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Kapitel 27 - Madeleine

Mein Blick glitt über die schwarze Speisekarte des 60 Hope Streets. Es war eines meiner Lieblingsrestaurants. Als ich meine Wahl getroffen hatte, legte ich die Karte zur Seite und schaute zu Emily auf.
Nach meinem Kurztrip zu meinen Eltern, war ich in die Schule zurückgekehrt und hatte meine Chinesenfreundin überrascht. In vier Stunden würde mein Flieger auf die Bahamas starten, das hieß ich hatte noch genug Zeit für einen Kaffee mit ihr im 60 Hope Street.

Emily legte die Karte auch zur Seite und rückte ein bisschen näher an die leuchtend rote Wand, an der wir saßen. "Also heute kann mich nichts mehr überraschen! Wann bist du von deinen Eltern zurückgekommen?", prustete Emily nach einer Weile. Es war süß zu sehen, wie die kleine Asiatin versuchte neutral zu wirken, aber vor Freude anfing zu lachen, während sie mit mir sprach. "Vor ungefähr einer Stunde", antwortete ich, "ich habe aber auch nicht mehr viel Zeit. In vier Stunden fliege ich auf die Bahamas und dann wird Party gemacht!" Emily verdrehte bloß die Augen: "Du trinkst nicht mal." Ich musste lächeln. "Im übertragenden Sinne, Emily", lachte ich und musste erneut ein genervtes Augenverdrehen einstecken.
"Was kann ich ihnen bringen?", schreckte mich eine Kellnerin aus der Unterhaltung. Emily bestellte einen Latte Macchiato. Ich hingegen beauftragte die Kellnerin damit, mir schleunigst einen Black Pearl zu besorgen. Das Argument, dass die Cocktailbar erst ab 18 Uhr geöffnet hatte, zog bei mir nicht. Spätestens nach einem hohen Extraschein floh sie quasi in Richtung Bar, um meine Bestellung an einen Zuständigen weiterzugeben. "Was war das denn jetzt? Maddy, du trinkst nicht! Weißt du was alles an Alkohol in einem Black Pearl drin sind? Ich kann mal aufzählen: Blue Curaçao, verschiedene Arten Rum, -"
"Mehr aber auch nicht!", unterbrach ich meine beste Freundin bei ihrem Monolog über mein plötzliches Konsum an Alkohol. "Emily, es ist einfach so kompliziert in letzter Zeit. Du kennst meine Unsicherheit wegen Josh und dann ist da auch noch diese Sache mit Kloë und Bec- ach egal. Ich muss mir einfach gewisse Sachen lustig trinken und dann werde ich nicht von nervigen Gedanken im Flugzeug geplagt", erläuterte ich meine belastende Situation. Emily schaute mich auf einmal misstrauisch an. Vorsichtig entgegnete sie: "Meinst du den Kuss zwischen Becky und Kloë?" Völlig perplex schaute ich sie an. Wer hatte es ihr erzählt? Ich war es nicht gewesen! "Jetzt schau mich nicht so an! Ich konnte es mir denken. Becky hat sich seltsam benommen. Aber anderes Thema, mir raubt das auch den Verstand", kommentierte sie meinen entrüsteten Ausdruck. Ich erwiderte: "Ja, wechseln wir das Thema!"

Kaum hatte ich das ausgesprochen, stellte mir eine andere Kellnerin den nach Alkohol stinkenden Cocktail vor die Nase und Emily ihren dampfenden Latte Macchiato. Mit einem Handgriff landete der Rand des Glases an meinem Mund, während der Inhalt in meinen Rachen stürzte. Mit einem lauten Knall schlug ich den Boden des Glases auf den eleganten Holztisch. Ich schaute entschlossen in Emilys verzweifelte und zugleich etwas wütende Augen. Ich wollte ihr so vieles erzählen - über Josh, über Raffi, über Becky - doch alles was meinen Mund verließ, waren drei Wörter, die ich früher nie in diesem Kontext sagen wollte.

"Noch einen, bitte!"

____________

Durch ein starkes Ruckeln schreckte ich aus der Dunkelheit hinein in eine schmerzende Benommenheit. Durch einen verschwommenen Schleier erkannte ich, dass ich an keinem meiner gewohnten Orte war. Als mein Blick klarer wurde, dafür aber meine Kopfschmerzen stärker, identifizierte ich meine Umgebung als Innenraum eines Flugzeugs.

Moment.

Eines normalen Flugzeuges. Kein Privatjet.

Mit einem Mal richtete ich mich auf, doch wurde von dem stechenden Schmerz in meiner Schläfe zurück in meine geknickte Position gedrängt. "W- willst du etwas Wasser von mir?", stotterte eine verunsicherte Stimme neben mir. Um den Schmerz wenigstens ein Bisschen abzudämpfen, drehte ich meinen Kopf nur sehr langsam in die Richtung der relativ tiefen Stimme. Ich erblickte zwei matte, graue Augen, die unter meinem Blick nachgaben."Will?", krächzte ich heiser. Will schaute von seiner Wasserflasche auf und musterte mich besorgt mit einem zusätzlichen Hauch von Neugier.
Ich hatte Will seit dem Beginn des Schuljahres nicht mehr gesehen. Wenn ich mich recht entsinnte, hatte er mit Emily an einem Tisch gesessen.

Will war wie Emily ebenfalls ein Stipendiat an der SPPBS, nur wurde er nicht so "herzlich" wie Emily aufgenommen. Er wurde direkt zum Mobbingopfer degradiert. Das lag wahrscheinlich an seinem Auftreten. Er wandelte durch die hohe Gesellschaft mit einem veralteten Modell einer Nerd-Brille und einem blau karierten Holzfällerhemd.
Auch wenn ich mit Emily befreundet war, stammten wir doch aus verschiedenen Welten. Emily war in einem liebevollen Elternhaus und in Armut großgezogen worden. Ich oder Britt dagegen durften immer alles haben, wurden in die Geschäftswelt hineingeboren und mussten immer allen Standards gerecht werden. Natürlich benahmen wir uns unterschiedlich! Und natürlich prägt unser Elternhaus auch unseren Blick für manche Dinge. Emily zum Beispiel spart ihr ganzes Geld und schaut mit kritischem Blick auf die wohlhabendere, wenn nicht sogar reiche Schicht. Ich dagegen liebte es mein Geld zu verprassen, weil ich es mir leisten konnte. Ich wollte etwas, ich hatte das Geld dazu. Mein Blick für die ärmere Gesellschaft ist dadurch auch geprägt. Warum kaufen die sich nichts besseres als eine billige Nerd-Brille und ein Holzfällerhemd?
Man musste erst wachsen, bevor man sich sein eigenes Bild über solche Gesellschaftsformen kreieren konnte.
Und diesen Punkt haben manche noch nicht erreicht, weshalb - um zurück zum Thema zu kommen - Will ein Mobbingopfer geworden war und bis zu diesem Moment auch blieb.

Um seine Frage zu beantworten, nickte ich knapp und nahm die kleine Wasserflasche aus seinen gepflegten Händen. Ich wollte nicht wissen, wie viel Aufwand dahintersteckte.
Während ich meinem dehydrierten Körper Wasser zukommen ließ, nahm ich mir die Zeit, Will zu mustern. Um ehrlich zu sein, war er nicht mal hässlich. Ich musste zugeben sein Stil, seine Haare und seine Brille - Gott sie waren degoutant - absolut fürchterlich - aber seine Ansätze, seine Gesichtsform und seine Proportionen waren tadellos! Schönheit lag bekanntlich im Auge des Betrachters, allerdings musste der liebe Will einen blinden Betrachter gehabt haben!
Normalerweise wäre diese Stil- und Haarkatastrophe Brittanys Spezialgebiet, doch da sie ihren Wellness auf den Philippinen genoss, musste ich mich an diesen wandelnden Stilbruch wagen!

Vorerst gab ich die Flasche erstmal zurück und widmete meine Aufmerksamkeit der andauernden Ruckelbewegungen des Flugzeugs und den dröhnenden Schmerzen in meinem Schädel. "W-wunder dich nicht wegen dem ungleichmäßigen Flug! Wir l-landen gerade", erklärte er mir. Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu und entspannte mich etwas.
"D-du hast w-wahrscheinlich einen Kater. Du warst betrunken und Emily hat dich mir übergeben, damit du sicher ins Flugzeug k-kommst. K-kannst du dich daran erinnern?", polterte es mehr oder weniger flüssig aus seinem Mund.

Natürlich! Ich hatte den ersten Kater meines Lebens! Ich hatte zwar schon mal ein Blackout gehabt, aber einen Kater nicht. Eins war sicher, wenn das die eigentlichen Folgen von vielleicht drei Cocktails waren, dann würde ich nie wieder trinken.
Langsam dämmerte mir, was geschehen war. Emily hatte mich zum Flughafen gebracht und Will flog zufälligerweise mit und brachte mich deswegen auch ins Flugzeug. Danach hatte er mit einem alten Herr die Plätze getauscht, sodass wir nebeneinander saßen. Und danach....
Danach hatte ich bis vor fünf Minuten durchgeschlafen. 15 Stunden lang.
Ich musste meinen ersten Rausch ausschlafen.
Oh Gott, danke, dass es Emily und Will gab, ohne sie wäre ich wahrscheinlich immernoch in Liverpool und würde an Cocktails schlürfen!

Ich nickte Wills Frage ab und wurde dann bei der Durchsage hellhörig:

"Liebe Fluggäste, wir werden in Kürze landen. Bitte legen sie sich den Sicherheitsgurt um und gedulden sie sich noch ein paar Minuten.
Vielen Dank, dass sie mit unserer Fluggesellschaft geflogen sind."

_____________

Als ich aus dem einen der drei Bäder rauskam, das die Bridge Suite im Atlantis Hotel zur Verfügung stellte, entdeckte ich direkt die blonde, ungepflegte Bobfrisur, die eine gewisse Ähnlichkeit mit Troy aus High School Musical aufwies - nur ungepflegter - und zu niemand geringerem als William Carlton gehörten.
Ich hatte mich geschwind umgezogen und trug jetzt einen kurzärmligen und kurzbeinigen Onesuit aus feinster Seide dessen Grundfarbe ein Verlauf von zartem Mintgrün bis hin zu einem tiefen Blau bildete. Als Muster waren in regelmäßigen Abständen rötliche bis zartgelbe Blumen abgebildet. Britt hatte mir vor einer gefühlten Ewigkeit diesen Onesuit geschenkt. Ihr gefiel das sommerliche Design und ihr Auge hatte ihr direkt gesagt, dass es an mir gut aussehen würde. Doch nach all der Zeit war an diesem Tag die Premiere für dieses Outfit, denn vorher hatte ich es noch nie getragen. Es war noch nie die Zeit dafür gewesen, jedenfalls nach meinem Ermessen, doch nun boten sich die knappen 28 Grad auf den Bahamas geradezu dafür an es zu tragen. Und wer hätte es gedacht? Es sah an mir wirklich recht süß aus - und das sagte ich von mir selbst!
Das komplette Gegenteil von mir saß etwas mehr als einen Meter vor mir auf dem arabisch-luxuriösen Himmelbett. Will. Sein fettiger, verstrubbelter Bob, sein perfekt zugeknöpftes, blau kariertes Holzfällerhemd, seine schwarze Anzughose, die glatt gebügelt war, die schwarze Nerdbrille, die auf seiner Nase saß und seine billigen Lidl-Sportschuhe, die diese hässlichen Löcher im Vorderblatt hatten - alles an ihm schrie nach einem Desaster! Ich rümpfte die Nase. Ich konnte ihn so nicht länger durch das Leben wandeln lassen!
Breitbeinig stellte ich mich vor ihn und verschränkte die Arme vor der Brust. "Du. Mitkommen!", bestimmte ich und schaute mit einem festen Blick an. Seine grauen Augen wichen meinem starren Blick aus. "Warum bin ich überhaupt hier?", wollte er wissen. Zur kurzen Schilderung der Situation. Ich hatte eine Woche die Bridge Suite gebucht, um Urlaub auf den Bahamas zu machen. Will hatte irgendwelche Wurzeln auf den Bahamas und hatte die Woche spendiert bekommen, allerdings war für ihn irgend so ein Ein-Stern-Hotel gebucht worden, dass höchtswahrscheinlich nicht mal 20 Pfund pro Nacht kostete. Da ich das nicht mitansehen wollte, wie Will in einem Kakerlaken verseuchten Hotel verkümmerte, hatte ich ihn kurzfristig in die Bridge Suite geschleppt - schließlich hatte sie genug Betten in genug Zimmern! "Du wohnst ab heute hier! Ich schlafe im Himmelbett! Es gibt noch zwei Kingsizebetten und zwei Kinderbetten. Suche dir eins aus", erklärte ich. Er protestierte schwach gegen meine Bestimmung, doch bringen tat es nichts. Letztendlich schnappte ich seine warme Hand und zog ihn hinter mir her.

Das nächste Mal ließ ich ihn los, als wir bei einem Friseur waren. Der Friseur sah und verstand sofort das Problem - es war schließlich nicht zu übersehen - und machte sich direkt an seine Arbeit. Nach ungefähr einer Stunde stand vor mir ein komplett neuer Mensch. Wills Haar war kein ungepflegter Bob mehr, sondern ein ordentlicher Undercut, dessen Haare gerade so lang waren, dass man sie noch gut zur Seite gelen konnte, falls mal etwas Wichtiges stattfand.
Seine Augenbrauen waren auch ausgebessert worden und der Flaum an seinem Kinn, der vielleicht mal die Andeutung eines Barts gewesen war, war nun sauber abrasiert worden. Ich konnte zum ersten Mal Wills Gesicht sehen und ich musste zugeben, dass er makellosere Haut als Brittany hatte und das war wirklich schwer zu erlangen, immerhin klatschte sie jeden Abend eine andere schönheitsbringende Maske auf ihr Gesicht.
Zufrieden packte ich Will wieder an der Hand und zog ihn weiter durch die Gegend. Als nächstes war der Stichpunkt "Kleidung" an der Reihe und ich musste zugeben, das dieser Punkt einer der essenziellsten war. Dafür schleppte ich ihn durch die tropischen Modegeschäfte der Bahamas und ließ ihn allerlei Kleidung hineinschlüpfen. Letztendlich beschloss ich dann doch es bei Basic-Klamotten zu belassen. Ich kaufte ihm ein schlichtes nachtblaues Shirt mit einem nicht all zu tiefen V-Ausschnitt und eine legere Hose, dessen beiger Ton durch das dunkle Shirt hervorgehoben wurde. In wenigen Minuten schleifte ich Will weiter in ein seriös aussehendes Schuhgeschäft und kaufte ihm weiße Sneakers, die sich hervorragend an seinen Fünfundvierziger-Füßen machten. Das letzte Detail fehlte aber noch. Die Brille. So schnell wie ich ihn zu einem Optiker zog, konnte er nicht mal "Mandarine" sagen. Und ich nicht "Streber", aber wer legte schon Wert auf solch unwichtige Details?
Ohne Vorwarnung riss ich dem Mobbingopfer die Brille von der Nase und ersetzte sie mit Hilfe eines Beraters durch eine matt-schwarze Brille im Karré-Stil mit hellhölzernen Bügeln.
Seine gebrauchten Brillengläser wurden an das neue Modell angepasst und nochmal poliert.

Erst als wir wieder in der Luxus-Suite waren, ließ ich Will sich selbst im Spiegel begutachten. Sein kritischer Blick musterte sich selbst und wenn mich nicht alles täuschte, sah ich Verabscheuung in seinen grauen Augen. Er sah gut aus, ohne Zweifel, aber dennoch mochte er nicht, was er sah. "Kleider machen eben doch Leute!", warf ich also in den Raum hinein, um die Stimmung ein wenig zu lockern. Fehlanzeige. "M-madeleine, das bin n-nicht ich!", stotterte der Streber, "Ich bin anders als du, d-du trägst schon s-seit deiner Kindheit M-markensachen. Ich fühle mich nicht, w-wie ich selbst! Ich will hässliche Holzfällerhemden u-und traditionelle Anzughosen und mich i-im Spiegel erkennen können. Im M-moment sehe ich nicht m-mich!"
Das schlechte Gewissen holte mich ein. Ich war immer der Ansicht, dass Menschen Menschen sind, egal welchen Status oder Reichtum sie haben. Ich war immer der Meinung, dass ich mit Emily befreundet war ohne auf ihre finanzielle Situation zu schauen. In Wirklichkeit lag ich die ganze Zeit falsch. In meinem Inneren wusste ich immer, dass Emily, und jetzt Will, nichts hatten und habe ihnen immer viel gekauft, damit sie mehr besaßen, damit mein arrogantes Ich sagen konnte, es hätte den beiden geholfen. Was hatte ich nur für einen verabscheuungswürdigen Charakter.
Ich hatte nie bedacht, wie eine Person wohl fühlte, wenn ich jedes Mal meine EC-Karte zur Kassiererin hob anstatt sie selbst zahlen zu lassen.
Mein schuldbewusster Blick traf Wills sturmgraue Augen. Seine Unzufriedenheit, die er ausstrahlte, wandelte sich in Wärme um, als er meinen betrübten Ausdruck sah. "H-hey, für heute lass ich es, a-aber ab morgen trage ich wieder ein kariertes Hemd, okey?", murrte er sanft. "Aber diese Hose dazu und nicht die eines Anzugs!", bestach ich ihn. Er seufzte leise und stimmte dann zu. Die Angespanntheit verließ meine Züge dennoch nicht. "Bist du mir nicht böse, dass ich dich gezwungen habe, jemand zu sein, der du nicht bist und so extrem viel Geld ausgegeben habe?", fragte ich stumm nach und ließ meinen Blick wieder auf den Boden sinken. Der Größere jedoch ging ein wenig in die Knie, um mir in die Augen sehen zu können und antwortete: "Madeleine, du kennst es nicht anders. Du bist einfach so aufgewachsen! Wer könnte dir da böse sein? Pass einfach das nächste Mal besser auf."
Erleichtert schnaufte ich einmal durch und hob dann meinen Kopf. "Du hast Recht! Ich muss mich einfach bessern! Dann machen wir jetzt einfach das, was du willst!", bestimmte ich mit neuer Freude und gab somit meine eigenen Ideen für den Tag auf, um meinen Fehler wiedergutzumachen. Er kratzte sich schüchtern im Nacken: "Eigentlich habe ich schon etwas vor. Willst du mit kommen, Madeleine?"
Verwundert weitete sich mein Blick. "Gerne!", hauchte ich dann, "Du kannst mich übrigens Maddy nennen."
Der Brillenträger schüttelte langsam den Kopf, doch bevor er irgendwas sagen konnte, meinte ich ernst: "Ich bestehe darauf!"

____________

Nervös verlagerte ich mein Gewicht auf den anderen Fuß und wippte unruhig auf und ab, als William die verrostete Klingel durchdrückte, bis ein penetrantes Klirren durch das schlichte Haus tönte. Gut, schlicht war zu nett ausgedrückt für dieses Haus. Es war klein, sehr klein, hatte zwar Fenster, aber ohne Scheiben und alles sah bedrohlich nach Einsturzgefahr aus. Nach einer kurzen Weile öffnete ein blonder Mann die morsche Holztür. "Will!", rief er begeistert und schloss den anderen Blondschopf in die Arme. "Dad", quetschte der Größere aus seiner zusammengedrückten Lunge hervor. Hellauf begeistert rannte der kleine Mann zurück in dieses nicht sehr gut erhaltene historische Denkmal zurück - ich wusste auch nicht, wie alt das Gebäude war, aber es sah so aus, als wäre es im Mittelalter gebaut worden! Freudig kam mir eine schwarzhaarige Frau mit einem etwas dunkleren Teint entgegen. "Bo noiti", sprach sie ganz ruhig an mich gewandt. Sie musterte mich noch genau, ehe sie Will umarmte. "William!", säuselte sie liebevoll, "Gut siehst du aus!" Ich nahm das als Lob, schließlich hatte ich ihn umgestylt. Die Frau winkte uns herein und ich warf Will bloß einen fragenden Blick zu. Fragend über alles: Über die Sprache, die Personen, das Haus. Einfach alles. Er beugte sich während dem Gehen ein wenig zu mir und flüsterte: "Der Mann vorhin war mein Dad und das ist meine Tante. Mein Onkel und meine Mutter warten drinnen. Die Sprache vorhin war außerdem kreolisch. Unsere Familie stammt von einem einheimischen Stamm ab, allerdings hat sich das über die Generationen ein bisschen verloren." Er deutete auf seinen Arm. Er meinte seine Hautfarbe. Die Einheimischen hatten ursprünglich dunkle Haut, aber keine besonders dunkle. Einfach braungebrannter als gewöhnlich. Kein Wunder, wenn man 24/7 auf den Bahamas lebte.
Bei seiner Tante erkannte man die einheimischen Wurzeln noch, doch bei Will blieb nicht mehr übrig. Na gut, wenn er zwei Stunden in der Sonne lag, war er perfekt braun gebrannt, im Winter jedoch war er der britische Camembert mit irgendwelchen unsichtbaren Verbindungen zu einem Stamm der Bahamas.
Ich lief weiter durch das Haus, bis Will irgendwann stehen blieb. Wir standen in einem Wohnzimmer, das sogar relativ gemütlich aussah. Auf der schwarzen Couch saßen der Vater, die Mutter, der Onkel und die Tante von Will. Ich vermutete, dass Wills Dad ein Brite war, denn er sprach das elegante, vielleicht sogar spießige Englisch, des Vereinigten Königreichs, ich war mir jedoch nicht sicher, da er mit Hawaii-Hemd und einer beigen Shorts barfuß auf der Couch saß. Seine Mutter - und ich erkannte, dass es Wills Mutter war - sah weniger britisch aus. Sie hatte einen etwas dunkleren Teint, den ich vermutlich einer Spanierin zugeordnet hätte, wenn ich nicht vom tatsächlichen Ursprung gewusst hätte. Sie hatte schwarze Haare und die gleichen ausdrucksstarken, mausgrauen Augen ihres Sohnes. Oder eher umgekehrt - schließlich stammte Will von seiner Mutter ab! Neben Wills Mum saß sein Onkel. Er sah spanisch aus und hieß - wie ich zuletzt erfuhr - Jorge, was meine Vermutung verstärkte. Seine Frau, die außerdem die Schwester von Wills Mum war, war die letzte Person, die auf dem Sofa Platz gefunden hatte. Sie hieß María. Das verriet mir Will.
Als die Mutter mich erblickte, sprang sie freudig auf und umrundete mich. Sie war wunderschön. Ihr geblümtes Sommerkleid umschmeichelte ihre femininen Kurven und ihr langes Haar betonte ihre Eleganz. Will sah zwar seiner Mum überragend ähnlich, seinen Kleidungsstil jedoch hatte er vollkommen von seinem Vater geerbt.
Jorge schockte auch mit seinem Anblick. Er war um die 40 und bekleidete seinen Körper mit einem weißen Muskelshirt und einer gleichfarbigen so eng anliegenden Hose, dass man wahrscheinlich ein £1 Stück darunter hätte identifizieren können. Seine Frau sah wieder gänzlich anders aus. Sie trug ein weißes, zwei Nummern zu großes Shirt mit riesigem V-Ausschnitt, eine olivgrüne Dreiviertelhose und gelbe Birkenstock-Sandalen.
Die seltsame Familie musterte mich von oben bis unten. Wills Dad, der wenige Augenblicke zuvor noch glücklich seinen Sohn angrinste, begutachtete mich nun mit einem strengen, unheilvollen Blick. Seine Augen schauten so undurchdringbar, dass mir ein Schauer den Rücken hinablief.
"Bo noiti", brummte er und fixierte mich. Ich warf Will einen hilflosen Blick zu, der letztendlich auch Wirkung zeigte. "Ach, Leute, setzt ihr doch nicht so zu", schnaubte Will überraschender Weise fehlerfrei.
Wills Mum trat ihrem Gatten daraufhin ans Bein und warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Zu mir gewandt säuselte sie dann: "Tut mir leid, wir sprechen hier oft kreolisch und sind es außerdem nicht gewohnt, dass Will Besuch mitbringt. Ehrlich gesagt, ist das hier das erste Mal. Ich bin übrigens Wills Mum! Nenn mich bitte Seraphina. Das hier ist meine Schwester, María. Der grimmige, alte Mann dort ist Bradley, mein Mann." Sie deutete auf Wills Dad und musste dafür einen entrüsteten Blick seinerseits kassieren. "Aber Löckchen!", beschwerte sich Bradley. "Klappe, du Dino! Die Süße wird Will schon nicht beißen", knurrte Seraphina, "Oder doch?" Der Übellaunige schaute zwischen seiner Frau und mir hin und her, ehe er aufsprang und aus der Tür hechtete. "Nimm es ihm bitte nicht übel. Er ist sehr... beschützerisch, wenn es um unseren William geht. Ok, weiter geht's. Der letzte im Bunde ist Jorge, mein Schwager. Er ist personal Trainer und achtet darauf, dass wir alle genug Sport machen!"
Ich hätte niemals vermuten können, dass der Typ im Muskelshirt und der überdurchschnittlichen Muskelmasse Sport mochte...
"Ich bin Madeleine, aber ihr könnt mich Maddy nennen. Ich gehe auf die selbe Schule wie Will und habe ihn zufällig hier auf den Bahamas getroffen. Es freut mich euch kennenzulernen!", begrüßte ich die drei Übriggebliebenen. Seraphina zog mich gleich auf die Couch und fing an mit mir über Gott und die Welt zu reden. María brachte sich auch mit ins Gespräch ein. Das ging jedoch nur so lange, bis Bradley in das Zimmer trat und knurrte: "Essen ist fertig." Nach diesem Satz packte mich Seraphina sofort an der Hand und zog mich fünf Meter weiter zu einem morschen Holztisch. Am Kopf des Tisches sollte Bradley sitzen, an der einen Seite Seraphina und María und denen gegenüber saßen Will und ich. Jorge saß am anderen Tischende.
"Wie gefällt dir der Tisch, Maddy?", erkundigte sich Seraphina, "Mein Mann hat ihn selbst gebaut!"
Misstrauisch beobachtete ich das Gestell auf vier Beinen. Es wackelte bedrohlich. "Er ist wirklich entzückend", schnurrte ich, anstatt meine Zweifel dem Tisch gegenüber auszudrücken.
Bradley brachte dann auch schon den riesigen gebratenen Fisch rein und stellte ihn auf die Mitte der Tischplatte, sodass sich jeder von ihm nehmen konnte. "Dear, wo hast du den nur gefangen? Der ist ja gigantisch! Und köstlich!", staunte Seraphina nicht schlecht und genoss ihr Essen. Ich stattdessen verschluckte mich leicht bei dieser Aussage und hustete schwach vor mich hin. Will klopfte mir dabei noch auf den Rücken.
War hier denn alles aus Eigenproduktion?

"Löckchen. Das beste Stück. Mach 'aaah'!", brummte Bradley und fütterte seine Frau. Mein Blick suchte wieder den von Will, welcher daraufhin nur entschuldigend mit den Schultern zuckte. "Aber sag mal, Maddy. Was sind denn so deine Hobbys?", fing María dann an mich auszuquetschen. Das hörte auch so lange nicht auf, bis das Essen endete und Will mich in den Garten schleppte, um mich vor den neugierigen Gemütern seiner Familie zu retten.

"Danke", keuchte ich und ließ mich neben ihm ins Gras fallen, "Ich glaube, länger hätte ich das nicht durchgehalten!" Mittlerweile tiefenentspannt legte sich der Grauäugige zurück und verlor seinen Blick in der Weite des Himmels. "Nimm es ihnen nicht übel, du bist die erste Person, die ich wirklich mit nach Hause brachte", rechtfertigte er seine Familie. Auch ich ließ meinen Rücken in das weiche Gras sinken. Meine Schläfe lag an seinem blonden Haar. Der strahlend blaue Himmel, die ruhige Umgebung, Wills Anwesenheit - die ganze Situation entspannte mich. Und Will anscheinend ebenso. "Du stotterst nicht mehr", bemerkte ich vorsichtig. Wills Mund entkam ein leises Glucksen. "Jetzt kennen wir uns auch besser. Ich werde nervös, wenn ich Menschen nicht einschätzen kann und fange an zu stottern. Das ist so ein Tick. Aber wenn ich mich an jemanden gewöhnt habe, legt sich das auch wieder", gab er zu, regte sich jedoch nicht. "Ich bin anderen Leuten gegenüber einfach etwas unsicher." Unsicherheit. Ein Wort, dass mir nicht fremd war in letzter Zeit. Unwillkürlich musste ich an Josh denken.
Lass es uns einfach mal versuchen.

Dieser eine Satz spukte seit meinem Geständnis durch meinen Kopf. War er nur mit mir zusammen, weil er sich mir gegenüber verpflichtet fühlte?
"Will, ich will dir nicht zur Last fallen, aber hättest du mal eben ein offenes Ohr für meine Probleme?", vergewisserte ich mich. Ich kannte Will zwar erst seit heute, aber ich fühlte mich bei ihm so, als wären wir seit zehn Jahren beste Freunde. Ich fühlte mich geborgen und beschützt. Alles passte einfach.
"Immer doch, Maddy."

Und so erzählte ich ihm von meinen Sorgen über Josh. Fast eine halbe Stunde lang kam er nicht zu Wort. Wir lagen einfach im Gras, unsere Blicke war gen Himmel gerichtet. Ich redete, er hörte zu. Die ganze Zeit dachte ich, es seien blöde Gedanken, die sich kein anderer machen würde, aber Will verurteilte mich nicht. Das spürte ich. Immer mal wieder kam ein zustimmendes Gebrumm von seiner Seite, dass seine Bemühungen, mich zu verstehen, ausdrückte. Er lag einfach auf dem Gras und war da. Dafür war ich ihm dankbarer als er es sich hätte vorstellen können. Zum ersten Mal seit meinem Geständnis fühlte ich mich erleichtert. Keine Anspannung war mehr in mir. Alles löste sich von mir - darunter auch die ein oder andere Träne, wie ich selbst überrascht feststellte. Ich war kein Mensch, der sich bei einem Wildfremden ausweinte, aber bei Will war das irgendwie anders.
Nach meinem dreißigminütigen Monolog machte ich eine Pause und atmete einmal tief durch.
"Maddy, ich kann deine Sorgen nachvollziehen, aber..."
Hatte ich Will falsch eingeschätzt? Wollte er mir wie jeder andere auch sagen, dass meine Gedanken unnötig waren?
"Aber meinst du nicht, dass du das mit der falschen Person besprichst? Ich meine, wenn jeder über deine Gefühlslage Bescheid weiß außer Josh selbst: In wie fern wäre dir geholfen? Ernst Ferstl sagte mal "Offenheit ist ein Schlüssel, der viele Türen öffnen kann". Kein anderer kann dir die Tür zu Josh öffnen außer dir selbst!"

Ich war sprachlos. Ich konnte nichts zu dem sagen, was er mir gerade erzählt hatte. Außer vielleicht...
"Du elender Streber." Er lachte. Diesmal war es kein leises Glucksen oder ein sanftes Lächeln. Er lachte! Sein Lachen steckte mich an und schon bald schallte unser Gelächter durch alle naheliegenden Straßen. Als wir uns wieder beruhigt hatten, setzte ich mich auf. "Danke, Will." Während ich diese Worte sagte, wollte ich ihn anschauen. Er erwiderte meinen Blick und meinte bloß: "Keine Ursache." Aus meiner Hosentasche zog ich mein Handy. Zu Will gewandt, meinte ich, ich würde Josh anrufen. Daraufhin suchte ich ihn in meinen Kontakten heraus und lauschte dem gleichmäßigen Tuten. "Hallo, hier Josh?", ertönte die vertraute Stimme durch das Handy. Aufgeregt schaute ich auf Will, der mir aufmunternd Zunickte. "Hey, ich bin es: Maddy. Hast du kurz Zeit?"

Ich hatte keine Ahnung wie das für mich, ihn oder uns ausgehen würde, dennoch fühlte ich, dass ich Josh darauf ansprechen musste. Ich hatte endlich mache Dinge in meinem Leben verstanden und das nicht durch meinen eigenen Verstand. Ich habe endlich Dinge verstanden, die ich hätte früher verstehen sollen. Will winkte es zwar meine Dankbarkeit ab, jedoch musste ich es einmal sagen.

Will. Ich danke dir für heute. Ich wünschte, ich hätte dich schon früher kennenlernen dürfen.

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