45. Kapitel
Abruptes Ende der Wentworth-Cavendish-Verlobung sorgt für Eklat in der New Yorker Gesellschaft.
Ich sah die Schlagzeilen der morgendlichen Zeitungen bereits vor mir und ich wusste, dass ich es so richtig verkackt hatte. Es gab absolut nichts, was ich dagegen unternehmen konnte und die Wahrheit war, ich hätte es genau so erneut getan. Das war es wert gewesen. Selbst, dass ich mich nun Auge in Auge mit ihren Eltern wiederfand, während Jessica und William Senior versuchten da draußen die Panik einzudämmen und alle Gäste ruhig verabschiedeten, war es wert gewesen. Alles, was Julias Sicherheit bedeutete, wäre es wert gewesen.
Ehrlich gesagt war ich froh, dass meine Eltern nicht anwesend waren und ich mich >nur< Hilary und John stellen musste. Julia knetete nervös ihre Hände. Der weiße Verband an ihrem Unterschenkel fiel mir dabei ins Auge. Schuld engte meinen Hals ein. Ich hätte es verhindern können, es sogar verhindern müssen.
Für die kurzfristig einberufene Krisensitzung hatte man uns das Büro des Managers, welches die kalte Architektur des Hotels aus Sandstein und Marmor widerspiegelte, zur Verfügung gestellt. Julia stand nur zwei Meter neben mir und doch fühlte es sich an wie Welten. Wir – das heißt Heather, Henry, Beth, Julia und ich - standen in einer Reihe, wie Kinder, die in der Schule etwas ausgefressen hatten und nun ins Büro des Direktors zitiert worden waren. John und Hilary standen uns gegenüber. Meine Geschwister und Beth hätten nicht hier sein müssen, aber vermutlich verstanden sie sich als so etwas wie Verstärkung. Und ehrlich, ich war ihnen dankbar dafür.
Wir hatten Hilary und John eine Zusammenfassung der Geschehnisse gegeben, doch zufriedengestellt oder gar besorgt um ihre Tochter wirkten sie nicht gerade. Wahre Bilderbucheltern.
»Was hast du dir dabei gedacht? Du hast die Verlobungsfeier deiner Schwester ruiniert, ist dir das klar?« Hilary marschierte vor uns auf und ab, während John nichts beizusteuern wusste. Ich war mir beinahe sicher, dass er an diesem Abend ein oder zwei Gläser zu viel getrunken hatte und der leere Blick bestätigte diese Vermutung.
»Es tut mir leid«, sagte Julia, während mir ein »Es ist nicht ihre Schuld!« entfuhr. Mein Zwischenruf wurde geflissentlich ignoriert.
»Du hast den Ruf des Four Seasons massiv geschädigt!«, regte sich Hilary Wentworth weiter auf. Hinter ihrem Rücken warf ich Heather und Henry einen vielsagenden Blick zu.
Mit Julias Fassung war es nun ebenfalls zu Ende. Sie stemmte die Arme in die Seite und funkelte ihre Eltern erbost an und gleichzeitig spürte ich so etwas wie Stolz in mir aufkeimen. Da war die junge Frau mit dem Feuer in ihren Augen, die sich nicht so einfach unterkriegen ließ.
»Das heißt also, dir ist es vollkommen egal, dass offensichtlich ein Auftragskiller auf mich angesetzt wurde? Schön. Ich hoffe, sie bringen diese Geschichte ganz groß raus. Vielleicht ist es ja gut fürs Geschäft.«
John seufzte abgrundtief, was man durch Hilarys empörten Aufruf kaum hörte.
»Du hast den Manager des Four Seasons, einen durchaus angesehenen, beliebten und einflussreichen Geschäftsmann, in eine sehr, sehr unangenehme Position gebracht. Das wird er nicht so einfach vergessen. Und natürlich wird das alles auf uns zurückfallen.«
Beth sah ihre Eltern scharf an. »Und wenn er der Präsident der Vereinigten Staaten wäre. Es geht um die Sicherheit eurer Tochter, meiner Schwester! An eurer Stelle würde ich Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um sicherzugehen, dass so etwas nicht noch einmal passiert«, schnaubte sie. Sie ergriff Julias Hand und die beiden sahen sich schweigsam an.
John räusperte sich.
»An Personenschutz soll es nicht liegen. Mr Alexander wird sich künftig um deinen Schutz kümmern. Und für dich werde ich auch einen Bodyguard engagieren, Beth. Bis diese Sache geklärt ist, ziehst du zu uns. Dort können wir für euer beider Sicherheit garantieren.« Seine Stimme wackelte noch ein wenig, doch mittlerweile musste der Großteil an Alkohol in seinem Körper verflogen sein. Sein Alkoholproblem war ein offenes Geheimnis.
»Ich werde nicht wieder zu euch ziehen. Ob ich nun in meiner Wohnung oder im Penthouse überwacht werde, ist doch das gleiche. Das Risiko dort ist genauso hoch.«
Stirnrunzelnd verschränkte ich die Arme. In Anbetracht der Tatsache, dass es Narbengesicht bereits in die Penthouse-Wohnung geschafft hatte, war es fraglich, ob Julia dort überhaupt noch sicher war.
Julias Unbehagen zum Thema Bodyguard stand ihr ins Gesicht geschrieben. Den einen Verfolger wurde sie dadurch vielleicht los, gewann aber gleichzeitig einen Babysitter. Freiheit – sofern man davon überhaupt sprechen konnte - hatte seinen Preis.
»Das ist wirklich lächerlich«, brauste Hilary auf. »John, siehst du nicht, was sie versucht? Heute war Beths großer Tag, aber Julia kann es nicht ausstehen auch nur einen Tag nicht im Mittelpunkt zu stehen!«
»Hey! Das ist-«, wollte ich dazwischen gehen, doch Julia hatte alles im Griff.
»Was ich nicht ausstehen kann, Mutter, ist es tot irgendwo im Graben zu liegen, weil ein Auftragsmörder scharf auf seinen Lohn ist. Ich möchte dich außerdem daran erinnern, dass du diejenige warst, die mich wieder nach New York zurückgeholt hat.«
»Mein Fehler zu glauben, du würdest deine Familie vermissen und dich darüber freuen.«
»Ich wollte nie nach New York zurück, du weißt, dass ich es hier hasse. Ich wäre gerne in England geblieben, ich hätte in Oxford studiert, so wie es geplant war und alles wäre so geblieben.«
Julias Gesicht war rot angelaufen und mein erster Instinkt war es, zu ihr herüberzugehen und sie in die Arme zu nehmen. Ein Seitenblick von Heather verhinderte das jedoch. Sie schüttelte fast unmerklich den Kopf und ich biss die Zähne zusammen. Sie wusste es. Natürlich wusste sie es.
Hilary warf die Hände in die Luft und gab einen verzweifelten Schrei von sich.
»Da siehst du es! Ich höre immer nur >Ich, Ich, Ich<, aber denkst du dabei auch nur eine Sekunde an deine Schwester?«
»Mum, jetzt lass endlich gut sein! Sie erfindet das doch nicht einfach aus Spaß!«
Zu sehen, wie Hilary Julia die Schuld an allem gab, machte mich wahnsinnig wütend. Es fehlte nicht viel, dass ich die Beherrschung verlor. Noch peinlicher war es, dass sie ihre Ansprache vor Heather, Henry und mir hielt. Ich hielt vielleicht nicht viel von meinen Eltern, doch sie hätten in dieser Situation immerhin den Anstand gehabt den Streit in privatere Räumlichkeiten zu verlegen. Ohne Publikum.
John sah jedenfalls nicht so aus, als würde er seiner Tochter in nächster Zeit beistehen wollen.
Zu ihrem Glück – und dass ich das sagte, überraschte mich selbst – klopfte es in diesem Augenblick an der Bürotür und Jessica und William Senior traten ein.
»Wir haben soeben die letzten Gäste verabschiedet. Ihr Anwalt hat seine Hilfe angeboten, aber ich habe ihn nach Hause geschickt. Ich hoffe, das war in ihrem Sinne.«
Hilary atmete laut ein und nickte erschöpft.
»Natürlich, natürlich. Vielen Dank.« Von dem einen auf den nächsten Moment war ihr die Müdigkeit anzusehen. Sie tat mir beinahe leid. Aber eben nur beinahe.
Henry räusperte sich vernehmlich und ich ahnte, was nun kommen würde. Weil eine Katastrophe pro Abend auch nicht ausreichte.
»Hallo Mum, hi Dad. Schön, euch zu sehen.«
Für ein paar lange Sekunden waren Jessica und William Senior aus dem Konzept gebracht worden und nicht nur ich hielt mitten in der Bewegung inne. Beth schnappte nach Luft.
»Henry.« Die Stimme unseres Vaters strauchelte und er nickte seinem ältesten Sohn zu. Jessica sagte nichts. Fast sah es danach aus, als hätte sein Anblick ihr die Sprache verschlagen. Würde ich sie nicht besser kennen, hätte ich da Tränen in ihren Augen vermutet. Ruckartig richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf Hilary.
»Ich habe mit einem Freund von der New York Times telefoniert. Zurzeit kursieren die unmöglichsten Gerüchte im Internet. Unser Glück, dass die großen Nachrichtendienste noch keine Meldung herausgegeben haben.«
»Das Problem wird bei den kleinen Zeitschriften liegen. Diese Sache ist ein gefundenes Fressen. Wir haben ja bereits gesehen, was eine kleine Nachricht für Wellen schlagen kann.« Ihr Augen suchten Julia und mich und dieses Mal bereute ich es wirklich, gerade nicht neben ihr zu stehen und ihr Halt geben zu können. Stattdessen streichelte ihr Beth behutsam über den Rücken.
»Was haben Sie ihrem Freund bei der Times erzählt?«, hakte John nach.
»Die Wahrheit. Ein Unbefugter hat sich Zutritt verschafft, aber eine Bedrohung lag zu keiner Zeit vor. Die Gäste befanden sich immer in Sicherheit. Sie haben den Mann, einen 40-jährigen Vorbestraften, stellen können und zum Verhör ins NYPD gebracht. Es handelte sich offenbar um einen langjährigen Mitarbeiter von A.I.Technologies, der kürzlich entlassen wurde und nicht mit der Abfindung zufrieden war.« Jessica lächelte unverbindlich.
»Das ist gelogen«, bemerkte Heather spitz, während Hilary fragte »Warum ein Mitarbeiter unserer Firma? Warum nicht von ihrem Unternehmen?«
»Es verschafft uns Zeit, herauszufinden, wer der Mann wirklich ist. Und wenn Sie möchten, können Sie gerne den Kontakt zur Times haben und ihm erklären, dass es sich um einen unserer Mitarbeiter handelt. Ich würde allerdings davon abraten. Wenn sich die Gastgeber untereinander schon nicht einig sind, wessen Mitarbeiter es nun war, wem soll man dann glauben?«
Selbst eine Hilary Wentworth konnte nicht bestreiten, dass die Erläuterung meiner Mutter logisch klang, auch wenn es ihr sicher lieber gewesen wäre, es handelte sich nicht um einen ihrer angeblich rachsüchtigen Angestellten.
»Es gibt noch ein paar Dinge zu klären, die ich gerne mit Ihnen unter acht Augen besprechen würde. Alles andere später«, schritt William Senior schließlich ein und komplimentierte Heather, Henry, Beth, Julia und mich hinaus, wobei er Henry kurz die Hand auf den Arm legte. Eine kleine Geste mit großer Wirkung. Henry lächelte, als er uns ins Foyer folgte.
»Ganz schön harter Stoff«, brachte es Heather auf den Punkt.
»Zeit, dass wir der Security einen Besuch abstatten, oder was meint ihr?« Henry lächelte diabolisch und machte den Anschein, dass ihm die Begegnung mit unseren Eltern nach vierzehn Jahren Funkstille nicht einen Deut naheging. Allerdings zitterte seine Stimme leicht und er richtete die schwarzen Schweißbänder um seine Handgelenke, die schon etwas ranzig wirkten, mehrmals. Er war ein guter Schauspieler, doch nicht so gut, dass ich ihm die versteckten Gefühle nicht an der Nase ablesen könnte.
Beth war die erste, die auf seinen Vorschlag einging. Sie legte einen Arm um die Schultern ihrer Schwester und ich ertappte mich dabei, wie ich mir wünschte, dasselbe tun zu können.
»Das klingt zumindest nach einem Plan. Versuchen wir's. Vielleicht finden wir wirklich etwas über diesen Kerl heraus.«
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro