Akt III
Zhonglis Sicht:
„Mister Zhongli, da sind Sie ja."
Ich stand am Strand nahe des Hafens von Liyue und sog die salzige Meerluft ein. Die Arme hinter dem Rücken verschränkt war mein Blick starr auf das blaue Meer vor mir gerichtet. Kleinere Fische schwammen inmitten des flachen und klaren Ufers gegen die Strömung der Wellen an, während Strandkrabben über den feuchten Sand des Ufers huschten. Schaumige Wellen rauschten und verebbten nur wenige Zentimeter kurz vor der Spitze meiner schwarzen Lackschuhe. Die Sonne zierte den wolkenlosen blauen Himmel, verwöhnte meine Haut mit angenehmer Wärme und der Wind umspielte meine langen Haare, wodurch mein Zopf wild zur Seite wehte. Ich war gerade dabei, die unruhige und schier endlose Ferne der Wasseroberfläche zu mustern, als eine vertraute Stimme in meinen Ohren hallte und mich umdrehen ließ.
Mit einem kleinen Lächeln betrachtete ich die abgehetzte und erschöpfte Person, die vor mir zum Stehen kam und sich augenblicklich mit den Händen an den Knien abstützte.
„Aether, was führt dich denn zu mir?"
Der junge Reisende mit den blonden Haaren und goldigen Augen brauchte noch einen Augenblick, um seinen hastigen Atem zu beruhigen, ehe er sich zu mir aufrichtete. Seine dichten und kräftigen langen Haare waren wie üblich zu einem geflochtenen Zopf gerichtet. Mir gefiel Aethers übliches Outfit, die bräunlich-gelben Töne ähnelten stark den Farben meiner Kleidung, die ich präferierte. Seine vordere weiß-goldene Schärpe wirbelte turbulent zur Seite, als für einen kurzen Moment ein stärkerer Luftstoß über den Strand fegte.
„Ich hatte leider keine Gelegenheit erhalten, mich mit Ihnen am Maskenball zu unterhalten", sagte er in einem entschuldigenden Ton und kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
Die aufwändige Festlichkeit war nun genau eine Woche her und zuerst befürchtete ich, dass sich mein Leben unter den Menschen nun erneut wandeln würde, allerdings bot man mir weiterhin die Höflichkeit und den Respekt wie zu jenen Zeiten an, in denen ich lediglich als Bestattungsunternehmer bekannt war. Vielleicht sahen mir die Leute öfters und länger hinterher, aber ich hatte wirklich befürchtet, dass die Bürger der Stadt nun fixierter auf mich wären, was sich glücklicherweise als unbegründet erwiesen hatte.
In der Zeit nach dem Maskenball waren meine Gedanken hin und wieder auch zu Xiao gewandert, den ich seitdem nicht mehr in Liyue angetroffen hatte und der seit jenem Tag hinsichtlich meines Verhaltens enttäuscht schien. Ich grübelte seitdem darüber, womöglich versteckte er sich wieder im Wangshu Inn und ich zögerte bisher damit, ihn dort einmal zu besuchen. Sicherlich würde es ihm auch dann schwerfallen, meine Beweggründe zu akzeptieren, zumal ich ihm über einen langen Zeitraum einiges verschwiegen hatte und es auch jetzt noch tat. Es verletzte mich selbst, ihn in diesem gekränkten Zustand zu sehen, aber meine Geheimhaltung hatte durchaus ihren Zweck.
„Nun, ich fand es ebenso bedauerlich. Ich war in vielerlei Gespräche verwickelt und habe irgendwann den Überblick verloren, mit wem ich noch keine Konversation geführt hatte. Verzeih mir bitte", erwiderte ich beschwichtigend und trat an den Kleineren heran.
„Schon gut, Mister Zhongli. Es ist nachvollziehbar, dass so viele Leute mit Ihnen sprechen wollten, schließlich haben Sie nun endlich das Geheimnis um Rex Lapis gelüftet."
Schmunzelnd sah er zu mir hoch, während ich mit einem ermatteten Seufzer noch einmal die Veranstaltung Revue passieren ließ. Dass ich mit meiner drachenförmigen Gestalt in das goldene Haus hineinfliegen sollte, hatten die Qixing von mir verlangt. Für meinen Geschmack fand ich diesen Auftritt im Nachhinein viel zu überspitzt, aber anscheinend fanden die anderen Gäste Gefallen daran.
„Aether...Wie wäre es, wenn wir diese höfliche Anrede weglassen und uns von nun an duzen?", fragte ich nach einem Moment der Stille höflich und legte den Kopf leicht schief. Ich kannte den jungen Blonden schon eine Weile und er teilte mir damals sein Anliegen mit, dass er auf der Suche nach seiner Schwester sei, die von einer unbekannten Gottheit entführt wurde. Mit leicht schüchternen Zügen sah Aether an sich herunter und versuchte passende Worte zu finden, während er mit der Spitze seines Schuhs in dem feinen Sandstrand stocherte.
„K-klar, gerne, wenn es für Sie-, ich meine für dich in Ordnung ist. Ich...wollte dich auch noch um etwas bitten", setzte er als Antwort an und sah dann wieder auf, ehe er sein Anliegen formulierte.
„Und zwar wollte ich fragen, ob du mir helfen könntest, das Geoelement zu beherrschen? Ich denke, vom Geoarchon höchstpersönlich werde ich wohl am meisten lernen. Aber natürlich nur, wenn du es zeitlich einrichten kannst."
Überrascht hob ich ein wenig den Kopf, hatte ich mit solch einer Anfrage nicht gerechnet. Es schien den Jüngeren allerdings einiges an Mühe zu kosten, diese Worte über die Lippen zu bringen, weshalb ich ihm nach wenigen Sekunden durch ein kleines Lächeln und Nicken meine Zustimmung bekundete.
„Natürlich. Ich denke, dass ich dafür etwas Zeit aufbringen kann. Schließlich möchtest du stärker werden, um deine Schwester zu befreien."
Anschließend suchten wir eine der freieren Wiesen Liyues auf, um dort zu trainieren. Voraussetzung war, dass wir genügend freie Fläche hatten, um ungestört erste Techniken der Beherrschung des Geoelements einzustudieren. Aether kam jedoch bereits verlässlich und erfahren zurecht, er hatte sich zuvor schon einiges beigebracht und wollte mancherlei Technik nur noch etwas präzisieren. Im Ganzen bewegte sich Aether geschmeidig, gar luftig und manchmal etwas zögerlich, was wohl daran lag, dass er zuvor in Mondstadt war und das Anemo-Element angenommen hatte. Das Geoelement war in den Bewegungen zwar auch grazil und anmutig, dennoch im Schwung noch kräftiger und wendiger.
Nachdem wir uns einige Zeit dem Training gewidmet hatten, bot Aether mir ein selbstgemachtes Mittagessen in Form von belegten Sandwiches an, die trotz ihrer Schlichtheit in der Herstellung sehr appetitlich waren. Anschließend kehrten wir gegen frühen Nachmittag in das Stadtinnere zurück. Zu dieser Uhrzeit war es auf den bunten Straßen Liyues bereits voller, die Bürger um uns herum grüßten uns teilweise rasch aber freundlich im Vorbeigehen, während wir an den überwiegend rot-grün gestrichenen Häusern entlangschlenderten und versuchten, dem hektischen Treiben auszuweichen. In einer regen und lustigen Unterhaltung steuerten wir mein Haus an und das Timing schien perfekt zu sein, wartete vor meiner Haustür nämlich schon meine nächste Verabredung.
„Hallo Zhongli. Ich dachte schon, du hättest unser Rendezvous vergessen?", fragte Childe neckisch, der sich vorher lässig gegen die purpurrote Holzwand meiner Unterkunft gelehnt hatte und sich nun von dieser löste, um uns entgegenzukommen. Heute hatte er wieder seine übliche hellgraue Bekleidung an, so wie ich für den Alltag mein übliches Outfit bevorzugte.
„Childe, wie immer außerordentlich pünktlich. Ich halte mich an jegliche Verabredung, die ich plane und mit anderen terminiere", erklärte ich mit einem kleinen Lächeln und verschränkte die Arme vor meiner Brust. Der Kupferhaarige musste kurzweilig auflachen und gesellte sich neben mich.
„Stimmt, wie kann ich nur davon ausgehen, dass der Gott der Verträge so etwas versäumen würde", setzte er an und legte einen Arm um meine Schultern. Diese Geste überrumpelte mich leicht, wusste ich schließlich nicht, ob andere bereits etwas von der besonderen Beziehung zwischen Childe und mir wussten. Mit einem selbstsicheren Grinsen wandte er sich dann dem Kleinsten der Runde zu.
„Also Aether, bedauerlicherweise muss ich dir Zhongli jetzt stehlen, wir haben nämlich ein Date und das wird auch nur zu zweit stattfinden."
Aether wirkte auffallend ruhig, seit wir in Childes Anwesenheit waren. Undurchschaubar, vielleicht etwas abgeneigt und vorsichtig, beobachtete er den Harbinger, aber womöglich bildete ich mir dies nur ein.
„Stehlen...? Verstehe...Wenn das so ist, dann wünsche ich euch viel Spaß", erwiderte er mit einem skeptischen Unterton und wendete sich mit weicheren Gesichtszügen noch einmal mir zu.
„Pass auf dich auf, Zhongli."
„Mach es gut, Aether, und bis demnächst."
Mit einem zaghaften Nicken sah ich ihm hinterher, ehe er an der nächstgelegenen Kreuzung rechts abbog und hinter den rötlichen Häuserreihen von Liyue verschwand.
Tartaglias Sicht:
Missgünstig beobachtete ich, wie sich der kleine Blondschopf nur von Zhongli verabschiedete, während ich schon kurz davor war, meine Finger gierig in den Stoff des Braunhaarigen zu krallen. Ich wusste nicht, warum die beiden heute unterwegs waren, dennoch stimmte mich diese Feststellung wütend. Meine Muskeln konnten sich allerdings entspannen, als der Kleinere dann endlich verschwand und vorerst nicht mehr in die Nähe des Älteren kam.
Zwar hatte ich Aether dem Bestattungsunternehmer vorgestellt und fand ihn anfänglich noch sympathisch. Hätte ich allerdings gewusst, dass die beiden nun öfters miteinander zu tun hatten und sich augenscheinlich privat trafen, hätte ich dieses Kennenlernen gar nicht erst stattfinden lassen. Zudem musste ich auf den Kerl wirklich Acht geben, schließlich war er der einzige, der sicher wusste, dass ich es war, der Osial befreit hatte. Sollte ich irgendwann annehmen, dass Aether mich gegenüber Zhongli verriet, dieser seinen Worten Glauben schenkte und sich von mir abwandte, würde ich den Kleineren nicht so leicht davonkommen lassen. Schließlich hatte ich ihm gesagt, dass er lieber seinen Mund halten solle oder es würde etwas passieren; was Aether augenscheinlich auch vergegenwärtigt hatte.
„Sonst muss ich die kleine Ratte wohl beseitigen...", flüsterte ich kaum hörbar zu mir selbst, woraufhin Zhongli nur irritiert zu mir sah.
„Hast du etwas gesagt?
Mein verdunkelter, kalter Gesichtsausdruck hellte sich auf und ich setzte ein freudiges Sonnenscheinlächeln auf.
„Nein, alles gut! Also, hast du etwas geplant für unser Date?"
Der Ältere hielt sich fragend und nachdenklich die Finger vor den Mund und schien in seiner Gedankenwelt für einen Augenblick versunken.
„Hm...Ich könnte dich auf eine Tasse Tee einladen", nannte er das Ergebnis seiner Tüfteleien, woraufhin ich in einen kurzes, aber lautes Gelächter fiel und einen Moment brauchte, um mich wieder zu beruhigen.
„So, das ist also deine Vorstellung von einem Date? Ist dir denn nichts Besonderes eingefallen, seit wir diese Verabredung am Maskenball vereinbart haben?", äußerte ich mich zu dem Vorschlag und Zhonglis Blick nach zu urteilen, konnte er nicht wirklich zuordnen, weshalb ich nun so belustigt reagierte, er schien stattdessen noch einmal gründlich darüber nachdenken zu wollen.
„Besonderes? Also Tee ist durchaus besonders", verteidigte er sich eher bescheiden, während ich mir die Tränen aus den Augen wischen musste und dem Archon behutsam auf die Schulter klopfte.
„Ich merke, du gibst dir alle Mühe, Xiangsheng. Aber ich gebe mich gerne damit zufrieden, so sind wir immerhin unter uns und allein deine Nähe reicht mir aus, um glücklich zu sein", stimmte ich nun dem Vorschlag zu, schließlich hätte ich in diesem Fall den anderen Mann für mich alleine und das war eine Sehnsucht, die mich schon seit einer Woche quälend begleitete.
Ich folgte Zhongli, der die Türe seiner Behausung öffnete und wurde zugleich mit dem herrlichen Duft seiner Unterkunft und mit der prachtvollen Inneneinrichtung konfrontiert.
Die schlichte Holzmöblierung war in kräftigen Rot- und Goldtönen bemalt und mit edlen Bronzebeschlägen versehen. Glänzend lackierte Töpfe, fein bezeichnete Vasen und mit Kalligraphien und Blütenzweigen verziertes Porzellan stand poliert und feinsäuberlich geordnet auf und in den verholzten Schränken. Vereinzelt fand man die Malerei eines Drachen an den Wänden vor. Aus Bambus gewebte Lampenschirme beschenkten die sonneneinladenden Zimmer mit ihren großen Fenstern bei Nacht mit Licht. Nicht zu übersehen waren auch die von Zhongli gesammelten Edelsteine, die jedoch nicht die gesamten Kommodenoberflächen einnahmen. Der Duft seines Zuhauses erinnerte mich auch stark an Zhonglis Geruch. Verschiedenste Kräuter, wohl unter anderem bestehend aus Holunderblüte, Zimtrinde und Zitronengras, gaben dem Duft eine besonders süße und würzig-blumige Note.
Während ich es mir auf einem Stuhl nahe des Esstisches gemütlich machte, setzte Zhongli das Wasser in der Küche auf, sodass er nach kurzer Zeit von Wasserdampf umhüllt war. Der Bestattungsunternehmer suchte währenddessen die getrockneten Teeblätter zusammen, bevorzugte er schließlich keine fertigen Teebeutel, sondern goss den Tee am liebsten selber und mit losen Blättern auf. Nachdem der Tee aufgebrüht wurde, kam Zhongli mit einem Tablett zu mir zurück. Er stellte seine gusseiserne Teekanne ab und befüllte die dazu passenden dunklen Teetassen, sodass Dampfwolken von den kleinen, heißen Wasseroberflächen nach oben aufwallten. Der aromatische Geruch verriet, dass es sich wohl um einen Oolong-Tee handelte.
„Also, was haben du und Aether denn so getrieben?", begann ich das Gespräch, konnte ich mein Interesse hinsichtlich der Beziehung der beiden schließlich nicht länger unterdrücken. Von Neugier erfüllt beobachtete ich Zhongli, der mit verschränkten Beinen mir gegenüber Platz nahm, elegant die Teetasse zu seinen Lippen führte, diese schürzte und ein wenig pustete, um den Tee abzukühlen.
„Er hat mich aufgesucht und gebeten, ihm beim Erlernen des Geoelements zu unterstützen. Wir waren auf einer freien Wiese und haben etwas geübt, zusätzlich hatte er mir einen kleinen selbstgemachten Snack angeboten, von dem wir gemeinsam gespeist haben", erklärte er recht monoton, aber glaubwürdig, dennoch zog ich misstrauisch eine Augenbraue hoch.
„Selbstgemacht, verstehe...Ist ja sehr nett von ihm...Hat er auch schon einmal deinen selbstgemachten Tee probiert?"
„...Childe, höre ich da eher Eifersucht heraus?", kam es dem Goldäugigen feststellend über die Lippen, woraufhin er kurz seine Augen schloss und nun erstmalig an seinem Tee nippte. Der Archon erschien diesmal wieder so undurchschaubar, eine Eigenart, die ihn geheimnisvoll und dadurch auch sexy machte, die mich immer wieder an ihm reizte. So lässig wie möglich versuchte ich auf seine Antwort zu reagieren.
„Ich bin keineswegs eifersüchtig, schließlich weiß ich doch, dass du nur Augen für mich hast, nicht wahr?", konterte ich kokett und begann nun selbst, den köstlich schmeckenden Tee langsam auszutrinken. Der Dunkelhaarige konnte sich daraufhin ein Grinsen nicht verkneifen.
„Dass ich ein besonderes Interesse an dir hege, ist wohl offensichtlich."
In dem Moment konnte ich nicht anders, als mich kurz zu erheben und meinen Mund auf die weichen Lippen des anderen zu drücken, mich vorsichtshalber noch sachte auf diesen zu bewegen, während mein Gegenüber sich der Geste hingab. Für den Moment wurde ich von seinem verlockenden Geruch und dem Teegeschmack ebenso eingenommen wie von dem zärtlichen Druck seines Mundes. Alleine dieses Gefühl ließ meinen Körper bereits kribbeln und in Wallungen bringen, dass ich am liebsten noch weitergegangen wäre. Nur ungern löste ich mich deshalb wieder von ihm.
„Ich werde so schnell es geht dein gesamtes Herz für mich erobern", hauchte ich nach dem Kuss gegen seine Lippen und setzte mich dem Älteren wieder gegenüber.
Als wir mit dem Teegenuss fertig waren, befürchtete ich, dass Zhongli schon alsbald das Date beenden würde, was ich ungern wollte. Während ich seine Gesichtszüge und nun seine leicht erröteten Wangen genauer unter die Lupe nahm, kam mir eine Idee, um ein möglicherweise vorzeitiges Beenden hinauszuzögern.
„Dürfte ich dich auch mal schminken?"
Überrascht sah mein Gegenüber von seiner Teetasse auf.
„Muss ich Angst haben?", fragte er ironisch und ich lachte daraufhin vergnügt auf.
„Keineswegs. Und wenn, sieht dich ja keiner außer ich."
Mit diesen Worten und entgegen Zhonglis Unsicherheit zog ich den Älteren vom Stuhl, ohne dass dieser noch die Gelegenheit hatte, das Teeservice wegzuräumen. Ihn an einer Hand ziehend brachte ich ihn zu einer breiten Holzkommode, hinter der ein großer Spiegel hing, und drückte ihn an den Schultern auf einen davorstehenden Hocker.
Ich betrachtete die Utensilien wie die fein gesäuberten Pinsel und die aus Glas bestehende Dose mit der flüssigen roten Farbe, die er täglich zum Schminken verwendete. Behutsam tunkte ich den dünnen Pinsel in die Flüssigkeit, ehe ich den Strich unter Zhonglis Augen so fein wie möglich nachzog. Während ich Zhonglis makellose Konturen aus dieser Nähe betrachtete, kam mir mit einem Schmunzeln noch etwas Weiteres in den Sinn. Ich begann, den Pinsel auch über seine blassen Wangen, die große Stirn und seine Schläfen zu ziehen, während ich mit der anderen Hand sein Kinn hielt, damit er möglichst stillhielt und ich mich auf die Genauigkeit der Pinselstriche konzentrieren konnte.
In der damaligen Verzückung am Maskenball war ich so aufgeregt und von dem Begehren eingenommen worden, dass ich mir gar nichts Besseres hätte vorstellen können. Dass ausgerechnet Zhongli der Jahrtausende alte Kriegsgott war, machte den Braunhaarigen plötzlich so unvorstellbar begehrlich, aber in einer gewissen Hinsicht auch distanzierter und unerreichbarer. So reizvoller die Gnosis Zhongli auch machte, sie machte ihn zu etwas, hinter dem viele andere ebenso her waren und das war mir in den letzten Tagen zunehmend zuwider geworden. Ich wollte Zhongli für mich alleine, aber solange er dieses mächtige Fragment in seiner Brust trug, war er für andere, insbesondere für die Fatui, viel zu anziehend und lukrativ. Ich müsste ihm also schnellstmöglich die Gnosis entnehmen, sodass Zhongli dennoch mit mir zusammenbleiben wollte, aber war diese abstruse Vorstellung überhaupt möglich? Müsste ich ihn mir gar unterwürfig machen und ihn zu seinen Gefühlen zwingen, damit ich mein Erstreben erreiche?
„Ich sehe gleich aus wie ein Clown", brach Zhongli mit seiner tiefen Stimme meinen Gedankengang ab, dabei hatte ich dem Bestattungsunternehmer in der Zeit mittlerweile eine komplette Gesichtsbemalung zugefügt.
„Du bist trotzdem sexy. Halte noch etwas still, ich bin gleich fertig.", äußerte ich und zog die letzten Feinheiten und Striche nach, ehe ich mit meinem Ergebnis zufrieden war und den Pinsel weglegte.
„Tada! Ich bin fertig und es ist ein absolutes Meisterwerk. Rot steht dir hervorragend, Xiangsheng", sagte ich freudig, als der andere Mann in den Spiegel sah und belustigt die rotbemalten Partien seines Gesichts in Augenschein nahm.
„Nun, auf eine bemalte Maske hätte ich auch kommen können, um mich für die Festlichkeit zu maskieren. Es ist sonderbar, aber durchaus stilvoll und kunstreich. Und sie erinnert mich von der Form und Farbe her an deine, Childe."
Ich schenkte dem Archon noch ein zustimmendes Lächeln, ehe ich erneut den Pinsel nahm und mir die gleiche Bemalung im Gesicht auftrug. Als auch ich damit fertig war, bückte ich mich neben Zhongli, sodass wir unsere Ähnlichkeiten im Spiegel betrachten konnten.
„Sieh nur, jetzt sind wir gleich. Wir gehören zusammen", sagte ich entzückt und beschwingt von unserem einheitlichen Abbild. Ungestüm und nun motiviert richtete ich mich auf, nahm Zhonglis Hand und zog ihn wieder auf die Beine.
„Was ist denn nun, Childe? Was wird das?", fragte dieser irritiert und versuchte mein Handeln zu verstehen. Ich platzierte mit einem Schmunzeln meine andere Handfläche auf seinem Rücken, sodass wir uns dicht gegenüberstanden.
„Nun...Wir hatten gar nicht die Gelegenheit, am Maskenball zusammen zu tanzen. Es wäre herrlich gewesen, nahezu entzückend. Das müssen wir doch nachholen. Also...Wie wäre es mit einem langsamen Walzer?", fragte ich erwartungsvoll und Zhongli bejahte meinen Vorschlag mit einem kleinen Lächeln.
„Gut, liebend gerne"
In dieser Haltung begann ich, den etwa gleichgroßen Mann ohne jegliche Musik eng an mir zu führen und in der Tat, Zhongli konnte meiner Führung flüssig, fügsam und mit geschmeidigen Bewegungen folgen. Ich brachte ihn in eine Drehung, die er mühelos sowie anständig ausführte und dann wieder meine zweite Hand ergriff. Wir beiden musterten jeweils unsere bemalten Gesichter, keiner fing an zu lachen, mit monotonen Ausdruck konnten wir gar nicht mehr woanders hinsehen, als wollten wir den jeweils anderen durchschauen und ihn mit der Tänzelei aus der Täuschung locken. Während er in meinem Meer von Blau ertrank, verlor ich mich in der Helligkeit seiner goldenen Iriden. Seine Brust war während der Schrittfolgen eng an meinen Oberkörper gepresst und die Stille, die uns umgab, erzeugte zunehmend die Spannung, die sich zwischen uns aufbaute.
So intim und mystisch dieser Moment war, hatte ich aber plötzlich das Gefühl, dass Zhongli nun den dominanten Part übernehmen wollte und er zunehmend verlangte, dass ich mich an seiner Rhythmik orientierte. Er wurde selbstständig, beharrte auf eine Anpassung meinerseits, während für eine Sekunde seine Augen etwas stärker aufleuchteten. Aus irgendeinem Grund wurde ich auf einmal unruhig und nervös, konnte für einen Moment nicht anders, als nun wortwörtlich nach der Pfeife des Archons zu tanzen, mich plötzlich seinen Weisungen zu fügen.
Nein, das werde ich nicht, knurrte es in mir und ich verlagerte mein Körpergewicht etwas weiter zu meinem Gegenüber, worauf dieser nicht vorbereitet war und nun ins Stolpern geriet. Zhongli rutschte weg und fiel geradewegs mit dem Rücken voraus in Richtung Fußboden, hätte ich meinen Arm nicht frühzeitig fest um seine Hüfte gelegt, um ihn vor einem weiteren Absturz zu retten. Meine Nasenspitze berührte in dieser Position die des Archons unter mir und ich konnte nicht anders, als über ihm siegreich zu lächeln. Die Machtverhältnisse waren wieder in ihrer Ordnung.
„Das hat Spaß gemacht."
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