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KAPITEL 34 ✶ Die Zeichen stehen auf Sturm

Alea Langford ⌠ Distrikt Vier ⌡


Spätestens ab dem Moment, in dem sie den Jungen verloren hatten, hätte Alea klar sein müssen, dass es Zeit war umzukehren – doch da war es wahrscheinlich schon zu spät gewesen. Sie waren längst vom Weg abgekommen, ohne Beute, ohne Verbündeten, und ohne Markierungen. Die Nacht war wie eine Flutwelle über sie hereingebrochen, von einer auf die andere Sekunde, und ein unheilvolles Rumoren in der Ferne hatte kurz darauf ein weiteres Gewitter angekündigt.

Alea hätte sich für ihre Sturheit am liebsten selbst geohrfeigt.

Doch statt zu jammern hatte sie sich einfach die Kapuze ins Gesicht gezogen und ihre Fersen tiefer in die Erde gegraben, um beim Aufstieg nicht auf dem nassen Untergrund auszurutschen. Alea konnte spüren, wie die Suppe trotz wasserfester Wachsschicht in ihre Stiefel einzudringen versuchte, wie der Wind ihr in die Wangen schnitt, und die Hose an ihren taub gefrorenen Oberschenkeln klebte, doch sie biss die Zähne zusammen und kletterte weiter.

Immer weiter vorwärts, ohne zurückzublicken.

Denn etwas anderes blieb ihr jetzt auch nicht mehr übrig.

Man musste schon verdammt lebensmüde sein, um bei so einem Scheißwetter durch den Wald zu rennen – oder eben verdammt verzweifelt. Die Alternative wäre gewesen, sich irgendwo ein Versteck zu suchen und erst am nächsten Morgen weiterzuziehen, und vielleicht wäre das wirklich die klügere Entscheidung gewesen, aber ... dann war Alea plötzlich wieder auf eine Markierung gestoßen.

Sie waren auf dem richtigen Weg. Von hier aus konnte das Füllhorn nicht mehr weit sein! Und wenn sie sich ein wenig beeilten, könnten sie es tatsächlich zurück schaffen, bevor das Unwetter sich endgültig über ihnen entlud ...

Das hieß, wenn Malorie nicht kurz vor dem Ziel noch einmal schlappmachte.

Die kleine Zweierin schnaufte ihr schon seit einer halben Ewigkeit ins Ohr, schien kaum einen Fuß vor den anderen zu bekommen, und hatte sichtlich Mühe, mit Aleas Schritttempo mitzuhalten. Der Tag hatte sie offensichtlich erschöpft, sowohl körperlich als auch mental, doch mittlerweile hatte sie es zumindest aufgegeben, alle paar Meter ihren Namen zu rufen und sie zum Anhalten zu bewegen, nachdem Alea nicht darauf reagiert hatte.

Warum hatte dieses Kind sich denn überhaupt freiwillig gemeldet, wenn sie jetzt nicht einmal mit ein bisschen Regen zurechtkam?! Alea hatte bereits während der Jagd das Gefühl gehabt, dass Malorie sich nicht wirklich anstrengte, wenn nicht sogar absichtlich hinter ihr blieb, also war es auch kein Wunder gewesen, dass der Junge ihnen letztendlich entwischt war. Hätte die Kleine nur etwas mehr Eigeninitiative gezeigt, könnten sie jetzt längst zuhause sein!

Aber nein, sie und Physalus bekamen ja nicht einmal das hin.

War Alea hier eigentlich nur von Idioten umgeben?!

Sie hätte sich niemals dazu breitschlagen lassen dürfen, dem Karrierebündnis beizutreten. So unbeholfen, wie ihre ›Partner‹ am Füllhorn herumgestolpert waren, wäre sie denen als Einzelkämpferin locker entkommen. Aber jetzt war es wohl ein bisschen zu spät, um sich darüber zu ärgern.

Trotzdem bereute Alea es keine Sekunde lang, ihren Distriktpartner zurückgelassen zu haben. Der Kerl hätte sie nur behindert, war bestenfalls ein mittelmäßiger Kämpfer gewesen, und hatte mit seinen unbedachten Ausbrüchen schon genügend Unheil angerichtet. Außerdem würde er mit dieser Verletzung ohnehin nicht mehr lange zu leben haben ... es wäre Zeitverschwendung gewesen, ihn trotzdem mitzuschleppen. So laut, wie der Sturm über sie hinwegtoste, war es gut möglich, dass sie nach der Hymne bereits einen Kanonenschlag überhört hatten. So oder so hatte sie im Augenblick Besseres zu tun, als sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

Eine weitere Markierung, deren Muster sich in saftigem Grün von der dunklen Borke abhob, zischte an Aleas Augen vorbei und lenkte ihre Konzentration wieder auf den Weg vor ihr. Instinktiv beschleunigte sie ihre Schritte, auch wenn ihre Oberschenkelmuskeln von der Anstrengung regelrecht brannten, doch sie war sich sicher, dass das Füllhorn nicht mehr weit entfernt sein konnte. Und so kurz vor dem Ziel einfach aufzugeben, war absolut keine Option!

Ein kurzer Blick über ihre Schulter verriet ihr, dass Malorie in der Zwischenzeit ein ganzes Stück zurückgefallen war, doch darauf konnte sie jetzt keine Rücksicht nehmen. Wenn es hart auf hart kam, würde die Kleine ohnehin den Kürzeren ziehen. Alea hatte von Anfang an keine Verbündeten gewollt, und wenn dieses Mädchen sie wirklich in dem Glauben überredet hatte, dass sie sie bemuttern würde, dann hatte sie sich gewaltig geschnitten!

Alea war ihr rein gar nichts schuldig. Wer nicht mit ihr mithalten konnte, der hatte eben Pech gehabt.

Ein weiteres Keuchen drang an ihre Ohren und hätte sie um ein Haar innehalten lassen.

»Warte ... auf mich ... ich kann nicht ... so schnell ...«, glaubte Alea zwischen den heulenden Sturmböen hinter sich hören zu können. Nicht nur der Regen, auch das Blut rauschte mittlerweile wie tosende Stromschnellen in ihren Ohren, doch statt anzuhalten und zu warten, beschleunigte sie ihr Tempo nur noch mehr.

Hier draußen war jeder für sich selbst verantwortlich.

Gerade als Alea ihre Finger zwischen die zerklüfteten Felsen grub, um beim Aufstieg besseren Halt zu bekommen, flackerte in ihrem Augenwinkel etwas auf. Ganz in der Nähe musste ein Blitz eingeschlagen sein. Malorie stieß einen erschrockenen Schrei aus, während Alea ihre Zähne noch fester zusammenbiss und weiterkletterte, nicht darüber nachzudenken versuchend, dass um sie herum gerade die Hölle losbrach.

Eine Hölle, der sie schon einmal nur um Haaresbreite entkommen war.

Und ganz egal, wie sehr sie auch versuchte, die Erinnerungen zurückzudrängen, die wie hungrige Ratten aus den Ritzen ihres Gedächtnisses zu kriechen drohten, sie konnte ihnen nicht entkommen ... es war genauso wie vor sechs Jahren.

Die Wassermassen, die sich über sie ergossen, der schwarze, wolkenverhangene Himmel, hinter dem sämtliches Sternenlicht erstickt wurde, und das ebenso schwarze Meer, zwei nimmersatte Mäuler, die nach ihr lechzten, und die einzige Entscheidung, die sie treffen konnte, war, in welchem von beiden sie lieber ihr Ende finden wollte.

Das Blut rauschte in ihren Ohren, während die See gegen den längst zersplitterten Rumpf ihres Bootes brandete, und der Regen ihr von allen Seiten ins Gesicht peitschte, sodass sie kaum noch geradeaus blicken konnte. Alles war schwarz. Von irgendwoher erklangen Schreie, vielleicht waren es ihre eigenen, vielleicht bloß ferne Sirenegesänge, und Alea war so klein und so schwach, sie war noch ein Kind, doch die See unterschied nicht zwischen gut und böse, zwischen schuldig und unverdorben, oder zwischen erfahrenem Seemann und Landratte. Poseidon packte sie einfach mit seinen kalten, aufgequollenen Fingern und zerrte sie mit sich in die Tiefe. Ein scharfes Brennen durchzuckte ihr Bein, das schwarze Wasser, das sie verschlang, färbte sich für einen winzigen Sekundenbruchteil rot, und dann war es plötzlich wieder still um sie herum; Aleas Glieder wurden genauso taub wie ihre Ohren, die Kälte lähmte jeden Muskel, und sie wusste, dass sie sank, immer tiefer und tiefer und tiefer, hinein in den Schlund des Ungeheuers ...

War da noch jemand mit ihr im Dunkeln?

Ein weißer Narwal, der ihr zur Rettung eilte.

Eine Meerjungfrau.

Oder eine zerschmetterte Planke, die ebenso vom Boot gerissen worden war wie sie.

Irgendetwas griff nach Aleas Arm, und sie konnte spüren, wie sie plötzlich aufwärts trieb, ganz von allein, weg von der Tiefe, weg vom Tod, und dann strömte mit einem Mal wieder Luft in ihre Lungen, sie japste, würgte, hustete, und klammerte sich mit ihren dürren, steifen Fingern am Rand ihres Bootes fest. Irgendwie schaffte sie es tatsächlich hineinzuklettern, obwohl ihr gesamter Körper sich dagegen sträubte, doch als sie sich umsah, war sie wieder allein.

Keine Spur von einem weißen Narwal. Oder von einer Meerjungfrau.

Und die See hungerte noch immer. Gierig leckten die schwarzen Fluten am Bug, und zwischen den Wogen blitzte etwas auf, klein und grell und nur für den Bruchteil einer Sekunde sichtbar, bevor die Schatten es abermals verschluckten.

War das ein Horn? Eine schillernde Schwanzflosse?

So einen leuchtend gelben Südwester hatte ihre Mutter doch immer getragen ...

Wieder donnerte ein Schrei durch ihren Schädel, doch diesmal stammte er weder von der kleinen Alea, deren Schicksal damals beinahe besiegelt worden wäre, noch von der großen, die sich jetzt mit aller Kraft durch die Arena kämpfte, und als sie herumfuhr, konnte sie gerade noch erkennen, wie ein Ast von oben herabstürzte und Malorie beinahe unter sich begraben hätte, wäre sie nicht in letzter Sekunde zur Seite gesprungen.

Dieses dumme Mädchen! Wenn das so weiterging, würde es ihr noch genauso ergehen wie ...

Malorie war der Länge nach hingestürzt, und konnte wahrscheinlich von Glück reden, dass sie sich an den spitzen Steinen, die überall aus dem Boden hervorragten, nicht den Schädel aufgeschlagen hatte. Wie ein Fisch auf dem Trockenen wand sie sich im Morast, versuchte sich irgendwo festzuhalten, doch es half nichts, sämtliche Wurzeln und Felsvorsprünge entglitten ihr, sie rutschte immer weiter ab, und bevor Alea so richtig darüber nachdenken konnte, hatte sie die letzten Meter auch schon überwunden, und packte ihre Verbündete am Kragen, um sie mit einem kräftigen Ruck wieder auf die Füße zu zerren.

»Pass gefälligst auf, wo du hintrittst!«

Aus einem über und über mit Schlamm bespritzen Gesicht starrten zwei riesige, tränengefüllte Augen sie wie vom Donner gerührt an. Das Mädchen sah aus wie eine zerlumpte Straßenkatze, die man aus einem überfluteten Gully gefischt hatte.

Und sie selbst hatte damals wahrscheinlich nicht besser ausgesehen, als die Küstenwache ihren schrottreifen Kahn im Morgengrauen wieder an Land gezerrt hatte.

Zitternd, völlig durchnässt, und kaum ansprechbar – aber am Leben.

Alea schüttelte entschieden den Kopf und gab Malorie noch einen letzten Stoß, ehe sie sich abermals umwandte und den Hang nach oben kraxelte, diesmal allerdings darauf achtend, dass sie nicht allzu weit vorausstürmte.

Inzwischen konnte sie das Füllhorn ganz deutlich erkennen. Der Nebel hatte sich verzogen und oben auf dem Gipfel drang ein schwaches, rötliches Glühen durch den Regenschleier. Das mussten die Überreste ihres Lagerfeuers sein! Nur noch ein paar Meter, dann hatten sie es geschafft. Sie waren in Sicherheit – zumindest für diese Nacht.

Zwischen einigen Baumstämmen hindurch stolperten die Mädchen letztendlich zurück auf die Lichtung, schniefend und keuchend wie nach einem Marathonlauf, und mit brennenden Kehlen, ehe sie direkt vor der Feuerstelle auf die Knie fielen. In diesem Moment war es wirklich verdammt verlockend, einfach hier liegenzubleiben und erst einmal ihren Atem wiederzufinden, doch ein erneutes Donnergrollen ließ Alea rasch wieder zu Sinnen kommen.

Zur selben Zeit öffnete sich eines der Zelte, die sie zum Schutz vor dem Wetter im Innern des Füllhorns aufgestellt hatten, und ein zerzauster, dunkelblonder Haarschopf, der nur Kane gehören konnte, sorgte dafür, dass sich ihr im wahrsten Sinne des Wortes der Magen umdrehte.

Was auch immer dieses Arschloch jetzt von ihr wollte, das würde bis morgen warten müssen.

Entschieden biss Alea die Zähne zusammen und rappelte sich noch ein letztes Mal auf, den Zweier, der von weitem bereits auf sie einzureden begonnen hatte, dabei keines Blickes würdigend, und schleppte sich zu ihrem eigenen Zelt herüber. Kane konnte sich ihretwegen getrost ins Knie ficken und Malorie würde ab jetzt auch alleine zurechtkommen müssen.

Unter größter Anstrengung schaffte Alea es schließlich, mit ihren steif gefrorenen Fingern den Reißverschluss zu öffnen, sich Kleider und Gepäck abzustreifen, und dann endlich, endlich in ihren Schlafsack zu kriechen, der ihren geschundenen Körper in eine warme, tröstende Umarmung schloss. Von draußen peitschte das Unwetter noch immer gegen die Zeltwände und der Lärm dröhnte in ihren Ohren, doch die Erschöpfung sorgte dafür, dass Alea trotzdem innerhalb von wenigen Minuten die Augen zufielen.

Und sie konnte nur hoffen, dass ihr die Albträume wenigstens dieses eine Mal erspart bleiben würden.



▬▬▬▬▬▬ ✶ ✶ ✶ ▬▬▬▬▬▬



Am nächsten Morgen erwachte Alea mit hämmernden Kopfschmerzen, pulsierenden Waden, und mindestens genauso erschöpft, wie sie gestern Nacht hier angekommen war. Wie lange hatte sie überhaupt geschlafen? Mehr als drei oder vier Stunden konnten es kaum gewesen sein.

Die Erinnerungen an die vergangene Jagd polterten noch immer wie wild durch ihr Gedächtnis und versuchten sich nach und nach wieder zu einem Ganzen zusammenzusetzen, während Alea sich auf den Rücken drehte, der Zeltdecke entgegenblinzelte, und sich mit schlammbedeckten Knöcheln über die Lider rieb. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie schlecht geträumt hatte, doch an mehr als ein Unwetter, schwarzes Eiswasser, und ein Paar verzweifelt schimmernder hellblauer Augen konnte sie sich nicht erinnern.

Wahrscheinlich war das auch ganz gut so.

Ein paar Minuten lang blieb sie einfach reglos in ihrem Zelt liegen, um ihrem Körper ausreichend Zeit zu geben, sich wieder an den Wachzustand zu gewöhnen. Nicht nur ihre Beine, sondern auch ihr Magen fühlte sich unangenehm verkrampft an, und selbst ihr Puls hatte Mühe, sich einzupendeln. Sie fühlte sich wie gerädert. Am liebsten würde Alea einfach den ganzen Tag über hier liegenbleiben und die Schmerzen wegschlafen, doch das war natürlich keine Option.

Mit Nichtstun hatte noch nie jemand die Hungerspiele gewonnen.

Und außerdem war sie den anderen ja auch noch eine Erklärung schuldig ...

Allein die Vorstellung sorgte dafür, dass sich ein bitterer Geschmack auf ihrer Zunge auszubreiten begann. Die Wahrheit konnte sie Kane ja wohl kaum auftischen, oder? Aber wie sonst sollte sie Physalus' Fehlen rechtfertigen? Und was war mit Malorie? Das Spielchen mitzuspielen wäre ja schließlich auch in ihrem Interesse. Verdammt, darüber hätten sie sich vorher einig werden sollen!

Aber es half nichts, Alea würde sich nicht ewig vor der Konfrontation drücken können. Außerdem begann ihr allmählich auch der Magen zu knurren. Langsam versuchte sie sich aufzusetzen und sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein, als sie ein Stechen hinter ihrer Stirn verspürte. Sie musste sich verdammt noch mal zusammenreißen!

Alea presste die Lippen aufeinander, öffnete den Reißverschluss ihrer Zelttür, und streckte probehalber ihren Kopf nach draußen, um nachzusehen, ob die anderen schon wach waren.

Der Sturm war längst vorübergezogen und der Wald war in ein helles, wenn auch reichlich tristes Grau getaucht. Der Nebel war mittlerweile ebenfalls zurückgekehrt, und waberte träge zwischen den Tannen umher, von deren Zweigen der Regen heruntertropfte.

Und auf einer der umgedrehten Vorratskisten, die um das Lagerfeuer herum aufgestellt worden waren, hockte Kane und starrte ihr direkt in die Augen.

»Na, auch schon wach?«

Ein eisiger Schauer lief Alea den Rücken herunter und sie wich instinktiv ein Stück zurück, den Rest ihres Körpers wieder hinter der Zelttür verbergend. Wie lange mochte der wohl schon da draußen sitzen und auf sie warten? Offensichtlich wollte Kane keine Zeit mehr verlieren ... was um ehrlich zu sein verständlich war. Sich vorher noch einmal mit Malorie abzusprechen, konnte sie jetzt allerdings vergessen.

Tatsächlich dauerte es ein paar Sekunden, bis Alea sich wieder daran erinnerte, dass sie nur ihre Unterwäsche trug, und ihr stieg unweigerlich die Hitze in die Wangen. Gestern war sie so fertig gewesen, dass sie sämtliche Kleidung einfach auf einen Haufen geworfen hatte, wo diese natürlich keine Chance gehabt hatte, über Nacht zu trocknen. Die Spielleitung hätte ihnen ja ruhig ein paar Wechselsachen mit ins Füllhorn packen können ... in den Hungerspielen an einer Blasenentzündung zu verrecken wäre ja schon verdammt armselig.

Alea musste wohl völlig in Gedanken versunken gewesen sein, denn sie zuckte sichtbar zusammen, als Kane ihr auf einmal seine Jacke entgegenwarf.

»Zieh die an, wenn du dich so nicht raustraust. Ist ziemlich frisch heute morgen.«

Augenblicklich zog sich der Knoten in ihrem Magen noch fester zusammen und sie musterte die Jacke in ihren Händen noch einen Moment lang missbilligend, ehe sie zu dem Schluss kam, dass falscher Stolz ihr in diesem Punkt nicht weiterhelfen würde, weshalb sie sich das Ding einfach über die Schultern warf. Zumindest war die Jacke groß genug, um ihren Oberkörper vollständig zu bedecken, als sie aus dem Zelt krabbelte und ebenfalls zur Feuerstelle herüberschlich.

Auch Ciel und Malorie waren offenbar schon auf den Beinen. Der Dreier schien jeden ihrer Schritte mit Argusaugen zu verfolgen, ein klein wenig zu aufmerksam für ihren Geschmack, während er sich an einem Müsliriegel bediente, und Malorie ... die sah mindestens genauso fertig aus, wie Alea sich gerade fühlte. Das andere Mädchen hatte müde den Kopf gesenkt und schien ihre Blicke bewusst zu meiden. Außerdem trug sie noch immer ihre schlammverschmierten Klamotten von gestern Nacht. Hatte sie etwa darin geschlafen?! Wenn sie sich unbedingt eine Erkältung holen wollte, dann war sie jedenfalls auf dem besten Weg dorthin.

Alea setzte sich den dreien gegenüber, überschlug ihre Beine, und verschränkte die Arme vor der Brust, Kanes Jacke dabei noch ein wenig fester um ihre Schultern ziehend. Ihre Miene blieb währenddessen genauso unnachgiebig wie immer. Diese Idioten sollten nicht glauben, dass sie bereits aufgegeben hatte, nur weil sie heute Nacht schlecht geschlafen hatte!

»Also, da wir nun alle wieder versammelt sind ... oder zumindest der Großteil von uns«, begann Kane kurz darauf, und warf einen auffordernden Blick in die Runde, ehe er bei Alea hängenblieb. »Wäre ich den Damen wirklich ausgesprochen dankbar, wenn sie uns verraten könnten, wo sie gestern den ganzen Tag über gewesen sind. Ach ja, und natürlich wo um alles in der Welt sie unseren Physalus gelassen haben ...«

Während Malorie überhaupt keine Anstalten machte, ihm zu antworten, und sich stattdessen immer tiefer in ihrer eigenen Jacke zu verkrümeln schien, bedachte Alea ihren Bündnisführer noch ein paar Sekunden lang mit durchdringenden Blicken, welche dieser ohne zu blinzeln erwiderte, ehe sie selbst das Wort ergriff.

»Wir haben die Spur des Zehners aufgenommen und diese eine Weile lang verfolgt. Dabei ist Physalus uns wohl leider ... abhandengekommen. Als wir auf ihn warten wollten, ist der Kleine uns entwischt, woraufhin wir endgültig die Orientierung verloren haben. Deshalb haben wir so lange gebraucht.«

Es widerstrebte Alea zutiefst, sich eine solche Niederlage einzugestehen, doch wenn sie es mit dem Beschönigen allzu sehr übertrieb, würde sie sich auf Dauer nur in ihrem eigenen Lügenkonstrukt verstricken, und das wollte sie lieber nicht riskieren. Unbemerkt glitt ihr Blick zu Malorie herüber, wollte ihr klarmachen, dass auch sie besser bei ihrer Version der Geschichte bleiben sollte, wenn sie nicht in Schwierigkeiten geraten wollte, und zu ihrer Erleichterung schien die Kleine zumindest das zu schnallen.

Kane runzelte indessen argwöhnisch die Stirn, doch es war Ciel, der sich als Erstes dazu entschied nachzuhaken.

»Wie kann Physalus euch denn ›abhandengekommen‹ sein? So leicht ist der Kerl ja nun wirklich nicht zu übersehen ... oder zu überhören.«

»Das ist jetzt gerade nicht dein Ernst, oder?« Alea rümpfte die Nase und gestikulierte anklagend in Richtung des Waldes. »Bei diesem Nebel ist es so gut wie unmöglich, während einer Verfolgungsjagd die ganze Zeit über zusammenzubleiben, und darüber hinaus erschwert das Terrain auch jegliche Art von Sprinteinlagen. Sobald man sich da draußen auch nur für ein paar Sekunden aus den Augen verliert, ist es das für gewöhnlich gewesen. Malorie und ich können von Glück reden, dass wir einander wiedergefunden haben! Das muss doch selbst dir mittlerweile aufgefallen sein, oder?«

»Genau!«, stimmte jetzt auch die Zweierin mit ein, und obwohl ihre Stimme ein wenig heiser klang, schien ihr freches Mundwerk noch immer einwandfrei zu funktionieren. »Oder willst du damit etwa andeuten, dass wir Phys mit Absicht zurückgelassen haben?«

Ciel zog auf diese Worte hin überrascht die Augenbrauen nach oben, während Alea sich am liebsten eine Hand vor die Stirn geklatscht hätte. Wie konnte man bloß so eine miserable Lügnerin sein?

»Das habe ich nie behauptet ...«

»Gut so! Haben wir nämlich auch nicht! Alea und ich können ihn ja wohl schlecht umgebracht haben, schließlich hätte es sonst eine Kanone gegeben, also läuft der garantiert noch irgendwo da draußen rum und sucht nach uns.«

Das wagte Alea stark zu bezweifeln. Selbst wenn Physalus nach dem Steinschleuderangriff tatsächlich wieder auf die Beine gekommen war, hatte er gerade sicher Besseres zu tun, als sich an ihre Fersen zu heften. Ohne entsprechende Hilfsmittel würde er es jedenfalls nicht mehr lange machen.

»Ist ja jetzt auch egal«, beendete Kane letztendlich ihre Diskussion, verschränkte die Arme vor der Brust, und warf einen langen, nachdenklichen Blick hinaus in den Nebel. »Was mich viel eher stört, ist die Tatsache, dass ihr euch von einem Zwölfjährigen habt verarschen lassen, und das obwohl ihr ihm sowohl körperlich, als auch zahlenmäßig haushoch überlegen ward. Aber gut, damit hätte ich wahrscheinlich rechnen müssen ...«

»Hast du eben nicht zugehört?«, knurrte Malorie und verdrehte genervt die Augen. »Bei diesem Wetter funktioniert so 'ne Jagd einfach nicht, da spielt es auch keine Rolle, wie viele wir sind, oder wie stark oder wie schnell. Und außerdem kann ja nicht jeder das Glück haben, gleich zu Anfang auf offener Fläche jemanden mit dem Speer zu treffen!«

Kanes Mundwinkel zuckten kurz auf, doch zu einem richtigen Lächeln schien er sich nicht durchringen zu können, während seine Augen die Jüngere nun regelrecht durchbohrten. Diese schrumpfte sofort unter seinen Blicken zusammen.

»So eine Chance muss man eben ergreifen, sobald sie einem geboten wird. Wer zögert, der verliert, und wenn ich mich recht erinnere, ist das ja so eine Art Spezialität von dir. Zuerst ist dir beim Füllhorn der Sechser entwischt, und dann das Nudelmädchen ... entschuldige, ich meinte natürlich das ›Karnickel‹

Kanes Worte stießen wie Bolzen durch Malories Abwehrhaltung, das konnte Alea selbst von ihrem Platz aus erkennen, und auch wenn sie sich sichtlich anstrengen musste, um nicht die Fassung zu verlieren, kamen ihr jetzt auch keinerlei Konter mehr über die Lippen.

»Für eine trainierte Karrieretributin ist so ein Verhalten völlig inakzeptabel. Du brauchst nicht zu glauben, dass du hier unter Welpenschutz stehst, das hab ich dir von Anfang an gesagt, und wer sich freiwillig für die Spiele meldet, von dem erwarte ich auch, dass er den entsprechenden Kampfeswillen mitbringt. Wenn du unbedingt wie eine Erwachsene behandelt werden willst, dann benimm dich gefälligst auch wie eine. Zwei verpasste Chancen sind bereits zwei zu viel, Malorie. Und soll ich dir mal was verraten?«

Nun beugte Kane sich tatsächlich zu ihr herüber, seine Miene noch immer eisern, selbst das übliche Schleimbeutellächeln war inzwischen verblasst, und seine Stimme klang eiskalt, wie ein ...

Wie ein stürmischer Ozean, der einen mit sich in die Tiefe zog.

Eine Kraft, gegen die ein Kind allein keine Chance hatte.

»Das Einzige, was mich momentan davon abhält, einen faulen Apfel wie dich zu entsorgen, ist der Heimatdistrikt, der uns verbindet. Ein ehrbarer Zweier tötet seinen Partner nicht einfach so, zumindest nicht so lange er keinen triftigen Grund dazu hat. Also würde ich an deiner Stelle dafür sorgen, dass ich auch in Zukunft-«

»Das reicht jetzt, Kane.«

Alea realisierte etwas zu spät, dass sie diejenige gewesen war, die die Worte ausgesprochen hatte, erst als der Zweier sich zu ihr umwandte und mit seinen Augen stattdessen sie ans Füllhorn zu nageln versuchte, doch im Gegensatz zu der Kleinen wusste Alea zumindest, wie man mit solchen Großmäulern umzugehen hatte.

Als ob dieser Kerl gerade nichts Besseres zu tun hatte, als eine Dreizehnjährige fertigzumachen.

»Malorie hat vollkommen recht. Unter den aktuellen Bedingungen ist es so gut wie unmöglich, einen anderen Tribut einzufangen, ganz besonders dann nicht, wenn dieser bereits einen Vorsprung hat. Diese Arena spielt offensichtlich gegen uns. Und wenn wir nicht langsam damit anfangen, uns auf das Spielchen einzulassen und uns eine bessere Strategie überlegen, dann werden wir nicht weiterkommen, schlicht und ergreifend. So schwer kann das doch wohl nicht zu verstehen sein, oder?«

»Ach, und was für eine Alternative schlägst du bitte vor?«

»Wir könnten zum Beispiel alle gemeinsam losziehen. Auf diese Weise ist es womöglich einfacher, versteckte Tribute ausfindig zu machen und sie aus dem Hinterhalt zu überraschen. Dafür müssten wir zwar unseren Stützpunkt aufgeben, aber ... erst mal ist das ja nur eine Idee. Du bist jederzeit dazu eingeladen, auch mal selber dein Hirn einzuschalten, statt dich nur über andere zu beschweren. Das kann man von einem anständigen Bündnisführer doch wohl verlangen, oder meinst du nicht?«

Alea hatte sich bereits auf eine geharnischte Antwort eingestellt, doch statt ihr eine solche an den Kopf zu werfen, runzelte Kane bloß die Stirn und schien tatsächlich über ihren Vorschlag nachzudenken, ehe sein Blick wieder zurück zum Waldrand glitt. Man könnte fast meine, er würde dort nach etwas suchen, dann jedoch verschränkte er bloß die Arme hinter dem Kopf und stieß ein resigniertes Seufzen aus.

»Weißt du was? Vielleicht ist das gar keine so dumme Idee.« Wie bitte? Aus seinem Mund klang das ja schon fast wie ein Lob ... auch wenn Alea darauf ganz gut verzichten könnte. »Ich werd mir das mal durch den Kopf gehen lassen. Aber jetzt sollten wir erst mal frühstücken. Mit leerem Magen sollte man lieber keine wichtigen Entscheidungen treffen, das muss ich euch ja mit Sicherheit nicht sagen.«

»Und was ist mit Physalus?«, war es nun wieder Ciel, der zaghaft seine Stimme erhob, fast als fürchtete er, dass man ihn für die Frage bestrafen könnte. »Meint ihr, wir sollten nach ihm suchen? Oder wäre es sinnvoller, ihn einfach aufzugeben?«

Aus dem Augenwinkel konnte Alea erkennen, wie Malorie erneut den Kopf einzog und auf ihrer Unterlippe herumzukauen begann, wahrscheinlich aus Angst, wieder etwas Falsches zu sagen, doch sie musste leider zugeben, dass auch sie nicht so recht wusste, was sie darauf antworten sollte. Die anderen wussten nur zu gut, dass Phys und sie sich nicht hatten leiden können, weshalb es sicherlich Fragen aufwerfen würde, wenn sie jetzt auf einmal dafür stimmte, ihn suchen zu gehen. Andererseits könnte übermäßige Apathie auch den Verdacht bestärken, dass sie ihn absichtlich zurückgelassen oder sogar verletzt hatte ... Alea durfte nicht vorschnell handeln, sie bewegte sich bei Kane ohnehin schon auf dünnem Eis. Oder zermarterte sie sich gerade bloß unnötig das Hirn? Verdammt, genau das hatte sie doch eigentlich vermeiden wollen-

»Wenn es stimmt, was ihr sagt, dann fürchte ich, dass nach dieser Nacht ohnehin jede Hilfe zu spät kommen wird«, war es letztendlich Kane, der ihnen die Entscheidung abnahm, und Alea atmete unbemerkt auf. »Es ist schade um ihn, aber in der Arena müssen nun mal Abstriche gemacht werden, auch wenn man im Bündnis kämpft. Im Endeffekt sollte unser eigenes Überleben die oberste Priorität bleiben, auch wenn das bedeutet, dass wir im Laufe der Zeit unsere Kameraden zurücklassen müssen.«

Alea konnte sich das freudlose Auflachen gerade noch so verkneifen.

Dass Kane damit nur sein eigenes Überleben meinte, stand außer Frage. Dieser Mann würde keine Sekunde zögern, ihr ein Messer in den Rücken zu stoßen, wenn sie in ein paar Tagen zu den letzten Überlebenden gehörten, und sie würde es ganz genauso handhaben. Dieses sogenannte Bündnis war nichts weiter als eine Farce, gute Miene zum bösen Spiel, und es kotzte Alea einfach nur an, doch sie hatte ihre Entscheidung getroffen, sie hatte sich ihnen angeschlossen, und jetzt musste sie damit leben, ob es ihr nun passte oder nicht.

Ihre Allianz hatte bereits zu bröckeln begonnen. Und wenn Alea nicht unter ihren Trümmern begraben werden wollte, dann musste sie das sinkende Schiff mit all seinen Ratten so bald wie möglich verlassen.

Das Einzige, was sie dafür brauchte, war eine passende Gelegenheit.



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AN: Der dritte Tag bricht an! Diesmal wieder mit einem etwas längeren Kapitel, das theoretisch auch schon am Abend des zweiten Tages beginnt, aber ihr wisst ja, wie es ist. 8D

Ich muss gestehen, ich habe Aleas Perspektive echt vermisst. Sie ist einfach sehr angenehm für mich zu schreiben und hier hat sich auch eine tolle Gelegenheit für ein traumatisches Flashback geboten. ;D Ich liebe es einfach, wie poetisch sie immer wird, wenn sie Angst hat eqefqefq.

Die Karnickelsache wird Mal wohl nie loslassen. u_u

Im nächsten Kapitel schauen wir mal wieder bei Lina im Gehirn vorbei. Keine Sorge, Tom kommt früher oder später auch noch mal zu Wort, aber sie bietet sich bei den beiden momentan einfach besser an ...

(Übrigens, für diejenigen, die es nicht mitbekommen haben: der Kaint-Twoshot ist inzwischen online, schaut gerne für eine kleine Sidestory zu dieser Geschichte auf meinem Profil vorbei! :3)

Wie immer vielen lieben Dank fürs Lesen und ich hoffe, es hat euch gefallen. <3

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