11 | Was wäre, wenn?
Frau Hoffenmeier eilte an diesem Morgen in der Kantine wieder zielsicher auf mich zu. Ich ahnte das Schlimmste. Eigentlich konnte ich es bereits an ihrem Gesicht erkennen. Die schmalen Lippen waren auch schon wieder zu diesem maliziösen Grinsen verzogen. Mittlerweile wusste ich, was das bedeutete. Kinderdienst.
Auch die Reaktionen der anderen Crewmitglieder waren unverkennbar. Ihre scharfen Adleraugen verleitete sie dazu sich reihenweise zu ducken und ihren messerscharfen Blicken auszuweichen.
Das war allerdings nicht nötig, denn ihre Augen lagen ausschließlich auf mir. Ich seufzte. Francesco zog eine Augenbraue in die Höhe. Er saß mit dem Rücken zur Tür, deswegen hatte er die Frau noch nicht entdeckt. Er wollte gerade ansetzen, um mich zu fragen, warum meine Laune so abrupt sank, als Frau Hoffenmeier auch schon neben unseren Tisch trat.
„Sie täten gut daran, weniger zu Essen und mehr zu arbeiten.", sagte sie ohne Umschweife und ich verschluckte mich beinahe an dem Bissen, den ich mir in meinen Mund geschoben hatte, damit ich mich selbst vom Reden abhielt.
Kein Mensch konnte erahnen, was ich sagen würde, wenn ich unter Druck stand. Erst recht nicht so früh am Morgen. Tränen traten mir in die Augen, als ich dennoch versuchte den Bissen hinunterzuschlucken. Francesco kratzte sich am Hinterkopf und Pablo biss sich auf die Lippe.
Sein Blick war starr auf seinen Teller gerichtet und ich wusste genau, was gerade in seinem Kopf vor sich ging. Bloß nicht auffallen! Unbeholfen lächelte ich die Frau vor mir an.
„Wie kann ich Ihnen helfen?", fragte ich. In meinen Ohren klang das überaus freundlich. Ich hatte immer noch die Hoffnung, dass mich die böse Stiefmutter vielleicht gar nicht zum Kinderdienst verdonnern wollte. Vielleicht wollte sie auch einfach für ein kleines Pläuschchen vorbeischauen und nett fragen, wie es uns ging? Ich verschluckte mich beinahe noch ein zweites Mal bei diesem Gedanken.
Meine Hoffnung zerplatzte so schnell wie eine Seifenblase an der kalten Luft.
„Frau Gremperich hat mich darum gebeten Ihnen mitzuteilen, dass Sie diesen Morgen wieder die Kinder hüten könnten.", sagte sie und ich lächelte gequält.
„Aber natürlich.", presste ich zwischen zusammengekniffenen Lippen hervor.
Protestieren half sowieso nichts. So wie ich die Dame kannte, hatte sie sowieso schon Bescheid gesagt, dass ich diese Aufgabe liebend gerne übernehmen würde.
Meine Vermutungen bestätigten sich, als sie auf meine Zustimmung einfach nur knapp nickte. Die Cousins vergruben ihre Gesichter in ihren Händen. Für sie waren das genauso schlechte Nachrichten, wie für mich. Sie mussten zwar keine Kinder beaufsichtigen, sie durftes sich allerdings über die Anwesenheit und wachsamen Augen des Hausdrachen freuen. Auf dieses Schicksal hätte die beiden sicherlich gerne verzichtet. Ich unterdrückte den Drang laut aufzuseufzen.
„Wann soll ich die Kinder abholen?", fragte ich stattdessen und Frau Hoffenmeier reckte gebieterisch das Kinn in die Höhe.
„Am besten, Sie machen sich bereits auf den Weg.", sagte sie mit einem Blick auf die Uhr und ich kniff die Lippen zusammen, damit ich nicht wirklich noch in letzter Sekunde laut aufseufzte und sie damit womöglich noch verärgerte.
Dass hatte ich zwar bestimmt schon getan, aber ich wollte es mir ja nicht noch weiter mit ihr verscherzen.
Deswegen nickte ich bloß stumm und packte meinen Teller zusammen. Die Hausdame beobachtete mich genaustens. Ich warf Francesco und Pablo einen entschuldigenden Blick zu und machte mich dann mit gesenktem Kopf auf den Ausgang zu. Frau Hoffenmeier verfolgte mich mit ihren Augen, das konnte ich spüren. Es war als würde sie mir mit ihren Blicken Messer in den Rücken rammen.
Schnell bahnte ich mir einen Weg durch die Reihen.
Am Ausgang lief ich Tristan in die Arme. Er betrachtete mich stirnrunzelnd und dieses Mal seufzte ich leise.
„Kinderdienst.", sagte ich lediglich und Tristan nickte verstehend.
„Viel Glück. Du schaffst das. Und wenn du wieder Hilfe brauchst, du weißt, wo ich bin.", sagte er und ich erschauderte.
„Erinnere mich nicht daran.", erwiderte ich und Tristan klopfte mir ermutigend auf die Schulter.
Als hätte er mir damit Kraft verliehen lief ich mit großen Schritten selbstbewusst zu der Kabine der Gremperichs.
Zuversichtlich klopfte ich an die Tür. Das hatte ich bis dahin noch nie getan. Ich hatte sonst immer gewartet bis die Familie herauskam, aber dieses Mal hatten mich Tristans aufmunternde Worte irgendwie stark gemacht.
In der Kabine war es ruhig und ich fragte mich, ob die fünfköpfige Familie vielleicht gar nicht mehr auf der Kabine war, aber nach ein paar Sekunden längerem Warten öffnete sich die Tür leise und Herr Gremperich steckte seinen Kopf heraus, eine Hand an seiner noch ungebundenen Krawatte.
„Guten Morgen.", flüsterte er.
„Guten Morgen.", antwortete ich ihm, zog aber dennoch fragend eine Augenbraue in die Höhe.
Der Mann lachte leise und winkte mich mit einer kurzen Bewegung in die Kabine. Was ich dann sah war ein Bild für die Götter.
Track lag schlafend auf dem Sofa und seine Brüder standen friedlich über ihn gebeugt und strichen ihm über den Kopf. Ich konnte nichts dagegen machen, aber bei diesem Anblick wurde mein Herz ganz warm.
Als ich neben das Sofa trat hoben sich die Blicke der zwei Kinder langsam und sie lächelten mich leicht an. Ich wusste nicht warum, aber es machte mich glücklich. So glücklich, wie wenn ich auf der Straße einem Hund begegnete und dieser mich mochte. Es war beispiellos.
Frau Gremperich trat neben mich, während Herr Gremperich seine Krawatte band.
„Er hat gestern wohl doch etwas zu viel gespielt. Er ist immer noch fertig.", flüsterte sie. Dass sie recht hatte, konnte ich hier ganz deutlich sehen und ich war froh, dass ich am vorherigen Tag nicht auf die Kinder aufpassen musste. Der Spaß, den sie gehabt hätten, wäre nicht gut für mich ausgegangen.
Die Frau warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
Sie schnalzte mit der Zunge. „Schatz wir müssen jetzt los.", sagte sie und ihr Blick glitt von ihrem Mann zu mir und zu ihrem Jüngsten.
„Würde es ihnen etwas ausmachen, wenn...?" Die Frage hing in der Luft und ich schüttelte lächelnd den Kopf. Die Erleichterung war Frau Gremperich anzusehen.
„In dem Aufenthaltsraum gibt es Matratzen. Da kann er weiterschlafen.", bemerkte ich leise und die Mutter nickte dankbar.
Ich nahm den Jungen auf den Arm und lächelte das Ehepaar aufmunternd an, als ich ihre forschenden Blicke sah. Das Kind hatte ich fest im Arm. Und außerdem hatte ich ihn ja schon einmal durch das ganze Schiff getragen. Die paar Meter zum Aufenthaltsraum sollte ich auch noch schaffen.
Das Ehepaar bedankte sich überschwänglich bei mir und ich nickte nur lächelnd. Frau Gremperich strich ihrem Jüngsten noch einmal liebevoll über den Kopf, dann wandte sie sich mit ihrem Mann in die entgegengesetzte Richtung.
Mit den Zwillingen im Schlepptau lief ich mit leichten Schritten durch den Gang. Immerhin eine gute Sache gab es. Wenn ich Track die ganze Zeit über in meinen Armen trug, konnten weder Tick noch Trick irgendeinen Unsinn anstellen. Ohne ihren Bruder würden sie das nicht wagen. Ich grinste schwach, als wir wirklich ohne weitere Vorkommnisse bei dem Raum ankamen.
Mit Müh und Not schaffte ich es die Tür mit meiner Bordkarte zu öffnen und die beiden Jungs schlüpften hinein. Sie machten sich sofort daran die dünnen Matratzen, die im Schrank lagerten, aufeinander zu stapeln und mit Decken und Kissen zu einem Bett umzuformen. Als sie mit ihrer Arbeit zufrieden waren, schauten sie mich mit großen Augen an.
„Du kannst ihn hier hinlegen.", flüsterte Trick und ich nickte sanft.
Vorsichtig legte ich seinen Kopf auf das weiche Kissen und Track rollte sich direkt zusammen, wie eine kleine Katze. Tick zog die Decke über seinen Bruder und setzte sich dann daneben auf den Boden. Ich konnte die Geschwister nur verwundert anstarren. Diese Geschwisterliebe war einfach unbeschreiblich und ich konnte darüber nur den Kopf schütteln. Ich hatte keine Geschwister, dafür einen Haufen an Cousins und Cousinen, mit denen ich mich jedoch nicht einmal ansatzweise so gut verstand.
Die erste Stunde verging wie im Flug und dazu noch ziemlich ruhig. Keiner der Jungs sagte auch nur ein Wort und auch ich blieb stumm, um Track nicht zu wecken.
Es war eine stille Übereinkunft, die wir drei trafen und an die wir uns auch hielten. Die nächste Stunde über kommunizierten wir nur in Zeichensprache. So fragte ich die Jungs zum Beispiel, ob es ihnen gut ging. Beide reckten den Daumen in die Höhe. Und später fragte ich sie, ob sie etwas zu trinken haben wollten. Beide verneinten, aber ich schüttete ihnen doch ein Glas voll ein, nur um sicher zu gehen. Mich fragten sie andererseits, ob sie hinaus auf den Balkon durften, was ich bejahte, da ich sie dieses Mal genaustens im Blick hatte.
Allerdings kehrten sie schnell wieder zurück, da die Temperaturen um diese Zeit wirklich eisig waren, obwohl wir Sommer hatten. Auf dem offenen Meer durfte man jedoch nicht zu viel erwarten. Der Fahrtwind tat meist auch schon seinen Anteil daran, dass man zumindest eine Strickjacke überziehen musste. Heute trug ich nur einen Pullover.
Track wachte genau eine Stunde und zwanzig Minuten nach unserer Ankunft auf. Erst schaute er sich etwas verwirrt um, als seine Augen die unbekannte Umgebung scannten. Als sein Blick auf mich fiel, sah man förmlich wie sich die kleinen Rädchen in seinem Kopf zu drehen anfingen, doch sobald sein Blick bei seinen Brüdern hängen blieb, die wieder auf dem Boden saßen und mit Legosteinen spielten, zuckte er einfach kurz mit den Schultern und setzte sich zu ihnen.
Für Kinder verhielten sie sich die nächsten Minuten ungewöhnlich still. Track gähnte ab und zu leicht, deswegen nahm ich an, dass seine Brüder immer noch etwas Rücksicht auf ihn nahmen. Vielleicht überlegten sie sich auch einen neuen Streich, wer wusste das schon so genau.
Erst zwei Stunden nachdem ich die Kinder abgeholt hatte, tat sich wieder etwas.
An der Tür klopfte es leise und unsere Blicke richteten sich gleichzeitig auf den Türknauf, der hinuntergedrückt wurde.
„Hey Solea! Hallo Jungs!"
Ich lächelte und Emily trat langsam näher. Tick, Trick und Track beobachteten sie neugierig, während sie immer noch halbwegs über ihren Legosteinen grübelten. Zumindest die zwei älteren Geschwister. Track hatte sich seinerseits an einen kleinen Tisch gesetzt und malte auf ein weißes Blatt Papier. Wahrscheinlich auch halb auf den Tisch, damit ich nachher auch etwas zum Saubermachen hatte. Ich seufzte und meine Augen glitten wieder zu dem Mädchen, das immer noch im Türrahmen stand.
„Hey Emily, wie geht's dir?", fragte ich lächelnd.
Eigentlich hasste ich Small Talk, aber irgendwie fiel mir nie ein, wie ich sie sonst begrüßen könnte. So gut kannte ich sie jetzt auch wieder nicht. Sie zuckte nur mit den Schultern. Ihre Antwort ließ sie mich ein wenig genauer betrachten. Sie hatte ihre Hände in ihrem übergroßen Pullover vergraben und sie kniff ihre Lippen aufeinander. Sie sah verändert aus. Aus irgendeinem Grund war sie nicht so fröhlich, wie ich sie kennengelernt hatte. Ich stand auf und runzelte die Stirn.
„Was ist los?", fragte ich sie leise und ihr Körper erbebte.
Ein herzzerreißender Schluchzer durchfuhr ihren Körper und plötzlich sammelten sich Tränen in ihren Augen.
Die Jungs sahen sie nur geschockt und aus großen Augen an. Sie rührten sich keinen Zentimeter. Meine Augen weiteten sich ebenfalls. Emily kam mit schnellen Schritten auf mich zu und warf sich mir in die Arme. Etwas überfordert fuhr meine Hand dem Mädchen tröstend über den Rücken.
„Shh.", versuchte ich sie zu beruhigen, aber das schien die Situation nur noch zu verschlimmern.
Sie vergrub ihren Kopf in meinen Haaren und schluchzte einfach weiter. Ab und zu durchzuckte es sie so schwer, dass ich Mühe hatte uns beide auf den Beinen zu halten. Mein Blick glitt zu den drei Geschwistern, die sich ratlose Blicke zuwarfen. Immerhin war ich nicht die Einzige, die keine Ahnung hatte, was vor sich ging. Meine Hand fuhr unaufhörlich über ihren Rücken und Emily fing endlich an zu reden.
„Er hat einfach Schluss gemacht.", sagte sie zwischen mehreren Schluchzern und ihr Körper zitterte.
Ein neuer Schwall von Tränen drohte sie zu überfluten und ich packte sie an den Schultern, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Ihre Augen waren rot unterlaufen und auf ihrem Gesicht zeichneten sich die Tränen deutlich ab. Ihre Lippen bebten.
Die Diagnose war eindeutig. Verdammter Liebeskummer.
„Jetzt erst einmal ganz ruhig.", sagte ich und strich mit einer Hand über ihre Haare.
Mit der anderen führte ich sie zu einem Stuhl, auf dem sie sich jetzt kraftlos niederließ. Ihre Augen fixierten einen Punkt an der Wand, dann liefen ihr weitere Tränen aus den Augen und fielen lautlos auf den Boden.
„Mein Freund, Sven... Er hat einfach so Schluss gemacht.", sagte sie nun mit brüchiger Stimme und ich hockte mich vor sie.
Ich griff nach ihrer Hand und versuchte ihr in die Augen zu schauen. Emily bemerkte es gar nicht. Ihre Augen lagen immer noch auf der gegenüberliegenden Wand. Ich war mir nicht einmal sicher, ob sie aus ihren tränengefüllten Augen überhaupt etwas erkennen konnte.
„Und er hat sich noch nicht einmal die Mühe gemacht mich anzurufen. Er hat mir einfach eine SMS geschickt."
„Er hat was gemacht?", schnappte ich schockiert nach Luft. Ich schaute sie entgeistert an. Sie nickte leicht.
„Und dabei wären wir nächsten Monat ein Jahr zusammen gewesen.", sagte sie nun und als sie dieses Mal in Tränen ausbrach, brach es mir das Herz gleich mit.
Ich drückte ihre Hand beschwichtigend.
„Wenn er nicht weiß, was er an dir hat, dann hat er dich gar nicht verdient.", sagte ich.
Dieser Sven musste Tomaten auf den Augen haben. Sah er nicht, was für ein wundervolles Mädchen Emily war?
„Und das schlimmste ist, dass er sich von mir getrennt hat wegen einem anderen Mädchen.", sagte Emily und ich schluckte schwer. Ich wollte mir nicht einmal vorstellen, wie sie sich fühlte.
Sie fuhr sich mit der Hand über die tränenverschmierten Augen, während sie weitererzählte.
„Katherine ist die hübscheste aus dem ganzen Jahrgang. Zu allen ist sie immer super freundlich. Nur zu mir nicht. Ich glaube, weil sie heimlich in Sven verliebt ist und er immer nur mich richtig beachtet hat. Zumindest in der Art und Weise. Das hat sie so wütend gemacht."
Sie schluckte schwer und ich lauschte ihren Worten. Ich wusste ohnehin nicht, was ich darauf erwidern sollte. Ich hatte selbst noch nie einen Freund gehabt, also war ich wohl nicht die richtige Ansprechpartnerin für so etwas. Bei meinen Freunden war das in Ordnung. Die kannte ich seit mindestens zehn Jahren, aber Emily kannte ich seit ein paar Tagen.
Für Emily war ich jedoch die einzige, mit der sie reden konnte. Ihre Familie und ganz besonders ihre Schwester schien ihr auch nicht weiterhelfen zu können. Die Worte strömten jetzt nur so aus ihr heraus wie ein Wasserfall, genauso wie die Tränen, die in dicken Tropfen auf den Boden klatschten.
„Er hat mir noch gesagt, dass er sich heute mit ihr trifft und ich hatte nichts dagegen-"
„Moment."
Überfordert hob ich eine Hand in die Höhe und schaute das aufgelöste Mädchen vor mir skeptisch an.
„Du wusstest, dass diese Katherine deinen Freund mag und du hast trotzdem zugelassen, dass sie sich treffen?"
Meine Augenbrauen mussten schon längst aus der Decke geschossen sein. Emily zuckte mit den Schultern.
„Ich kann nichts dagegen machen. Sie kennen sich schon seit sie klein sind. Sie sind beste Freunde.", sagte sie nun und die Erkenntnis traf mich. Ich atmete tief durch.
„Ist ihm denn nie aufgefallen, dass sie ihn so mag?", fragte ich vorsichtig und Emily schüttelte den Kopf.
„Sven ist..." Sie lachte unbeholfen und ein kleines Lächeln schlich sich auf ihre Lippen, allein bei dem Gedanken an ihren vermeintlichen Exfreund.
"Er kann so dumm sein. Und er hat sie nie als etwas anderes als seine beste Freundin gesehen, das hat er mir selbst gesagt.", sagte sie, dann fielen ihre Schultern in sich zusammen.
„Zumindest war das einmal so.", sagte sie und ich drückte ihre Hand erneut.
„Er hat dich gar nicht verdient, wenn er sich so benimmt.", sagte ich und Emily nickte langsam. Es war offensichtlich, dass ihr Herz ihr etwas anderes sagte.
„Vielleicht braucht er auch einfach nur eine kurze Pause?" Ich wusste nicht, wie ich sie aufmuntern konnte.
„Vielleicht ist das auch einfach nur ein großes Missverständnis. Wenn ihr fast ein Jahr zusammen wart, dann macht er sicher nicht über SMS mit dir Schluss, oder?"
Emily zuckte hilflos mit den Schultern. Sie so kraftlos und am Boden zu sehen versetzte mir einen Stich. Diesem Sven hätte ich am liebsten einmal gehörig die Meinung gegeigt.
„Hast du etwas auf seine SMS geantwortet?"
Emily schüttelte schluchzend den Kopf und hielt mir ihr Handy entgegen. Der Chat war schon aufgerufen. Dort stand es schwarz auf weiß.
Ich kann es nicht mehr. Es war ein Fehler. Ich mache Schluss mit dir. Mehr nicht. Meine Augen fielen mir beinahe aus dem Kopf. Wie konnte man nur so herzlos sein? Aber irgendetwas kam mir an der Sache komisch vor. Ich konnte nicht sagen, woran es lag, aber ich hatte dieses dumpfe Gefühl in meinem Magen, das mir sagte, dass es nicht richtig war.
„Ich habe mich einfach nicht getraut. Was wenn ich nachher nur noch alles schlimmer mache?"
Ich reichte ihr ihr Handy zurück und legte eine Hand auf ihre Schulter. Ich lächelte sanft. Ich sah nur eine Lösung.
„Vielleicht solltest du ihm schreiben und ihn fragen. Ich glaube da stimmt etwas nicht.", ließ ich meine Vermutung laut werden und Emily seufzte.
„Ich hoffe nur die Nachricht kommt an. An Bord hat man so schlecht Empfang.", sagte sie. Dann sah sie mir in die Augen und lächelte verlegen.
„Ich wünschte es könnte so einfach sein, wie bei Tristan und dir.", sagte sie und dieses Mal wurden meine Augen so groß wie Teller.
„Was?" Sie schniefte und sah mich dann überrascht an, als läge es auf der Hand.
„Naja, ihr sorgt euch umeinander. Ihr kümmert euch umeinander, wenn es dem anderen schlecht geht und ihr redet über alles Mögliche. Ihr seid das perfekte-"
Bevor sie die Worte auch nur aussprechen konnte, warf ich mich dazwischen.
„Ich glaube du hast da etwas grundlegend missverstanden.", sagte ich schnell, bevor sie den Satz zu Ende führen konnte und strich mir mit einer schnellen Bewegung durch die Haare. Ich spürte auch wie die Blicke der drei Kinder neugierig auf mir lagen. Emily schien einen Moment lang ihren Kummer zu vergessen und schaute mich verwirrt an.
„Du und Tristan. Ich dachte ihr seid-"
„Nein!"
Ich hob abwehrend die Hände.
„Wir sind nicht... Es ist nicht so wie du denkst. Wir kennen uns erst seit ein paar Tagen.", sagte ich und Emily nickte langsam, verstehend.
„Tut mir leid. Ich dachte ihr- Ist ja auch egal.", sagte sie und ich atmete tief ein.
Allein der Gedanke daran ließ meinen Körper zittern. Ich hörte, wie die Jungs hinter vorgehaltener Hand leise kicherten und ich schickte ihnen meine feurigsten Blicke entgegen. Danach waren sie wieder ruhig.
Auch Emily hörte auf mich wegen Tristan genauer zu befragen und das war auch gut so. Ich sollte nicht so erschüttert reagieren, wenn sie mit solchen Vermutungen um die Ecke kam.
Das Mädchen schaute den Kindern ruhig dabei zu, wie sie spielten und es schien so als würde sie einen Moment alles um sie herum vergessen. Da waren nur noch die Kinder, die mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht miteinander spielten und sie ebenfalls zum Lächeln brachten.
Ihr Kopf drehte sich jedoch schnell wieder zu mir um.
„Ich werde sehen, was ich tun kann. Vielleicht war es nur ein Missverständnis.", überlegte Emily laut und ich nickte verständnisvoll.
„Wenn ich so darüber nachdenke ist es schon etwas komisch. Kurz bevor ich abgereist bin hat er mich noch besucht und gesagt..." Sie stockte und sie lächelte verlegen, als wäre es ihr peinlich.
„Naja, er hat gesagt, dass er mich liebt.", sagte sie kleinlaut und kicherte. Ich fing an breit zu grinsen. Emily wurde tatsächlich verlegen. Dann wurden ihre Augen wieder traurig.
„Dass er jetzt auf einmal Schluss machen will, passt irgendwie nicht zusammen.", murmelte sie und ich überlegte einen Augenblick. Alles was sie mir erzählt hatte passte nicht zusammen. Irgendein Puzzleteil fehlte noch, aber wahrscheinlich musste sie ihm wirklich einfach zur Rede stellen. Dann würde sich alles lösen. Manchmal musste man einfach ins kalte Wasser springen. Und nur vom Rumsitzen konnte man sich schließlich auch nicht helfen.
„Und ich wusste noch nicht einmal, dass du überhaupt einen Freund hast.", sagte ich grinsend und Emily wurde unter meinen Blicken noch verlegener. Sie lächelte scheu.
„Ich habe nie gedacht, dass das so wichtig ist.", sagte sie ernst und ich schaute sie skeptisch an.
„So wie ich das sehe, musst du mir Beziehungstipps geben und nicht andersherum.", bemerkte ich und entlockte ihr damit ein leises Lachen.
Sie sah mich auf einmal prüfend an. Ihre Augen huschten kurz zu den drei Kindern, um sicherzugehen, dass sie ihre Worte nicht hörten.
„Und Tristan und du? Wirklich nicht?" Sie stellte die Frage so, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Mein Gesicht glühte und ich senkte den Blick.
„Tristan und ich sind gute Freunde.", antwortete ich. Wir waren nur Freunde. Emily nickte langsam. Sie war offensichtlich nicht überzeugt.
„Ah ja."
Ich schüttelte lachend den Kopf. Meine Augen blieben wieder an den drei Geschwistern hängen, die uns aus den Augenwinkeln her beobachteten. Die beiden Älteren hatten sich jetzt zu ihrem kleineren Bruder gesetzt und malten ebenfalls.
Wenn ich sie jetzt so sah, könnte man wirklich meinen, es handelte sich um ganz normale Kinder. Dem war meiner Erfahrung nach nicht so.
Mit ihrer Art, den blonden Lockenköpfen und den unschuldigen Gesichtern schafften sie es einfach so gut wie jeden hinters Licht zu führen, der sie nur einmal anschaute. Sie sahen im Moment nicht so aus, aber ich wusste zu hundert Prozent, dass sie jedes Wort in sich aufsogen, was sie nur aufschnappen konnten, jede noch so kleine Information, die sie später einmal für ihre Streiche verwenden konnten.
„Ihr würdet gut zusammenpassen. Tristan und du, weißt du?", fing Emily erneut an und ich seufzte.
„Glaub mir. Das wird niemals passieren.", sagte ich und das Mädchen zog die Stirn kraus bei meinen Worten.
„Wieso denn nicht?"
Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als einer der drei Jungs auf uns zu kam. Es war Track. Er hielt Emily ein Stück Papier entgegen und sie nahm es zögernd entgegen.
„Was ist das?", fragte sie leise. Ihre Augen betrachteten das Bild in ihren Händen und Track erklärte.
„Das sind wir alle auf dem Schiff.", sagte er und zeigte auf sein Bild. Tatsächlich hatte er ein Schiff gezeichnet, auf dem sich viele Menschen herumtummelten. Er beugte sich über das Blatt und zeigte auf die einzelnen gemalten Personen.
„Das hier ist meine Familie.", sagte er und zeigte auf fünf kleine Gestalten. Ein großes rundes Strichmännchen, das bestimmt den Vater darstellen sollte und ein Strichmännchen mit blonden langen Haaren, die Mutter. Sich und seine Brüder hatte er daneben gemalt. So wie es aussah wurde einer von ihnen von den anderen zwei getragen. Das sollte bestimmt ihn darstellen und ich kicherte leise, als ich das sah. Sein Finger fuhr weiter über das Blatt.
„Und hier sind wir gerade. Das ist Solea und das bist du.", sagte er an Emily gerichtet und zeigte auf zwei weitere Strichmännchen. Mein Strichmännchen lachte fröhlich. Der Kleine hatte sogar meine braunen Haare gemalt, wobei er einen Fleck weiß gelassen hatte. Ich zeige darauf.
„Und was ist das?", fragte ich ihn neugierig und bei meiner Frage wurde er ganz stolz.
„Das ist Torte.", sagte er ganz von sich überzeugt und Emily brach gleich darauf in schallendes Gelächter aus, während ich mit verschränkten Armen in meinen Stuhl zurücksank. Er hatte mir tatsächlich die Torte, die er mir in die Haare geschmiert hatte, auf den Kopf gemalt. Ich konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen. Track fuhr fort mit Emilys Figur.
„Und das bist du. Auf dem Bild lächelst du, deswegen musst du jetzt auch lachen, sonst erkennt man dich ja gar nicht.", sagte er und mein Herz schmolz nur so dahin. Emilys Augen leuchteten. In diesem Moment liebte ich dieses Kind wirklich. Er hatte es geschafft mit einer so kleinen Geste Emily wieder zum Lachen zu bringen.
Er hatte sich wirklich Mühe gegeben bei dem Bild alles haargenau zu malen. Sogar Frau Hoffenmeier hatte er darauf verewigt, was mich allerdings zum Schaudern brachte und ich wandte den Blick schnell wieder von ihr ab. Erkannt hatte ich sie an ihrem strengen Dutt auf dem Kopf und den Mundwinkeln, die nach unten zeigten.
Kinder sahen mehr als man ihnen zutraute und ich hätte Track am liebsten einmal durchgeknuddelt dafür, dass er sich in diesem Moment so süß verhielt, aber er war schnell wieder zu seinen Brüdern gehuscht.
„Was ist mit deinem Bild?", fragte Emily und Track drehte sich grinsend um.
„Das schenke ich dir, damit du nicht vergisst zu lächeln.", sagte er und ich seufzte auf.
Emilys Mundwinkel zogen sich noch weiter nach oben. Ihr war anzusehen, dass der Kleine sie wirklich aufgemuntert hatte und sie es ihm nicht nur vorspielte. Sie lächelte aufrichtig.
„Ich habe dir auch etwas gemalt.", sagte Track fünf Minuten später und grinste mich spitzbübisch an. Er hielt mir ein Blatt entgegen und ich nahm es vorsichtig in die Hände. Ich wusste nicht, was mich erwarten würde. Sein plötzlich diabolisches Grinsen machte mir Angst.
Zu sehen waren nur zwei Personen auf dem ganzen Bild und ich schaute ihn fragend an.
„Das bist du und Tristan auf eurer Hochzeit.", sagte er und ich verschluckte mich beinahe an meiner eigenen Spucke.
Emily neben mir lachte schallend und Track war anscheinend zufrieden mit meiner Reaktion. Er grinste selbstsicher, während ich unbeholfen vor mich hin hustete und versuchte genug Luft in meine Lungen zu pumpen. Emily klopfte mir hilfsbereit auf den Rücken, konnte sich selbst aber vor Lachen nicht mehr auf dem Stuhl halten. Sie hielt sich den Bauch.
„Siehst du das bist du." Er zeigte auf die eine Person mit braunen Haaren und einem weißen Kleid, ich erkannte es jetzt als Brautkleid.
„Und das ist Tristan.", fuhr er fort und zeigte auf die Person daneben. Braune verwuschelte Haare und ein breites Grinsen. Das war ganz sicher Tristan. Wahrscheinlich kannte er ihn durch seinen Dienst im Restaurant. Bei unserem Versteckspiel hatte der kleine schließlich tief und fest geschlafen. Auf dem Bild hatte Track ihm einen Anzug gemalt. Er hatte sogar an die Ringe gedacht, die uns nun dick und fett an den Fingern hingen.
Im Hintergrund hatte er sogar eine riesige Torte gemalt. Eine Sahnetorte mit Erdbeeren. Davon würde ich wohl nicht mehr so schnell loskommen.
„Gefällt es dir?", fragte der Junge mich und ich lächelte gequält.
„Sehr schön."
Track klatschte begeistert in die Hände.
„Super, vielleicht mal ich Tristan dann auch eins.", sagte er und meine Augen weiteten sich geschockt. Ich lachte verlegen.
„Das brauchst du wirklich nicht zu tun.", sagte ich langsam und ich sah aus den Augenwinkeln wie Emily auf ihrem Stuhl fast zusammenbrach vor Lachen. Ihr Gesicht war so rot angelaufen, dass ich befürchtete sie würde im nächsten Augenblick platzen. Ich sah sie strafend an.
Track lächelte verschmitzt.
„Mal sehen.", sagte er und setzte sich wieder auf den Boden. Ich seufzte lautstark, während sich Emily die Lachtränen aus den Augen strich.
Ein Blick auf die Uhr zeigte mir, dass die Zeit in Gesellschaft mit Emily viel schneller verging, als ich dachte.
Kaum hatte ich die Uhr mal kurz aus den Augen gelassen, war schon wieder eine halbe Stunde vergangen, in der die drei Jungs uns keine Streiche spielten. Vielleicht hatten sie auch heute einfach keine Lust dazu oder Emilys Anwesenheit und die Tränen, die sie vergossen hatte, hielten sie davon ab.
Sie waren letztlich doch nur Kinder, die es gut meinten. Mehr oder weniger.
Herr und Frau Gremperich kamen wie immer pünktlich auf die Minute in den Raum herein und begrüßten ihre Sprösslinge mit einem großen Lächeln und einer noch größeren Umarmung.
In der Zwischenzeit hatten die Kinder noch unzählige Bilder gemalt, die sie jetzt stolz ihren Eltern zeigten.
Ich kam nicht umhin zu denken, dass das Bild für Emilys und sogar das Bild, welches Tristan und mich zeigte, um einiges schöner war als die Bilder, die danach kamen.
Das Ehepaar bedankte sich auch bei Emily, die die ganze Zeit neben mir gesessen hatte, für ihre Hilfe.
„Mit den drei Kindern kann es schon etwas langweilig werden, wenn man nichts zu tun hat, stimmts?", sagte Frau Gremperich augenzwinkernd und ich lachte leise. Langweilig wurde es bestimmt nicht. In der Hinsicht konnte ich sie schon einmal trösten.
Als die Familie endlich den Aufenthaltsraum verlassen hatten, ließ ich mich zurück auf den Stuhl fallen. Emily kicherte.
„Ich mag die kleinen.", sagte sie und ich lachte kurz auf.
„Nur, weil sie dich auch mögen.", sagte ich und Emily grinste.
„Dich mögen sie auch.", merkte sie an und ich runzelte die Stirn. Nach den ersten Begegnungen konnte ich das noch nicht richtig glauben, aber irgendwo musste es ja doch stimmen. Immerhin hatten sie sich heute vollkommen einwandfrei verhalten. Sie waren sogar ziemlich süß gewesen, auch wenn Emily meiner Meinung nach der ausschlaggebende Faktor dabei gewesen war. Ihr Ausbruch hatte die Kinder offensichtlich besänftigt.
Emily klopfte mir auf die Schulter.
„Ist doch alles gut gegangen.", sagte sie zuversichtlich und ich nickte. Ich konnte nur hoffen, dass das auch so bleiben würde. Ich lächelte sie an.
„Danke, dass du mir Gesellschaft geleistet hast.", sagte ich und Emily grinste breit.
„Habe ich doch gerne gemacht.", sagte sie und dann fiel ihr Gesicht in sich zusammen.
„Was Sven jetzt wohl gerade macht?", fragte sie sich und ich zog sie wortlos in eine Umarmung.
„Alles wird gut.", flüsterte ich ihr ins Ohr und sie nickte langsam, nicht sicher, ob sie meinen Worten Glauben schenken sollte.
Nach einigen Sekunden löste sie sich wieder von mir.
„Danke.", sagte sie und ich lächelte stumm.
Ein Blick auf ihre Uhr ließ Emily schließlich nach Luft schnappen.
„Ich hätte mich vor einer halben Stunde mit meiner Familie zum Essen treffen müssen.", brachte sie hervor und ihr Blick glitt zu mir. Plötzlich lachte sie laut auf.
„Maria wird so wütend sein. Sie kann es nicht ausstehen, wenn sie auf ihr Essen warten muss.", lachte sie und ich schmunzelte. Das erinnerte mich nur zu gut an mich selbst.
Emily sprang von ihrem Stuhl auf und ging zum Ausgang.
„Wir sehen uns bestimmt noch einmal.", sagte sie zuversichtlich und ich nickte.
„Bis bald.", rief ich ihr noch hinterher, da rannte sie bereits den Gang entlang auf dem Weg zum Restaurant.
Komischerweise verspürte ich zu diesem Zeitpunkt keinen Hunger. Ich wollte nur noch auf meine Kabine, um mich auszuruhen. So ging ich also in einem ruhigen Tempo die Gänge entlang zu den Mannschaftsunterkünften. Das Schiff neigte sich wieder ein wenig zur Seite, aber das machte mir nichts weiter aus. Der vorherige Tag war mit seinem Seegang wesentlich schlimmer gewesen.
Langsam machte sich die Müdigkeit auch bei mir bemerkbar. Meine Augen wurden immer schwerer. Vielleicht lag es auch an dem leichten Schaukeln, das einen ruhig in den Schlaf wiegte.
Eigentlich wollte ich nur auf meine Kabine gehen. Eigentlich war daran auch nichts Verwerfliches. Und eigentlich hätte das auch ganz einfach funktionieren sollen. Aber das tat es nicht, weil Tristan mir genau dann über den Weg lief, obwohl ich meine Kabine beinahe schon erreicht hatte.
Er fing mich mitten im Gang ab und zog mich in eine Kabine, die, wie ich vermutete, ihm gehörte. Es sah von der Einrichtung her genauso aus wie bei mir. Und es war genauso eng, auch wenn es nur ein Bett beinhaltete. Es war vor allem deswegen eng, weil sich gleich zwei Personen gleichzeitig hineinquetschten.
Außerdem war Tristans Zimmer nicht halb so aufgeräumt wie meins, deshalb war es noch um einiges enger. Sein Koffer stand noch mitten im Weg und an dem Schrank hatte er nur einen Anzug hängen.
Der Anzug erinnerte mich an das Bild von Track und ich musste in dem Moment feuerrot angelaufen sein. Ich biss mir auf die Lippe und hoffte, dass er mir das nicht ansah. Er schloss die Tür hinter sich.
Ich schaute ihn aus großen Augen an.
„Was soll das Ganze?", fragte ich im Flüsterton und er seufzte. Die Spannung lag förmlich in der Luft.
„Ich habe noch etwas herausgefunden.", sagte er und ich schluckte.
„Der Schmuck ist nicht alles.", flüsterte Tristan mir zu und meine Kinnlade klappte buchstäblich nach unten. Ich war wieder hellwach. Ich hatte doch aus eigenen Ohren gehört, dass der Ring in meiner Kabine eine halbe Million Euro einbringen und dass noch mehr Diebstähle stattfinden sollten. Was konnte wichtiger sein als die Schmuckstücke an Bord?
„Das musst du mir jetzt aber erklären." Ich starrte ihn verständnislos an.
Er schüttelte den Kopf.
„Der Schmuck ist nur das Ablenkungsmanöver. Dahinter steckt etwas viel Größeres. Ich weiß nicht genau, um was es geht, aber es muss eine ziemlich große Sache sein." Bei seinen Erläuterungen klappte mir der Mund auf.
„Aber um was kann es gehen?"
Tristan zuckte ratlos mit den Schultern und auch meine Schultern sanken kraftlos nach unten.
„Wir müssen uns weiter auf dem Schiff umhören, anders geht es nicht.", sagte Tristan langsam und ich seufzte.
„Woher weißt du das? Dass es nicht nur um den Schmuck gehen soll, mein ich?"
„Der Gedanke ist mir während der Arbeit gekommen. Ich meine sieh es mal so." Er packte mich an den Schultern und blickte mich erwartungsvoll an.
„Das ganze Schiff ist voll von reichen Leuten. Egal wo man hingeht sind reiche Leute, die genug Geld in den Taschen haben und weiß Gott genug Schmuck um den Hals tragen."
Ich runzelte die Stirn.
„Warum sind bis jetzt also nur drei Schmuckstücke verschwunden, was meinst du?"
Ich zögerte. „Weil die Diebstähle jetzt erwartet werden?"
Tristan hob die Hände.
„Das ist möglich, aber in dem Fall hätten sie den Schmuck nicht in den ersten Tagen gestohlen. Dann wäre noch genug Zeit, um den Dieb ausfindig zu machen. Das haben wir ja selbst mitbekommen.", sagte er.
„Wäre es nicht einfacher gewesen erst einmal alles auszukundschaften und dann am letzten Tag zuzuschlagen?"
Seine Worte fügten sich in meinem Kopf langsam zu einem größeren Bild zusammen.
„So hatte die Security noch die Zeit, um alle Kabinen durchzusuchen. Einem Dieb, der sich Gedanken darüber gemacht hat, wäre das eingefallen und er hätte nicht zu überstürzt gehandelt."
„Das heißt der Schmuck ist nur der Vorwand. Während alle nach dem Schmuck suchen, können die Verbrecher in aller Ruhe hinter unserem Rücken die wahren Geschäfte machen.", mutmaßte ich und Tristan nickte beklommen. Meine Augen wurden groß, aber so richtig glauben konnte ich es deswegen noch lange nicht.
Unser Wissen half uns keinen Schritt weiter. Wir wussten so gesehen gar nichts, um auch nur kleinste Anschuldigungen zu stellen. Alles was wir wussten würde uns kein Stück weiterbringen. Wir wussten noch nicht einmal nach was wir überhaupt Ausschau halten sollten. In dem Moment kam ich mir mehr als nur nutzlos vor. Ich fühlte mich so, als würde alles unter mir zusammenbrechen. Meine Gedanken waren ein einziges Wirrwarr. Wie ein Wollknäuel, das man versuchte, auseinander zu knoten.
„Wir müssen herausfinden, wer den Diebstahl gemeldet hat. Dann können wir denjenigen schon einmal von unserer Liste streichen. Falls es zu neuen Verbrechen kommt."
„Vielleicht war das Ganze auch nur inszeniert.", sagte ich unbewusst und Tristan holte tief Luft.
„Ich glaube du hast Recht. Derjenige der den Schmuck vermisst, hängt bestimmt irgendwie in der Sache mit drin."
Mein Herz raste, als die Idee des Gauner-Pärchens immer weiter Gestalt in meinem Kopf annahm. Zuerst sorgten sie dafür, dass Schmuck für gestohlen gemeldet wurde. Nun würden sich alle Crewmitglieder und auch alle Passagiere auf den Schmuck konzentrieren. In der Zwischenzeit konnten sie die wahren Geschäfte verrichten. Es konnte ihnen egal sein, ob die Kabinen durchsucht wurden oder nicht. Die gestohlen gemeldeten Schmuckstücke mussten sich nicht einmal unbedingt an Bord befinden. Einzig und allein der Ring, den ich gefunden hatte, passte nicht ins Bild. Ich überlegte eine Weile.
„Mr. Henry müsste doch wissen wer den Schmuck vermisst, oder?"
Tristan nickte.
„Das heißt wir müssen Mr. Henry noch einmal einen kleinen Besuch abstatten."
Der Weg zu Rezeption hatte sich bereits in mein Gehirn eingebrannt und der alte Mann sah uns wie immer mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht an. Ich hatte beinahe ein schlechtes Gewissen, wenn ich daran dachte, dass wir vor kurzer Zeit noch hier gewesen waren und die Listen der Bewohner des Schiffes gestohlen hatten.
Mr. Henry war immer so nett zu uns gewesen, dass es mir unfair erschien, ihn so zu hintergehen.
Andererseits war es nur zum Besten für die MYSTERY. Niemand wollte, dass sein Arbeitsplatz von Verbrechern heimgesucht wurde und da zählte ganz besonders Mr. Henry dazu. Außerdem hätte er bestimmt versucht uns aufzuhalten, wenn er wüsste, was wir vorhatten.
„Wie kann ich euch heute helfen?", fragte er schon aus der Ferne.
„Sie müssen uns einen Gefallen tun.", sagte Tristan und der Rezeptionist lachte.
„Tue ich das nicht immer?" Auf sein Gesicht traten wieder diese kleinen Lachfältchen, aber ich hatte das Gefühl, dass ihm das Lachen in nächster Zeit noch vergehen würde.
„Wir müssten wissen, wem der Schmuck gestohlen worden ist, Mr. Henry." Tristan sah ihn fast schon flehentlich an und Mr. Henry verzog, wie erwartet, das Gesicht.
„Tristan, du weißt doch, dass-"
„Bitte?" Ich schaute den Mann aus großen Augen an und er seufzte.
„Warum wollt ihr das denn unbedingt wissen, hm?"
Ich seufzte und biss mir auf die Lippe. Tristan senkte seine Stimme.
„Das können wir Ihnen nicht sagen, aber glauben Sie uns einfach, dass es wichtig ist.", sagte ich und Mr. Henrys Blick glitt von mir zu Tristan.
„Wenn ihr irgendetwas wisst über den Diebstahl, dann müsst ihr mir das sagen." Er sah uns aufmerksam forschend an.
Der Junge neben mir schüttelte den Kopf.
„Wir wissen nichts. Und das ist es, was wir ändern wollen.", sagte Tristan nun und Mr. Henry schüttelte emphatisch mit dem Kopf.
„Überlasst das doch der Security, meine Freunde.", sagte er.
„Die Security hat bis jetzt auch nichts weiter herausgefunden.", sagte ich verzweifelt.
„Und warum glaubt ihr, ihr könnt mehr herausfinden als die Männer? Sie sind dazu ausgebildet. Ihr seid noch so gut wie Kinder.", behauptete er und ich biss mir auf die Zunge. Ich mochte es nicht, wenn man mich wie ein Kind behandelte, dabei hatte Mr. Henry vollkommen Recht. Wir waren nichts weiter als Kinder. Was sollten wir schon groß ausrichten?
„Es geht um das Wohl des Schiffes, Mr. Henry.", sagte Tristan und schaute den Rezeptionisten fest an.
In dem Moment sah ich in ihm den Geschäftsführer aufblitzen, der er einmal werden sollte, wenn es nach seinem Onkel und seinem Vater ging. Er sah respekteinflößend aus und ich an Mr. Henrys Stelle wäre sicherlich unter diesem Ton zusammengeschreckt.
Aber nicht Mr. Henry, der ihn schon sein ganzes Leben lang kannte. Er legte seine Hand sanftmütig auf Tristans und lächelte leicht. Dann glitt sein Blick auch zu mir.
„Warum müsst ihr es mir nur so verdammt schwer machen?", sagte er und seufzte. Ich hielt gespannt die Luft an.
„Ich würde euch gerne weiterhelfen, aber das kann ich nicht.", sagte er und meine Schulter fielen in sich zusammen.
„Ich weiß nicht welcher Gast es war, dem der Schmuck entwendet wurde. Ich kann nur sagen, wer den Schmuck als vermisst gemeldet hat.", sagte er und ich zog eine Augenbraue in die Höhe. Tristan spannte sich neben mir an.
„Wer war es?", fragte er und Mr. Henry seufzte.
„Es war Frau Hoffenmeier.", sagte er und ich schluckte schwer. Das hatte er mir schon gesagt, es war also keine Neuigkeit für mich. Mein Blick glitt zu Tristan, der sich auf die Lippe biss. Er nickte langsam.
„Danke Mr. Henry. Sie haben uns sehr geholfen.", sagte er und nahm mich bei der Hand.
„Das hoffe ich.", sagte er. Ich warf ihm ein dankbares Lächeln zu und eilte hinter Tristan her. Ich wurde wieder ernst.
„Wir können nicht zu Frau Hoffenmeier und sie fragen, wer den Schmuck als vermisst gemeldet hat. Das geht nicht.", sagte ich und Tristan schloss seine Augen für einen Augenblick. Er seufzte tief. Ich senkte meine Stimme.
„Die Frau ist sowieso immer schlecht gelaunt. Wenn wir sie jetzt fragen, wird sie nur misstrauisch werden.", vermutete ich und der Junge neben mir nickte schließlich. Ich atmete erleichtert auf. Ich hatte befürchtet, dass Tristan vielleicht anderer Meinung war. Dass er sich so leicht geschlagen geben würde, damit hatte ich nicht gerechnet.
Immerhin schien er mit dem alten Drachen gut auszukommen und sie schien ihn ebenfalls zu mögen. Irgendwie. Vielleicht sah er darin auch die Chance auf sie einzureden. Ich glaubte in der Hinsicht allerdings an keinen Erfolg. Dafür war Frau Hoffenmeier einfach zu bissig.
„Das hat uns nicht weitergebracht. Es hat eher noch mehr Fragen aufgeworfen.", stellte Tristan fest und stöhnte auf. Er ließ seinen Kopf in den Nacken fallen und massierte diesen mit gequälter Miene. Er hatte leider recht.
„Wir müssen uns einfach noch weiter auf dem Schiff umhören. Vielleicht ist den Gästen oder der Crew irgendetwas aufgefallen." Er zuckte mit den Schultern und ich vergrub mein Gesicht in meinem Pullover. Die Wärme umfing mich wohlig und ich seufzte auf.
„Das ist wohl das Einzige, was wir tun können."
Unsere einzige Chance dem Geheimnis auch nur ein Quäntchen näher zu kommen, bestand darin, dass wir alle Augen und Ohren offenhalten mussten. Seit Tagen tat ich nichts anderes. Die Wahrheit zu erfahren würde noch schwerer werden, als wir beide uns das vorgestellt hatten.
Doch was wäre, wenn wir daneben lagen? Was, wenn wir auf der vollkommen falschen Spur waren? Was wäre, wenn am Ende alles umsonst war?
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