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KAPITEL 18 ✶ Der Zweite Trainingstag ⌠Teil I⌡

Yolanda Aktavia ⌠ Distrikt Fünf ⌡


Mit entschlossen gerunzelter Stirn und einem halben Marmeladenbrötchen im Mund wiederholte Yolanda den Bewegungsablauf nun bestimmt schon zum fünfzehnten Mal. Rechte Hand, rechte Hand, nur nicht vergessen, so schwer konnte das ja wohl nicht sein! Zumindest sollte es das nicht, wenn man nicht zufälligerweise ein Schussel war, der sich einfach ums Verrecken nicht merken konnte, welche Hand er zum Schreiben benutzte ... wie war das jetzt noch mal? Dieser bescheuerte Übergang brachte sie jedes Mal aus dem Konzept! Also, noch einmal von vorn. Zuerst die rechte Hand-

»Du machst dir viel zu viele Gedanken.«

Fermio, ihr Mentor, der ihr gegenüber am Frühstückstisch saß, hatte natürlich nichts Besseres zu tun, als sie durch seine dick umrandete Brille verschmitzt anzublinzeln. Seinen Kaffee hatte er schon vor einer Ewigkeit ausgetrunken, was ebenfalls Sinn ergab, wenn man bedachte, dass er anscheinend zu den notorischen Frühaufstehern zählte. Ganz egal, wie pünktlich man auch aus dem Bett stieg, Fermio war stets der Erste, dem man hier in der Wohnung begegnete. Allerdings konnte das natürlich auch an den Hungerspielen liegen ... im Gegensatz zu ihr machte er das ja schließlich nicht zum ersten Mal mit.

»Es ist absolut nicht schlimm, wenn du mal die Seiten verwechselst. Der Junge wird auch so verstehen, was du ihm sagen willst.«

Yolanda öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, wobei ein Teil des Brötchens ihr in den Schoß fiel, während sie den anderen im letzten Moment herunterschluckte. Na toll, jetzt konnte sie sich gleich eine neue Leggings anziehen! Sie hätte doch einfach im Schlafanzug frühstücken sollen.

»Und was ist, wenn ich's so richtig vergeige und aus Versehen seine Mutter beleidige oder so?«

Fermio entkam ein Prusten. »Keine Sorge, davon bist du ganz weit entfernt. Und bevor du fragst, nein, das werd ich dir auch ganz sicher nicht zeigen ...«

Yolanda verengte die Augen zu Schlitzen und wollte gerade protestieren, als sie hörte, wie sich hinter ihr auf dem Flur eine Tür öffnete. Lorcáns Zimmertür, um genau zu sein, zumindest ließ Fermios Gesichtsausdruck das vermuten. Sofort konnte sie spüren, wie ihr Herz ein wenig schneller zu schlagen begann, und spannte unweigerlich ihre Schultern an. Alles klar, jetzt musste es sitzen! Alles oder nichts.

»Morgen!« Fermio versuchte nicht einmal, sein Grinsen zu verbergen, und als er ihr dann auch noch zuzwinkerte, wäre Yolanda am liebsten auf der Stelle im Boden versunken. Ging es eigentlich noch offensichtlicher?!

Kurze Zeit später trat auch Lorcán endlich in ihr Sichtfeld und setzte sich gegenüber an den Tisch. Er trug die gleiche dunkelgraue Trainingskleidung wie gestern und hatte seine langen, seidenen Haare zu einem lockeren Dutt zusammengeknotet, aus dem ihm ein paar einzelne Strähnen ins Gesicht fielen. Außerdem wirkte er noch immer ein wenig verschlafen, unter seinen Augen zeichneten sich leichte Schatten ab, und seine Lippen ... Yolanda biss sich unbemerkt auf die Zunge und schluckte. Das war jetzt gerade wirklich nicht der richtige Zeitpunkt, um ihren Distriktpartner anzuschmachten! Sie hatte Wichtigeres zu tun. Also, Augen zu und durch!

Rechts zuerst. Mit den Fingerspitzen berührte sie flüchtig ihr Kinn, dann streckte sie denselben Arm nach vorn, sodass die Fläche nach oben zeigte, legte den linken Handrücken in ihre Armbeuge, und ließ den rechten Unterarm langsam hochfahren – wie die aufgehende Sonne, hatte Fermio ihr erklärt.

»Guten Morgen!«

So weit, so gut. Weiter ging es mit ihrer rechten Hand, die sie ihrem Gesicht zuwandte und sie eine Bewegung ausführen ließ, die an eine Handpuppe erinnerte, die ihren Mund schloss, dann streiften die Fingerspitzen erneut ihr Kinn, bevor die Hand von ihrer linken aufgefangen wurde.

»Hast du gut geschlafen?«

Hey, das war doch ganz gut gelaufen! Auch wenn ihre Finger dabei ein bisschen gezittert und ihre Miene wahrscheinlich total verkrampft ausgesehen hatte ...

Im ersten Moment starrte Lorcán sie bloß ungläubig, ja geradezu entgeistert an, und Yolanda begann schon fast zu befürchten, dass Fermio ihr am Ende doch irgendwelche Schimpfwörter beigebracht hatte, doch dann erschien endlich ein Lächeln auf seinen Zügen. Ein Lächeln, das innerhalb einer einzigen Sekunde sämtliche Schwere aus ihren Eingeweiden verbannte und stattdessen einen ganzen Schwarm Schmetterlinge zwischen ihren Rippen freizulassen schien.

Heilige Scheiße, jetzt strahlte ihr Partner tatsächlich über das ganze Gesicht und nickte ihr sogar zu! Dann huschte Lorcáns Blick wieder zu Fermio herüber, und dieses Mal konnte Yolanda die Frage darin auch lesen, ohne seine Gebärden zu verstehen.

»Hast du ihr das gezeigt?«

Ihr Mentor grinste unverschämt und zuckte mit den Schultern. »Schau mich nicht so an, das war alles Yolandas Idee! Ich hab nur ein bisschen nachgeholfen.«

Im Nachhinein betrachtet hätte sie es mit ihrem Distriktpartner wahrscheinlich auch sehr viel schlechter treffen können. Zu Beginn hatte Lorcán sich hauptsächlich auf sein eigenes Zimmer zurückgezogen, doch dass er diese Isolationstaktik nicht ewig aufrechterhalten konnte, schien ihm nach ein paar Stunden ebenfalls bewusst geworden zu sein. Und darüber war Yolanda unheimlich froh, denn sobald man seine kühle, ja geradezu unnahbare Fassade einmal durchbrochen hatte, wirkte er auch gar nicht mehr so sehr wie ein reicher Schnösel. Gestern waren sie sogar gemeinsam zum Training gegangen! Selbst wenn das vermutlich eher aus praktischen Gründen geschehen war. Und auch wenn sie über das Thema bisher noch nicht wirklich gesprochen hatten, hegte Yolanda ein wenig die Hoffnung, dass sie sich auch in der Arena verbünden würden ...

Vorwiegend natürlich deswegen, weil sie Lorcán mochte, aber davon einmal abgesehen schien er auch einiges auf dem Kasten zu haben. Gestern hatte er ihr gezeigt, dass er bereits mit diversen Kampfsportarten vertraut war, insbesondere mit dem Kickboxen, und eine solche Fähigkeit würde in der Arena mit Sicherheit nützlich werden – vor allen Dingen, wenn man keine Waffen fand.

Als Yolanda ihn gefragt hatte, wer ihm das beigebracht hatte, war die Stimmung im Raum sofort spürbar erkaltet, bevor er nach einigem Zögern endlich zugegeben hatte, dass sein Großvater ihn trainiert hatte. Und der Name DeAvalon, der im Fünften Distrikt nicht unbekannt war, hatte schließlich sein Übriges getan, um sie endlich Eins und Eins zusammenzählen zu lassen.

Hätte Yolanda früher gewusst, dass Lorcán aus einer Friedenswächterfamilie stammte, hätte sie wahrscheinlich sehr viel mehr Abstand von ihm gehalten. Diese weißgekleideten Bluthunde konnten ihr gut und gerne gestohlen bleiben, und allein die Vorstellung, dass sein Opa womöglich auch in die Sache involviert gewesen war, bei der ihr Vater ... nein. Darüber wollte Yolanda jetzt lieber nicht nachdenken. Es war die richtige Entscheidung gewesen, Lorcán eine Chance zu geben, denn für seine Familie konnte man nichts, und außerdem machte er auf sie einen gutherzigen Eindruck. Man sollte die Leute ja schließlich nach ihren Taten beurteilen, und nicht nach ihrem Namen, oder?

»Sollen wir heute wieder zusammen trainieren?«, versuchte Yolanda ihre Frage so beiläufig wie möglich klingen zu lassen, während sie den Rest ihres Milchkaffees herunterkippte, und zu ihrer Erleichterung ließ Lorcáns zustimmendes Nicken auch nicht lange auf sich warten. Zumindest das wäre also schon mal geklärt.



Um sich nicht gleich zu verausgaben und anschließend den ganzen Tag über in verschwitzter Kleidung herumlaufen zu müssen, beschlossen die beiden Fünfer sich erst einmal die Pflanzenstation anzusehen. Um ehrlich zu sein kannte Yolanda sich mit Grünzeug nicht sonderlich gut aus; zusammen mit ihren Eltern und ihrer kleinen Schwester lebte sie in einem Apartmentkomplex tief im Siedlungsviertel des Fünften Distriktes, in dem die meisten sich nicht einmal einen Balkon, geschweige denn einen Gartenabschnitt leisten konnten. Das einzige Stück Natur, das sie hin und wieder zu Gesicht bekam, war die Ahornallee auf ihrem Schulweg und das mit Gräsern und Schilf bewucherte Ufer des Stausees, an dem sie manchmal mit ihren Freunden herumlungerte. Die besten Voraussetzungen, um sich in der künstlich generierten Wildnis der Arena zurechtzufinden, waren das jedenfalls nicht.

Auf alle Fälle schien die Pflanzenstation gut ausgestattet zu sein. Um die kleinen, quadratisch angeordneten Indoor-Beete herum, die zur besseren Veranschaulichung besonders wichtiger Kräuter dienten, waren allerlei Infotafeln aufgestellt worden, die ebenfalls bei der Bestimmung der Pflanzen helfen sollten. Detailansichten ihrer Blüten, Blätter, Wurzeln und Früchte, Texte voller lateinischer Fachbegriffe, Hinweise auf Essbarkeit, Heilwirkung oder tödliche Giftstoffe waren darauf zu sehen, und dasselbe gab es auch noch mal in Broschürenform und als Flash Cards, die man an den Tischen studieren konnte. An einer der Wände befand sich ein großer Bildschirm inklusive Touchpad, auf dem man das erlernte Wissen bei einem Quiz abfragen lassen konnte. Und je länger sie hier herumsaßen, desto mehr kam Yolanda das Ganze wie eine nie enden wollende Biologiestunde vor. Nicht einmal in den Hungerspielen war man davor sicher!

Zumindest waren sie nicht die Einzigen, die sich heute an dieser Station versuchten. Während Lorcán seine Nase sofort in eines der Heftchen steckte und es in Windeseile durchblätterte, als wäre ihm der Großteil davon längst bekannt, wühlten sich auf der anderen Seite des Tisches gerade Aurelia aus Elf und der breitschultrige Zwölfer durch einen Kartenstapel. Yolanda konnte sich daran erinnern, die beiden schon gestern zusammen gesehen zu haben, und um ehrlich zu sein war sie sogar ein wenig erleichtert darüber, dass die Kleine jemanden gefunden hatte, der sich ihrer annahm. Sie mochte sich überhaupt nicht vorstellen, wie angsteinflößend diese ganze Situation für sie sein musste.

Momentan wirkte das Mädchen allerdings weniger verschüchtert und eher frustriert von der schieren Menge an Infokärtchen, die sie und ihr Partner vor sich auf dem Tisch ausgebreitet hatten, und auch das konnte Yolanda verstehen. Wie sollte man sich denn bitte in so kurzer Zeit hunderte von Pflanzennamen inklusive deren Eigenschaften merken?!

»Die, ähm ... die gemeine Fichte?«, versuchte die Elferin gerade ihr Glück und deutete mit zusammengekniffenen Brauen auf die Abbildung eines großen Nadelbaums. »Pico... ich meine, Pi... P-pinapi...«

»Oh nein, das ist eine Eibe«, verbesserte der Zwölfer sie mit einem geduldigen Lächeln, das Yolanda unweigerlich an einen Grundschullehrer erinnerte. »Das ist ein ganz gravierender Unterschied, im Gegensatz zu anderen Nadelbäumen sind nämlich fast alle Teile der Eibe giftig. Von denen solltest du dich am besten so weit wie möglich fernhalten.«

»Und wenn ich aus Versehen eine streife?«

»Eine kleine Berührung ist nicht gleich tödlich, aber du solltest es tunlichst vermeiden, etwas davon zu essen, und dir am besten anschließend die Hände waschen.«

»Warum sollte ich denn bitteschön Baumrinde essen?!« Aurelia stöhnte auf und ließ ihren Kopf geräuschvoll auf die Tischplatte fallen. »Ich werd's doch nie im Leben schaffen, mir bis nächste Woche jede einzelne von diesen Pflanzen zu merken ...«

»Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie uns in der Arena keinen Vokabeltest schreiben lassen werden«, klinkte sich jetzt auch Yolanda in das Gespräch mit ein und versuchte ihre Miene dabei so aufmunternd wie nur möglich aussehen zu lassen. »Von daher musst du dir zumindest um die Fachbegriffe keine Sorgen machen!«

»Da hat sie recht«, stimmte der Zwölfer ihr mit einem Kopfnicken zu. »Das Wichtigste ist eigentlich, dass man die giftigen Pflanzen erkennt. Alles andere ist zwar praktisch, aber wenn man sich einmal vergreift, bekommt man da normalerweise keine zweite Chance.«

Yolanda konnte hören, wie Aurelia auf diese Worte hin schwer schluckte, und auch in ihrem eigenen Magen begann sich allmählich wieder ein Knoten zu bilden. Als wäre es nicht schon stressig genug, von den Karrieros oder irgendwelchen blutrünstigen Mutationen verfolgt zu werden, nein, früher oder später würden die Spielmacher sogar ihre knurrenden Mägen gegen sie verwenden ... schließlich hieß es ja nicht umsonst Hungerspiele.

»Na, schönen Dank auch. Jetzt hast du uns beiden Angst gemacht.«

»Oh.« Ein schuldbewusster Ausdruck trat auf die Züge des Zwölfers und Yolanda tat ihr kleiner Scherz sofort wieder leid. »Das hab ich nicht gewollt, entschuldige ...« Er räusperte sich. »Aber wieso konzentrieren wir uns zur Abwechslung nicht auf ein paar Pflanzen, mit denen du dich auskennst, Aurelia? Im Elften Distrikt werden doch viele Obstsorten angebaut, wenn ich mich richtig erinnere.«

»Ich, ähm ...« Nervös zupfte die Kleine an einer ihrer dick gelockten, rotbraunen Haarsträhnen herum. »Ich kenn mich eigentlich nicht wirklich mit so was aus ...«

»Arbeitest du denn nicht?«

»Nee, ich geh noch zur Schule.«

»Und deine Eltern?«

»Mein Papa muss selber nicht auf den Plantagen arbeiten, die gehören ihm ... einige davon zumindest.«

»Oh.«

Also, das war jetzt unangenehm.

Um das betretene Schweigen, das sich auf diesen Austausch hin zwischen ihnen ausbreitete, besser ertragen zu können, begann Yolanda damit, ein paar Kärtchen zu sortieren, auch wenn sie sich ziemlich sicher war, dass sie das Auswendiglernen für heute vergessen konnte.

Wenn Aurelias Familie zur Oberschicht ihres Distriktes gehörte, dann war es kein Wunder, dass sie so gut wie keine Berührungspunkte mit der heimischen Pflanzenwelt hatte. Und der Überraschung des Zwölfers nach zu urteilen, genauso wie der zerlumpten Kleidung, die er bei der Ernte getragen hatte, stammte er selbst wohl aus deutlich weniger gut betuchten Verhältnissen.

Es war schon etwas merkwürdig, sich vor Augen zu führen, wie viele unterschiedliche soziale Schichten hier vor der Arena aufeinandertrafen. Zufällig wusste Yolanda, dass Lorcáns Familie in einem riesigen Herrenhaus wohnte, das vermutlich ihre gesamte Nachbarschaft beherbergen könnte; die Friedenswächter wurden von ihrer Distriktverwaltung ja geradezu fürstlich behandelt, während die öffentlichen Schulen sich nicht einmal genügend Pulte für ihre Klassen leisten konnten. Yolanda selbst konnte froh sein, dass sie und ihre Familie überhaupt ein Dach über dem Kopf hatten ... während die Einser offenbar regelmäßig Geld fürs Haarefärben zum Fenster rauswarfen.

In diesem Moment drang ein grelles, elektronisches Bimmeln an ihre Ohren und riss sie unsanft wieder aus ihren Gedanken. Yolanda und ihre beiden Mittribute hoben die Köpfe, wo ihr Blick auf den großen Bildschirm fiel, auf dem gerade ein fast perfekter Highscore von diversen Konfettigrafiken umrahmt wurde. Davor stand Lorcán mit halb entschuldigender, halb zerknirschter Miene und schrumpfte unter der Aufmerksamkeit, die er soeben auf sich gelenkt hatte, sichtbar zusammen.

Na, ganz große Klasse ... während sie hier miteinander geschwatzt und sich darüber beschwert hatten, dass sie sich keine Blümchen merken konnten, hatte er seine Zeit zumindest mit etwas Sinnvollem verbracht.

Allmählich verging Yolanda wirklich die Lust an dieser stupiden Auswendiglernerei. Was sie jetzt brauchte, war ein bisschen Sport, um ihre grauen Zellen wieder in Schwung zu bringen, und zum Glück hatte sie auch schon eine ungefähre Idee, wie sich das einrichten lassen würde.



»Weißt du, was ich schon immer mal ausprobieren wollte?«, fragte Yolanda ihren Distriktpartner, als sie kurze Zeit später wieder auf dem Weg durch das Trainingscenter waren, und sie ungeduldig von einem Fuß auf den anderen hüpfte. »Bogenschießen!«

Lorcán senkte argwöhnisch die Brauen und bedachte sie mit einem Blick, der nicht gerade zuversichtlich wirkte, doch Yolanda hatte natürlich bereits eine Antwort parat.

»Ich weiß, ich weiß, das ist nichts, was man mal eben so zwischen Tür und Angel lernen kann, aber wenn wir schon die Gelegenheit haben, warum dann nicht mal einen kleinen Blick drauf werfen? Du weißt doch, was Fermio immer sagt: die perfekte Trainingsstrategie existiert nicht, und so lange wir nicht einfach nur tatenlos rumstehen, ist der Tag auch nicht verschwendet. Komm schon, das wird bestimmt lustig!«

Wirklich überzeugt schien ihr Partner davon allerdings nicht. Er warf einen kurzen, nachdenklichen Blick über ihre Schulter, dann schüttelte er den Kopf, und deutete stattdessen auf die Erste-Hilfe-Station. Okay, vielleicht wäre das wirklich keine schlechte Idee, und auch garantiert nicht so kompliziert wie die Sache mit den Pflanzen, aber das änderte nichts daran, dass Yolanda Bewegung brauchte, und zwar so bald wie möglich.

»Hey, weißt du was? Wieso teilen wir uns nicht auf? Du kannst ja schon mal vorgehen und dich ein bisschen mit dem ganzen Kram vertraut machen, und ich schau so lange beim Bogenschießen vorbei. Dauert auch nicht lange, höchstens zwanzig Minuten oder so. Klingt das nach 'nem Plan?«

Lorcán schien einen Moment lang über ihren Vorschlag nachzudenken, bevor er schließlich nickte.

»Alles klar! Dann sehen wir uns nachher. Und warte zumindest mit der Herztransplantation auf mich, ja?« Yolanda zwinkerte ihm noch ein letztes Mal zu, bevor sie sich abwandte und auf die Bogenstation zutänzelte.

In diesem Jahr schienen keine Schützen unter den Karrieros zu sein, denn bisher war die Station eigentlich immer leer gewesen. Heute jedoch hatte sich abgesehen von Yolanda auch noch eine weitere Tributin hierher verirrt: Lina Seria, das Mädchen aus dem Siebten Distrikt. Von ihrem Freund, der normalerweise pausenlos um sie herumschwirrte, war allerdings nichts zu sehen. Vermutlich war er bloß ein paar Getränke holen gegangen oder so etwas in der Art ... doch die Expertise, die Lina mit ihrer Waffe an den Tag legte, war nicht zu übersehen. Allein ihre Haltung bewies, dass sie das hier gerade nicht zum ersten Mal machte, die geradezu routinierte Sicherheit, mit der sie immer wieder in den Köcher griff und einen Pfeil nach dem anderen einspannte, die Sorgfalt und die Ruhe, die sie dabei ausstrahlte, und die Art und Weise, wie sie ihre eigenen Muskeln beherrschte ... kein Wunder, dass fast jeder ihrer Pfeile höchstens ein paar Zentimeter von der Zielscheibenmitte entfernt traf.

Sollte Lina in der Arena einen Bogen bekommen, würde ihr das einen ganz gewaltigen Vorteil verschaffen. Und wenn sie dann auch noch ein gutes Versteck fand, würden ihr selbst die Karrieros nicht mehr viel anhaben können. Oder Yolanda, sollte sie auf ihrem Weg zufälligerweise in ihr Jagdrevier geraten ... sie konnte spüren, wie sich ein Kloß in ihrer Kehle zu bilden begann, doch dann erinnerte sie sich wieder daran, warum sie ursprünglich hergekommen war.

»Hey!«, entschloss Yolanda sich letztendlich dazu, auf sich aufmerksam zu machen, als Lina gerade einen weiteren Pfeil aus ihrem Köcher zu fummeln versuchte, dann fuhr sie blitzschnell zu ihr herum, wie ein Hase, der soeben ein Raubtier gesichtet hatte. Instinktiv wich sie zurück und musterte ihr Gegenüber mit scharfem Blick, als befürchtete sie ernsthaft, Yolanda könnte ihr gleich an die Gurgel springen. »Du bist ja echt verdammt gut im Schießen, Respekt! Wo hast du das gelernt?«

»Meine Mutter ... ist Jägerin«, erwiderte Lina nach ein paar Sekunden des unbehaglichen Schweigens und Yolanda hatte das dumpfe Gefühl, dass sie ihre Stimme bewusst etwas tiefer stellte, um sie bedrohlicher klingen zu lassen. Sie hatte doch nicht etwa Angst vor ihr, oder? So furchterregend sah sie nun auch wieder nicht aus.

»Wow, ehrlich? So richtig offiziell? Bei uns ist so was verboten, da gilt Wilderei schon fast als Kapitalverbrechen, dabei gibt's im Fünften Distrikt sowieso kaum was zu erlegen, bis auf die paar Enten vielleicht, die sich auf den Stauseen tummeln, aber ... stimmt, jetzt wo du's erwähnst! Die riesigen Wildschweinsteaks, die sie uns jeden Abend servieren, müssen ja schließlich auch irgendwoher kommen, was? Eigentlich hab ich immer gedacht, dass die Viecher in Zehn gezüchtet werden, aber bei euch in den Wäldern bietet sich so was ja viel eher an! Da kann so eine Hirschkuh zumindest noch ein bisschen herumspringen, bevor-«

Erst als Yolanda im wahrsten Sinne des Wortes die Luft ausging, begann ihr bewusst zu werden, was sie gerade für einen wasserfallartigen Wortschwall von sich gegeben hatte, und ihr schoss augenblicklich die Röte ins Gesicht. Das durfte doch wohl nicht wahr sein ... so viel dazu, dass sie ihr keine Angst machen wollte!

Auch Lina schien mit ihrem Gequassel sichtlich überfordert zu sein und gab letztendlich nur ein wenig enthusiastisches »Hmm« von sich, das keine ihrer Fragen auch nur im Entferntesten beantwortete. Wenn ihre Mutter tatsächlich wilderte, dann hätte sie ihr das doch garantiert nicht einfach so erzählt, oder? Schließlich wurden sie auch innerhalb des Trainingscenters rund um die Uhr beobachtet. Aber vielleicht hatte sie auch einfach nicht mit so viel Interesse gerechnet ...

»Hey, also ... ich hätte da mal 'ne Frage.« Yolanda gab ihr Bestes, ihr Lächeln so wenig fordernd wie nur möglich aussehen zu lassen. »Dürfte ich vielleicht auch mal ran? Ich meine, könntest du mir zeigen, wie man schießt?«

Lina zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. »Das wirst du nicht innerhalb eines einzigen Nachmittages lernen-«

»Das weiß ich doooch!« Unweigerlich verdrehte Yolanda die Augen. Warum hielten sie hier eigentlich alle für bescheuert? »Ich hab ja auch gar nicht vor, ein Profi zu werden, ich will's nur mal ausprobieren! Komm schon, ist doch nichts dabei, oder?«

Wieder musterte Lina sie eingehend, die Stirn noch immer in tiefe Falten gelegt, doch zu Yolandas eigener Überraschung nickte sie schließlich.

»Na gut. Aber nur wenn du mich dann wieder in Ruhe üben lässt.«

»Worauf du dich verlassen kannst!«

Die Siebenerin führte sie zu einem Regal, in dem Dutzende von unterschiedlichen Bögen ausgestellt waren, und erklärte ihr, dass jede Sehne einen unterschiedlichen Grad an Elastizität mitbrachte und man diesen so genau wie möglich auf seine eigene Zugkraft abstimmen musste. Na ja, in der Arena würden sie höchstwahrscheinlich keine solche Auswahl haben. Lina schnappte sich einen Bogen, der sich ihrer Meinung nach gut für eine Anfängerin eignete, und drückte ihn besagter Anfängerin in die Hand. Für Yolandas Geschmack fühlte sich die Sehne schon fast ein bisschen zu steif an, aber irgendetwas sagte ihr, dass das wahrscheinlich der Sinn der Sache war.

Nachdem sie ein paar Minuten damit verbracht hatte, Yolandas Haltung zu korrigieren, während dieser allmählich die Arme einzuschlafen begannen, zog Lina endlich einen Pfeil aus ihrem Köcher, und half ihr dabei, ihn einzuspannen. Ihre Hände waren überraschend warm, aber auch ziemlich rau, und an ihren Fingerkuppen blätterte bereits die oberste Hornhautschicht ab. Kein Wunder, wenn man bedachte, dass sie das hier wahrscheinlich öfter machte. Die Art und Weise, wie Lina sie führte, war nicht wirklich sanft, aber bestimmt. Erfahren. Es lag einfach eine unmissverständliche Sicherheit in ihrer Körpersprache ...

»Du musst die Sehne richtig in deine Wange schneiden spüren«, konnte Yolanda Linas Stimme direkt neben ihrem Ohr hören und runzelte unweigerlich die Stirn. Eigentlich war eine Narbe ihr bereits mehr als genug. »Bleib ruhig. Du zitterst zu viel.« Diese Position zu halten war ja auch verdammt anstrengend! »Atme. Konzentrier dich nur auf dein Ziel. Alles andere ist jetzt nebensächlich.«

»Was soll das denn bitte werden, wenn's fertig ist?«

Von einer auf die andere Sekunde wich sämtliche Spannung aus Yolandas Körper, ebenso wie aus der Sehne, und der Schuss löste sich ganz von allein. Ein flüchtiges Surren in der Luft, ein Kratzen an ihrer Wange, und der Pfeil verschwand irgendwo zwischen den Stationen auf Nimmerwiedersehen.

Na, ganz große Klasse. Schönen Dank auch!

Sie ließ ihren Bogen mit einem frustrierten Aufstöhnen sinken und wandte sich um. Linas Freund und Distriktpartner Tomath hatte sich schützend vor dieser aufgebaut, was ein wenig seltsam aussah, da sie ihn um mehrere Zentimeter überragte. In seinem Blick lag Misstrauen, doch der Großteil davon wurde von seinen eindeutig warnend zusammengeschobenen Brauen überschattet.

»Hau ab, wir wollen nichts mit euch zu tun haben! Hier gibt es so viele freie Stationen, da musst du ja wohl nicht ausgerechnet an unsere kommen, oder?«

»Bitte was?«, war das Erste, was Yolanda auf diese Worte zu erwidern einfiel, nachdem sie ihre anfängliche Verblüffung einigermaßen überwunden hatte. »Jetzt mach aber mal halblang, ich darf ja wohl trainieren, wo ich will! Es ist doch überhaupt nichts passiert, Lina wollte mir nur helfen!«

»Nichts passiert?!« Tomath schnaubte verächtlich und Yolanda konnte erkennen, wie er seine Hand nach hinten streckte, um Lina noch ein wenig weiter zurückzuschieben. »Dass ich nicht lache! Gib doch wenigstens zu, dass du uns nur aushorchen wolltest, um uns später einfacher loswerden zu können! Verkauf mich ja nicht für dumm, kapiert?«

Yolanda öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch es kam kein Ton heraus. Das war doch wohl nicht sein Ernst ...

»Lass gut sein, Tom«, traute sich jetzt auch Lina endlich einzugreifen und es war beinahe unheimlich, wie viel sanfter und einfühlsamer ihre Stimme auf einmal klang. Behutsam wanden ihre Finger sich um seinen Oberarm, und Yolanda bildete sich sogar ein, ein leichtes Zittern in ihrer Geste erkennen zu können. »Sie hat wirklich nichts getan, es ist alles in Ordnung-«

»Das glaubst du!«, unterbrach er sie barsch, bevor er sich schwungvoll wieder zu ihr umwandte und ihr einen Arm um die Hüfte schlang, um sie zu sich heranzuziehen. Kaum galt Tomaths Blick wieder seiner Freundin, schien er regelrecht dahinzuschmelzen, wurde weicher, besorgter, aber irgendetwas an seinem Ausdruck schnürte Yolanda dennoch die Kehle zu. »Sie weiß jetzt schon viel zu viel über dich. Ich hab doch gleich gesagt, dass es keine gute Idee ist, diese Station zu besuchen ...« Er schüttelte den Kopf, dann drehte er sich wieder zu Yolanda und seine Züge verhärteten sich auf der Stelle. »Du bist ja immer noch hier. Lass uns endlich in Ruhe und kümmer dich wieder um deinen eigenen Kram!«

»Ist ja gut!« Die Angesprochene versuchte nicht einmal mehr, sich das Augenrollen zu verkneifen, und lehnte ihren Bogen gegen das Regal. »Jetzt komm mal wieder runter, ich werd dir schon nicht deine Freundin ausspannen ... meine Güte.«

Na, das hatte ja ganz wunderbar funktioniert. Was zum Teufel hatte dieser Tomath denn bitte für ein Problem? Yolanda konnte nur hoffen, dass er sich in seiner Beschützerrolle nur ein bisschen zu wohl fühlte und Lina nicht ernsthaft verbot, sich mit anderen zu unterhalten ... das war schließlich immer noch ihre Sache.



Yolanda konnte ihren Distriktpartner bereits von weitem an einem der Erste-Hilfe-Tische sitzen sehen, doch er war nicht allein. Zu ihm hatte sich Lucas gesellt, der Junge aus Sechs, welcher gerade dabei war, Lorcáns Unterarm der Übung halber mit einem Verband zu umwickeln.

Lucas hatte gestern kurz nach ihr den Hindernisparcours absolviert und sie dabei um ein paar Sekunden übertroffen, aber miteinander gesprochen hatten sie nicht. Bisher hatte er auch keinen sonderlich offenen Eindruck auf sie gemacht, die meiste Zeit über blickte er ziemlich konzentriert, wenn nicht sogar abweisend drein, und obwohl das Mädchen aus seinem Distrikt ungefähr in seinem Alter zu sein schien, hatte Yolanda die beiden noch kein einziges Wort miteinander wechseln sehen. Dass er sich nun ausgerechnet mit Lorcán zusammengesetzt hatte, war höchstwahrscheinlich die Idee ihres Stationsleiters gewesen. Schließlich brauchte man, um Erste Hilfe anwenden zu können, ja auch einen Patienten ...

Der Gedanke sorgte dafür, dass Yolanda sich unweigerlich auf die Unterlippe biss. Natürlich ergab das Sinn. Was war denn schon dabei? Es war schließlich nicht so, als müsste sie eifersüchtig sein oder irgend so etwas in der Art.

»Hören kannst du mich aber, oder?«, konnte sie Lucas fragen hören, während Lorcán gerade ein Stück Mullbinde für ihn abschnitt. Dieser nickte daraufhin und deutete auf seinen Kehlkopf, um ihm zu zeigen, dass dort sein Problem lag. Yolanda konnte sich vorstellen, dass es ganz schön anstrengend war, solche Fragen immer und immer wieder gestellt zu bekommen, auch wenn die meisten Leute es wahrscheinlich nicht böse meinten. Trotzdem ging das wahrscheinlich auch etwas höflicher.

Als Yolanda endlich die Station erreichte, war Lorcán gerade damit fertig geworden, Lucas' Fingerknöchel in einem irren Tempo und ohne auch nur ein einziges Mal aufzublicken mit Bandagen zu umwickeln, woraufhin dieser ein anerkennendes Pfeifen ausstieß.

»Wow, nicht schlecht! Aber wetten, ich bekomm das noch ein bisschen schneller hin als du?«

»Ich melde mich freiwillig als Patientin!«, machte Yolanda in diesem Moment mit einem breiten Grinsen auf sich aufmerksam. Lorcán erwiderte ihr Lächeln und bedeutete ihr mit einer Kopfbewegung, sich ebenfalls zu ihnen zu setzen, während Lucas sie erst einmal interessiert, wenn auch ein wenig skeptisch von oben bis unten musterte. Sofort streckte sie ihm ihre Hand quer über den Tisch entgegen.

»Hi! Ich bin Yolanda, Lorcáns Distriktpartnerin.«

»Lucas, Distrikt Sechs«, erwiderte dieser knapp, schüttelte ihr ebenso kurz angebunden die Hand, und ließ seinen Blick dann prüfend zwischen den beiden umherwandern, als versuchte er, aus ihren Gesichtern irgendwelche geheimen Botschaften herauszulesen. »Ihr zwei seid schon verbündet, nehme ich an?«

Um ehrlich zu sein hatte Yolanda nicht erwartet, dass die Frage ihr derart schwer im Magen liegen würde, doch als Lorcán ihr aus dem Augenwinkel einen unsicheren Blick zuwarf, konnte sie die Hitze sofort wieder in ihren Wangen aufsteigen spüren. »Na ja, also ...« Sollte sie das jetzt einfach für sie entscheiden? Nein, das klang nicht richtig. Doch je länger sie herumdruckste, desto unangenehmer wurde die Situation, und als Lorcán schließlich bloß mit den Schultern zuckte, konnte sie nicht verhindern, wie sich eine gewisse Enttäuschung zwischen ihren Rippen breitmachte. Hatte er gerade dasselbe gedacht wie sie? Oder suchte er in Wahrheit bloß nach einem Weg, um ihr möglichst schonend beizubringen, dass er sich in der Arena lieber doch von ihr fernhalten wollte?

Yolanda schluckte. »Ich schätze ... das werden wir dann sehen?«

»Ah.« Lucas' Gesichtsausdruck nach zu urteilen schien das nicht die Antwort gewesen zu sein, mit der er gerechnet hatte. »Na ja, dann ... gib mal her.«

Innerhalb von nicht mal einer Minute hatte der Sechser ihren Arm so stramm mit der Mullbinde umwickelt, dass sie sich um eine eventuelle Wunde keinerlei Sorgen mehr machen musste. Blut würde sie auf diese Weise jedenfalls keines mehr verlieren. Mit großen Augen betrachtete Yolanda sein Werk.

»Respekt, Lucas! Das machst du doch garantiert nicht zum ersten Mal, oder?«

Der Angesprochene gab ein Geräusch von sich, das wie der Beginn eines trockenen Auflachens klang, welches jedoch auf halbem Wege in seiner Kehle erstickte.

»Kann man wohl sagen. Mein Bruder und ich haben das von unserem Vater beigebracht bekommen. Notfallüberlebenskram und so. Unter anderem eben auch Erste Hilfe. Der alte Herr ist ein bisschen ...« Lucas wog den Kopf auf die Seite und schürzte die Lippen, als hätte er Probleme, die richtigen Worte zu finden. »Na ja, speziell. Hatte keine einfache Kindheit.«

Yolanda nickte einsichtig, auch wenn sie nicht ganz sicher war, was sie von dieser Erklärung halten sollte. Offenbar wollte Lucas nicht näher darauf eingehen, und wahrscheinlich ging es sie auch nichts an. Lorcán schien das Thema allerdings noch nicht wieder wechseln zu wollen, sondern hatte begonnen, irgendetwas zu gebärden. Oh nein, so gut war sie im Übersetzen noch nicht, vor allen Dingen nicht in diesem Tempo! »Großvater« glaubte sie aus einer seiner Gesten herauslesen zu können, dann »Training« und »Keine Ahnung«, gefolgt von einem genervten Augenrollen. Fermio benutzte diese Gebärde andauernd, wenn er sich mit ihm unterhielt.

»Ähm ...« Yolanda zog eine angestrengte Grimasse, als Lucas ihr einen fragenden, wenn nicht sogar auffordernden Blick zuwarf. »Also, Lorcán hat mal erzählt, dass er von seinem Großvater trainiert wurde ...?«

Ein zustimmendes Nicken ihres Distriktpartners bestätigte ihr, dass sie wenigstens das richtig verstanden hatte.

»Hauptsächlich im Kickboxen, und darin ist er auch echt gut, zumindest soweit ich das beurteilen kann. Aber er weiß auch nicht so richtig warum?«

Wieder ein Nicken. Für Lorcán war es garantiert kein Spaß, sich andauernd darauf verlassen zu müssen, dass sie seine Gesten halbwegs sinngemäß interpretierte, und richtig wohl fühlte sie sich in dieser Position auch nicht. Noch schien diese Art der Kommunikation zwar einigermaßen zu funktionieren, aber auf lange Sicht gesehen waren Missverständnisse vorprogrammiert. Und in der Arena würden sie auch keinen Fermio mehr bei sich haben, der ihnen beim Übersetzen unter die Arme griff ...

»Wirklich? Das ist ja ein Zufall.« Bildete Yolanda sich das ein oder hatte da gerade eine winzigkleine Prise Argwohn in Lucas' Stimme gelegen? »Im Nachhinein aber ziemlich praktisch für dich, nicht wahr? Um ehrlich zu sein hätte ich auch nicht damit gerechnet, dass mir das alles irgendwann noch mal nützen würde ... ich nehm an, dein Opa hat auch gedacht, dass er dir damit einen Gefallen tut?« Er schüttelte den Kopf. »Die alten Leute haben manchmal echt einen an der Klatsche ...«

Jetzt war Yolanda diejenige, die kichern musste. »Na ja, der ist Friedenswächter, von daher kommt das wohl ungefähr hin!«

Als ihr bewusst wurde, dass sie diese Worte gerade laut ausgesprochen hatte, war es bereits zu spät, um noch einmal zurückzurudern. Instinktiv schlug Yolanda sich beide Hände vor den Mund, während Lorcáns erschrockene, ja geradezu entsetzte Blicke sich regelrecht in ihren Nacken bohrten.

Die Familie des Jungen zu beleidigen, mit dem sie sich noch immer zu verbünden hoffte, irgendwelche Informationen über ihn auszuplaudern, die er vielleicht lieber geheim halten wollte, und dann auch noch über das Militär herzuziehen, dessen Befehlshaber sie wahrscheinlich gerade in diesem Moment beobachteten ... wirklich ganz große Klasse, Yolanda! Wie blöd konnte man eigentlich sein?!

»Äh, also, ich meine ...«, stammelte sie in einem Versuch, sich wieder aus diesem Schlamassel herauszureden, und hob beschwichtigend die Hände, als würde jemand mit einer unsichtbaren Waffe auf sie zielen. »Sorry, i-ich meine ja nur, dass es bei uns eigentlich nicht üblich ist, für die Spiele zu trainieren, aber ich wollte das jetzt nicht verurteilen oder so-«

»Dann bist du ja im Prinzip fast so etwas wie ein Karriero«, sprach Lucas letztendlich das aus, was auch Yolanda schon ein paarmal durch den Kopf gegangen war. Der Sechser wirkte von dieser Vorstellung zwar nicht direkt alarmiert, aber sein äußerliches Desinteresse war eigentlich nicht viel besser. Tatsächlich schien er sich sogar spezifisch darum zu bemühen, zu jeder Zeit eine möglichst neutrale Miene aufzusetzen ...

Lorcán, der sich mit der ganzen Situation noch immer am unwohlsten zu fühlen schien, zuckte bloß halbherzig mit den Schultern. Als er sich diesmal zu erklären versuchte, achtete er jedoch darauf, etwas langsamer zu gestikulieren, damit Yolanda besser hinterherkam, und verwies auch ein paarmal in Richtung der anderen Stationen.

»Eigentlich treibe ich nur viel Sport, mit Waffen kenne ich mich kaum aus. Aber es war nie meine Absicht, mich für die Spiele zu melden.«

Yolanda hatte das dumpfe Gefühl, dass dies nicht die ganze Wahrheit war, doch sie konnte auch verstehen, dass er Lucas nicht beunruhigen wollte. Wenn überhaupt, dann wäre das sowieso ihre Schuld. Sie widerstand dem Drang, das Gesicht vor Scham in ihren Händen zu vergraben, und entschloss sich stattdessen dazu, der Sache ein Ende zu setzen, indem sie einfach das Thema wechselte.

»Hey, ich bin aber auch nicht ganz ohne, wisst ihr?«, behauptete sie deswegen mit einem wissenden Lächeln auf den Lippen und beobachtete zufrieden, wie die beiden Jungs ihr verwunderte Blicke zuwarfen.

»Ach ja?«, hakte Lucas mit hochgezogenen Brauen nach, während Lorcán sich wahrscheinlich gerade fragte, warum sie das ihm gegenüber nicht schon früher erwähnt hatte.

»Wehe, ihr lacht.« Yolanda holte tief Luft und wrang ihre Hände ineinander. »Also, als ich noch jünger war, haben meine Freundin und ich uns immer vorgestellt, was wir machen würden, wenn wir in die Hungerspiele müssten, und deswegen haben wir versucht ... uns gegenseitig das Kämpfen beizubringen? Natürlich kann man sich im Fünften Distrikt nicht einfach so ein Schwert besorgen, schon gar nicht als Kind, also haben wir uns stattdessen halt irgendwelchen Schutt geschnappt, der bei uns in der Gegend herumlag. Es hat da diese baufälligen Gebäude in der Nähe unserer Siedlung gegeben, in denen wir uns herumgetrieben haben, und, na ja ... ich hatte immer so ein altes, verkalktes Bleirohr, das ich aus irgendeiner Wand gebrochen hatte, und eines Tages ist Mel wohl ein bisschen zu übermütig gewesen ...«

Yolanda legte den Kopf auf die Seite und deutete auf die inzwischen schon deutlich verblasste, etwa fingerlange Narbe, die sich über ihrer Wange erstreckte. Kurz darauf konnte sie Lorcán neben sich kichern hören und die Hitze, die ihr zuvor bereits ins Gesicht geschossen war, wurde nahezu unerträglich.

»Ich hab doch gesagt, ihr sollt nicht lachen!«, zischte sie ihm im Flüsterton entgegen, doch ihr Distriktpartner schien das wirklich außerordentlich witzig zu finden, und es wäre mit Sicherheit auch sehr viel einfacher, wütend auf ihn zu sein, wenn er dabei nicht so niedlich aussehen würde.

»Also, damit ich das richtig verstehe ...«, ergriff jetzt auch Lucas wieder das Wort und runzelte kritisch die Stirn. »Du und deine Freundin, ihr habt euch auf irgendwelchen Baustellen gegenseitig mit Schrottteilen verprügelt. Und das war's?«

»Ja? Was hast du denn erwartet, was jetzt noch kommt?«

»Ich weiß nicht, irgendeine Art von ernsthaftem Training vielleicht? Du weißt schon. Kompetenzen. Erfahrung. Fachwissen und so.«

»Ach, und du bist hier also die ultimative Autorität, wenn es darum geht, was ›ernsthaftes‹ Training ist und was nicht?« Etwas beleidigt stemmte Yolanda ihre Hände in die Hüften. »Ich kann schon ziemlich ordentlich zuschlagen, wenn man mir das entsprechende Werkzeug in die Hand drückt!«

»Okay, aber das kann jeder. Um mit 'nem Bleirohr auf irgendwas einzudreschen, muss man vorher nicht unbedingt studiert haben.«

Auch Lorcán hatte inzwischen wieder mit dem Prusten begonnen, doch Yolanda hatte jetzt keine Zeit, um sich darüber auch noch zu beschweren. »Also, ich finde, dass wir uns prima ergänzen würden! Wir haben einen Überlebenskünstler, einen Kampfsportler, und-«

»Einen Hooligan?«

»Eine Waffenexpertin!«

Wenn sie es recht bedachte, dann hatte Yolanda eigentlich keine Ahnung, warum es ihr so wichtig war, Lucas zu überzeugen. Wahrscheinlich ging es im Endeffekt bloß ums Prinzip. Schließlich war es ja nicht so, als würden sie seine Unterstützung wirklich brauchen, oder? Im Ernstfall würden Lorcán und sie mit Sicherheit auch allein zurechtkommen. Andererseits ... ging es hier im wahrsten Sinne des Wortes ums Überleben. Und sich mit jemandem gut zu stellen, der sich angeblich mit diesem Thema auskannte, würde garantiert nicht schaden.

Auch Lorcán hatte in der Zwischenzeit mit dem Gackern aufgehört und auf seinen Lippen war stattdessen wieder ein Lächeln erschienen, als er eine auffordernde Kopfbewegung in Richtung der Schwertkampfstation machte, die gerade ausnahmsweise mal nicht von den Karrieros besetzt war.

»Wenn du willst, können wir es ja mal ausprobieren. Einen Versuch ist es wert, oder?«

Na also! Wenn zumindest ihr Distriktpartner noch etwas Vertrauen in sie hatte, dann konnte Yolanda eigentlich auch egal sein, was dieser Sechser von ihr hielt. Augenblicklich kehrte das Selbstvertrauen wieder zu ihr zurück und sie sprang tatbereit auf.

»Du hast es so gewollt! Ich werd dir schon noch beweisen, was ich drauf hab ... es sei denn natürlich, du willst lieber weiter hier rumsitzen und vor dich hin nörgeln.«

Einen Moment lang schien Lucas diese Möglichkeit tatsächlich in Betracht zu ziehen, einen kurzen Seitenblick zu Lorcán herüberwerfend, bevor er letztendlich mit den Schultern zuckte und ebenfalls aufstand.

»Na schön, meinetwegen. Bevor du mir am Ende noch mit deinem Rohr eins überbrätst ...«



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AN: Dieses Kapitel war ... furchtbar zu schreiben. Um ehrlich zu sein bin ich nicht so wirklich zufrieden damit, aber ich hab jetzt auch keine Nerven mehr, um es noch mal zu überarbeiten, deswegen bekommt ihr es jetzt einfach so.

Ich hab es beim Editieren schon um einige Abschnitte gekürzt, und in meinen Augen ist es immer noch zu lang. Da ich aber schlecht darin bin, Dinge auf das Wesentliche zu reduzieren ... müssen wir jetzt wohl alle damit leben. ^^;

Fay_thg12: Tut mir leid, dass du so lange auf die erste Sicht deiner Mädels warten musstest, aber hier ist Yoli. (': Ich bin mir leider nicht ganz sicher, ob ich ihre Persönlichkeit so getroffen habe, wie du sie dir vorgestellt hast, denn um ehrlich zu sein fand ich sie auch etwas schwierig zu greifen. Auch an ihrer Backstory musste ich leider etwas herumschrauben, aber das Wichtigste ist erhalten geblieben.
Ich hoffe einfach, dass sie dir trotzdem gefällt. ^^;

Hier gab es ja nun einige Begegnungen mit Tributen, die bisher noch nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen haben. :D Und vielleicht könnt ihr euch ja schon ungefähr denken, in welche Richtung es mit diesen gehen wird.

Es ist echt hart, Lorcán aus der Perspektive einer Person zu schreiben, die gerade erst ASL lernt,, Yolanda ist da wohl einfach ein Naturtalent. ^^; Und ich kann jetzt auch Leuten einen guten Morgen wünschen und sie fragen, wie sie geschlafen haben. :^D

Die Hälfte der Vorbereitungszeit ist geschafft! Yippiiieee!!!

Das nächste Kapitel wird das letzte Trainingskapitel darstellen und aus Luisas Sicht geschrieben sein. Zu ihr haben wir bisher noch kaum etwas gehört, aber ich mag sie echt gerne, und freue mich schon sehr darauf, sie euch vorzustellen. (':

Wie immer vielen lieben Dank fürs Lesen und ich hoffe, es hat euch gefallen. <3

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