Happy New Year
Frohes neues Jahr
„Irgendwie fühle ich mich schuldig, weil wir so still und heimlich verschwunden sind."
Blue ist aus tiefster Seele freundlich und Höflichkeit gehört für ihn zum guten Ton. Sich von einer so großen Party zu stehlen, ohne sich von der Gastgeberin mit einem Dank zu verabschieden, scheint ihm nicht richtig. Besonders, da besagte Gastgeberin auch noch Daniels Mutter ist. Doch Daniel schmiegt sich tröstend an ihn.
„Es mag nicht die übliche Vorgehensweise sein, aber meine Beziehung zu meiner Mutter ist auch alles andere als üblich."
„Trägst du's ihr nach?"
Wie würde man selbst in so einer Situation reagieren? Wenn man als Waisenkind aufwächst und dann plötzlich erfährt, dass man seine Mutter immer nahe dabei hatte, ohne es zu wissen? Der verschmitzte Blick seines Engels zeigt jedoch, dass auch dieser Gedanke nicht zur besonderen Situation von Daniel passt.
„Sieh mal", erklärt er mit einem vorsichtigen Blick auf den Fahrer der Limousine, der sie nicht nur zur Party gebracht hat, sondern jetzt auch wieder nach Hause fährt. Doch die verdunkelte Trennscheibe zwischen ihnen ist hochgefahren und das Gespräch der beiden bleibt somit vertraulich.
„Ich hatte als Kind manchmal Mitleid mit meinen Klassenkameraden, die nur so wenige Eltern und Geschwister hatten. Ich habe gleich mehrere Mütter, Väter und Geschwister und wir alle stehen uns nahe und einander bei. Es spielt keine Rolle, dass niemand davon leiblich mit mir verwandt ist. Und Milly? Sie hat mich immer geliebt, sich stets um mich gekümmert und dafür gesorgt, dass es mir an nichts fehlt. Sie wird mir niemals so nah stehen wie meine Familie, aber sie ist ein Teil davon, unsere Wohltäterin, unsere Weihnachtsfrau und daran wird sich nichts ändern."
Daniel war, als er die Neuigkeit erfahren hatte, zunächst wütend, dann verletzt und noch einiges mehr. Doch seitdem hat er seinen Frieden mit der Situation gemacht und Blue muss ihm zugestehen, dass er auch Recht hat. In kaum einer Familie gibt es so viel Liebe wie in Daniels.
Als sie den Familiensitz betreten, klingen Geräusche von Musik, Gerede und Gelächter aus dem großen Wohnzimmer und die beiden schauen neugierig nach, wer sich da für eine Silvesterparty zusammengefunden hat. Die beiden sind erst gestern wieder in die Wohnung von Daniel zurückgezogen, nachdem die Meyers zur Tat geschritten sind und das Interesse der Presse an ihnen wieder zugenommen hat. Daher wussten sie, dass einige der Angehörigen noch bis Neujahr hier bleiben wollten und somit sind sie jetzt nicht überrascht, jene Familienmitglieder in Feierlaune vorzufinden.
„Danny, Blue, hat man euch vor der großen Show um Mitternacht von der Super-va'Ho-Party geschmissen?"
Myriam winkt die beiden lachend herbei und Nelly drückt jedem ein Glas Sekt in die Hand.
„Was!", empört sich Blue.
„Denkst du, wir haben uns daneben bekommen?"
Daniel nippt an seinem Sekt und verbirgt dabei sein Lächeln am Glasrand.
„Wir haben uns rechtzeitig verdrückt. Ich wollte nicht noch einmal von Santa getrennt werden. Wer weiß, was von ihm übrig geblieben wäre, wenn die Aasgeier ihn erwischt hätten?"
Tyler lacht in die neugierigen Gesichter der beiden Frauen und erzählt in sehr lebendigen Worten und passenden Gesten davon, wie Daniel von einigen Gästen für eine geschäftliche Frage in Beschlag genommen und er dabei immer weiter abgetrieben wurde. Hilflos, so behauptet er mit angstvoll aufgerissenen Augen, sei er durch ein Meer voller Haie und Piranhas getrieben. Theatralisch spielt er nach, wie er versucht, die Geier im Auge zu behalten, die ihn ins Visier genommen haben und die vorsichtigen Schritte rückwärts, um ihnen zu entkommen.
„Jeder kleine Schritt rückwärts meinerseits, wurde von zwei ihrer Schritte vorwärts gekontert", heizt er der Spannung weiter ein, dann bleibt er plötzlich stehen und tut so, als sei er gegen ein Hindernis geprallt. Vorsichtig schaut er über seine Schulter, ohne sich auf die hinter ihm stehenden Zuhörer zu fokussieren, die auf seine Geschichte aufmerksam geworden und dazu gekommen sind. Sein Blick ins Leere gerichtet erklärt er schaudernd, wie sein Rückzug gestoppt wurde, als die Wellen ihn gegen eine Mauer aus Fleisch und Blut drückten. Eine Wand, die aus der breiten Brust eines Meyers bestand.
Die beiden Frauen kringeln sich vor Lachen und auch einige andere Familienmitglieder halten sich die Bäuche, als Tyler an dem Punkt angekommen ist, an dem sich ausgerechnet die Meyers-Brüder als seine Rettung erwiesen.
„Ein Blick von Haimon Meyers, und die Bedrohung schrumpfte und verwandelte die Flut in eine Ebbe - Rückzug der nach Blut geifernden Raubtiere und Aasfresser - und ich hatte wieder festen Boden unter den Füßen. Als Daniel sich endlich von seinen Gesprächspartnern losreißen konnte, nutzten wir die Gelegenheit, um uns davon zu schleichen, begleitet von dem erleichterten Gefühl, überlebt zu haben."
„Hey, euer früher Abgang ist bereits im Netz""
Tim schaut auf sein Handy und schnell sammeln sich andere um ihn herum, um den beiden dabei zuzusehen, wie sie erneut an den Paparazzi vorbei stolzieren und sich in der bereitstehenden Limousine vor ihren Fragen in Sicherheit bringen.
„Das nennst du schleichen?"
Eine Weile lang neckt man die beiden, dann will Daniel wissen, was Haimon denn so interessantes zu erzählen hatte.
„Du hast wenig verängstigt und sehr interessiert gewirkt."
„Und nicht gelangweilt?"
Wie es aussieht, hatte einer der Brüder schon geschäftlich mit Haimon zu tun und dabei schlechte Erfahrungen mit dessen langweiligen Reden gesammelt, doch Tyler ist es zum Glück anders ergangen.
„Abgesehen davon, dass er jeden andren erfolgreich abgewehrt hat?", lacht er, bevor er begeistert fortfährt.
„Er hat mir von seinem aktuellen Bauprojekt erzählt, eine ganze Siedlung mit einzelstehenden Wohnhäusern, die komplett durch hohe Mauern mit nur einer einzigen Einfahrt und durch einen Sicherheitsdienst geschützt sein wird."
„Das wäre perfekt", wendet er sich dann Daniel zu.
„Die Sicherheit kombiniert mit einer offenen Wohngemeinschaft."
Doch Daniel sieht wenig begeistert aus.
Bevor er sich jedoch äußern kann, fällt ihm Nelly ins Wort.
„Das klingt traumhaft. Eine Nachbarschaft, die einen Hintergrund-Check bestanden hat und offene Straßen, in denen man sein Kind spielen lassen kann."
Ihre Frau bringt sie jedoch auf den Boden der Tatsachen zurück.
„Nur, dass wir uns das niemals leisten könnten."
Tröstend nimmt sie Nelly in den Arm und wendet sich dann den Jungs zu.
„Wisst ihr, wir wohnen vor allem hier im Haus, um so viel Geld wie möglich zu sparen, für ein eigenes Heim. Diese Idee klingt traumhaft, aber die Preise für diese Häuser und Grundstücke sind extra hoch, damit man schon über den Preis das 'Gesindel' fernhält. Wir hätten da keine Chance."
Daniel tätschelt verständnisvoll Nellys Arm.
„Ich wäre auch nicht wirklich begeistert davon, selbst wenn wir es uns vermutlich bald leisten können", erklärt er leise aber bestimmt.
Seine Worte sind nicht nur als Trost für Nelly gedacht, sondern auch als Hinweis für Blue.
„Es hat mir sehr gut getan, nicht mit reichen Eltern in einer privilegierten Umgebung aufzuwachsen und ich möchte etwas Ähnliches für meine Kinder."
Tyler muss ihm dabei, so leid es ihm auch tut, zustimmen.
„Eine ganze Nachbarschaft voller Berufssöhne und Co? Oh danke, aber nein, danke."
Tom, der große Bruder von Tim, der in Daniels Familie zum Hüter wurde und für ihn wie ein weiterer Vater war, grinst schelmisch.
„Also, wenn ich über das Geld und passende Baugrundstücke verfügen würde, würde ich einfach selbst so eine Siedlung planen, perfekt für mich und meine Geschwister und andere, die zu unserem Clan passen!"
„Ah, Bruderherz, pflanzt du gerade den nächsten Samen für eine wohltätige Einrichtung?"
Der von seinem kleinen Bruder so Angesprochene grinst jetzt breit.
„Damals, als ich Milly von meiner Vision erzählt habe, hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass er wahr werden könnte."
Um ehrlich zu sein, hat er Milly das ganze Gerede von ihrem Reichtum und Ruhm nicht abgekauft, der sich negativ auf ein Kind auswirken könnte. Ihre Erklärung, dass sie nicht bereit sei, selbst eins großzuziehen, aber es auch niemals aufgeben könnte, war da schon realistischer und seine Antwort eher sarkastisch gemeint, um sie aus ihren Träumereien zu holen.
„Doch heute?"
Er lässt seine Augenbrauen auf- und abschnellen und grinst Daniel herausfordernd an.
„Heute weißt du genau, was für dich dabei herausspringen könnte und dein Vorschlag ist nicht so selbstlos wie damals?"
„Viele kleine Reihenhäuser, die auch mit kleinem Einkommen finanzierbar sind und dazu ein größeres mit Bewohnern, die die Kosten für Sicherheitsdienst und Pflege der Siedlung übernehmen", träumt Tom vor sich hin und Nelly nickt begeistert.
„Ich könnte mir auch ein Doppelhaus für uns vorstellen", fährt Myriam fort und sieht dabei Daniel und Tyler nachdenklich an.
„Hmmm, keine schlechte Idee", sinniert Daniel, der in seiner Phantasie bereits zwei Kinder sieht, die gemeinsam in einem Doppelhaus mit verbundenen Gärten aufwachsen und offenen Türen zu ihren Müttern und Vätern.
Tyler strahlt, denn die Idee gefällt ihm ebenfalls. Die Zeit vergeht wie im Flug, während man darüber nachdenkt, wie man das umsetzen könnte, mit Tyler als Verwalter der Anlage, der ganzen Familie als Besitzer und der Möglichkeit, einige Häuser für Sozialfälle zu nutzen, wie sie selbst es einst waren.
„Nur noch eine Minute", schallt es plötzlich aus einer Ecke und der Ruf setzt Tyler in Bewegung.
„Wo willst du hin?", ruft Daniel ihm panisch hinterher, denn er will wirklich nicht riskieren, dass sie den Kuss um Mitternacht verpassen, doch sein Freund stürmt bereits durch die Tür.
„Ich beeil mich, ich schaff' das", ruft er laut, während er durch die Gänge hechtet. Ängstlich starrt Daniel auf die Tür, während seine Familie sich in einem Halbkreis um den großen Bildschirm an der Wand versammelt und jeden mit frisch gefüllten Sektgläsern versorgt. Jemand hat eine Internetseite aufgerufen, die den Countdown für die aktuelle Zeitzone anzeigt.
„10 ... 9 ...", beginnen alle mitzuzählen, als Tyler zurück in den Saal gestürmt kommt, sich auf seine Knie schmeißt und darauf den Rest des Weges schlittert, bis er direkt vor Daniel landet.
„8 ... 7 ...", die Mitzählenden werden immer weniger, abgelenkt von der Show, die sich an ihrer Seite abspielt, wo Tyler seinem Daniel gerade ein Schmuckkästchen entgegenstreckt mit den Worten, die dem stehenden Mann die Tränen in die Augen treiben.
„Marry me!"
Merry - das ist das Wort, das Daniel dabei durch den Kopf geht. Merry me! Doch er hat keine Zeit zu verlieren, wenn er den Zeitrahmen für seinen Neujahrskuss nicht aus den Augen verlieren will.
„3 ... 2 ...", hört er noch eine einzelne Stimme leise mitzählen, als er ein von Herzen kommendes „Ja" hinausschreit und sich dann zu seinem Verlobten nach unten beugt.
„1 ...", seine Hände auf dessen Schultern finden seine Lippen die seines Santas, der seinen Kopf weit genug in den Nacken und seine Hände an Chrissys Hüfte gelegt hat.
Mit Glückwünschen, Jubelrufen und Pfiffen gratuliert die Familie den beiden zu ihrem Eheversprechen und freuen sich, dass sie Teil davon wurden. Währenddessen helfen sich Daniel und Blue gegenseitig zurück auf die Füße, die Ringe werden angesteckt und endlich erschallt dann auch der Ruf aller, der dieses Jahr eine noch größere Bedeutung hat als je zuvor.
„Happy New Year!"
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