8. Kapitel
»Das war so unglaublich peinlich. Ich wollte im Boden versinken«, schloss ich meine Erlebnisse, während ich mit Nylah durch den Central Park joggte. Eine Woche war seit dem verheerenden Abend vergangen und mein Knöchel hatte mittlerweile wieder einen normalen Umfang erreicht. Er sah nur noch ein bisschen blau und grün aus. Drei Tage später hatte er nicht mehr halb so sehr wehgetan wie zu Beginn und ich war heilfroh gewesen, dass sich meine Selbstdiagnose und Behandlung als richtig erwiesen hatte und ich keinen Arzt aufsuchen musste. Krankenhäuser mochte ich nicht, besonders der stechende Geruch nach Desinfektionsmittel juckte mir in der Nase und brachte meine Augen zum Tränen.
Bis auf den Erdnusssoßen-Vorfall war ich nur ein weiteres Mal im Krankenhaus gewesen. Nicht wegen mir, sondern wegen Beth. Solch eine Angst hatte ich noch nie im Leben verspürt und ich tat alles, damit es nie wieder so weit kam. Beth wäre damals fast an einer Lungenentzündung gestorben und ich fragte mich seitdem, ob diese Welt so etwas wie Gerechtigkeit überhaupt kannte. Wäre sie ein Jahr später erkrankt, hätte man ihr Antibiotika verschrieben und sie wäre eine Woche später wieder auf dem Damm gewesen.
Aber das war sie nicht. Sie war ein Jahr zu früh krank geworden, zwölf beschissene Monate. In einer Zeit, in der sich unsere Eltern den Arztbesuch noch nicht leisten konnten und deswegen auf einfache Hausmittel zurückgreifen mussten, die natürlich nicht geholfen hatten, was den darauffolgenden Krankenhausaufenthalt nur noch schlimmer gemacht hatte. Seitdem litt sie gelegentlich an Atemnot, wenn sie sich aufregte oder, wenn sie sich zu schnell und zu viel bewegte. Beth und Sport waren nie gute Freunde gewesen, doch spätestens nach ihrer Krankheit, war es ihr unmöglich auch nur zehn Minuten auf dem Laufband zu absolvieren, ohne das Gefühl zu bekommen zu ersticken. Wenn man Sport nicht mochte und ihn absichtlich umging, war das eine Sache, aber gesagt zu bekommen, dass man keinen Sport machen durfte, war etwas anderes. Meiner Erfahrung nach wollte man etwas umso mehr, wenn man es nicht haben durfte.
Meiner Schwester, die so viel vorhatte, die so viel erreichen wollte in dieser Welt, waren dadurch unüberwindbare Grenzen gesetzt worden. Hätte ich an ihrer Stelle diese Lungenentzündung gehabt, wäre es nun anders. Beth wusste genau, was sie wollte und ich ... nicht.
Mein Fuß trat in ein Schlagloch und ich verlor für eine Millisekunde den Halt. Die Haut spannte über dem Knöchel, doch das waren die einzigen körperlich spürbaren Nachwirkungen, die meine Flucht letzte Woche nach sich gezogen hatte. Meine selbstverschriebene Bettruhe hatte ich zudem genutzt meine alkoholbedingten Kopfschmerzen zu kurieren. Die hatten nämlich ganze zwei Tage lang angehalten. Mary hatte Fencheltee aufgesetzt und Brote geschmiert, als ich endlich wieder etwas bei mir behielt. Meine Eltern hatte ich genau einmal gesehen. Und selbst das war nur im Vorbeigehen gewesen. Ich war zur Toilette getorkelt, um mein Frühstück zu entsorgen und Hilary und John waren auf dem Weg ins Büro gewesen. Sie hatten mich dabei so verächtlich angeschaut, als wäre ich Schimmel auf ihrem Tausend-Dollar-Steak. Ich sagte mir, dass ich nur aus dem Grund in mein altes Kinderzimmer gezogen war, damit ich Beth in ihrer kleinen Wohnung nicht auf der Tasche lag. Wenn ich mir dafür einmal in der Woche anhören musste, wie erfolgreich A.I.Technologies doch war und warum ich in meiner letzten Prüfung keine eins geschrieben hatte, dann war es eben so. Marys Essen machte es definitiv wett.
Ich legte nochmal an Tempo zu. Nylah folgte mir gewissenhaft.
»Der Kerl hat dich zurück geküsst, also kann es so peinlich nicht gewesen sein«, wandte sie optimistisch ein. Meine beste Freundin klang immer noch ein kleines bisschen stolz. Ihre blonden Locken waren in einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden und schwangen leicht hin und her. Obwohl wir schon eine halbe Stunde lang rannten und mir langsam, aber sicher die Kraft ausging, die Unterhaltung am Laufen zu halten, sah sie so perfekt aus, als hätte sie sich gerade erst umgezogen. Wie die Mädchen in Sportmagazinen, die immer lachten, graziös Volleyball spielten und dabei keine Sekunde lang schwitzten. Während mir der Schweiß in Bächen herunterlief, hatten ihre Wangen gerade einmal einen leichten Rotschimmer angenommen.
»Doch war es. Allein unser Abschied.« Ich erschauderte, als ich daran zurückdachte, wie er mich abgewiesen hatte. Er war nicht unhöflich gewesen, das nicht, eigentlich sogar das komplette Gegenteil, ein wahrer Gentleman. Dennoch hatte mich etwas in seinem Blick gestört, als er meine Einladung auf einen Kaffee abgelehnt hatte. In meinen Augen hatte es nämlich so ausgesehen, als wollte er die Einladung sehr wohl annehmen und irgendwas hielt ihn dabei zurück.
»Wieso? Wie habt ihr euch denn verabschiedet?«, hakte Nylah nach.
Wir umrundeten ein älteres händchenhaltendes Ehepaar und mein Herz machte einen Satz, als ich bemerkte, wie sie sich ansahen. Es war die pure Liebe. Ein entmutigter Seufzer entfuhr meiner Kehle.
»Warum kann mein Leben nicht so sein? Hand in Hand durch den Central Park laufen, verliebte Blicke tauschen und sich über die heutige Jugend aufregen. Das ist so viel besser als verstümmelt zu werden.«
Nylah lief nun rückwärts damit sie mir ins Gesicht schauen und ich genau sehen konnte, wie sie die Augen verdrehte.
»Sei mal nicht so verdammt melancholisch. Irgendwann wirst du das schon haben. Und wer sagt, dass Mister Lebensretter die Liebe deines Lebens ist?«
»Das sagt ja keiner«, winkte ich schnell ab. Nylah antwortete nichts darauf und in mir formte sich ein kleiner deprimierter Ball, der auf meinen Magen schlug.
»Er ist mein Typ, okay? Das ist alles. Ich hab ihn auf einen Kaffee eingeladen, als Dankeschön und er hat abgelehnt. Warum sollte mich das überhaupt ärgern? Keine große Sache.« Es ärgerte mich, dass es mich doch ärgerte. Für mich war es eine große Sache. »Nach Matt ...«
Nylah blieb so abrupt stehen, dass ich gegen sie rannte und mich haltsuchend an ihren Schultern festhielt.
»Das hatte sich doch erledigt. Du hast mir gesagt, du wärst darüber hinweg.« Besorgt legte sie die Stirn in Falten.
»Bin ich auch. Theoretisch zumindest«, setzte ich an.
»Hast du seine Nummer eigentlich schon gelöscht oder soll ich das für dich übernehmen?«, bohrte sie nach.
»Gelöscht und blockiert, direkt nachdem er Schluss gemacht hat.« Selbst wenn er sich hunderte Male bei mir entschuldigt und mich auf Knien angefleht hätte, ich hätte ihn nicht zurückgenommen. Wer mich betrog, hatte mir eindeutig gezeigt, welchen Wert ich in seinen Augen besaß. Solche Menschen brauchte ich nicht in meinem Leben. Selbst wenn es schmerzte, als würde man mir die Haut mit einem stumpfen Messer abziehen.
»Gutes Mädchen.«
»Weißt du, eigentlich hatte ich mich schon darauf gefreut, seine Eltern kennenzulernen. Ich hab es mir ganz schön vorgestellt ...«
Nylah schnaubte verdrießlich.
»Was ich weiß, ist, dass dieser Arsch es nicht einmal für nötig hielt, persönlich mit dir zu reden und über Videoanruf mit dir Schluss gemacht hat wie ein verdammter Feigling«, erwiderte sie scharf und ich zuckte zusammen. Das war jetzt drei Monate her und mein Herz war immer noch dieser scharfkantige Eisblock, in den es sich verwandelt hatte, als Matt mir alles gebeichtet hatte. Nylahs Stimme wurde sanfter.
»Tut mir leid. Trennungen sind scheiße, das sollte ich eigentlich am besten wissen. Und ihr wart zwei Jahre zusammen. Das ist um das Dreifache länger als meine längste Beziehung.« Zerknirscht griff sie nach meiner Hand und drückte sie kurz beschwichtigend.
»Schon okay. Und du hast ja recht.«
Ich war froh, als wir einige Minuten einfach nur stillschweigend nebeneinanderher liefen und unseren Gedanken nachgingen.
Seit ich wieder zurück in New York war, hatte ich das Gefühl, dass dafür keine Zeit blieb. Seinen Gedanken nachzugehen. Zur Ruhe zu kommen. New York ist laut, hektisch und unübersichtlich im Gegensatz zum harmonischen Oxford, wo alles aufeinander abgestimmt zu sein scheint. Die Architektur, die Natur, die Menschen.
Oxford ... Erst zwei Wochen war ich an der Upper East Side und ich hatte jetzt schon genug. Mein Leben in England war für mich immer mit Erholung verbunden, weil ich mich weder mit meinen Eltern noch mit sonst einem Skandal der Upper Class auseinandersetzten musste. Diese Stadt saugte mir die Lebensfreude aus, wie ein Vampir Blut. England und seine grünen regennassen Wälder fehlten mir. Und obwohl ich es nicht zugeben wollte, fehlte mir auch Matthew. Er war nicht nur mein fester Freund gewesen, sondern auch mein bester Freund. Unsere Trennung hatte mich schwer getroffen. Allerdings konnte ich nicht leugnen, dass sich neuerdings ein anderes Paar Augen – stechend grüne Augen - in mein Bewusstsein schlichen, wann immer ich in meinen Tagträumen versank. Und ein Paar äußerst anmutig geschwungener Lippen ...
»Ich hab ihn also auf einen Kaffee eingeladen und er hat abgelehnt«, fuhr ich schließlich fort über meine Begegnung mit Grayson zu sinnieren. »Ich werde nie wieder einen Fuß nach Manhattan setzen«, schwor ich mir und vergrub mein Gesicht in den Händen.
»Wo sind wir denn gerade?« Belustigt machte Nylah eine ausschweifende Handgeste, die die grünen Bäume um uns herum, das Belvedere Castle und den malerischen Turtle Pond mit einbezogen. Die Sonne strahlte mit aller Kraft auf uns nieder. Die Blätter rauschten angenehm im Wind und die Bäume boten genügend schattige Plätze, um nicht unter der Sommersonne zu verbrühen.
»Der Central Park gilt nicht. Der gehört nicht zu Manhattan. Nur zu sich selbst.« Nie im Leben würde ich mir den einzigen Ort in dieser Stadt nehmen lassen, an dem ich frei war, das zu tun, was ich wollte. Der Central Park war das einzige Fleckchen Erde in New York, wo ich durchatmen konnte und nicht an die Regeln und Gesetze meiner Eltern gebunden war. John und Hilary Wentworth hassten den Central Park, was der Grund war, warum ich ihn so liebte. Elternfreie-Zone? Immer her damit.
»Wie blöd. Wie kommst du denn an deine Sachen? In deinem Zimmer? In Manhattan?«, stichelte Nylah weiter.
»Du bekommst hundert Dollar von mir, wenn du sie in einen Koffer packst und zu mir bringst«, schlug ich vor und fand meine Idee gar nicht so schlecht. Das sah Nylah offenbar anders. Sie zeigte mir den Vogel.
»Hundert Dollar? Du spinnst doch. Ich bin doch kein dressierter Hund, der sich freut, wenn du ihm ein Stöckchen wirfst«, rief sie empört auf.
»Von mir aus auch zweihundert Dollar.«
»Darüber ließe sich streiten«, grübelte sie und ich musste lachen. Nylah war ein wahrer Sonnenschein. Obwohl sie in der Upper Class aufgewachsen war, hatte sie es irgendwie geschafft auf dem Boden zu bleiben. Höchstwahrscheinlich war das auch das Erfolgsrezept, das jede bekannte Zeitschrift auf sie aufmerksam machte. Sie musste nicht schauspielern um gemocht zu werden. Sie brauchte auch kein Make-Up, um hübsch zu sein und wenn sie lächelte, strahlte ihre Seele.
»Na ja. Mach dir nichts draus. Es war sicher eine Erfahrung wert und du siehst ihn sowieso nie wieder«, kam sie erneut auf unser Hauptthema zu sprechen.
Damit mochte sie recht haben, aber die Erinnerung wog trotzdem schwerer.
»Ich möchte einfach nicht die Verrückte sein, die ihn auf offener Straße um halb ein Uhr morgens geküsst hat, weil er sie vor dem sicheren Tod bewahrt hat.«
»Aber genau das bist du doch. Außerdem gibt es Schlimmeres. Stell dir nur mal vor, die Presse hätte davon Wind bekommen. Dann wären eure Gesichter in den Schlagzeilen und der arme Junge ziemlich überfordert.«
»Ich weiß nicht ... Er hat auf mich so gewirkt, als wüsste er wie der Hase läuft. Als kenne er das alles.«
»Wir kennen aber keinen Grayson. Und wenn er wirklich so scharf aussieht, wie du sagst, würden wir ihn definitiv kennen.«
»Ich weiß«, räumte ich niedergeschlagen ein. Meine Hoffnung, ihn wiederzusehen, war damit so ziemlich zerschlagen. Nach ihm zu suchen, war die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen. Wenn er New York nicht längst wieder verlassen hatte.
Mittlerweile hatten wir den Rand des Central Parks erreicht. Knapp eine halbe Meile entfernt wuchs eine besonders fette Eiche in den Himmel und meine Laune hob sich.
»Wer zuletzt an der alten Eiche ist, muss dem anderen einen Kaffee ausgeben«, schlug ich vor und Nylah ging schulterzuckend auf die Wette ein.
»Ist gebongt. Aber beschwer dich nachher nicht«, warnte sie mit erhobenem Zeigefinger. Wir positionierten uns und ich grub meine Finger in den staubigen Boden. Nylah zählte den Countdown.
»Auf drei geht's los. Eins. Zwei. Drei!«
Ich stieß mich ab und preschte über den Weg. Meine Füße flogen regelrecht über den steinigen Boden und ich legte alle Kraft in meine Beine. Warum es mir in diesem Moment so wichtig war, zu gewinnen, wusste ich nicht. Am Kaffee lag es jedenfalls nicht. Ich brauchte diesen Sieg einfach. Hier und jetzt. Nylah fiel schon bald zurück, was jedoch kein Anlass war, ebenfalls langsamer zu werden. Ich nahm die Beine in die Hand und legte noch eine Stufe drauf. Meine Muskeln pulsierten, mein Herz trommelte in meiner Brust gegen die Rippen und jeder Schritt vibrierte in meinem Körper.
Linker Fuß, rechter Fuß, linker Fuß, rechter Fuß. Immer weiter nach vorne. Kein Blick zurückwerfen, sonst würde ich meinen Rhythmus verlieren. Also weiter. Linker Fuß, rechter Fuß. Noch ein kleines Stück und ...
»Yes!«
Triumphierend schlug ich mit der flachen Hand gegen den knorrigen Stamm. Harz klebte an meinen Fingern und ich wischte ihn an meiner Hose ab. Die Hände verschränkte ich hinter dem Kopf und versuchte meine Atmung zu beruhigen.
Da erweckte etwas in meinem Augenwinkel meine Aufmerksamkeit.
Schräg neben mir ragte eine Plakatwand steil in den Himmel und meine anfängliche Euphorie wandelte sich in offenen Missmut.
A.I.View. Der Blick in die Zukunft. A.I.Technologies.
Nicht schon wieder. Als hätte ich davon zuhause nicht schon genug. Die goldumrahmte Brille sah edel aus und das filigrane Gestell sollte es eigentlich unmöglich machen dort Elektronik unterzubringen, geschweige denn einer vorzeigbaren künstlichen Intelligenz. Doch meine Eltern hatten es anscheinend möglich gemacht. Oder vielmehr ihre IT-Abteilung. Das Design war ansprechend und ich hätte mir so eine Brille wahrscheinlich selbst gekauft, wenn ich denn eine benötigt hätte. Mit A.I.Technologies wollte ich nichts zu tun haben. Ganz gleich, ob es sich dabei um die Firma meiner Eltern handelte. Denn da hörte es auch schon auf. Hätten sie sich um ihre Kinder genauso bemüht wie um ihr Unternehmen, wäre unsere Familie heute vielleicht noch intakt und weniger eine blutsbedingte Verpflichtung.
Das Projekt meiner Eltern war Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil sie den Stress, den sie deswegen hatten und weil die Veröffentlichung schon in wenigen Monaten stattfinden sollte, unweigerlich an mir ausließen. Segen, weil ich John und Hilary dadurch höchstens zweimal die Woche begegnete.
Ich pumpte rasselnd Luft in meine Lungen und wandte mich von der penetranten Werbung ab. Wenn ich in England joggen gegangen war, hatte ich die Zeit an der frischen Luft genossen. Anfang des Jahres war die Luft kalt und beißend und es regnete oft. Wenn es Mitte Mai langsam wärmer wurde und die Luft nicht mehr allzu oft von Regen getränkt war, kündigte sich der Sommer an. Der Herbst kam und die Luft wurde leichter und im Winter konnte sie einem durch ihre pure Anwesenheit jegliche Wärme aus dem Körper stehlen. Wenn die Vögel im Frühling schon früh morgens um die Wette zwitscherten, hatte für mich die schönste Zeit des Jahres begonnen.
In New York gab es keine frische Luft. Und es gab auch keine Stille. Ob Autoabgase, Lüftungsanlagen, die die nach Bratfett stinkende Luft aus den Restaurants in die nächste Gasse beförderte, oder der Massentourismus. Wer in New York lebte, brauchte einen langen Geduldsfaden und am besten eine Wohnung mit Isolierglas.
Nylah war vom Laufen zum Gehen übergegangen. Ich sah sie hinter einer Biegung auftauchen und winkte überschwänglich.
In meinem Nacken begann es plötzlich zu jucken, sodass ich mitten in der Bewegung stoppte. Alarmiert schaute ich mich um. Die Härchen auf meinen Armen stellten sich auf und mein Herz polterte von Neuem los. Mein Magen rebellierte und ich stellte erschrocken fest, dass es dasselbe Gefühl war wie in jener Nacht. Die Geräusche um mich verebbten. Kinder die Fußball spielten, Erwachsene die lachten, Jugendliche, die zu cool für das alles waren und mit Kopfhörern im Ohr im Takt zu einer Musik nickten, die nur sie hören konnten. Es war nichts ungewöhnlich an der Szenerie, aber meinem Bauchgefühl hatte ich bislang immer trauen können. Etwas stimmte nicht.
Da! Hinter der Ulme. War das nicht ein Schatten, der hinter dem Stamm Deckung gesucht hatte? Angestrengt starrte ich in die Richtung und wartete darauf, dass der Schatten erneut Gestalt annahm.
»Das war alles so geplant!« Verwirrt blinzelnd schaute ich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. »Ich hab dich gewinnen lassen, nur damit das klar ist«, rief Nylah von Weitem und endlich stand auch ihr die Anstrengung ins Gesicht geschrieben.
Mein Mund war staubtrocken und ich griff fahrig nach dem kleinen Rucksack, in dem ich eine Wasserflasche eingepackt hatte. Ich stürzte das Wasser herunter, ehe Nylah mich erreichte.
»Scheiße, bist du blass. Komm setz dich hin, bevor du noch umkippst«, japste sie und verfrachtete mich halb ziehend, halb tragend zu einer verwitterten alten Holzbank. Ich sah zu der Ulme, doch da war niemand. Dabei hätte ich schwören können ...
»Und mit dem Knöchel würde ich an deiner Stelle echt zum Arzt gehen. Ist er nicht wieder dicker geworden? Das muss doch höllisch wehtun!«, tadelte mich Nylah ungestüm.
»Äh ... ja ... Tut es auch«, gestand ich ungern und betrachtete den Fuß. Offensichtlich war er wirklich wieder dicker geworden, und als meine Finger über die verblassenden Blessuren strichen, fing die Haut darunter an zu prickeln. Kalter Schweiß rann über meinen Rücken. Ob das nun von meinem Fuß oder dem Gefühl kam, beobachtet zu werden, konnte ich nicht genau einordnen.
»Da soll dich einer mal verstehen. Kannst du laufen oder soll ich Jaime anrufen?«
»Jaime? Seit wann nennst du meinen Chauffeur beim Vornamen?«, fragte ich, um einen neutralen Tonfall bemüht. Meine Augen huschten über die Wiesen. Niemand zu sehen. Ich werde verrückt. Ich werde definitiv verrückt und entwickelte Paranoia. Wer hätte das nicht. Allemal besser als der alternative Ausgang dieser Geschichte. Falls meine Stimme zitterte, schien es Nylah nicht aufzufallen. Sie grinste verwegen.
»Mir hat er das Du angeboten. Weißt du noch? Bei dieser Party in Brooklyn. Du warst sturzbesoffen und als deine beste Freundin hab ich deinen Chauffeur angerufen, damit er uns beide nachhause bringt.«
»Ich hab ihn noch nie mehr als drei Wörter am Stück reden hören«, konterte ich und war für eine Weile wirklich beleidigt. Dabei hatte ich wirklich versucht mit ihm ins Gespräch zu kommen. Möglicherweise lag es auch an Nylahs natürlicher Offenheit und meiner natürlichen Verschlossenheit.
»Also mit mir redet er«, grinste sie zufrieden. Dann verdrehte sie die Augen. »Na komm, gib schon her. Ich ruf an und dann bekommst du deinen Kaffee. Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen.«
Vielleicht hatte ich das ja wirklich.
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