel Freiheit an. Tristan zuckte kurz mit den Schultern.

„Aber wenn ich mir deine normalen Sommerferien anhöre, dann bin ich lieber auf dem Schiff und verdien mir ein wenig Taschengeld.", sagte er lachend und ich verschränkte die Arme.

„Nur weil ich die meiste Zeit zuhause bleibe, heißt das nicht, dass ich nichts erlebt habe.", stellte ich klar und Tristan hob herausfordernd eine Augenbraue in die Höhe.

„Na dann leg mal los." Ich ging in Gedanken meine ganzen bisherigen Sommerferien durch.

„Einmal ist meine Tante zu Besuch gekommen. Eigentlich wohnt sie 500 Kilometer entfernt von uns und eines Tages stand sie einfach vor der Tür. Sie hat mich und meine Cousins und Cousinen in einen Freizeitpark mitgenommen und den ganzen Tag mit uns verbracht. Am Abend waren wir dann sogar beim Italiener groß essen." Tristan runzelte die Stirn.

„Ich weiß es nichts Besonderes, aber es ist eine der schönsten Momente, an die ich mich erinnern kann. Ich habe noch Wochen später davon erzählt." Tristan nickte verständnisvoll.

„Es muss toll gewesen sein, als sie da plötzlich vor dir stand.", sagte er und in seine Stimme schwang Sehnsucht mit.

„Du siehst deine Familie nicht oft, oder?", mutmaßte ich und er nickte.

„Es gibt nicht viele Verwandte. Meine Großeltern habe ich noch nie getroffen." Meine Augen weiteten sich.

„Wie meinst du das noch nie? Du hast deine Großeltern nie kennen gelernt?" Er schüttelte nur den Kopf.

„Die Eltern von meiner Mutter sind schon vor meiner Geburt bei einem Autounfall gestorben und mein Vater kommt mit seinen Eltern nicht klar."

Ich verzog mein Gesicht. Warum sollte man seinen Kindern die Großeltern vorenthalten, nur weil man selbst nicht mit ihnen auskam? Meine Mutter hätte so etwas nicht einmal in Betracht gezogen. Eigentlich verging nie eine lange Zeit, in der ich sie nicht sah. Meine Großeltern, also die Eltern von meiner Mutter, lebten sogar direkt bei uns in der Straße. Es bot sich also an, mehrmals in der Woche rüberzugehen und vielleicht ein wenig Kuchen abzustauben. Selbst wenn meine Mutter mir verbieten würden, sie zu sehen, würde ich sie trotzdem besuchen fahren. „Bist du nie auf die Idee gekommen, einfach hinzufahren?", fragte ich verblüfft.

„Ich habe daran gedacht. Aber ich habe nicht einmal herausgefunden, wo sie überhaupt leben."; sagte er und seufzte.

„Seitdem die Schiffe in Besitz meines Onkels gekommen sind herrscht Funkstille. Das war noch vor meiner Geburt. So viel hat mir meine Mutter erzählt." Er schüttelte den Kopf.

„Und mehr war nicht aus ihr herauszuholen?"

„Nein, ich glaube sie weiß genauso wenig wie ich. Ich glaub sie waren noch nicht einmal auf ihrer Hochzeit.", sagte er und mir stand der Mund offen. Darauf fiel mir auch nichts mehr ein.

„Ich weiß auch gar nicht, warum ich dir das überhaupt alles erzähle." Tristan Gesichtsausdruck war plötzlich nachdenklich geworden.

„Ist schon in Ordnung. Ich höre gerne zu." Er runzelte die Stirn, dann lächelte er verlegen.

„Ich glaube ich gehe dann auch besser wieder.", sagte er und mein Blick schnellte zu meiner Uhr. Es war gerade halb drei. In wenigen Stunden musste ich schon wieder bei den Gremperichs sein. Ich stöhnte. Tristan schien meine Gedanken zu erraten.

„Mach dir nichts draus. In ein paar Stunden hast du es schon wieder geschafft.", sagte er und ich nickte hoffnungsvoll. Genau! Ich musste endlich einmal positiv denken. So schlimm wie am Morgen konnte es kaum werden.

Tristan winkte uns noch ein letztes Mal zu, bevor er hinter der Tür verschwand. Francesco und Pablo waren immer noch so sehr in ihrem Gespräch versunken, dass ich nicht mehr hinterherkam. Ich glaube, sie waren immer noch in ihren Plänen vertieft, wie sie die böse Hexe davon abhalten konnten, ihr Geld zu stehlen. Ich richtete mich ebenfalls auf.

„Ich gehe auf meine Kabine.", sagte ich den beiden und sie nickten stumm.

„Und wasche mir die Sahnetorte aus den Haaren."

In der Küche war es mittlerweile ruhiger geworden. Zumindest war es nicht mehr so laut. Und die meisten Crewmitglieder hatten auch gegessen. Ich sollte demnächst vielleicht erst später essen gehen, dann hätte ich auch keinen Stress.

Der Weg zu meiner Kabine war unspektakulär. Das Personal vom Housekeeping verbrachte seine freie Zeit in ihren Kabinen oder in den Aufenthaltsräumen.

Ich ging erst einmal duschen, um die vermeintlichen Erdbeersahnetortereste aus meinen Haaren zu bekommen. In meiner Kabine herrschte eine unnatürliche Stille. Bis auf das entfernte Rauschen der Wellen war nichts zu hören. Irgendwie war mir das in dem Augenblick unangenehm. Ich vermisste die lebhafte Atmosphäre der anderen.

Ich zog mir ein paar neue Klamotten aus meiner Kommode und verzog mich ins Badezimmer. Dort lagen schon zwei Handtücher bereit, weswegen ich meine Klamotten einfach auf die Anrichte warf und unter die Dusche stieg. Das warme Wasser prasselte auf mich hinunter und ich seufzte. Es fühlte sich so an, als würde ich das erste Mal in meinem Leben duschen, obwohl es komisch war, dass der Boden ab und zu ein wenig bebte. Der warme Wasserdampf empfing mich und für einige Sekunden blieb ich einfach unter dem brühend heißem Wasser stehen, um meine Nerven zu entspannen. Das Wasser lief an meinem Körper herunter und verschwand im Abfluss. Nach zehn Minuten, in denen ich meine Haare bestimmt zweimal mit Shampoo bearbeitet hatte, stellte ich den Wasserhahn ab. Ich öffnete die Tür der Dusche, nur um von weiterem Wasserdampf umgeben zu werden. Ich trocknete mich ab und cremte mich mit einer Feuchtigkeitscreme ein, die ich bis dahin nur selten benutzt hatte, weil sie wirklich teuer war. Meine Mutter hatte sie einmal gekauft und ich hatte sie bis jetzt nur gelegentlich aufgetragen. Heute hatte ich es mir allerdings verdient. Der blumige Duft hüllte mich ein und ich sog die Luft ein. Wenn ich auch nur diese paar Stunden hatte, um mich zu entspannen, dann wollte ich sie auch wirklich ausnutzen. Nachdem ich alles aufgeräumt hatte, ging ich auf meine Kabine und legte mich in mein Bett. Ich sank sofort in den weichen Bezügen ein. Mein Rücken konnte bei dieser Lage auch endlich wieder entspannen. Und zum ersten Mal an diesem Tag schaute ich auf mein Smartphone.

Meine Mutter hatte mir auf meine Nachricht, dass ich gut angekommen und mich bereits eingelebt hatte, geantwortet. Sie freute sich richtig. Und wünschte mir viel Spaß.

Ich schüttelte den Kopf. Den Spaß hatte ich sicher. Meine Mutter würde bestimmt Augen machen, wenn ich ihr erzählte, was ich an meinem ersten richtigen Arbeitstag schon aller erlebt hatte. Vielleicht würde ich ihr so sogar ein schlechtes Gewissen einreden können, sodass sie nie wieder auf die Idee kam mir einen Job zu besorgen. Diese Idee war wahrscheinlich eine der schlechtesten, die sie zu meinen Lebzeiten gemacht hatte. Ich machte mir nicht die Mühe auf die Nachricht zu antworten, denn auf dem Wasser hatte ich den notwendigen Empfang sowieso nicht. Das ging erst wieder auf dem Festland.

Ich hatte mit meiner Müdigkeit nicht gelogen. Kaum hatte ich für ein paar Sekunden die Augen geschlossen, war ich tatsächlich eingeschlafen. Ich fiel beinahe aus dem Bett, als ich wieder aufwachte. Ich fürchtete schon, dass ich verschlafen hatte und den Zeitpunkt, um die Kinder abzuholen verpasst hatte, aber ein Blick auf meinen Wecker ließ mich erleichtert aufatmen. Ich hatte noch etwa eine halbe Stunde Zeit, was sich als wahres Glück herausstellte. Ich sprang auf meine Beine und bereute es im selben Augenblick, da meine Füße in der ungünstigen Position, in der ich ins Land der Träume abgedriftet war, ebenfalls eingeschlafen waren.

Ich hielt mich an dem Schreibtisch fest und wartete solange bis, das komische Kribbeln aufgehört hatte. Danach strich ich mir noch einmal über die Klamotten, die, nachdem ich etwa zwei Stunden auf meinem Bett gelegen etwas verknittert waren.

Ich betrachtete mich im Spiegel und als ich mit meinem Aussehen zufrieden war, schnappte ich mir meine Sachen und trat wieder auf den Gang. Er kam mir jetzt nicht mehr so gruselig vor, wie noch am Morgen, als mich der Schatten namens Francesco verfolgt hatte. Er hatte mir damit wirklich Angst eingejagt, auch wenn er eher verwirrt aussah, als er mir dann gegenüberstand. Ich ging den Gang entlang und schaute auf die Gemälde, die ab und zu an den Wänden hingen. Es waren meistens Bilder von Landschaften und parkähnlichen Gegenden, aber es gab auch andere Gemälde. Porträts und Stillleben. Ich strich bewundert über die Rahmen, die nicht weniger alt aussahen als die Gemälde an sich. Ich wäre gerne noch länger davorgestanden, aber ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich mich jetzt doch trotz allem beeilen musste.

Ich wollte gerade über die Treppe auf das richtige Deck laufen, als mich Stimmen zurückhielten.

„Hier müsste es sein.", hörte ich eine Frauenstimme flüstern und ein Mann antwortete ihr mit gebrochener Stimme.

„Ich weiß nicht so recht. Es fühlt sich nicht richtig an. Ich glaube wir sind falsch."

Ich wusste nicht, ob aus Neugier oder ob ich einfach nicht anders konnte, aber ich musste wissen, wer hinter den Stimmen steckte. Ich ging in die Richtung, aus der die Stimmen kamen und spähte um die nächste Ecke. Ein älteres Ehepaar stand vor einem Gemälde, so wie ich ein weiteres Exemplar noch vor ein paar Minuten bewundert hatte. Die Frau bemerkte mich zuerst.

„Ach Liebes. Ich glaube wir haben uns verlaufen." Sie lächelte mich entschuldigend an.

„Würde es Ihnen etwas ausmachen uns den richtigen Weg zu zeigen?"

Ich blinzelte überrascht und fragte mich, wie sich jemand in die Mannschaftsunterkünfte verirren konnte, doch der verlorene Gesichtsausdruck des Ehepaares ließ mich lächeln. Sie erinnerten mich an meine eigenen Großeltern.

„Aber natürlich nicht. Das ist kein Problem."

„Wir haben uns immer noch nicht ganz zurechtgefunden."

Davon konnte ich ein Liedchen singen. Der alte Mann lachte, was durch seinen Bart etwas gedämpft klang.

„Hach ja, das Schiff ist so groß.", stimmte ihm auch seine Frau zu. Ich nickte verständnisvoll.

„Machen Sie sich keine Gedanken. Das passiert mir auch.", versicherte ich ihnen.

„Das sind die Mannschaftsunterkünfte. Kein Vergleich zu dem Rest des Schiffes."

Ich machte eine Handbewegung, die ihnen die richtige Richtung zu den Treppenhäusern wies.

„Hier kommen sie wieder in die Aufenthaltsbereiche."

Das Ehepaar hakte sich untereinander ein.

„Wie schön, dass es hier so junge engagierte Menschen gibt. Sind Sie das erste Mal mit an Bord?" Ich nickte.

„Ja, das ist richtig."

„Hach, wie aufregend." Die Frau klatschte begeistert in die Hände.

„Für uns ist es nämlich auch das erste Mal auf einem Kreuzfahrtschiff. Unsere erste Reise, seit mein Mann in Rente ist." Ihr Blick glitt zu ihrem Mann, der, wie ich vermutete, hinter seinem Bart leise lachte.

„Fünf Jahre ist er schon nun in der Rente und wir konnten uns erst dieses Jahr diese Reise leisten. Stellen Sie sich das vor!"

Ich hob überrascht die Augenbrauen und die Frau redete weiter.

„Es ist wirklich eine Schande. Mein Mann war über 50 Jahre arbeiten und seine Rente fällt trotzdem so niedrig aus." Sie schüttelte bekümmert den Kopf.

„Ich war schließlich auch arbeiten, aber nicht so lange. Ich musste mich zuhause um die Kinder kümmern."

Ihre Augen schweifte in die Ferne und sie schwelgte in Erinnerung. Sie taten mir leid. Der Mann sah mich von der Seite her an.

„Das sind Probleme, mit denen müssen Sie sich als junge Dame noch nicht auseinandersetzen."

Er lachte herzhaft. „Wie heißen Sie meine Liebe?" Die freundlichen Augen der Frau lagen neugierig auf mir.

„Solea Müller.", sagte ich und sie nickte aufmunternd.

„Das ist aber ein schöner Name."

„Ich bin Luise Stahl und das ist mein Mann Jakob." Der Mann nickte mir zu und wackelte lustig mit den Augenbrauen. Ich biss mir auf die Lippe, um nicht laut loszukichern.

„Wir haben allerdings nichts mit der großen Hotelkette zu tun.", sagte die Frau augenzwinkernd. Es gab tatsächlich eine Hotelkette, die Stahl-Resorts, die in ganz Deutschland bekannt waren.

„Obwohl wir bestimmt mit ihnen verwandt sind. Über die ein oder andere Ecke." Sie lachte herzlich und wir gingen die Treppe gemächlich hinauf.

Mein Blick glitt unauffällig zu meiner Uhr. Ich hatte noch etwas Zeit, nicht mehr viel, aber genug, um wenigstens die Gäste auf das richtige Deck zu bringen. Das sollte man mir eigentlich hoch anrechnen, immerhin ließ ich sie nicht einfach irgendwo stehen. Und Gäste im Trakt, der ursprünglich für die Crew gedacht war, waren bestimmt auch nicht erlaubt.

Andererseits konnte ich mir gut vorstellen, dass für das alte Ehepaar selbst die dicken roten Vorhänge besonders waren, wenn sie in ihrem Alter das erste Mal eine Kreuzfahrt machen konnten. Es war doch wirklich ungerecht. Manche Menschen arbeiteten ihr Leben lang und hatten am Ende nicht einmal genug Geld, um es sich schön zu machen. Und wiederum andere arbeiteten so gut wie gar nicht und bekamen alles hinterhergeschmissen. Wo war da die Gleichberechtigung?

Ich begleitete das Ehepaar noch bis zu dem nächsten Deck. Das war das Deck mit dem Restaurant, wo sie ursprünglich hingewollt hatten. Die beiden waren die ganze Zeit über Arm in Arm gelaufen, was ich irgendwie süß fand. Außerdem warfen sie sich hin und wieder immer wieder verträumte Blicke zu und begutachteten die Gemälde an den Wänden. Ich blieb schließlich stehen.

„Also, wenn Sie diesen Gang entlanglaufen gelangen Sie direkt zum Restaurant. Das ist der schnellste Weg. Andernfalls können Sie auch über das Sonnendeck zum Restaurant gelangen, der Weg dauert nur etwas länger, ist dafür aber umso schöner.", sagte ich und wiederholte so eigentlich nur die Worte aus einer Infobroschüre, die ich so gut wie auswendig kannte. Aber es schien dem Anschein nach trotzdem zu funktionieren.

„Ach Liebes, das ist so aufmerksam von Ihnen." Frau Stahls Stimme überschlug sich beinahe.

„Wie können wir ihnen danken, dass sie uns wieder auf den rechten Weg gebracht haben?"

Sie stupste ihren Mann von der Seite her an und schaute ihn vorwurfsvoll an.

„Na los, gib ihr schon ein Trinkgeld. Wir haben das arme Mädchen bestimmt von ihrer Arbeit abgehalten. Ich winkte ab.

„Nein, nein. Es ist alles in Ordnung. Machen Sie sich bloß keine Gedanken.", wollte ich ihnen versichern, aber die energische Frau ließ nicht locker, bis ihr Mann mit zitternden Händen sein Portemonnaie aus der Jackentasche zog und einen zehn Euro Schein hervorzog. Diesen besagten Schein hielt er mir jetzt vor die Nase. Ich schüttelte den Kopf.

„Das ist wirklich in Ordnung. Ich habe Ihnen doch gerne geholfen. Sie brauchen mir kein Geld zu geben."

Machte ich einen letzten Versuch. Ich hatte ihnen schließlich nur den Weg gezeigt und nicht gleich einen kompletten Rundgang gestartet. Das war keine große Sache. Doch Luise Stahl schüttelte weiterhin den Kopf.

„Nun nehmen Sie das Geld schon an.", sagte sie energisch.

„Sie könnten immerhin unsere Enkelin sein. In diesem Alter kann man das Geld noch so gut gebrauchen.", sagte sie lächelnd und ich nahm den Geldschein zögernd in die Hand.

„Dankeschön.", sagte ich jetzt verlegen und die Frau nickte zufrieden.

„Wir müssen uns bei ihnen bedanken. Dank ihnen kennen wir das Schiff jetzt schon ein wenig besser.", sagte nun auch der Mann und seine Frau nickte.

„Ja das stimmt. Wir haben Ihnen wirklich viel zu danken.", sagte sie. Mein Blick glitt nervös zu meiner Uhr. Ich hatte nur noch fünf Minuten Zeit. Doch ich durfte jetzt nicht so einfach weglaufen. Das wäre viel zu unhöflich gewesen. Andererseits durfte ich auch die Hausdame nicht verärgern. Ich schluckte. Warum war bei mir immer alles so verdammt knapp?

„Komm Jakob. Wir halten das arme Mädchen nur von ihrer Arbeit ab."

Der Mann lachte in seinen Bart hinein und hielt seiner Frau wieder seinen Arm hin, den sie lächelnd annahm.

„Wir werden uns bestimmt noch einmal über den Weg laufen, Liebes." Ich nickte lächelnd.

„Es hat mich gefreut Sie kennen zu lernen.", sagte ich und meinte es auch so. Das Ehepaar sah glücklich aus. Ein richtiges Bilderbuchpaar. Ein Paar zu dem man aufblicken konnte. Die beiden machten sich winkend in die Richtung zum Restaurant. Und sobald sie außer Sichtweite waren, hetzte ich weiter die Treppe hinauf.

Ich hatte noch genau drei Minuten Zeit. In den drei Minuten musste ich das Schiff einmal halb durchquert haben und bereit vor der Tür der Familie Gremperich stehen, ohne dass es so aussah, als hätte ich gerade einen Halbmarathon hinter mich gebracht. Dieser Lauf, den ich gerade hinlegte, kam dem sicherlich sehr nahe. Ich kam schlitternd vor der vermeintlichen Kabine zum Stehen. Ich amtete tief durch. Im nächsten Augenblick schwang bereits die Tür auf und Herr Gremperich blickte mir entgegen.

„Ach, wie schön. Sie sind schon da." Er lächelte mich freundlich an. Und wie am Morgen machte er eine einladende Geste in die Suite.

Ich versuchte derweil meine Atmung wieder unter Kontrolle zu bringen. Der Ausblick aus dem Fenster war wie am Morgen wunderschön, wenn nicht sogar noch schöner. Am Horizont zeichneten sich bereits die ersten orangefarbenen Töne ab. Vereinzelte Wolkenfetzen zogen vorbei und die Wellen plätscherten nur langsam vor sich hin, als befänden wir uns nur auf einem ruhigen See und nicht auf dem großen weiten Meer.

Die Tür schloss sich hinter mir und ich lächelte verlegen, als Frau Gremperich in einem atemberaubenden blauen Samtkleid aus dem Schlafzimmer trat. Mein Mund klappte beinahe auf vor Staunen. Ihr Kleid schwang melodisch um ihre elfenhaften Beine und ich fragte mich unwillkürlich, wie sie es schaffte bei drei Kindern so auszusehen. Sie war bestimmt Model.

„Oh wie schön, dass sie die Zeit aufbringen konnten. Mein Mann und ich befürchteten schon Sie hätten keine Zeit gehabt, aber Frau Hoffenmeier war so freundlich, um sich zu erkundigen und hat uns sofort Bescheid gesagt, dass sie sich schon freuen.", sagte sie und bei ihren Worten stand mir beinahe ein zweites Mal der Mund offen.

Wann hatte ich denn gesagt, dass ich mich freuen würde? Und wann bitte schön hatte mich Frau Hoffenmeier überhaupt gefragt? Sie hatte mich nur vor vollendete Tatsachen gestellt. Eigentlich hätte sie es verdient, auch einmal auf die Kinder aufzupassen. Sollte sie noch einmal auf mich zu kommen und mich dazu anstiften die Kinder zu betreuen, würde ich mich einfach krankstellen. Dann hatte sie die Kinder am Hals und durfte sich ihr Geschrei anhören und ihre Streiche über sich ergehen lassen. Ich kicherte, als ich mir plötzlich vorstellte, wie Frau Hoffenmeier mit Sahnetorte in den Haaren aussah. Bei so einer Aktion würde ich die Kinder wieder in einem anderen Licht sehen. Dann könnte ich sie vielleicht sogar ganz liebhaben.

Tick, Trick und Track kamen aus dem Nebenzimmer angelaufen, ein Grinsen im Gesicht, das für ihre Eltern vielleicht süß aussah. Für mich stellte es allerdings das komplette Gegenteil dar: das pure Böse. Track kam auf mich zu gerannt und sprang mir in die Arme. Dieses Mal war ich schlauer. Ich hielt ihn mit etwas Abstand von mir weg, damit er meine Haare oder sonst etwas von seinem Standpunkt aus nicht erreichen konnte. Ich sah ihn schon vor mir, wie er die letzte halbe Stunde genüsslich auf einem Stück Kaugummi gekaut hatte nur um es mir dann in die Haare schmieren zu können. Ich wusste so langsam mit wem ich es hier zu tun hatte. Als ich Track wieder auf dem Boden absetzte, schaute er sogar beinahe etwas enttäuscht. Hatte ich also richtig gelegen. Tick und Trick lächelten mich dafür zuckersüß an, was mir nur einen Schauer über den Rücken laufen ließ. Ich sagte ja: das pure Böse.

„Es freut mich, dass sie sich mit den Kindern schon so gut angefreundet haben.", sagte Frau Gremperich und ich lächelte sie verhalten an. Ja, genau. Wir verstanden uns sehr gut.

„Eigentlich verstehen sie sich mit den wenigsten besonders. Sie bleiben sonst immer unter sich, aber wie es scheint, können sie Sie ganz gut leiden.", fuhr sie fort und ich musste schwer aufpassen, dass ich nicht laut loslachte. Es hatte auch seine guten Gründe warum die drei immer unter sich blieben! Ich hatte immer noch dieses falsche Lächeln auf dem Gesicht, welches hoffentlich nicht als solches identifizierbar war. Herr Gremperich klatschte in die Hände und lachte. Seine Glatze strahle sogar noch heller als an diesem Morgen, als hätte er sie frisch poliert.

„Dann sind wir ja bereit und können uns dem wunderschönen Abend widmen." Er hatte, wie ich jetzt erst merkte, einen feinen schwarzen Anzug an. Er schien sich wirklich auf den Abend zu freuen. Alle Gesichter um mich herum strahlten, wenn auch drei davon etwas boshaft. Der Abend würde bestimmt für uns alle sehr ereignisreich sein. Der Familienvater schob uns alle in Richtung Tür.

„Heute können wir Sie leider nicht zu dem Aufenthaltsraum begleiten. Wir haben einen Tisch reserviert und sind schon etwas spät dran.", lachte der Mann herzlich und beim Klang seines Lachens, konnte ich nicht anders, als ebenfalls breit zu lächeln, obwohl mir seine Worte schwer im Magen lagen. Ich musste die Kinder erst einmal sicher zu dem Raum bringen, bevor ich über irgendetwas anderes nachdachte.

„Bis später!", Herr Gremperich wollte schon mit seiner Frau am Arm in die entgegengesetzte Richtung laufen, aber Frau Gremperich fiel anscheinend noch etwas ein.

„Ach ja, es ist vollkommen in Ordnung, wenn sie später mit den Kindern wieder auf die Kabine gehen. Normalerweise gehen sie immer um neun Uhr ins Bett." Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass das heute nicht der Fall sein würde.

„Sie haben einen Generalschlüssel, ja?" Ich nickte verhalten. Es war offensichtlich, dass ich von ihrem Vorschlag nicht begeistert war.

„Sehr schön." Die Frau lächelte erleichtert.

„Also dann bis später.", flötete sie und hakte sich bei ihrem Mann unter. Zusammen gingen sie den Gang entlang und mein Blick glitt langsam zu den Kindern. Trick grinste mich schon wieder maliziös an.

„Also dann, gehen wir los." Ich klatschte wie zuvor Herr Gremperich in die Hände, wenn auch nicht so energisch. Vielleicht auch etwas unsicher und ängstlich. Tick, Trick und Track sahen mich nur abwartend an und so schob ich sie schließlich in den Gang.

Sie taten anstandslos, was ich von ihnen verlangte. Und das machte mir wirklich Angst. Sie heckten bestimmt wieder irgendetwas aus und ich musste einfach herausfinden, was das war. In dem Augenblick war zumindest alles ruhig. Ich knirschte mit den Zähnen. Die Dielen des Schiffes knarzten und von draußen hörte man entfernt die Wellen rauschen. Jetzt da wir an mehreren Fenstern vorbei liefen glitt mein Blick über die Wellen und die untergehende Sonne. Die Blicke der drei Kinder glitt ebenfalls nach draußen.

„Können wir nach draußen?"

Die Stimme riss mich so sehr aus meinen Gedanken, dass ich verschreckt um mich sah. Mein Blick blieb an Tick hängen, der mich hoffnungsvoll beäugte. Zum ersten Mal sah ich etwas Kindliches in seinen Augen aufblitzen.

„Ja ich möchte auch!"

„Ich auch!" Die Kinder sahen mich einer nach dem anderen herausfordernd an und ich konnte nichts anderes tun als sie alle verblüfft anzuschauen.

„Ich... ich... weiß nicht...", stotterte ich.

Ich hatte keine Ahnung wie ich auf diese Frage reagieren sollte. Vor allem, weil ich auf die drei unmöglich gleichzeitig aufpassen konnte, wenn sie sich nicht in einem abgeschlossenen Raum befanden.

„Sie ist schon wieder verwirrt." Tick seufzte und die anderen beiden schüttelten die Köpfe.

„Ich möchte nur einmal mit professionellen Menschen zusammenarbeiten." Trick seufzte theatralisch.

„Und dann müssen wir uns mit dir herumschlagen."

Jetzt stand mir der Mund erneut offen. Wie konnte man so niedlich aussehen und gleichzeitig so dreist sein? Das war eine der Fragen, die mir im Kopf herumschwirrten. Gleich nach: Was läuft falsch in meinem Leben? Die drei Augenpaare lagen abwartend auf mir und ich stellte mich aufrecht hin.

„Wir können nicht nach draußen.", sagte ich bestimmt und die Mienen der Jungs fielen in sich zusammen.

„Wir gehen jetzt in den Aufenthaltsraum und dann könnt ihr da weiterspielen, okay?"

Ich versuchte autoritär zu klingen, so wie Frau Hoffenmeier, aber es schien mir nicht besonders gut zu gelingen. Die Gesichter der drei Kinder nahmen eine unnatürliche Farbe an.

„Aha."

Tick sah mich ausdruckslos an, während Trick seine Augen misstrauisch verengte und Track trotzig seine Arme in die Hüfte steckte. Wortlos drehten sie sich wieder um und gingen den Gang entlang und ich schaute ihnen verwirrt hinterher, bevor ich ihnen mit schnellen Schritten folgte. Die drei Paar kurze Beine waren schnell unterwegs. Und sie steckten schon wieder so verschwörerisch die Köpfe zusammen.

Bald hatten wir es geschafft. Der Aufenthaltsraum war um die nächste Ecke.

Doch auf einmal schrie Trick „DREI!" und die Kinder liefen los, als wäre der Teufel hinter ihnen her.

„Hey! Wartet! Bleibt stehen!", rief ich ihnen hinterher, doch sie lachten nur und liefen noch schneller. Ich hatte Mühe mich an ihre Fersen zu heften.

„Hat Solea etwa keine Ausdauer?", rief Trick über seine Schulter und seine Brüder kicherten albern.

Wir liefen an dem Spielezimmer, meiner einzigen Rettung, vorbei und ich versuchte irgendwie den Stoff ihrer T-Shirts zu erhaschen. Leider hatte Trick vollkommen recht. Ich hatte wirklich keine Ausdauer. Ich war schon richtig am Schnaufen, als die drei kleinen Teufel vor mir liefen und ich sie immer um ein paar Zentimeter zu verpassen schien. Und dann passierte es. Bei einer Abzweigung trennten sich die drei und ich blieb für eine Sekunde abrupt stehen. Wem sollte ich jetzt hinterherjagen? Das konnte doch jetzt nicht ihr Ernst sein! Verdammt! Ich hatte echt keine Chance alle drei aufzuhalten, einfach zu packen und zu dem Spieleraum zu tragen. Ich konnte nicht einmal die simple Aufgabe auf drei Kinder aufzupassen erfüllen. Ich entschied mich für Track, den kleinsten der drei. Er war nur fünf Jahre alt und könnte sich auf dem Schiff bestimmt nicht so gut zurechtfinden wie seine älteren Brüder. Er war vielleicht der kleinste, aber ganz sicher nicht der langsamste. Er kreischte vergnügt, als wäre das alles ein einziges Spiel, doch ich wurde langsam richtig verzweifelt.

Warum mussten Kinder auch immer so schnell rennen können? Ich hetzte die Gänge entlang und war so nah an ihm dran, dass ich nur noch meine Hand ausstrecken musste, um ihn einzufangen. Doch genau in dem Moment, lief er um eine Ecke und ich lief geradewegs in Tristan herein, der mich verblüfft an meinen Armen festhielt, damit ich nicht der Länge nach auf dem Boden landete. Track war ihm perfekt aus dem Weg gegangen und lachte mich nun aus der Ferne spitzbübisch an. Dann verschwand er auf dem nächsten Deck.

„Bleib doch stehen!", machte ich einen letzten Versuch, doch da war er schon längst außer Hörweite. Verdammt!

„Ist alles in Ordnung?"

Tristan schaute mich gleichermaßen überrascht und besorgt an und ich senkte seufzend den Blick. Was hatte ich nur wieder getan? Ich schüttelte seine Hände ab, die bis dahin immer noch auf meinen Schultern gelegen hatten und raufte mir die Haare.

„Nichts ist in Ordnung!", erhob ich meine Stimme und Tristan hob eine Augenbraue. Sein Blick glitt über seine Schulter in den leeren Gang.

„Habt ihr Fangen gespielt, oder was?" Ich schnaubte. Wenn es nur das gewesen wäre. Ich schüttelte den Kopf und machte mich daran dem kleinsten Jungen der drei zu folgen, dieses Mal in einem gemäßigteren Tempo. Tristan folgte mir schnell.

„Und was war das dann?", fragte er weiter. Mein Blick glitt über die kahlen Wände und ich versuchte mich einfach in die Situation des Kindes zu denken. Wo würde ich an ihrer Stelle hinlaufen?

„Wir haben kein Fangen gespielt. Die Kinder sind mir weggelaufen. Sie wollten nach draußen und ich wollte so schnell wie möglich in den Aufenthaltsraum, aber dann hat Trick auf einmal laut geschrien und sie sind alle losgelaufen. Dann haben sie sich auch noch getrennt und ich musste einem hinterher. Und dann... ach scheiße!"

Ich war gegen eine Kommode gelaufen. Die paar Flyer, die darauf gelegen hatten, rutschten auf den Boden. Ich hielt mir schmerzverzehrt das Knie. Das würde bestimmt einen blauen Fleck geben, aber das sollte mich in diesem Moment am wenigsten kümmern. Tristan hockte sich auf den Boden, raffte die Papiere zusammen und reichte sie mir. Ich legte sie zurück auf die Kommode und setzte humpelnd meinen Weg fort. Mit Tristan, der sich an meine Fersen geheftet hatte.

„Vielleicht sind sie ja zum Raum zurückgelaufen, jetzt da sie dich abgehängt haben und lachen sich gerade ins Fäustchen.", schlug Tristan vor, doch ich schüttelte den Kopf. Er hatte die drei nicht so kennen gelernt, wie ich es hatte. Einfach zu dem Aufenthaltsraum zurückkehren war keine Option. Ihr Plan war Chaos. Sie wollten nach draußen, vielleicht sollte man dort anfangen zu suchen? Ich eilte zu der großen Tür, die den Weg auf das offene Deck freigab. Der Wind schlug uns eisig entgegen und der Himmel verfärbte sich bereits dunkelblau. Erste Sterne traten zwischen den Wolken hervor und glitzerten mystisch. Ich fing an zu zittern. Ich trug zwar nicht meine Uniform, aber seit unserem letzten Besuch an Deck war ich nicht gerade schlauer geworden. Außerdem hatte ich nicht damit gerechnet überhaupt einen Schritt nach draußen zu tun. Meine Augen suchten nach den drei kleinen Gestalten, aber bei dem Wetter, gab es nur wenige Leute, die sich nicht draußen trauten.

„Ich glaube nicht, dass sie hier draußen sind.", sagte Tristan plötzlich und ich blieb abrupt stehen, sodass Tristan dieses Mal in mich hineinlief.

„Was?" Ich drehte mich zu ihm um und sah in sein grinsendes Gesicht.

„Ich glaube nicht, dass sie hier draußen sind.", wiederholte er sich und ich zog eine Augenbraue in die Höhe.

„Hast du eine bessere Idee?" Ich erwartete nicht, dass er auf meine Frage eingehen würde, aber er nickte.

„Sie sind bestimmt nicht nach draußen gelaufen. Die Temperatur ist in der letzten Stunde um zehn Grad gefallen. Sie sind nicht so dumm, dass sie dann nach draußen gehen und sich wohlmöglich eine Erkältung einfangen. Was hatten sie an? Nur dünne T-Shirts, oder?" Ich nickte verblüfft und Tristan lächelte triumphierend.

„Siehst du? Es gibt nicht viele Orte, an denen sie jetzt noch sein könnten.", sagte er und ich verschränkte die Arme. Tristans Grinsen wurde breiter.

„Es ist dein Vorteil, dass ich die MYSTERY so gut wie auswendig kenne. Ich war schon als kleines Kind hier und kenne alle Verstecke, die für ein Kind in diesem Alter in Frage kämen. Immerhin habe ich hier selbst immer Verstecken mit meinem Vater gespielt.", sagte er und ein trauriger Unterton schwang in seiner Stimme mit. Ich hörte seinen Erklärungen ruhig zu. Wer wusste schon besser über das Schiff Bescheid als der Besitzer selbst? Naja, Fast-Besitzer. Tristan ergriff meine Hand und zog mich wieder ins Innere.

„Na komm.", sagte er nun mit einem Lächeln auf den Lippen.

Zusammen gingen wir auf das Treppenhaus. Zu meiner Verwunderung zog er mich zu den unteren Decks Richtung Mannschaftsunterkünfte. Ich schaute ihm verwirrt auf den Hinterkopf.

„Und wo genau sollen sie sich verstecken?", erkundigte ich mich zögernd, doch er lief unbeirrt weiter.

„Wenn sie sich auf dem Schiff nur halb so gut auskennen wie ich, dann kennen sie die Waschküche nur zu gut.", sagte er und warf grinsend einen Blick nach hinten.

„Die drei waren bestimmt schon vier Sommer hier und ich habe sie oft gesehen, wie sie einfach über die Decks gelaufen sind. Das hat nicht selten schon für einen kleinen Auflauf gesorgt, weil die Gremperichs ihre Kinder nicht mehr finden konnten. Ich fürchte deswegen nehmen Sie dieses Jahr auch deine Fähigkeiten als Kindermädchen in Anspruch.", sagte er und lachte leise.

„Auch wenn du deinen Job miserabel machst." Mein Mund klappte empört auf.

„Was kann ich denn dafür, dass mir die drei entwischt sind. Du bist daran übrigens nicht ganz unschuldig.", stellte ich fest und nun war es an Tristan mich aufgebracht anzustarren.

„Ich?" Ich nickte energisch.

„Ich hatte Track beinahe gehabt, als du mir plötzlich im Weg standst.", sagte ich.

„Ich konnte ja nicht wissen, dass du dir gerade eine Verfolgungsjagd mit dem kleinen lieferst."

Er klang ehrlich bestürzt über das Verschwinden der Kinder, auch wenn er bei dem selbst ernannten Spitznamen für den Kleinsten leise lachen musste. Ich seufzte. Ich hätte einfach direkt besser aufpassen müssen.

„Was wolltest du überhaupt in dem Teil des Schiffes? Hast du keinen Dienst?", fragte ich nun. Eigentlich müssten gerade jetzt die Hauptveranstaltungen beginnen, und er als Vertreter der Event-Managers musste schließlich auch anwesend sein. Wir gingen bereits die Gänge herunter zur Waschküche und Tristan hielt meine Hand immer noch in seiner. So schlenderten wir schließlich Hand in Hand durch die Mannschaftsunterkünfte. Ich hätte es komisch finden sollen, aber es tat irgendwie gut. Tristan lächelte verlegen.

„Eigentlich wollte ich dich besuchen. Ich wollte sehen, wie du mit den drei Jungs zurechtkommst.", sagte er und bei seinen Worten wurde ich tatsächlich ein wenig rot.

„Ich weiß ja, dass du es nicht einfach hattest bisher, deswegen wollte ich mich einfach nach deinem Wohlbefinden erkundigen.", sprach er nun sachlich weiter, worauf ich aber nicht näher einging. Dann räusperte er sich. Seine Hand ließ meine los und er zeigte auf eine Metalltür.

„Da sind wir", sagte Tristan und öffnete die Tür. Ein unbeschreiblicher Lärm aus Maschinen schlug mir entgegen und meine Augen weiteten sich erstaunt. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass sich die Jungs hier versteckt hatten. Das Rattern der Waschmaschinen ebbte ab, um im gleichen Moment wieder lauter zu werden. Sie brachten den Boden zum Beben. Hier reihten sich bestimmt zehn solcher riesigen Waschmaschinen aneinander.

An einer Wand stand ein großes Regal mit allerlei Handtüchern in verschiedenen Größen und auf der anderen Seite befand sich ein riesiger Wäscheberg, der noch geglättet werden musste. Mein Mund klappte auf. So viel Wäsche auf einmal hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Dabei hatte ich selbst die Angewohnheit meine Wäsche zuhause auf meinem Schreibtischstuhl zu horten und erst nach mehreren Wochen in den Wäschekorb zu verbannen, weil sie entweder zu stark rochen oder weil sie mittlerweile ganz zerknittert waren. Mein Wäscheberg war allerdings kein Vergleich zu dem, der mir da gerade entgegenblickte. Tristan grinste mich von der Seite her an.

„Da staunst du, was?"

Er musste bei dem Getöse hier drinnen schreien, damit ich ihn verstand. Ich nickte. Zwischen den ganzen Wäschebergen konnte man bestimmt prima Verstecken spielen und endlich ging mir ein Licht auf. Deshalb hatte mich Tristan hierhin geschleppt. Die Berge aus Wäsche, die großen Geräte und die kleinen Gänge, die zwischen den Waschmaschinen entstanden. Das war geradezu das Spieleparadies für jedes Kind. Zwischen den ganzen Bergen aus Handtüchern konnte man bestimmt auch super Höhlen bauen. Ich lächelte Tristan einmal kurz zu, bevor ich mich daran machte durch die verschiedenen Gänge zu laufen und nach den verlorenen Kindern Ausschau zu halten.

„Kommt schon her, Kinder.", rief ich über den Lärm hinweg, glaubte allerdings nicht, dass meine Stimme weit trug. Bei dem Geräuschpegel in der Waschküche war es beinah unmöglich seine eigene Stimme zu hören. Darauf konnte ich mich also schon einmal nicht verlassen. Vielleicht konnte ich sie so allerdings überraschen. Ich war am Ende des ersten Gangs angelangt und schaute mich suchend um. Tristan war in der Zeit am anderen Ende der Wäscherei durch einen Gang gelaufen und blickte mich mit einem hilflosen Schulterzucken an. Also hatte er auch keinen Erfolg gehabt. Ich seufzte innerlich. So ein Mist aber auch. Mein Herzschlag beschleunigte sich langsam, als auch nach dem zweiten Gang keine Spur von den Kindern aufzufinden war.

Mein Blick glitt nervös zu meiner Uhr. Wir hatten bereits halb acht. Die Kinder waren seit einer halben Stunde verschwunden. Das laute Rauschen einer der Waschmaschinen ließ mich zusammenzucken und ich blickte mich hektisch nach dem Geräusch um. Meine Nerven waren nun zum Zerreißen gespannt, weil ich erwartete, dass hinter jeder Ecke einer der Jungs hervorsprang und mich zu Tode erschreckte. Ich traute ihnen mittlerweile so einiges zu. Insgeheim malte ich mir gerade aus, wie sie leise über jede Bewegung lachten, die ich tat und mit der ich mich immer weiter von ihnen und ihrem bestimmt ausgeklügelten Versteck entfernte. Mein Blick glitt über die Reihen und suchten nach dem braunen Haarschopf meines Begleiters. Hatte er vielleicht schon mehr Erfolg gehabt als ich? Die Maschinen stoppten abrupt in ihrer Arbeit und mit ihm der ohrenbetäubende Lärm.

„Hallo?" Ich suchte nach dem Grund der plötzlichen Stille und fand mich plötzlich Tristan gegenüber wieder.

„Was ist passiert?", fragte ich ihn und jetzt da die Waschmaschinen aufgehört hatten zu arbeiten, konnte man mich auch tatsächlich verstehen. Ein kleines Piepsen in meinen Ohren blieb trotzdem zurück. Tristan lächelte.

„Die Maschinen hören irgendwann automatisch auf zu arbeiten. Der Lärm könnte die Passagiere stören, wenn sie versuchen wollen zu schlafen.", erklärte er mir und ich nickte.

„Und?" Ich sah ihn fragend an und biss mir auf die Lippe. Seine Mundwinkel zogen sich nach unten.

„Ich habe sie nicht gefunden.", sagte er dann und ich seufzte laut auf.

„Ich auch nicht.", gab ich zu. Ich fuhr mir verzweifelt durch die Haare und auch Tristan rieb sich den Nacken.

„Wo könnten sie noch sein?", murmelte ich eigentlich zu mir selbst, doch dann erhellte sich die Miene von Tristan plötzlich.

„Ich habe eine Idee.", sagte er euphorisch, ergriff wieder meine Hand und zog mich hinter sich her.

„Das ich da nicht früher schon draufgekommen bin." Er schlug sich gegen die Stirn.

„Was hast du vor? Wo gehen wir hin?", fragte ich ihn, während ich hinter ihm her stolperte. Ein Grinsen schlich sich auf sein Gesicht.

„Es gibt eigentlich nur noch einen Ort, wo sie sich verstecken können.", sagte er und zog mich schnell weiter. Ein dunkler Gedanke machte sich in mir breit. Vielleicht waren die drei längst vom Schiff gesprungen und ertranken im Meer. Und es war meine Schuld. Ich erschrak bei der Idee, dass sie sich gerade in diesem Augenblick zitternd und schon mit blauen Lippen zwischen den Wellen befanden und langsam ertranken. Oder vielleicht waren sie schon längst ertrunken? Meine eigenen Überlegungen spornten mich dazu an schneller zu laufen.

„Und wo befindet sich dieser Ort?", fragte ich schon ganz außer Puste, aber ich beschleunigte meine Schritte noch einmal. Nach einer Stunde des Suchens, durfte ich einfach noch nicht schlapp machen. Zumindest nicht so einfach.

„Wart's ab." Tristan betrachtete mich verschwörerisch und unter normalen Umständen hätte mir dieser Blick bestimmt Angst eingejagt. Aber in dem Moment war mir eigentlich nur noch wichtig, dass wir die Kinder so schnell wie möglich wiederfanden. Und koste es was es wolle, ich musste sie in den nächsten paar Minuten unbedingt finden. Tristan zog mich zum Treppenhaus und gemeinsam hetzten wir die Treppen hoch, bis es nicht mehr weiter ging.

Tristan wandte sich dem rechten Gang zu und ich folgte ihm. Seine Schritte wurden auf einmal langsamer und ich sah ihn erwartungsvoll an. Wir kamen zu einer Wendeltreppe und Tristan blieb davor stehen. Er legte einen Zeigefinger an die Lippen und ich nickte, als Zeichen, dass ich ihn verstand. Wir mussten jetzt leise sein. Tristan machte den ersten Schritt und schlich sich die Stahltreppe hinauf. Ich legte meine Hand auf das kalte Material und folgte dem Geländer nach oben. Wir gelangten auf eine verglaste Aussichtsplattform, die lediglich durch das Strahlen des Mondes und der Sterne der Nacht erhellt wurden.

Der Mond ließ das Ganze in einem bläulichen Licht erscheinen. Als ich auf die kleine Plattform unter dem Himmel trat, konnte ich mich nicht daran hindern mit offenem Mund nach oben zu den Sternen zu starren. Das Licht war gedämpft dafür war der Nachthimmel umso deutlicher zu erkennen.

„Wow.", wich es leise von meinen Lippen und Tristan schaute mich schnell an. Ich kniff meine Lippen zusammen und er nickte mir mit dem Kopf zu, ihm zu folgen. Bis auf uns war niemand auf der Plattform zu erkennen und ich ließ die Schultern hoffnungslos in die Tiefe sinken, während Tristan stumm den Kopf schüttelte.

Im Gegensatz zu ihm, verlor ich langsam die Hoffnung.

Tristan ging gezielt auf eine Ecke zu. Dort hinter ein paar Liegen wurden plötzlich Gestalten erkennbar und ich schnappte nach Luft. Je näher wir an die Szene herantraten, desto deutlicher wurden ihre Umrisse. Es waren drei äußerst kleine Gestalten. Ich atmete erleichtert aus, als ich die drei Jungs auf dem Boden erkannte.

Wir hatten sie gefunden. Auf Tristans Gesicht breitete sich ein Grinsen aus und jetzt sah auch ich, was ihn so zum Lächeln brachte. Einer der drei hatte seinen Kopf an die Schulter seines Bruders gelehnt und schlief allem Anschein nach, während der andere ihm beruhigend über den Rücken strich. Die beiden anderen Köpfe waren in die Höhe auf den Sternenhimmel gerichtet. Sie waren vollkommen ruhig. Aber nicht so wie normalerweise in ihrer Nähe, wo diese Stille meist etwas Schlechtes bedeutete, war es diesmal eine harmonische Stille, die sie umgab.

Ich lächelte. Tristan neben mir entspannte sich ebenfalls wieder. Wortlos setzten wir uns neben sie auf den Boden und schauten uns ebenfalls den sternenübersäten Himmel an. Die Gesichter der beiden noch wachen Jungs - ich erkannte sie jetzt als Tick und Trick - starrten uns verblüfft von der Seite an. Dann fing Trick an müde zu lächeln.

„Das hat aber lange gedauert.", flüsterte er mit Rücksicht auf seinen kleinen Bruder leise und sein Blick richtete sich wieder zum Himmel.

„Das würde unser Vater bestimmt nicht gut finden.", sagte er dann und bei seinen Worten hätte ich beinahe laut aufgelacht.

Ich konnte ihm nicht einmal lange böse sein. Ich wusste jetzt, dass die drei niemals zu ihren Eltern gehen und sagen würden, dass ich sie schlecht behandeln würde oder dass ich nicht gut auf sie aufpasste. Immerhin hätten sie das dann schon längst getan. Bis auf ihre Streiche und die damit einhergehenden Herzinfarkte und Kreislaufzusammenbrüche hatte ich also nichts weiter zu befürchten. Sie waren nur drei kleine Jungs, die ihren Spaß haben wollten.

„Mach dir deshalb keine Sorgen.", sagte ich deswegen nur.

„Ich bin hart im Nehmen." Die Blicke der Brüder lagen verwundert und möglicherweise sogar ein bisschen beeindruckt auf mir. Ich lächelte die beiden stumm an und schaute dann zum Mond. Es war Vollmond, weswegen alles plötzlich viel heller erschien als sonst abends um diese Zeit und irgendwie war es sehr befreiend. Ich konnte den frischen Fahrtwind förmlich auf meinem Gesicht spüren, auch wenn wir durch eine Glasscheibe getrennt waren und ich roch das salzige Wasser bis hierhin. Ich sog die Luft gierig in mich ein. Eine Sache hatte die Verfolgungsjagd doch gebracht. Wir waren alle müde.

Tick und Trick gähnten auch schon die ganze Zeit und Track war immer noch seelenruhig und angelehnt an Trick am Dösen. Die Atmosphäre hätte nicht entspannter sein können. Wortlos betrachteten wir den Himmel, bis Ticks und Tricks Augen einer nach dem anderen immer mal wieder kurz zufielen. Ich lächelte und warf Tristan einen schnellen vielsagenden Blick zu. Er beobachtete das Ganze amüsiert.

„Ich glaube wir bringen euch lieber ins Bett.", flüsterte ich und weil die beiden Jungs nichts erwiderten richtete ich mich langsam auf. Tristan stellte sich neben mich.

„Ich glaube das wird so nichts.", bemerkte er und schaute auf die drei Kinder hinab. Sie hatten sich keinen Zentimeter aufwärtsbewegt und die Älteren starrten uns aus großen Augen bettelnd an. Sie waren hundemüde. Ihre blonden Locken leuchteten im Licht der Nacht und ich schmunzelte.

„Also schön.", sagte ich nachgiebig und beugte mich wieder zu ihnen hinunter. Langsam löste Tick den Arm, den er die ganze Zeit über um Track gelegt hatte und schaute mir fest in die Augen. Der wachsame Blick sollte wohl so etwas bedeuten wie ‚Wenn du ihm weh tust, bekommst du es mit mir zu tun' oder so ähnlich, aber in Anbetracht dessen, dass alle drei Kinder schon ziemlich müde waren und nur noch aus verschlafenen Augen zu uns hinaufschauen konnten, verfehlte er sein Ziel um ein weites.

Ich lächelte sanft, während ich Track vorsichtig hochhob. Fast augenblicklich kuschelte er sich in meine Halsbeuge und ich konnte nicht anders, als in dem Augenblick stolz zu sein. Stolz, dass ich die Kinder mit Tristans Hilfe doch noch gefunden hatte und dass sie anscheinend doch nicht so böse waren, wie ich anfangs geglaubt hatte. Tristan seufzte.

„Ich sehe da ein kleines Problem.", murmelte er und er schaute auf die zwei verbliebenen Kinder am Boden. Ich schaute ihn an.

„Ich sehe keins.", sagte ich ruhig und er stöhnte.

„Na gut.", sagte er folgsam und beugte sich nach unten. Sofort schlangen die beiden Kinder ihre dünnen Arme um seinen Hals und er hob sie mit einem Ruck hoch. So mit den beiden Kindern am Hals – wortwörtlich - sah er beinahe so aus wie ein Vater, der seine beiden Söhne nach einem langen Tag am Strand nachhause trug. Ich kicherte leise, behielt meine Gedanken aber für mich.

„Woher wusstest du, dass die drei hier oben waren?", fragte ich flüsternd auf dem Weg zu der Kabine der Familie. Der Kopf von Track lag schwer auf meiner Schulter und ich versuchte mich so wenig wie möglich zu bewegen, sodass er nicht aufwachte. Tristan neben mir und mit den beiden anderen Kindern auf dem Arm, die mittlerweile ebenfalls eingeschlafen waren, lächelte leicht, als schwelgte er in Erinnerungen.

„Ich komme gerne nach dort oben, wenn ich mal meine Ruhe haben will.", sagte er und ich nickte. Die Aussichtsplattform sah nach dem perfekten Ort aus, an dem man einfach seinen Gedanken nachgehen und einfach die Ruhe auf sich wirken lassen konnte. Ich konnte gut verstehen, warum er sich zu so einem Ort hingezogen fühlte.

Die Kinder hatten zwar die ganze Zeit drinnen gesessen, aber sie hatten trotzdem nur T-Shirts angehabt und ich hatte das Gefühl, als würden sie etwas verkühlt sein. Ich schlang auch den anderen Arm um Track und rieb ihm ein paar Mal über den Rücken, um ihn aufzuwärmen, versuchte aber gleichzeitig ihn nicht zu wecken.

Als wir schließlich vor der Suite standen zog ich meine Bordkarte aus der Tasche und hielt sie vor den Sensor, der an der Tür angebracht wurde. Die Türen öffneten sich leise und wir traten in die Kabine. Das Licht von draußen ließ auch hier alles bläulich auf den weißen Möbeln scheinen und Tristan und ich ließen das Licht absichtlich ausgeschaltet. Den Weg zum Kinderschlafzimmer fanden wir auch so. Ich folgte Tristan in das vermeintliche Zimmer und seufzte, als ich Track endlich in ein Bett ablegen konnte. Tristan tat es mir gleich und platzierte die Brüder auf einem Doppelbett. Kaum hatte er sie hingelegt, rollten sie sich zusammen, wie kleine Katzen und ich seufzte. Das Ganze war unglaublich niedlich. Ich stand eine Weile einfach so da und schaute ihnen beim Schlafen zu, bis sich Tristan an der Tür räusperte.

„Ich glaube wir sollten aus dem Zimmer verschwinden.", sagte er und ich nickte.

Ich schloss die Tür leise hinter mir und folgte ihm in den Wohnbereich.

Erst jetzt brachen die letzten Stunden über mir zusammen. Ein Glück, dass ich Tristan getroffen hatte. Und ein Glück, dass er sich so gut auf dem Schiff auskannte. Ich allein wäre bestimmt niemals auf die Idee gekommen dort oben auf der Plattform nach den Geschwistern zu suchen. Tristan ging geradewegs auf die Kabinentür zu. Für einen kurzen Augenblick hatte ich die Befürchtung, er könne mich bei Frau Hoffenmeier anschwärzen, aber er lächelte mir nur aufmunternd zu.

„Ich muss jetzt leider gehen. Aber es hat Spaß gemacht mit euch Verstecken zu spielen.", sagte er augenzwinkernd und ein Lächeln zog sich über mein Gesicht.

Ja, das Verstecken hatte wirklich sehr viel Spaß gemacht. Ich schaute mit einem Mal beschämt auf den Boden. Wenn Tristan nicht gewesen wäre, dann wäre ich jetzt noch durch das Schiff gelaufen und hätte nach den dreien gesucht. Mittlerweile hätte ich bestimmt die Eltern oder irgendwen anderes dazu geholt und um Hilfe gebeten. Vielleicht wäre ich auch gerade kurz vor einem Nervenzusammenbruch, weil die Kinder noch nicht aufgetaucht waren. Es hätte so viel passieren können und ich wäre an allem schuld gewesen. Es war ein Wunder, dass Tristan in genau diesem Augenblick um die Ecke geschlendert kam und mir seine Hilfe angeboten hatte.

„Danke.", sagte ich im Flüsterton. Ich hielt mich am Türrahmen fest. Tristan stand bereits im Gang. Er grinste verschmitzt.

„Wofür? Wir haben doch nur Verstecken gespielt.", sagte er unschuldig und mein Lächeln wurde breiter.

„Genau dafür.", sagte ich und ich meinte zu sehen wie Tristan leicht rot wurde. Zumindest sah es so aus, aber das konnte man bei dem gedämpften Licht im Gang schwer sagen. Er nickte leicht.

„Immer wieder gerne.", sagte er und seine warme Stimme klang nichts weiter als aufrichtig. Nicht jeder hätte mir so sehr geholfen und dann nachher so wenig Aufsehen darum gemacht, wie Tristan in dem Augenblick und ich konnte ihn nur verwundert anschauen. Ich hatte mich in ihm getäuscht.

Mein erster Eindruck war vollkommen falsch gewesen und es steckte weitaus mehr in ihm als der widersprüchliche Junge mit Stimmungsschwankungen, den ich in ihm gesehen hatte. Und ich war froh, dass ich in dieser Hinsicht falsch gelegen hatte. Tristan war einer von den Guten. Und das machte mich wirklich glücklich.

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