34. Kapitel
»Okay, also ... das ist wirklich der übelste Scheiß, den ich jemals gehört habe.«
»Hmhm«, machte ich und kickte einen Kieselstein lustlos vor mir her.
»Du hast echt nichts gewusst?«, fragte Nylah fassungslos. Es knackte in der Leitung und ich presste das Smartphone stärker an mein Ohr.
»Woher denn? Er hat sich mir als Grayson vorgestellt und Beth hat von ihm nur als Will gesprochen. Ich hatte keine Ahnung. Gott, wie kann man nur so dumm sein?« Im Hintergrund waren hektische Stimmen zu hören. Eine andere Hektik als die, die sich mir in diesem Moment an einer befahrenen Straße in Downtown Manhattan nahe des Broadway bot. »Wie läuft das Fotoshooting?«
Nylah schnaubte. »Die Visagistin hat in letzter Sekunde gekündigt, das Kleid passt nicht, weil ich gestern einen Eisbecher gegessen habe, den ich laut dieser Pressetante besser weggelassen hätte und der Fotograf ist ein mieser Sexist. Alles wie immer also.«
»Du solltest auch kündigen.«
»Das sollte ich wirklich.«
Ich lachte kurz auf, doch sofort zog mich die Schwere meiner Gedanken erneut in den Abgrund.
Es behagte mir absolut nicht hier zu sein. Die Fassade des Four Seasons ragte in den Himmel und ich kniff die Augen zusammen, weil mich das Licht der reflektierenden Fenster blendete. Wenn ich mich einmal um die eigene Achse drehte, sah ich nichts als Hochhäuser. Deprimierend, aber in New York nichts Neues. Lediglich am Ende der Straße ragten die grünen Äste einer Eiche hervor, doch auf der Anblick des Grün konnte meine Stimmung nicht heben.
Beth hatte mich auf Knien angefleht für sie einzuspringen. Die Planung der Hochzeit hatte ich schon vor Wochen übernommen und meine Aufgabe meiner Meinung nach ganz gut gemacht. Natürlich war das, bevor ich wusste, wer da neben ihr am Traualtar stehen sollte. Dass sie mir nun auch noch den Black and White Maskenball aufdrückte, hätte mich nicht sonderlich überraschen sollen.
Ich hatte nicht ablehnen können. Mit welcher Begründung? Beth wusste ganz genau, dass ich keine Pläne für den Tag gehabt hatte. Das hatte ich ihr dummerweise erst bei unserem gemeinsamen Frühstück berichtet.
Was hätte ich sagen sollen? Dass ich keine Lust hatte mich mit ihrem Verlobten, der rein zufällig der Mann meiner Träume war, zu treffen und die Verlobungsfeier zu planen? Genauso gut hätte ich mir auch mein eigenes Grab schaufeln können. Also hatte ich zugestimmt und erntete nun die Früchte meiner Verschwiegenheit.
»Was wirst du jetzt tun? Siehst du ihn schon?«
Ich reckte den Hals, aber in der Menschenmasse konnte ich ihn nicht entdecken. Außerdem war ich mir sicher, dass ich es spürte, wenn er auftauchte. Als wäre mein innerer Kompass voll und ganz auf ihn ausgerichtet. Das allein war schon beängstigend genug. Mit dem Hintergrund, dass es sich um den Verlobten meiner Schwester handelte, war es einfach nur abgrundtief falsch.
»Nein«, brummte ich. »Er kommt wahrscheinlich zu spät. Das kann er ja so gut.«
Ein tonnenschwerer Seufzer entrang sich Nylahs Kehle. »Hör mal, ich würde echt zu gerne bei dir sein und dem Arsch gehörig dahin treten, wo die Sonne nicht scheint, aber das Shooting geht weiter.«
»Nenn ihn nicht so«, entschlüpfte es mir.
»Du verteidigst ihn? Nach allem, was zwischen euch passiert ist?«
»Ich verteidige ihn nicht!«, protestierte ich lautstark, sodass sich einige Passanten zu mir umdrehten. Ich verdrehte die Augen. Kümmert euch gefälligst um euren eigenen Scheiß.
»Genau das tust du! Er ist Beths Verlobter!«, rief sie mir unnötigerweise in Erinnerung.
»Das weiß ich«, schrie ich ins Telefon und schloss die Augen. Mit der freien Hand fuhr ich mir übers Gesicht. »Das weiß ich«, murmelte ich. Mein Kopf wusste das ganz genau. Nur einen anderen Teil von mir musste ich noch davon überzeugen.
Mein Magen machte einen unfreiwilligen Purzelbaum. Ich wusste es noch bevor ich mich zu ihm umgedreht hatte. Er überquerte die Straße gerade im Laufschritt.
Dass er nicht überrascht wirkte, mich zu sehen, ließ mich die Lippen schürzen. Und es machte mich schier wahnsinnig, dass er mich so ansah. So verdammt reumütig.
»Julia.« Er nickte. Ich streckte das Kinn und straffte den Rücken.
»William.« Er zuckte zusammen. Ich beendete den Anruf ohne Abschiedsworte.
Es war lächerlich. Wir waren lächerlich. Am lächerlichsten war jedoch der Fakt, dass er es schaffte in verwaschener Jeans, grauem Pullover und schlichtem Mantel so verdammt gut auszusehen. Es lag am Mantel. Dieser verdammte Gucci-Mantel, der keine Fälschung war. Ich hatte ein Auge für Fälschungen und so wie der Mantel aussah, hätte er auch maßgeschneidert sein können.
»Wollen wir?«
Nein, nein und nochmal nein. Ich seufzte leise.
»Klar.«
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