12 - schlittenrennen
K A P I T E L Z W Ö L F
SCHLITTENRENNEN
N O V E M B E R 1 9 7 6
6. SCHULJAHR
„Wie sieht's aus, habt ihr Lust bei einem Schlittenrennen gegen die Gryffindors zu verlieren?" Wie aus dem Nichts war James vor Ihnen aufgetaucht, die Brille schief auf der Nase und mit Schneeresten auf seiner Mütze. Er grinste über beide Ohren und legte Julie einen Arm um die Schulter.
Sie versteifte sich.
Wenn James hier war, dann konnte Sirius nicht weit sein.
„Oh, nein, Julie, wag' es nicht dir eine Ausrede zu überlegen", fuhr James fort, „Letztes Jahr habt ihr gewonnen, das können wir nicht auf uns sitzenlassen."
„Ich bin krank", widersprach Julie, „Ich kann nicht." Sie legte einen leidenden Gesichtsausdruck auf und hoffte, dass ihre Augen noch immer geschwollen genug waren um ihre Aussage zu unterstreichen.
James warf ihr einen prüfenden Blick zu. „Du siehst nicht-", er stockte mitten im Satz und zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Du siehst wirklich krank aus", stellte er fest.
„Ich bin ja auch krank." Julie seufzte theatralisch und spielte mit dem Zipfel ihres Schals.
Kurz flackerte James Blick zu ihren Fingern und sie meinte einen Hauch von Misstrauen in seinen braunen Augen aufblitzen zu sehen. Schnell ließ sie ihre Hände sinken und vergrub sie in ihrer Jackentasche.
„Für's Rodeln wird es reichen", warf Amata ein, die nichts von alldem mitbekommen hatte, „Du musst doch nur auf einem Schlitten sitzen."
„Ich glaube Sirius hat das Gleiche, was du hast", meinte James mit schief gelegten Kopf und tätschelte ihr die Schulter. „Der sieht auch schon die ganze Woche richtig beschissen aus."
„Danke, James für diese lieben Worte", sagte Julie säuerlich. Dann wandte sie sich an Amata: „Ich denke nicht, dass es eine gute Idee ist. Am Ende verliert ihr, weil ich nicht in Bestform bin."
Sie wollte um jeden Preis verhindern Sirius zu begegnen. Einen Plan, wie sie sich ihm gegenüber verhalten sollte, hatte sie nämlich auch nach einer Woche noch nicht.
„Ach was, das wird schon", sagte Andrew mit einer wegwerfenden Handbewegung.
„Und wenn Sirius auch krank ist, dann ist es ja nur mehr als fair. Dann tretet ihr Beiden gegeneinander an und es gleicht sich aus." Amatas Worte glichen einem Befehl - und der Kampfgeist, der in ihren Augen glitzerte, verriet Julie das sie bereits verloren hatte.
Das Schlittenrennen zwischen Hufflepuffs und Gryffindors war schon lange eine Pflichtveranstaltung im Winter - kein Wunder, denn die Hälfte der Teilnehmer bestand aus Quidditchspielern, die allesamt ein bisschen zu ehrgeizig für Julies Geschmack waren.
Sie seufzte tief auf, was in der Runde als eine Art Einverständnis gedeutet wurde. Prompt wurde sie mitgezogen zu dem kleinen Wäldchen nahe an Hagrids Hütte.
Zwischen den Tannen befand sich ein kleiner Trampelpfad, der im Winter zu einer Schlittenstrecke umfunktioniert wurde. Er war eng und verschlungen - perfekt um sich ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen zu liefern. Normalerweise liebte Julie das Schlittenrennen, auch wenn sie nicht ganz zu kampflustig wie Amata oder James an diese Geschichte heranging. Aber heute bereitete ihr jeder Schritt näher an ihr Ziel Magenschmerzen.
Wie seltsam wäre es, wenn sie einfach umdrehen und wegrennen würde?
Sie hörte bereits die Stimmen von Remus und Peter, erkannte dann den Umriss der drei Gryffindor-Jungen, die wie verirrte Schneemänner im Tannenwäldchen standen.
Neben ihnen befanden sich zwei Schlitten, an deren Kufen sich Remus noch mit einem Tuch zu schaffen machte. Sirius stand mit dem Rücken zu Julie und den Anderen, deswegen konnte sie nur seine wirren Locken sehen, die bis auf seine breiten Schultern fielen.
„Macht euch gefasst auf das epischste Schlittenrennen, dass Hogwarts je gesehen hat!", rief James seinen Freunden zu und sorgte somit dafür, dass sich die Rumtreiber zu den Neuankömmlingen umdrehten.
Als Sirius Blick auf Julie traf, fühlte sie sich auf einmal nackt. Es war als ob sich all' die Schichten Winterkleidung in Luft aufgelöst hatten, bis nur noch ihr Innerstes übrig war. Als ob er ihr direkt in die Seele blicken würde.
Sie schluckte und zwang etwas Luft in ihre Lungen - wie atmete man nochmal?
Die Anderen besprachen die Taktik, doch die Worte glitten an ihr vorbei. Sie hatte ihn die ganze Woche immer wieder flüchtig im Unterricht oder auf den Gängen gesehen - aber nicht so wie jetzt. Nicht so nah, nicht so intensiv.
Sie hatten die Blicke des jeweils anderen vermieden.
Waren sich aus dem Weg gegangen.
Bis jetzt.
Zitternd nahm sie einen tiefen Atemzug der kalten Luft. Langsam verschwand der Nebel, der ihre Gedanken seit Sirius Auftauchen verdüstert hatte. Sie durfte sich nichts anmerken lassen. Ansonsten würde sie ihrer ganzen Freundesgruppe etwas erklären müssen, dass sie selbst nicht verstand.
Bis Sirius und sie mit ihrem Rennen an der Reihe waren, sagte sie kaum etwas - hustete nur ab und zu um auf ihre vermeintliche Krankheit aufmerksam zu machen und feuerte Andrew und Amata an. Die Strecke war recht lang, dementsprechend verschwanden die Teilnehmer ohnehin nach einigen Metern im dichten Unterholz.
Das Schlittenrennen lief jedes Jahr gleich ab. In Zweierteams traten sie gegeneinander an: da es nicht ganz aufging, musste einer der Hufflepuffs doppelt fahren. Durch eine magische Ziellinie, die sie am Fuße des Hügels gezaubert hatten, wurde festgehalten wer in den Runden gewann und um die Schlitten wieder nach oben zu befördern nutzen diejenigen, die oben waren den Accio-Zauber, sobald das magische Signal erklang. Hinauflaufen musste man jedoch selber, was dazu führte, dass am Ende nur noch Sirius, Julie und Peter oben standen.
Die nervöse Stille, die zwischen ihnen herrschte war kaum auszuhalten. Peter hatte immer noch Probleme mit Julie (und Mädchen im Allgemeinen) zu sprechen, was die Situation zwischen Sirius und ihr nicht unbedingt angenehmer machte.
Ungeduldig wartete sie auf das Signal, sodass sie das Rennen endlich hinter sich bringen und wieder im Bett verkriechen konnte. Weit weg von Sirius und seinen undefinierbaren Blicken voller Enttäuschung.
Ein goldener Funkenstrom erreichte sie fast zeitgleich mit Amata und James, dem ersten Paar, das losgefahren war. Sirius zögerte keinen Augenblick und beförderte die Schlitten aus dem Tal mit einem stummen Accio zu ihnen hinauf, während James sich wie ein Kleinkind aufführte weil er seine Runde verloren hatte.
„Zum Glück seid ihr beide krank", sagte Amata, während Julie sich auf dem Holzgefährt positionierte. Dafür erntete sie einen bösen Blick sowohl von Julie als auch von Sirius.
Es war offensichtlich, dass er genau so wenig Lust auf dieses Theater hatte wie sie. Er wollte es einfach nur hinter sich bringen.
„Mach' sie fertig, Tatze!", rief James. Dann sah er zu Julie und warf ihr einen entschuldigenden Blick zu: „Also nur im metaphorischen Sinne."
„Ich glaube nicht, dass das die korrekte Verwendung einer Metapher ist, James", erwiderte Julie belustigt und rutschte mit dem Schlitten bis zur Startlinie.
Sirius war so nah neben ihr, dass sie meinte sogar seinen Geruch wahrnehmen zu können. Zusammen mit einer Mischung aus feuchter Erde und Tannennadeln, ein bisschen Rauch und ein bisschen... Sirius.
Aber das war unmöglich, oder? Niemand konnte so einen intensiven Geruch verströmen.
Noch während sie in Gedanken bei diesem vertrauten Geruch war, ertönte der Startschuss. Hektisch stieß sie sich ab - sie hatte gar nicht mitbekommen, wie die Anderen zu Zählen begonnen hatten. Sirius hatte einen ordentlichen Vorsprung - und das sorgte dafür, dass sich nun doch noch ein wenig Kampfgeist in ihr aufkam. Sie beugte sich nach Vorne, spürte wie der Wind an ihr zerrte. Die Tannen rasten links und rechts an ihr vorbei und verrieten ihr, wie schnell sie gerade war. Schnee und Erde flog ihr ins Gesicht, als Sirius nur wenige Meter vor ihr mit dem Fuß um eine Kurve lenkte. Der Dreck sorgte dafür, dass sich prompt ihre Sicht verschlechterte. Tränen brannten in ihren Augen und hektisch blinzelte sie.
Trotzdem konnte sie kaum noch sehen. Egal. Sie bremste nicht wie sonst vor der Kurve ab, sondern fuhr mit voller Geschwindigkeit hinter Sirius her. Fast blind und viel zu schnell zu fahren war jedoch keine gute Idee, das stellte sich ziemlich schnell heraus - um genau zu sein, wurde es Julie in genau dem Moment klar, als sie mit einem lauten Knall gegen Sirius Schlitten rammte. Durch den heftigen Aufprall flog Julie von ihrem Schlitten und kugelte durch den Schnee. Sirius ereilte das gleiche Schicksal, sodass die Beiden sich in einem verknoteten Haufen von Gliedmaßen in einem Schneehaufen wiederfanden.
Es ging so schnell, dass nicht einmal ein Schrei ihre Lippen verlassen hatte. Nur ein leichtes Stöhnen als sie nach einigen Sekunden benommen den Kopf hob. Ihre Mütze hatte sich auf dem Flug wohl verabschiedet denn ihre Locken waren weiß gepudert und hingen in ihr Gesicht. Sirius, der mehr oder weniger unter ihr lag, stöhnte ebenfalls.
„Du bist so ein Trottel, Jules", murmelte er.
„Hast du dich verletzet? Hab ich dich verletzt?", fragte sie nervös. Sie hätte sich gerne hingesetzt um ihn richtig anzusehen - aber ihr Kopf schmerzte und der Schock saß ihr noch immer tief in den Knochen.
„Nein. Bist du verletzt?"
„Nein."
„Gut", Sirius seufzte und begann sich langsam aufzusetzen. Sie folgte seinen Bewegungen mit ihrem Blick, machte jedoch keine Anstalt sich zu bewegen. Sie wollte einfach liegenbleiben und darauf warten bis sie eingeschneit werden würde. Das wäre einfacher als sich mit dieser ... Situation zu beschäftigen.
Er lehnte sich atemlos gegen einen der Baumstämme, seinen Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen. Sie schluckte bei diesem Anblick. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Sirius war schon immer attraktiv gewesen - sie hatte es immer gesehen, immer gewusst. Die tausend Blicke, die ihn verfolgten wo immer er auch war. Die Locken, das Lächeln, die Augen, die einen immerzu herausfordernd anfunkelten. Das war nichts Neues.
Aber musste ihr diese Attraktivität ausgerechnet in diesem Moment ins Auge fallen? Musste sie ausgerechnet jetzt feststellen, dass er mit seinem pechschwarzen Haar und der blassen Haut perfekt in diese Schneelandschaft passte?
Es fühlte sich wie Verrat an ihrer Freundschaft an.
Verrat an Sirius und allem, was ihr ihre gemeinsame Zeit bedeutete.
Nachdem sie sich geküsst hatten.
Nachdem sie eine Woche nicht ein Wort miteinander gewechselt hatten.
Das sollte nicht das Erste sein, das ihr in den Sinn kam sobald sie ihn sah.
Ihre Gefühle von Schuld und Angst übermannten sie so plötzlich wie eine riesige Welle, die einen von den Füßen riss.
Ein raues Schluchzen entkam ihrer Kehle. „Es tut mir so leid, Sirius", presste sie die Worte hervor, die sie ihm schon so lange sagen wollte. Sie wandte den Blick von ihm ab, denn sie ertrug es nicht ihn auch nur noch einen Moment länger anzusehen. Sie wollte nicht in seine enttäuschten Augen blicken müssen, mit dem Wissen, dass sie der Grund für diesen Ausdruck darin war.
Das hielt sie nicht aus.
Sie starrte in den Himmel, dessen kühles pastellblau zwischen den Baumwipfeln hervorstach. Ihr Blick verschwamm, bis da nur noch ein Mix aus Grün und Blau und Weiß vor ihren Augen war.
„Ich hätte das niemals tun dürfen. Niemals zulassen dürfen", sagte sie und unterdrückte ein weiteres Schluchzen. Ihre Stimme bebte vor Anstrengung. „Ich hab dich so lieb - als meinen besten Freund und ganz ehrlich, ich habe keine Ahnung, wie das überhaupt passieren konnte. Ich war total betrunken - man, ich trinke nie wieder was!" Sie redete sich in Rage, das wusste sie. „Du bist mir viel zu wichtig, als das ich ... ich wollte unsere Freundschaft nicht aufs Spiel setzen."
„Du bist so ein Trottel, Jules", wiederholte Sirius seine Worte so leise, dass sie sie kaum verstehen konnte.
Sie schniefte und blinzelte die Tränen weg. „Ich weiß."
„Ich sollte mich entschuldigen", sagte Sirius so heftig, dass sie zusammenzuckte.
Verwundert setzte sie sich auf und sah ihn nun doch an. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Du bist nicht sauer auf mich?"
„Nein!" Er warf ihr einen entsetzten Blick zu. „Ich habe dir deinen ersten Kuss genommen, dabei weiß ich wie wichtig dir solche Dinge sind. Ich ... ich habe es ausgenutzt, dass du total betrunken warst."
„Ich war nicht betrunkener als du", widersprach Julie leise und sah vorsichtig zu ihm. Er schüttelte vehement den Kopf.
„Nein. Im Gegensatz zu dir habe ich mich nicht den ganzen Morgen danach übergeben." Ein bitteres Lächeln zierte seine Lippen. „Ich verstehe, wenn du nichts mehr mit mir zu tun haben willst."
„Das war doch nur eine Ausrede - vor Amata und den Anderen. Sie sollten nicht merken, wie seltsam ich drauf war." Schuldbewusst senkte sie ihren Blick. „Also, natürlich war ich betrunken!", schob Julie hastig hinterher, als sie bemerkte das Sirius nichts mehr sagte. „Nüchtern hätte ich das niemals gemacht. Aber ich war bestimmt nicht betrunkener als du. Du konntest doch auch kaum geradeaus laufen."
„Oh. Ich ... du", Sirius seufzte und fuhr sich durch seine Locken. „Du hasst mich nicht?" Er wirkte so hoffnungslos verwirrt, dass sie ein Lächeln kaum unterdrücken konnte.
„Warum sollte ich?", fragte sie und spürte, wie sich ganz, ganz langsam Erleichterung in ihr ausbreitete.
Da war es wieder - das wohlig, warme Gefühl von Freundschaft in ihrer Brust. Das Gefühl von Geborgenheit, das Gefühl von alles-wird-gut.
„Ich habe dir deinen ersten Kuss gestohlen." Er wirkte noch immer bedrückt. „Du wolltest immer - du hast mir tausendmal die Geschichte deiner Eltern erzählt."
„Ich habe dich zuerst geküsst, Idiot." Sie lächelte schief. „Also hör' auf dich deswegen schlecht zu fühlen."
„Aber ich habe es provoziert, dass es so weit kommt."
„Das hättest du wohl gerne."
Sirius schmunzelte: „Meine Gene sind gefährlich. Nicht einmal du kannst ihnen widerstehen."
„Ich war betrunken, das zählt nicht."
„Du verletzt mich, Rutherford."
„Mach' mir nichts vor, Black."
Einein Moment lang grinsten sie sich einfach nur an. Julie fühlte sich als würde sie schweben. Niemals hätte sie zu Träumen gewagt, dass sich dieses Problem so unkompliziert lösen lassen würde.
„Im Ernst, es ist alles gut zwischen uns?", fragte Sirius. Er wirkte immer noch verwundert.
„Alles gut", bestätigte sie, „Es fühlt sich an wie immer, oder nicht?"
Er nickte bestätigend und seine Locken wippten. „Es fühlt sich an wie immer."
„Perfekt." Sie lächelte glücklich. „Ich könnte es nicht aushalten dich nicht mehr als meinen besten Freund zu haben."
Sirius erwiderte ihr Lächeln und stand mit einem Ächzen auf. Dann bot er ihr seine Hand auf und zog auch sie nach oben. „Das ist gut, ich würde es nämlich auch nicht ohne dich und dein Chaos aushalten."
„Wir sind Freunde?", fragte sie - nur ein letztes Mal. Um Sicherzugehen.
„Beste Freunde!"
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Anmerkungen:
Mit 2308 Wörter hat sich unser Lieblingsduo nun endlich wieder vertragen! Es wurde auch allerhöchste Zeit.
Übrigens ist meine Prüfungsphase vorbei und daher kann ich mich endlich wieder Wattpad widmen :) (ich hab zwar eh bis Kapitel 27 vorgeschrieben aber ja)
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