1 - Shirts in Größe S
Überarbeitet
Rachel
Zufrieden betrachtete ich das dick und fett eingekreiste A, das in roter Farbe unter meinem Aufsatz hingepinselt wurde.
"Na Streberlein, haben wir wieder die beste Arbeit abgestaubt?"
Ich verdrehte nur die Augen, denn ich wusste ganz genau, wer sich da so einen lächerlichen Seitenkommentar nicht verkneifen konnte. Neidische Idioten wie Ilay gab es schließlich überall. Mit einem festgetackerten Grinsen drehte ich mich auf meinen Stuhl zu ihm nach hinten um, denn er saß wie so oft direkt hinter mir.
Wahrscheinlich, um von dort aus mit seinen Adleraugen Lösungen für den Test zu spicken oder mir weiterhin auf den Senkel zu gehen.
Oder beides. Wer wusste schon, was in seinem Kopf abging.
Spöttisch betrachtete ich erst seine nach hinten gegelten blonden Haare, die beinahe das Licht über uns wiederspiegelten, da sie so in Gel getränkt waren. Dann konzentrierte ich mich auf seine noch ziemlich weichen Gesichtszüge, die er zu einer überheblichen Miene verzogen hatte. Seine blassen grauen Augen warteten derweil sichtlich auf irgendeine eine Reaktion von mir.
Demonstrativ abgenervt schob ich meine Brille ein Stück weit den Nasenrücken herunter, um ihn über meine Brillengläser hinweg anzufunkeln. "Na Spatzenhirn, haben wir wieder die schlechteste Arbeit geschrieben?"
Ich sah, wie er die Zähne fester aufeinanderbiss und trotzdem einen auf gleichgültig tun wollte. Meine Güte, dieser Kerl besaß ein Ego, das musste schlichtweg größer und massiver als der Mount Everest sein.
"Wer weiß", gab er von sich und zuckte betont lässig mit den Schultern.
"Siehst du", antwortete ich und zuckte ebenfalls mit den Schultern, bevor ich mir wieder meine Brille richtig auf die Nase schob. "Wer weiß." Damit drehte ich mich gleichzeitig mit dem Ertönen des Schulgongs um, ordnete meine Blätter und verstaute zusammen mit den anderen Sachen fein säuberlich meine frisch bewertete Arbeit in meinem Rucksack.
Endlich hatte dieser Schultag auch sein Ende und ich konnte mich wichtigeren Dingen widmen. Essen hörte sich nicht schlecht an oder vielleicht mal wieder etwas zeichnen. Flüchtig schaute ich kurz aus den großen Fenstern in unserem Englischraum.
Der blaue Himmel und die drückende Hitze, die mich bestimmt gleich erwarten würde, lud auch zu einem entspannten Päusschen in meinem Pool ein.
Voller Vorfreude breit lächelnd wollte ich aus dem Raum herausstiefeln, da kam mir natürlich mal wieder jemand zuvor.
Ilay schob sich noch in letzter Sekunde vor mich und blockierte mit seinem muskulösem Körper den Türrahmen.
Gelangweilt musterte ich seine viel zu übertrainierte Brust und fragte mich innerlich, ob er sich seine Muskel nur aufpumpem ließ. Der Typ war gerade mal achtzehn und sah schon aus, als würde er seit zwei Jahren Anabolika nehmen.
"Mein Gesicht ist hier oben", kam es da auch schon von ihm und brachte mich erneut dazu die Augen zu verdrehen.
Heute würden sie auf einem Freitagnachmittag noch definitiv ein Schleudertrauma erleiden, weil er es in den letzten Minuten mit seinem bescheuerten Gehabe übertrieb.
"Ich glaube, du solltest dir nicht immer Shirts in der Größe S zulegen", sagte ich, dabei legte ich meinen Kopf in den Nacken, um zu ihm hochzuschauen.
Grimmig zog er seine hellen Augenbrauen zusammen. "Hä, wie meinst du das denn jetzt?"
Seufzend winkte ich ab. "Vergiss es. Was willst du jetzt eigentlich noch? Mir ein schönes Wochenende wünschen?", fragte ich ihn ungehalten.
Er lachte rau auf. "Mit Sicherheit nicht. Ich wollte fragen, ob du schon die Hausaufgaben in Physik fertig hast", meinte er und spannte beinahe schon mit Absicht seinen linken Arm an, weil er sich mit diesem an dem Türrahmen abstützte.
Meine Augen wanderten zurück zu seinem Gesicht. "Und selbst wenn, was nützt dir denn das? Ich werde sie dir nicht geben."
"Aber warum denn nicht?", empörte er sich, fing sich im selben Moment aber wieder und legte einen flehenden Gesichtsausdruck auf, der so lächerlich aussah, dass ich es am liebsten für so ein bescheuertes Meme festhalten wollte. "Bitte Rachel, du rettest mir mein Wochenende, wenn ich die haben kann. Bitte."
"Tzzz wer sagt denn, dass ich Interesse daran habe dein läppisches Wochenende zu retten?", schleuderte ich halb lachend, halb verdattert zurück. "Seh ich etwa so aus?"
"Vielleicht?"
Ich starrte ihn finster an und er hob ergebend die Hände. "Okay, okay, Streberlein. Komm mal wieder herunter. Ich dachte, wir könnten uns gegenseitig einen Gefallen tun. Mehr nicht."
Meine Augenbrauen zuckten überrascht nach oben. "Das ist mir ja was ganz neues. Was würde denn bitte für mich herausspringen? Meine Hausaufgaben lass ich dich nämlich mit Sicherheit nicht machen", machte ich ihm sofort klar.
Und überhaupt, seit wann stand Ilay denn bitte auf Gefälligkeiten?
Zwar hatte er es schon zusammen mit einigen anderen Mitschülern versucht, dass ich für die ihre Arbeiten machte und so weiter, aber natürlich hatte ich jedesmal abgelehnt, so sehr sie mir auch ihre Dollarscheine unter die Nase schoben.
Besonders Ilay war der sehr hartnäckig. Ich wollte gar nicht wissen wie hartnäckig er war, wenn er ein Mädchen herumkriegen wollte, denn bisher ist es ihm wohl immer gelungen. Generell hörte man von diesem Basketspieler mit Bestleistungen so einiges, aber mich interessierte das herzlich wenig.
Schließlich wollte ich mit ihm nichts zutun haben und verstand es grundsätzlich nicht, dass er wie eine fauchende und herumtotternde Katze, die es jeden Moment hinterlistig auf mich abgesehen hatte, um meine Beine herumstrich.
Denn wenn Ilay eines war, dann hinterlistig. Er hatte bei jeder Sache Hintergedanken und war auch niemand, dem man leicht über das Ohr hauen konnte.
Ilay stützte sich wieder mit seinem linken Arm am Rahmen ab und beugte sich verschwörerisch lächelnd zu mir herunter. "Ich weiß, dass du Sport nicht gerade magst. Wenn du möchtest, dann können wir dir bei der nächsten Ausdauerprüfung etwas... behilflich sein."
Meine Augenbrauen müssten derweil schon fast unter meinem Haaransatz gerutscht sein. "So? Inwiefern denn das?"
Natürlich ließ sich der Herr mit seiner Antwort Zeit, ehe er endlich mit der Sprache herausrückte und genoss lieber in vollen Zügen den Moment, in dem ich zum ersten Mal mehr oder weniger gespannt auf seine Aussage wartete. "Die Ausdauerrunden werden doch manchmal von uns mit überwacht, wenn ihr Mädchen an der Reihe seid. Die eine Strecke geht durch den Park und dort gibt es eine Abkürzung, die du dann nutzen könntest, ohne dass es jemand herausfindet. Vielleicht bessert das nicht gerade deine Noten auf, weil das wäre ja ziemlich verdächtig. Aber du könntest dich zwischendurch ausruhen. Gerade bei der momentanen Hitze."
Das klang in der Tat verlockend, da mein Kreislauf beim Sport immer etwas verrückt spielte. Aber sollte ich es mir deshalb so einfach machen wie ihre ganzen Püppchen, die sie gelegentlich durchschlüpfen ließen?
Mein Gewissen würde damit locker gar nicht klarkommen und bestimmt würde uns eh jemand bei meinem Glück erwischen. Oder er würde mich mit Genugtuung auffliegen lassen, das würde auch zu ihm passen.
"Abgelehnt", sagte ich also nur und wollte mich an ihm vorbeidrängeln, doch er schob mich wieder zurück. Seufzend verschränkte ich meine Arme vor der Brust. "Ilay, mein Bus fährt gleich. Könntest du mich also mal jetzt langsam durchlassen?"
Wieder sah er mich bittend an. "Komm schon, Rachel. Überleg es dir bitte. Ich schaffe die Aufgaben echt nicht am Wochenende und du wärst meine letzte Chance. Oder du überlegst dir etwas anderes, was du dafür haben möchtest."
"Nein, Ilay", wiederholte ich, unruhig schaute ich aus dem Fenster herunter auf die Straße, weil der Physikraum genau an der Straßenseite lag. Und wie sollte es auch anders sein, hielt genau in diesem Augenblick mein Bus an der Haltestellte. "Ach scheisse", entfuhr es mir.
"Was denn?", hakte er irritiert nach.
Sauer drehte ich mich wieder zu ihm und es gelang mir diesmal tatsächlich, ihn aus dem Weg zu schieben. "Wegen dir habe ich jetzt meinen Bus verpasst und kann laufen. Danke dafür."
Ich hörte noch ein schadenfrohes Lachen hinter mir, als ich von ihm wegstürmte. "Ich kann dich auch fahren!", rief er mir dann auch noch ernsthaft hinterher.
Das war ja auch mal etwas komplett neues.
Verärgert wandte ich mich nochmal zu ihm um. "Nee danke. Da ist es ja sicherer mit einem Ruderboot den Atlantik zu überqueren. Dein Fahrstil ist übrigens grottig, du hast letztens fast ein altes Tantchen überfahren."
"Wann denn das?", rief er mir zu, allerdings reagierte ich darauf nichts mehr, sondern hetzte die Schulflure entlang. Vielleicht hatte ich Glück und der Bus würde noch stehen, auch wenn ich das eher für unrealistisch hielt.
Als ich aus dem Nebenausgang an der Seite stürmte, rannte ich volle Kanne in eine riesige Wolke aus Zigarrettenqualm.
Hustend wedelte ich den Rauch weg und begegnete Bruce' breites Grinsen. Na toll, der auch noch. Ilays bester Kumpel und wahrscheinlich wartete der gerade auf seinem Muskelkumpanen.
"Schönes Wochende, Brillenschlange", zirpte er mir gespielt freundlich zu.
Genauso falsch lächelte ich ihm im Vorbeigehen zu. "Danke dir auch, Dumbo", spielte ich auf seine abstehenden Segelohren an.
Wobei Dumbo viel zu niedlich für einen wie Bruce war. Er konnte sich mit diesem Spitznamen regelrecht geehrt fühlen.
Meine Schritte beschleunigten sich, als ich an Jess' Clique vorbei ging, die sich gerade an ihrem weißen Cabrio sammelte.
Mit denen wollte ich mich nämlich eher nicht so gerne anlegen, die waren ein ganz anderes Kaliber und das konnte ich aus eigener Erfahrung belegen.
Genauso hinterlistig grinsend wie Ilay gerade noch hob Jess höchstpersönlich ihre Hand und wackelte mir mit ihren Fingern zu. "Schönen Nachmittag noch, Rachel. Bis Montag." Gehässig blitzten ihre eiskalten blauen Augen auf. "Wird bestimmt wieder ein Vergnügen mit dir."
Und wie.
Schnaubend wandte ich mich von dieser abscheulichen Person ab. Unfassbar, dass wir mal Freunde waren.
Die anderen Mädchen ihrer Girly-Truppe kicherten nur hämisch. Einen Moment lang starrten sie mich noch eingehend an, dann folgten sie Jess, die sich jetzt mit ihrer riesigen Gucci Ledertasche in ihre weiße Kutsche setzte.
Ich hingegen konnte gerade noch so vollkommen abgehetzt meinen Bus erreichen und ließ mich gleich auf einen der vordersten Sitze plumpsen.
Zum Glück hatten wir so eine Schlaftablette als Fahrer, sodass er extra lange an Haltestellen hielt und sich währendessen literweise Kaffee hinterkippte.
Nach ungefähr einer halben Stunde stieg ich aus dem Bus aus und lief die ruhige Straße in unserem Wohngebiet herunter, bis ich bei unserem Haus ankam.
"Na du siehst ja ziemlich fertig aus", konnte ich mir gleich anhören, als ich nach dem Schuhe ausziehen völlig verschwitzt die Küche betrat. "Wie war denn die Schule?" Mom lächelte mich liebevoll an, nebenbei rührte sie in einem Kochtopf.
Ich hatte ja ganz vergessen, dass sie diese Woche Spätschicht in der Klinik hatte und deswegen noch Zuhause war.
"Gut", erwiderte ich nur knapp. Schule war jetzt nicht gerade das, an was ich denken wollte, wenn ich endlich Wochenende hatte.
"Na das ist doch schön." Mom stellte das Schneidebrett in der Spüle ab. "Meinst du, du könntest vielleicht schnell nach dem Mittagessen Zanes Handy zur Crosstrecke bringen? Er hat es heute Morgen vergessen und gerade mit Timoth's angerufen."
Na super, in der Höllenhitze zum Crossplatz zu laufen, das wird ein wunderbarer Spaß. "Hm, klar."
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