8 - eulenpost mit folgen
K A P I T E L A C H T
EULENPOST MIT FOLGEN
N O V E M B E R 1 9 7 6
6. SCHULJAHR
Julie wusste, dass es nicht mehr so weitergehen konnte, als sie einen Tag vor Sirius Geburtstag ein dubioses Paket erhielt. Während die Eulen ihre Kreise unter dem wolkenverhangenen Himmel der großen Halle zogen, fiel es in ihren Schoß. Das es definitiv nicht von ihren Eltern stammte, wusste sie, weil nicht wie sonst auch ein Haufen Briefmarken auf dem Paket klebte. Selbst nach sechs Jahren Magie taten sich ihre Muggeleltern noch immer schwer mit den simpelsten Dingen.
Als sie sie dieses Jahr nach Kings Cross gebracht hatten, hatte ihr Vater die Steinwand zwischen Gleis neun und zehn misstrauisch beäugt und mit dem Finger kontrollierend in die Backsteine gedrückt. Als sie auf dem Bahnsteig dann auch noch den Potters (inklusive Sirius) begegnet waren, hatte ihr Dad neidisch zu Fleamont Potter hinüber gestarrt. Die Brosche aus Bronze, die der ältere Zauberer trug, besaß die Form einer Echse, die immer wieder an seinem Revers hinaufgeklettert war.
Julies Mum hingegen verstand Magie als etwas Allmächtiges und würde, wenn Julies Dad nicht darauf bestehen würde, keine Briefmarken auf ihre Briefe und Pakete kleben. Genauer gesagt, hatte sie in Julies zweiten Jahr mal einen Brief auf den Küchentisch gelegt und war der Meinung gewesen, dass dieser Brief Julie doch wohl auf magischem Wege irgendwie erreichen hätte müssen. Was er natürlich nicht getan hatte. Das hatte zu ein wenig Verwirrung geführt, als Julie am Ende des Schuljahres nicht wie erwartet von ihren Eltern sondern ihrer Tante Amanda abgeholt worden war.
Fakt war, dass sie genau wusste, dass dieses Paket in ihren Fingern nichts Gutes bedeuten konnte. Auch die Handschrift passte überhaupt nicht zu der ihrer Eltern. Und sonst erhielt sie keine Post, denn ihre Eltern waren die Einzigen, die wussten, dass sie eine Zauberschule besuchte. Ihre Großeltern in Wales oder ihre Tante Amanda würden wahrscheinlich einen Herzinfarkt bekommen, wenn sie wüssten, dass ihre Enkeltochter eine Hexe war.
Sie kniff die Augen zusammen und musterte das braune Paket. Unschuldig lag es in ihrem Schoß. Dann richtete sie ihren Blick auf Lenora Buckley, die nur ein paar Plätze gegenüber saß und Julie einen scheinbar unbeteiligten Blick zuwarf. Doch da war dieses erwartungsvolle Funkeln in ihren blauen Augen.
Nein, sie würde es nicht öffnen. Die Schoko-Attentäterin schlug ein zweites Mal zu, aber dieses Mal war Julie vorbereitet. Sie würde diesem Konflikt nicht länger aus dem Weg gehen.
Entschlossen klemmte sie sich das Paket unter den Arm und folgte der Mädchengruppe um Lenora Buckley, als diese sich kurz vor Beginn des Unterrichts erhob und aus der großen Halle lief.
„Hey!", rief Julie und bemerkte, dass ihre Stimme trotz der Entschlossenheit ein wenig bebte, „Lenora, warte bitte."
Das junge Mädchen erstarrte inmitten der Mädchengruppe und drehte sich langsam um. Sie warf ihr langes, blondes Haar unheilverheißend über die Schulter. Bei Merlin, aus der Nähe waren diese mörderischen Blicke ja noch schlimmer.
„Rutherford", sagte Lenora kühl. Sie sah hoheitsvoll über die Schulter zu ihren Freundinnen. „Geht schon mal vor und sagt Professor Slughorn, dass ich mich etwas verspäte."
Julie schluckte. Daran hatte sie gar nicht gedacht. Sie würde zu spät kommen. Das zweite Mal in diesem Jahr und McGonagall hatte ihr klar zu verstehen geben, dass ein zweites Mal Konsequenzen haben würden. Aber dieses Paket stand nun mal auch nicht in ihrem Tagesplan für heute.
Wie hätte sie denn wissen sollen, dass sie einem spontanen Attentat aus dem Weg gehen musste?
„Also, äh, Lenora ...", sagte Julie und versuchte ihr ein freundliches Lächeln zuzuwerfen. Das Mädchen quittierte ihren Blick mit einer hochgezogenen Augenbraue. Julie seufzte und zog das Paket mit spitzen Fingern hervor.
„Was hat es mit diesem Paket auf sich?"
„Woher soll ich denn wissen, was sich in deinem Paket befindet?"
„Wir wissen beide, dass das hier nicht mein Paket ist", sagte Julie mit fester Stimme, „Meine Eltern sind die Einzigen die mir Pakete schicken, weil ich muggelgeboren bin und sonst niemand meiner Verwandten weiß, dass ich hier bin. Und ich kenne die Handschrift meiner Eltern."
„Dann musst du wohl einen geheimen Verehrer haben", sagte Lenora mit einer Stimme die vor Sarkasmus nur so triefte, „Ich weiß, dass ist schwer zu glauben, aber solche Geschmacksverirrungen sollen ja immer wieder vorkommen."
„Wie bitte?", fragte Julie fassungslos. Das sie vielleicht keine Marlene McKinnon war, das wusste sie - aber musste man ihr das so dreist ins Gesicht sagen?
„Lenora", begann Julie ein weiteres Mal und das angespannte Lächeln auf ihren Lippen verschwand langsam aber sicher, „Ich weiß ja nicht, was du gehört hast, aber falls das was mit Sirius zu tun haben sollte, solltest du dringend aufhören alles zu glauben, was man dir erzählt." Sie seufzte erneut. Lenora sagte nichts, sondern starrte sie nur mit diesem angsteinflößenden Eiskönigin-Blick an. Mit aller Kraft erwiderte Julie diesen Blick (wenn auch deutlich weniger kühl) und fuhr fort.
„Ich bin nicht seine Freundin, aber selbst wenn Sirius eine Freundin hätte, dann wäre das noch lange kein Grund sie mit Pustelpulver und dergleichen kindischen Tricks zu ärgern."
„Ich habe nicht die geringste Ahnung wovon du sprichst", erwiderte Lenora stur.
Julies Finger begannen nervös an dem Zipfel ihrer Krawatte zu zupfen. Warum waren verliebte Mädchen so unfassbar... dumm?
„Lenora, ich weiß, dass du das warst", erwiderte Julie ernst, „Und Sirius auch. Und wenn dir es nicht reicht, das ich dir sage, dass du dich kindisch verhältst, kann ich dir versichern, dass er genau so denkt. Er wird nicht auf einmal wieder Interesse an dir haben, nur weil du grauenvoll zu anderen Menschen bist."
Julie konnte nicht glauben, dass sie dieses Prinzip überhaupt einem Menschen erklären musste.
„Ich weiß ja nicht, wie du auf die Idee kommst, dass ich etwas mit alldem zu tun habe, aber ich war das nicht." Lenora presste die vollen Lippen aufeinander. Die blauen Augen des Mädchens glänzten verräterisch und auf einmal hatte Julie Mitleid mit ihr. Es musste furchtbar sein, in jemanden verliebt zu sein, der dieses Gefühl nicht erwiderte.
Julie seufzte. Jetzt brachte sie auch noch Mädchen zum weinen. Dieser Tag lief ja wunderbar. Es hatte wohl keinen Sinn dieses Gespräch fortzuführen. Sie war schließlich kein Unmensch. Wichtig war, dass Lenora wusste, dass Julie es wusste - und beim nächsten Mal handeln würde.
„Sei dir einfach bewusst, dass ich einen dritten Versuch mir zu schaden bei Professor Sprout melden werde", sagte Julie und straffte die Schultern. „Ich bewahre das Paket auf und werde es ihr in dem Fall, dass nochmal jemand mir was ins Essen mischen sollte, an Professor Sprout weiterleiten. Ich denke, es wird kein Problem sein, die Herkunft des Pakets festzustellen."
Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und verschwand. (Sie hatte sich noch nie so erwachsen und cool gefühlt wie in diesem Moment.)
Das berauschende Gefühl des Cool-seins verschwand jedoch sehr schnell. Um genau zu sein verschwand es in genau dem Moment, in dem Julie an die Tür zum Verwandlungsklassenzimmer klopfen musste.
Ein pikiertes „Herein" von Professor McGonagall brachte auch den letzten Rest ihrer Coolness zum Schmelzen.
„Entschuldigen Sie bitte meine Verspätung", sagte Julie mit dünner Stimme, als die Blicke der ganzen Klasse auf ihr ruhten.
„Setzen Sie sich, Miss Rutherford", seufzte McGonagall, „Und kommen Sie nach dem Unterricht zu mir."
Innerlich fluchte Julie, doch äußerlich nickte sie und setzte sich auf ihren Platz neben Amata. Das sie nach der Unterrichtsstunde, Nachsitzen von McGonagall verpasst bekam, war wohl überflüssig zu erwähnen. Was nicht überflüssig zu erwähnen war, war die Tatsache das sie ausgerechnet morgen, an Sirius Geburtstag, nachsitzen sollte.
„Aber Professor, morgen hat Sirius Geburtstag!" wandte Julie ein, „Da muss ich doch-"
„Miss Rutherford, ich gehe davon aus, dass sie morgen erscheinen werden. Mr Black wird es, ob nun an seinem Geburtstag oder an einem anderen Tag, sicherlich zwei Stunden ohne sie aushalten, denken sie nicht?"
Natürlich würde er das. Darum machte sich Julie keine Sorgen. Aber die Party, die Julie in ihrem Gemeinschaftsraum vorzubereiten hatte, die würde es sicher nicht ohne Julie aushalten. Die Rumtreiber wären niemals in der Lage die Party so vorzubereiten, wie Julie es sich vorgestellt hatte! Sie hatte seit Wochen alles geplant- die geheimen Lieferungen von Butterbier, für die sie Madame Rosmerta beinahe hatte bestechen müssen (bis sie erklärt hatte, dass es dabei um Sirius ging: die hübsche Barkeeperin hatte mehr als nur ein Auge auf Sirius geworfen), die Hauselfen, die versprochen hatten ein paar Snacks vorzubereiten, die Deko, die sie per Eulenpost bestellt hatte und die sich nun unter ihrem Bett stapelte. Und eigentlich wollte sie Sirius noch Apfel-Zimt-Muffins backen...
Das Problem war nur, dass sie Professor McGonagall wohl schlecht sagen konnte, dass sie eine geheime Party organisieren musste. Dann würde die Party nämlich gar nicht erst stattfinden.
„Wäre es nicht möglich... einfach einen Tag später?", Julie verschluckte die Hälfte der Wörter, als sie McGonagalls eisigen Blick sah.
„Miss Rutherford, es hat seine Gründe warum ich den morgigen Tag ausgewählt habe. Ich habe auch Termine. Respektieren sie dies und erscheinen sie pünktlich."
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„Verdammt, bei Merlin, was mache ich denn jetzt?" Julie raufte sich das widerspenstige Haar.
„Wie wäre es wenn du wie jeder normale Mensch auch akzeptierst, dass du nachsitzen musst und einfach hingehst?", fragte Andrew und sah kaum von seiner Lektüre auf.
„Du weißt, dass das nicht geht. Sirius wird morgen 17! Die Feier muss perfekt werden und ganz ehrlich-", Julie seufzte tief und was für eine dramatisch-lange Pause sorgte, „-ich traue niemanden dieser Idioten zu die Party angemessen zu planen und organisieren."
„Und die Deko erst", merkte Andrew amüsiert an, „Kaum auszudenken was die mit ein paar Girlanden in den Händen anstellen werden."
„Ganz gen- warte mal, machst du dich über mich lustig?" Empört stemmte Julie die Hände in die Hüften.
Andrew schmunzelte: „Nur ein bisschen."
Julie und Andrew hatten sich ein gemütlichen Platz im Gemeinschaftsraum gesucht. Amata war nicht mitgekommen. Die Beiden hatten noch nicht miteinander gesprochen.
Wenn Julie nicht gerade anderes im Kopf gehabt hätte, hätte sie die beiden wahrscheinlich in einer Besenkammer eingesperrt, bis sie sich wieder vertrugen. Allerdings war sie in Gedanken nun ganz bei der Party, deren Erfolg auf dem Spiel stand.
„Ich könnte...", murmelte Julie nachdenklich. Ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren um eine Lösung für ihr Problem zu finden. „Warte!", rief sie begeistert. „Du könntest Vielsafttrank zu dir nehmen und dann an meiner Stelle zum Nachsitzen gehen!"
„Ähh", machte Andrew und sah verdattert von seinem Buch auf, "Nein?"
„Das war eh 'ne doofe Idee", lenkte Julie ein, „Wo soll ich so spontan noch Vielsafttrank herbekommen?"
„Das ist der Punkt, der dir zu doof vorkommt?", schmunzelte Andrew. Er legte sein Buch beiseite (es war Der kleine Hobbit) und schüttelte vorwurfsvoll den Kopf.
„Was ist wenn wir versuchen dich zu transfigurieren?", schlug Julie vor.
„Bei Merlin, nein!"
„Warum denn nicht?", Julie verschränkte die Arme vor der Brust, "Ich dachte du würdest mir helfen."
„Ich will dir gerne helfen. Ich will aber nicht so gerne für immer in deinem Körper feststecken - oder schlimmer in einem verstörenden Mix aus meinem und deinem Körper! Bei deinen Verwandlungsfähigkeiten würde mich das nicht wundern wenn es so endet", sagte Andrew todernst. Zugegeben, damit hatte er ein ziemlich starkes Argument auf seiner Seite. Wenn Julie etwas nicht beherrschte, dann war es Verwandlung.
„Wir könnten James fragen ob er uns hilft", schlug Julie vor, "Oder Remus."
„Oder wir könnten es einfach nicht machen, weil dieser Plan vollkommen bescheuert ist. Und außerdem hatten wir vollständige, menschliche Transfiguration noch gar nicht im Unterricht! Das können selbst die Streber nicht."
„Du hast ja Recht", murmelte Julie und ihr Enthusiasmus verließ sie so plötzlich, wie er gekommen war. Frustriert ließ sie sich auf einen Sessel fallen und zog die Knie an das Kinn. Natürlich, sie würde die Feier trotzdem organisieren können, aber wenn sie zwei Stunden verlor, verlor sie eben zwei Stunden, in denen sie so einiges vorbereiten wollte. Außerdem ging ihr Unterricht morgen bis fünf Uhr nachmittags. Wenn sie dann noch zwei Stunden Nachsitzen musste, blieb ihr maximal eine Stunde bis Partybeginn— und eigentlich musste sie ja auch noch zu Abend essen.
„Weißt du", meinte Andrew versöhnlich, „Du könntest mir auch eine deiner perfekt ausgearbeiteten Listen geben und ich arbeite sie ab. Du bist das Gehirn und ich die ausführende Hand. Das wäre doch viel leichter als dein verworrener Vielsafttrank-Plan."
Diese Lösung klang tatsächlich deutlich einleuchtender als das wirre Zeug, dass Julie sich bereits ausgemalt hatte (einer dieser Pläne enthielt eine rasante Flucht auf dem Besen aus McGonagall's Büro). „Und das würdest du für mich tun?", fragte sie mit einem hoffnungsvollen Aufleuchten in ihren Augen.
Andrew schmunzelte: „Wenn du lieb fragst."
„Ich habe da so eine Vermutung, dass lieb fragen ein Synonym für eine Packung saure Gummihexen ist."
„Vielleicht auch für zwei."
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Anmerkungen:
Ein vergleichsweise kurzes Kapitel mit nur 2109 Wörtern! Hoffe es hat euch trotzdem gefallen, auch wenn dieses Kapitel ein wenig ruhiger war. Aber versprochen, bald gehts hier so richtig los. Ich freue mich schon so sehr auf die nächsten Kapitel, hihi :)
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