33.
Davor, zuvor, Vergangenheit
Meine Mutter scheint nicht genau zu wissen, wie sie reagieren soll, versucht diese Unsicherheit aber zu überspielen, indem sie eine freundliche Miene aufsetzt und sich wie heute Morgen auch schon lässig an einen der Küchenschränke lehnt.
„Na, ihr zwei. Was macht ihr denn schönes?"
Ich werde rot und stammle etwas vor mich her. Meiner Mutter meine beste Freundin und meinen Freund beide an einem Tag vorzustellen, ist einfach ein bisschen zu viel für mich. Doch Finley schafft es mit seiner lockeren und zugleich charmanten Art, die Stimmung wieder anzuheben.
„Wir sind gerade dabei das Abendessen zu machen. Ich hoffe, Sie mögen Kartoffelgratin mit Lammfilet."
Damit haben weder ich, noch meine Mutter gerechnet. Sie schaut uns sichtlich verblüfft an und braucht einen Moment bevor sie eine Antwort hervorbringt.
„Wow, ich... darf ich denn noch erfahren, wer für dieses Abendessen verantwortlich ist?"
Dass ich meine Mutter noch in diesem Leben sprachlos vor Staunen sehe, hätte ich mir nicht erträumen lassen, aber jetzt kann ich auch diese Erfahrung als gemacht ansehen.
„Natürlich, mein Name ist Finley...", sagt Finley. Stockt dann aber kurz und wirft mir einen fragenden Blick zu. Ich habe mir auch schon Gedanken darüber gemacht, ob wir ihr sagen sollten, dass wir zusammen sind, aber ich entscheide mich dagegen und schüttle kaum merklich den Kopf. Zum Glück füllt meine Mutter die kurz entstandene Stille zugleich schon mit Worten.
„Wie schön. Ich bin Ana, Julies Mama. Und duz mich doch bitte, sonst fühle ich mich viel zu alt."
Sie lacht und Finley stimmt mit ein. Wie schön, meine Mutter hat es auf den Punkt gebracht. Wie schön, dass die beiden sich gut verstehen.
Beinahe zwei Stunden später sind Finley und ich nicht nur mit dem Vorbereiten des Essens fertig, nein, wir haben zusammen mit meiner Mutter schon aufgegessen und sitzen beim Nachtisch. Während dem Hauptgang hat meine Mutter immer wieder gelobt, wie lecker das Essen doch sei. Wie zart das Fleisch sei und was es doch nur für eine gute Idee war, Kartoffelgratin als Beilage zu machen. Finley und ich haben uns abwechselnd bei ihr bedankt und hin und wieder ein paar Blicke ausgetauscht. Er schien sich sehr darüber zu freuen, wie gut meiner Mutter das Essen schmeckte.
Dem Apfelstrudel, den ich noch schnell gebacken habe, gibt sie fast genau so viele Komplimente. Man möchte ja fair bleiben. Und meine Mutter weiß genau, dass der Apfelstrudel mein Werk ist. Aber auch Finley versichert mir, dass ihm mein Apfelstrudel sehr gut schmeckt.
„So jetzt ist es aber Zeit für mich ins Bett zu gehen", sagt meine Mutter und wirft einen Blick auf ihre zierliche Armbanduhr. „Es ist immerhin schon um zehn."
Ana gehört definitiv nicht zu den Menschen, die gerne spät ins Bett gehen. Ab zehn Uhr sollte es in unserer Wohnung einigermaßen ruhig sein, damit sie in Ruhe schlafen kann. Sie erhebt sich vom Esstisch, nimmt die Teller mit und ich höre, wie sie sie in der Küche in die Spülmaschine räumt. Den Rest des dreckigen Geschirrs haben wir schon bevor wir den Nachtisch gegessen haben, in die Spülmaschine geräumt oder von Hand abgewaschen.
„Na? Was machen wir heute Abend noch?", fragt Finley und nimmt meine Hand vorsichtig in seine. Das ist eine gute Frage Finley. Was machen wir heute Abend noch?
„Du gehst heute Abend auf jeden Fall nicht mehr nach Hause. Es ist schon viel zu dunkel."
„Hast du etwas Angst, dass mir etwas passieren könnte?"
Das warme Licht der Lampe verleiht Finleys Haaren goldene Nuancen. Er lächelt und ich stehe vom Tisch auf.
„Auf jeden Fall. Die Welt wartet doch nur darauf, dich in ihre schwarzen Klauen zu bekommen."
Mit diesen Worten ziehe ich Finley von seinem Stuhl und gehe schon mal in die Richtung von meinem Zimmer.
„Außerdem möchte ich dich vor dem Schicksal bewahren in einem Haus mit David zu schlafen, während er Besuch hat", füge ich zum Gesagten hinzu und noch bevor ich meine Zimmer erreiche, schlingt Finley seine Arme von hinten um meine Taille und hebt mich etwas hoch.
„Du machst dir Sorgen um mich? Das ist süß."
Er trägt mich etwas umständlich in mein Zimmer und setzt mich dann sanft auf dem Bett ab. Kichernd bleibe ich dort liegen bis wir beide verstummen und uns mit langen Blicken betrachten.
„Vielleicht sollten wir unsere Schlafsachen anziehen."
Meine Stimme klingt rau, wie fast immer, wenn Finleys Blicke zu intensiv werden und mein Herz zu schnell schlägt. Auch Finley erwacht aus seiner Trance und während ich mich mit einem T-Shirt und einer Leggins auf den Weg ins Badezimmer mache, zieht sich Finley den Pullover über den Kopf.
Ein paar Minuten später, nachdem ich mich umgezogen und mir die Zähne geputzt habe – Finley hat natürlich auch eine Zahnbürste bekommen – mache ich es mir in meinem Bett gemütlich. Nur liegt dieses Mal Finley neben mir. Das ist neu. Das ist besonders. Aber es fühlt sich richtig an. Ich kuschle mich an ihn an und lege meinen Kopf auf seine Brust. Lausche dem Klopfen seines Herzen und spüre das Heben und Senken seiner Brust bei jedem Atemzug den er macht. Es ist ungewohnt einen anderen Menschen beim Leben zu beobachten, aber zugleich übt es eine unglaubliche Ruhe auf mich aus. Wann hört man sich selbst denn beim Atmen zu? Wann achtet man für eine Weile nur auf seinen eigenen Herzschlag? Richtig, viel zu selten.
„Sag mal", setzt Finley an und streicht mir langsam über den Kopf. „Wieso wolltest du deiner Mutter nicht erzählen, dass wir zusammen sind?"
Man könnte meinen, dass Finley mit seiner Frage die Stille durchbrochen und der Ruhe ein Ende bereitet hat, aber die Art und Weise, wie er seine Frage formuliert, die Art und Weise, wie er alles formuliert und ausspricht, lassen mich ruhig bleiben. Ich bleibe ruhig, schrecke nicht auf, sondern mache mir Gedanken über seine Frage. Wieso wollte ich denn nicht, dass meine Mutter erfährt, dass wir zusammen sind? Die Ausrede, es war nicht der richtige Augenblick, ist eben nicht viel mehr als eine Ausrede. Hinzukommt noch, dass es genau der richtige Augenblick gewesen wäre und so bleibt mir nichts anders als die Wahrheit zu sagen.
„Ich weiß es nicht."
Es entsteht eine kurze Pause. Finley hat aufgehört mich zu streicheln, seine Hand verweilt aber noch immer auf meinem Kopf. Ruht schützend auf ihm, als könnte er so alles Unheil der Welt von mir fernhalten.
„Aber ich verspreche dir, dass ich es noch machen werde. Du sollst nur auf keinen Fall denken, dass du mir peinlich bist."
Die ganze Zeit in der ich spreche starre ich in die Dunkelheit meines Zimmers. In die Ecke, in der mein Sessel steht, aber durch die Finsternis der Nacht verborgen ist.
Finley antwortet nicht, aber der Umstand, dass er begonnen hat feine Kreise auf meinen Oberarm zu zeichnen, lässt mich hoffen, dass er nicht traurig ist. Trotz meiner Hoffnung, nehme ich meinen Kopf von seiner Brust und schaue ihm in die Augen. Finley traurig zu machen, wäre das Letzte, was ich tun wollen würde. Er legt einen Arm um mich.
„Wann immer du es für richtig hältst", flüstert er.
Seine Empathie rührt mich und für einen Moment schließe ich meine Augen. Danke. Wem auch immer ich für diesen Jungen danken darf. Danke.
Meine Finger wandern über Finleys Arm runter zu seiner Hand. Unsere Finger berühren sich in der Luft über unseren Köpfen. Wir sehen nichts, doch unsere Finger scheinen sich von alleine zu finden und diese kurzen Berührungen jagen immer wieder kleine Schauer über meine Haut. Wenn sich diese unschuldige Berührung schon so anfühlt... Dieser Gedanke erweckt leider andere Gedanken. Gedanken, die ich schon häufig in die Verdammnis geschickt habe. Ich habe sie in die Verdammnis geschickt, habe sie dorthin geschickt in der Hoffnung, dass sie dort verrotten mögen. Aber mich mit ihnen wirklich auseinandergesetzt habe ich nie und so kommen sie jetzt wieder an die Oberfläche, zusammen mit Fragen. Fragen die ich an Finley habe.
„Finley...", setze ich an, aber meine Stimme lässt mich im Stich und bricht. „Wie siehst du das... mit dem miteinander schlafen?"
Unser Fingertanz stoppt für den Bruchteil einer Sekunde, wird dann aber so weitergeführt wie zuvor.
„Julie, wann immer du es für richtig hältst. Ich möchte in keinem Fall, dass du irgendetwas tust, was du nicht möchtest, weil du denkst, dass es mir gefallen könnte. Auch wenn ich bald wieder nach Norwegen gehe, sollten wir uns so viel Zeit nehmen, wie wir brauchen."
Jetzt bin ich die, die unseren Fingertanz abbrechen lässt. Ich nehme meine Hand runter. Mit Finleys Antwort kann ich meinem Unterbewusstsein zeigen, dass Finley nicht wie er ist, dass Finley keine Ähnlichkeiten mit Tom hat.
Ich spüre das Finley noch etwas fragen möchte, dass er am liebsten wissen würde, wieso ich ihn das gefragt habe, aber er lässt es darauf beruhen.
„Wir sollten schlafen. Unser Schönheitsschlaf ist wichtig."
Mit diesen Worten kuschle ich mich an ihn und Finley legt leise lachend seinen Kopf auf meinen.
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