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Es dauerte nicht lange, bis der Abend hereinbrach und ich in Jeans und Seidenbluse vor dem Eingang zu dem gigantischen Esszimmer stand.
Das abendliche Licht durchflutete den gesamten Flur, dessen Wände aus Glas und Gold bestanden und gab den Blick auf eine Szenerie frei, die man nur aus Filmen kannte.
Das Esszimmer war einer der höchstgelegenen Orte des ganzen Palastes und gab eine märchenhafte Aussicht auf die Dächer der Stadt frei.
Die sanfte Hügellandschaft über die sich Akar erstreckte mündete hinter den Stadtmauern zu einem immensen Faltengebirge, dessen Spitzen bereits mit Schnee bedeckt waren.
Das orangerote Licht, das die abendliche Novembersonne über die Stadt warf, erweckte den Schein, dass die Stadt in Flammen stand.
Ich ging nervös auf und ab, versuchte, die Aufregung zu unterdrücken und wartete möglichst geduldig auf Dominic. Der Kronprinz hatte mir versprochen, dass er mir vor den Friedensverhandlungen noch Glück wünschte.
Glück konnte ich heute Abend wirklich nicht genug haben.
Es dauerte fast zehn Minuten, bis er endlich mit einem der gläsernen Aufzüge im Obergeschoss ankam, die den ganzen Palast verbanden.
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Dominic Rays wusste, wie man sich zu Verhandlungen kleidete.
Und er wusste auch, wie man gleichzeitig extrem gut aussehen konnte.
Die goldene Haut glänzte in der untergehenden Sonne in einem seltsam beruhigenden Roséton, der die tiefblauen Augen strahlen ließ. Der herbe Duft nach frischer Minze und Zitrone erfüllte mich, als er näher kam und ich konnte meinen Blick kaum von seinem markanten Gesicht abwenden.
Zur Begrüßung schenkte mir der künftige König ein breites Grinsen, auf das ich mit einem Lächeln antwortete.
Kurz vor mir blieb er stehen.
Bevor er den Glückwunsch aussprach, sah er mir einmal tief in die Augen. Dieser Blickkontakt sagte so viel ohne Worte und er ließ meine Kehle trockener werden.
Als er schließlich doch etwas sagte, klang seine Stimme leicht heiser: „Viel Glück, Aria."
Ich lächelte ihn erneut an, auch wenn der Gesichtsausdruck dieses Mal eher traurig war.
„Danke", flüsterte ich nur.
Dann betrat der Prinz durch die offene Tür den Speisesaal und ich konnte nicht anders, als ihm zu folgen.
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Es war leerer, als ich erwartet hatte.
Im ganzen Raum befanden sich kaum unbekannte Gesichter.
Ich sah Blair, Dominic und Spencer an einem Ende des weitläufigen Saals, während sie sich mit einer mir unbekannten blonden Frau unterhielten.
Cassandras Tarngestalt befand sich mit Nero, dem Hauptmann der mavarischen Wache, an einem der kleineren runden Tische, die sich um die größere Tafel verteilten, während Finn und Jasmine an einem anderen saßen. Die beiden unterhielten sich lachend, wobei sie ab und zu einen Blick in Richtung der Königin warfen, die eindeutig das Sagen in diesem Raum hatte.
Helena stand ebenfalls in einer Kleingruppe aus vier Adeligen und nippte gelegentlich an ihrem goldenen Champagner,
Sie bestand aus der Königin selbst, dem Palastbotschafter Rafael Cruz, einer grünäugigen Frau, die eine echte Schönheit war, und einem dunkelhäutigen Mann, der sich ebenfalls als mir bekannt entpuppte.
Arin prostete mir über die Menge hinweg zu, als er mich entdeckte, worauf ich ihm ein verschmitztes Zwinkern schenkte.
Im ganzen Raum fluteten die Wellen der Magie in mein Gesicht.
Elektrizität. Wasser. Metall. Natur. Feuer. Eis. Zeit.
Meine eigene Macht wollte sich ausstrecken und jede einzelne dieser Fähigkeiten verschlingen, bis nichts mehr übrig war.
Die blonde Frau, die sich bis eben noch mit Dominic, Spencer und Blair unterhalten hatte, schlenderte jetzt zu dem Tisch in der Mitte und stellte eine Champagnerflasche aus Diamant darauf. Sie war definitiv eine der reichsten Adeligen auf Neun Rosen, wenn sie sich Champagner für gut viertausend Goldtaler leisten konnte.
Als spürte sie meinen Blick auf sich, wandte sie sich in meine Richtung und kam schließlich lächelnd auf mich zu. Das hellblaue Abendkleid umhüllte dabei ihre langen Beine.
Doch je näher sie kam, desto heftiger wurde der Drang, vor ihr zurückzuweichen.
Ihre Ausstrahlung war ungefähr ebenbürtig mit Helenas, nur dass die Königin eine warme, einladende Macht verströmte, während die blonde Frau abweisend und kühl wirkte.
Ihre hellblauen Augen strahlten mich an, als wäre es das natürlichste der Welt, dass sie aussah, wie eine lebendige Krieger-Barbie.
Ich schluckte. Ich wusste genau, an wen sie mich erinnerte und was bei meiner letzten Begegnung mit ihm vorgefallen war.
Die Frau und ihre extrem mächtige Aura erreichten mich wenige Sekunden später.
„Aufgeregt?", fragte sie mich mit ihrer hellen, aber angenehm ruhigen Stimme, während sie an dem Weißwein nippte, der in dem Glas in ihrer Hand schimmerte. Der Champagner war wohl für die Verhandlungen gedacht.
„Möglich", erwiderte ich lächelnd.
„Ich bin mir sicher, Sie und Helena werden das Ganze zum Besten für unsere beiden Königreiche wenden."
Hatte sie mich gerade gesiezt?
„Ach wirklich?", hakte ich nach, während ich abwesend meinen Blick auf Nero heftete, von dem wieder eine Welle heißer Feuermacht abging, als würde er durchgängig seine Fähigkeit verwenden.
„Die Königin ist ziemlich kompromissbereit", lächelte sie mich nur an.
„Gut zu wissen."
Sie nickte nur und ließ dann ebenfalls ihren Blick über den Raum schweifen. Plötzlich fiel mir auf, dass ihre Eismagie mir eine Gänsehaut verpasst hatte. Ich hielt bereits die Begabung ihres Sohns für mächtig, aber ich war mir sicher, seine Mutter war mindestens fünfmal so stark.
„Sie sind Spencers Mutter, hab ich Recht?", fragte ich neugierig.
„Mein Sohn hat schon von dir erzählt", murmelte sie wissend.
Hatte sie mich gerade wieder geduzt?
„Ich hoffe doch, nur Gutes."
„Das liegt im Auge des Betrachters."
Sie hatte die Lippen zu einem missbilligenden Strich zusammengepresst, als wollte sie unterstreichen, dass ihre Ansicht keine gute war.
„Saraphina Snow", stellte sie sich nun endlich vor, ohne mir die Hand entgegenzustrecken. Spencer hatte unsere Berührung also vor seiner Mutter erwähnt und sie wollte nicht denselben Fehler begehen wie er.
„Aria Pencur", tat ich es ihr gleich.
Mit zusammengekniffenen Augen starrte Saraphina nur weiter auf den Speisesaal und sagte kein weiteres Wort.
Zu meinem Glück winkte mir jemand vom anderen Ende des Raumes zu, dass ich den beiden in ihrer Unterhaltung beiwohnen könne.
„Entschuldige mich", murmelte ich, wobei ich sie bewusst duzte. Genau so wie sie zwei Minuten zuvor.
Auf meinem Weg durch den Saal, spürte ich Jasmines Blick auf meinen Rücken geheftet. Sie beobachtete mich schon den ganzen Abend über, als ahnte sie etwas. Etwas über mich.
Etwas, das das Ausrauben einer Schatzkammer beinhaltete.
„Aria!", begrüßte mich Cassandra, wobei sie mich in eine feste Umarmung zog. „Ich bin mir sicher, dass du das heute ganz toll machen wirst"
„Mhm...", brummte ich, als ich mich aus der stürmischen Geste befreite.
Nero musterte das Spektakel mit gerunzelter Stirn.
Der Hauptmann trug wie immer seine schwarze Römertunika, die seltsamerweise perfekt mit seinem Namen übereinstimmte.
Das Wappen mit den neun Rosen prangte genau über seinem Herz und an seiner Hüfte befand sich ein silbernes Schwert.
„Ihr beiden kennt euch offenbar ziemlich gut."
Als er das sagte, warf er Cassandra einen warnenden Blick zu und sogar ich konnte den Zweifel und den Zynismus aus seiner Stimme herausfiltern.
„Sie weiß Bescheid, Nero", entgegnete Cassandra nur und verdrehte die Augen. „Man kann ihr vertrauen."
Nero wirkte weiterhin skeptisch, aber ich versuchte die Tatsache zu überspielen, dass ich es durchaus bemerkt hatte.
„Kannst du mir nicht vielleicht sagen, was man bei solchen Friedensteilen macht?", fragte ich leicht lächelnd. Ich war total aufgeschmissen.
Aber Cassandra lachte nur und schüttelte den Kopf. „Tut mir Leid, aber außer ungenaue Visionen der Zukunft zu haben, kann ich quasi nichts. Ich scheitere ja schon an meinem Make-Up."
Ich grinste breit.
„Du schaffst das", flüsterte sie mit einer Sicherheit in der Stimme, die mich auch daran glauben ließ. Ich konnte es vielleicht wirklich schaffen und diese ganzen Friedensverhandlungen überleben, ohne dabei aufzufliegen und im Gefängnis zu landen...
... wo sich Ana gerade wegen mir befand.
Aber Schuldgefühle machten mir schon lange nichts mehr aus. Nicht mir, die seit fast sieben Jahren eine Söldnerin und Diebin auf dem Schwarzmarkt war.
„Ich denke, Königin Helena und du, ihr werdet das zusammen sicher hinbekommen. Vinder und Mavar werden ein starkes Bündnis gegenüber den Ascalinern und den Synthern darstellen, glaub mir."
Ich war mir da nicht so sicher.
Meine Unterschrift auf den Friedensverträgen zählte quasi so viel, wie die einer dahergelaufenen Hochstaplerin – was ich ja strenggenommen auch war.
Strenggenommen.
„Danke für euer Vertrauen" Ich lächelte die beiden an. Es bedeutete mir wirklich viel, dass sie sich so sicher waren, dass ich es tatsächlich schaffen konnte.
„Ich vertraue nicht dir, sondern Königin Helena", stellte der Hauptmann der königlichen Wache jedoch nach einigen Sekunden klar.
Ich nickte nur. War ja klar.
„Was hältst du davon, morgen einen Mädelsabend zu machen? Wir beide, ein Film mit supersüßen Jungs, ganz vielen Make-Up-Tutorials, Gesichtsmasken mit Gurken auf den Augen und einer Fertigpizza?", schlug Cassandra schließlich vor. Ihre Augen funkelten aufgeregt, als wäre es nicht nur mein erstes Mal, dass ich so etwas machte. „Und dann schlafen wir nebeneinander ein, wie in den ganzen Highschool-Filmen! Mit Popcorn, Chips und Zuckerwatte, die wir uns gegenseitig ins Gesicht werfen und dabei laut lachen und Musik hören und tanzen!"
Unwillkürlich musste ich loslachen. Die Vorstellung von uns beiden in Pyjamas, Chips und Zuckerwatte im Gesicht und auf dem Bett herumspringend war einfach zu lustig.
„Klar gerne", brachte ich mühsam hervor, während ich versuchte, nicht an meinem Lachanfall zu ersticken.
Ohne Erfolg...
Ich fing an, zu husten und musste die Hände in die Hüften stemmen, um nicht umzufallen. Mein Lachen und mein Husten erfüllte den gesamten Raum, sodass alle Blicke sich jetzt auf mich richteten. Ich trug nur einen Pulli und eine Jeans, während alle anderen Abendkleider und Anzüge trugen, als wäre das hier eine Hochzeit.
Das absurde Bild von mir und der Königin am Altar schlich sich in meine Gedanken, was dazu führte, dass ich noch lauter lachte.
Es waren die peinlichsten Minuten meines Lebens.
Als ich endlich fertig mit Sterben war, erhob ich die Stimme, damit auch jeder Adelige hier im Raum sie hörte, und sagte laut und deutlich: „Hab ich irgendwas im Gesicht?"
Ich konnte den Zynismus und die Schärfe nicht aus dem Ton meiner Worte heraushalten und wusste, dass das wohl gerade ziemlich respektlos gegenüber meinen Verbündeten gewesen war.
Doch ich wandte der gaffenden Menge nur den Rücken zu und konzentrierte mich wieder auf Cassandra, die mich breit angrinste. Auch auf Neros sonst so ernstem Gesicht erkannte ich ein leichtes Lächeln.
Aus den Augenwinkeln konnte ich die blauen Augen des Prinzen ausmachen.
Und so auch, dass er mir breit grinsend zuzwinkerte.
Die empörte Stille erfüllte zwar den Raum, aber anscheinend hatte es Dominic gefallen, dass ich mich nicht zur Schau stellte, wie eines dieser Modepüppchen – seine eigene Schwester zum Beispiel.
Ich lächelte Cassandra verlegen an. „Das wars dann wohl mit ‚Ich schaff das schon', schätze ich."
Sie runzelte die Stirn, dachte über irgendetwas nach. „Nein, ich denke, du hast gerade deine Stärke bewiesen!" Sie blickte auf irgendetwas, auf irgendjemanden hinter mir. Helena. „Und ich denke, das hat der Königin gefallen."
Ich drehte den Kopf so weit, dass ich Helena ansehen konnte.
Lächelnd prostete sie mir mit ihrem Sektglas zu. Chapeau.
Ich schenkte ihr ein breites Grinsen und wandte mich schließlich wieder der Seherin und dem Feuermeister zu.
Nero öffnete den Mund, um einen seiner Gedanken in Worte zu fassen, doch dann schloss er ihn wieder und neigte leicht den Kopf.
Der Effekt der Feuermagie wurde stärker. Hatte ein weiterer Feuermagier den Saal betreten? Verwendete der Hauptmann wieder seine Macht für unbekannte Machenschaften? Oder hatte sich jemand genähert, der so viel Feuermagie besaß, dass er diesen Effekt ganz alleine bewirkte? Die grünäugige Frau?
Jemand berührte mich an der Schulter.
Der Duft von Minze und Zitrone stieg mir in die Nase, begleitet vom Aroma der Feuermagie.
Ich wirbelte herum. „Du bist ein Meister des Feuers?", zischte ich.
Verwirrte blaue Augen starrten mich an. „Woher weißt du..."
„Blair hat es heute beim Frühstück erwähnt, aber das spielt jetzt keine Rolle. Wieso hast du es nie erzählt?"
Verdutzt schaute Dominic mich weiter an, suchte nach den richtigen Worten und fand sie nicht. Schließlich fing er an, den Mund zu öffnen und wieder zu schließen, nach wie vor unfähig, etwas zu erwidern.
Eine halbe Ewigkeit später folgte auf einen langen, tiefen Seufzer ein „Ja."
Ich schnaubte nur und zog eine meiner Augenbrauen hoch.
„So ungefähr stimmt es. Ich bin ein Feuermagier."
Er schluckte und atmete ein weiteres Mal tief ein. „Ich habe dir nicht vertraut. Ich habe dir nichts erzählt, weil wir uns quasi nicht kennen und du eigentlich fremd bist, aber..."
„Ist okay", unterbrach ich ihn.
Meine Magie hätte es bemerken müssen. Ich hätte es bemerken müssen. Doch ich war zu blind gewesen.
„Ich wollte dich eigentlich", setzte er an und kratzte sich verlegen am Nacken.
„Eigentlich was?"
„Fragen, ob wir uns besser kennenlernen wollen. Also du und ich. Damit ich dir vertrauen kann."
Er sah mir wieder so tief in die Augen, dass ich mich fragte, ob er meine Gedanken las. Ich musste fast ein bisschen erröten, als der letzte Satz über seine Lippen kam. Seine Stimme war heiser.
„Natürlich. Was schlägst du vor?"
Er lächelte und griff nach meiner Hand. Ich ließ es vorsichtig zu und verschränkte meine Finger mit seinen. Seine Hand war seltsam warm und vertraut.
Es fühlte sich gut an.
Dann zog er mich von Cassandra und Nero weg, die mich beide mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen musterten. Cassandra wusste, dass Blair die Magie ihres Bruders mit keinem Wort erwähnt hatte.
Später formte ich mit den Lippen, als Dominic mich immer weiter von den beiden wegführte und ich mit wachsender Neugier einen Schritt nach dem anderen hinter ihm her machte.
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Ich landete in einer Art Ausstellungsraum ein paar Etagen unter dem Speisesaal. Dominic führte mich durch die Regale, die allesamt vollgestopft waren mit antiken Büchern und gesäumt von gläsernen Vitrinen mit Schwertern, Kristallkugeln oder anderen merkwürdigen Gegenständen darin.
In einer der hinteren Ecke erblickte ich sogar einen pechschwarzen und einen schneeweißen Büschel Fell, die nebeneinander in der Luft schwebten und sich zu einem Yin und Yang verbanden.
Irgendwoher wusste ich, dass das Fell zu zwei großen Hunden gehörte, die einst Menschen gewesen waren. Aber diese Geschichte kannte ich ja.
Der Prinz hielt meine Hand nun fester umklammert und zog mich immer tiefer zwischen die Regale des kleinen Museums. Ich konnte den Blick weder von den Büchern oder den Artefakten lassen, noch von seiner muskulösen Gestalt, die sich vor mir einen Weg durch das Holzlabyrinth bahnte.
„Wohin gehen wir?", erkundigte ich mich neugierig.
„Wirst du schon sehen."
Ich runzelte nur die Stirn, folgte ihm aber weiterhin, ohne Fragen zu stellen oder Widerstand zu leisten.
Nach gut einer halben Minute erreichten wir das, worauf er offensichtlich zugesteuert hatte.
Eine zerbrochene Glasvitrine, in der sich nur ein leeres Samtkissen befand. Jemand hatte das Artefakt gestohlen.
„Hier befand sich ein mächtiges, magisches Artefakt", flüsterte Dominic leise als spräche er mehr zu sich selbst. Er zeigte auf die Scherben. „Wie du siehst hat es jemand gestohlen. Gestern Nacht."
„Ich glaube, ich verstehe nicht ganz."
„Oh, ich denke, du verstehst ganz genau", murmelte er. „Hast du gestern irgendetwas Ungewöhnliches am Hof bemerkt? Jemanden, der sich... seltsam verhielt?"
Ich dachten kurz nach, aber da der Tag für mich wirklich nicht lange gewesen war, konnte ich mich nicht mehr an die Details erinnern. „Nein, ich fürchte nicht."
„Und du bist direkt ins Bett gegangen, als Spencer dich zu Cassandra Sinigan gebracht hat?", hakte er nach.
„Tut mir Leid, aber falls das hier ein Verhör sein soll, bist du ziemlich schlecht im Entlarven von Verdächtigen", knurrte ich. „Ja, ich bin gleich ins Bett gegangen."
„Kann das jemand bestätigen?"
„Cassandra. Hör zu, ich schlage vor, wir gehen wieder zu der Friedensparty, ich werde dort erwartet." Meine Stimme wurde von Ton zu Ton immer höher. Ein Zeichen dafür, dass meine Anspannung wuchs.
„Aria es... es tut mir Leid. Es war nur so, dass du gerade erst hier angekommen bist und dann ist dieses Artefakt verschwunden. Ich musste einfach sichergehen, dass du nicht darin verwickelt bist." Er griff nach meiner Hand, als ich gehen wollte und sah mich bittend an.
„Was wurde gestohlen?", fragte ich desinteressiert.
„Die Flöte."
„Du meinst... die Flöte? Sie war hier?" Ich konnte meine Verwunderung nicht unterdrücken. Ein so mächtiges Artefakt in den Händen der falschen Person...
„Ja. Genau die Flöte."
Ich blinzelte. Ich wartete, in der Hoffnung, dass er eine genauere Erklärung lieferte.
„Ich will dir glauben."
„Du willst?"
„Ich will wirklich. Aber ich kann mir nicht sicher sein."
„Schon klar", entgegnete ich abgehakt. Dann drehte ich mich um und schritt den Gang entlang, hinaus aus diesem Museum, zurück zu den Verhandlungen, weg von ihm.
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Als ich oben ankam, war endlich Ruhe eingekehrt. Die Adeligen hatten sich zu einer großen Gruppe zusammengeschlossen und saßen größtenteils an dem rechteckigen Tisch in der Mitte des Saals.
Die „niederen" Adeligen hatten sich auf die Tische rund um die riesige Tafel verteilt, damit auch sie einen guten Überblick hatten.
An dem großen Tisch standen acht einzelne Stühle, zwischen denen je extrem viel Platz gelassen worden war. Man hätte dort sicher mit dreißig Leuten essen können, wenn der Platz vollständig genutzt würde.
Wurde er jedoch nicht.
Ich erkannte Cassandra und Nero an einem der Tische in der Nähe des unteren Tafelendes, während Blair und Spencer je einen kleinen auf der gegenüberliegenden Seite vollständig einnahmen. Auch Rafael hatte sich in den Tischkreis am Rand begeben.
Fast alle Plätze waren leer.
Fast.
Die acht Sitzmöglichkeiten rund um den Haupttisch waren quasi völlig besetzt. Zwei Stühle waren noch frei. Einer am unteren Ende, der andere neben Helena, die sich an der oberen Stirn befand.
Ich ließ mich auf den einzigen Stuhl ihr gegenüber gleiten und wartete darauf, dass auch der letzte Platz am Tisch in Beschlag genommen wurde.
Zwei Minuten später setzte Prinz Dominic sich darauf.
Jetzt war die Runde komplett.
Mir gegenüber befand sich Helena, flankiert von Dominic auf der rechten und Saraphina auf der linken Seite. Die goldene Mitte des Rendezvous bildeten Jasmine und Finn, die neben Arin und der grünäugigen Frau saßen, welche meine Sitznachbarn darstellten.
Ein angespanntes Schweigen breitete sich im ganzen Raum aus und drohte jederzeit zu zerreißen, wenn man es auch nur leicht überstrapazierte.
Helena schenkte mir ein einladendes Lächeln, das mir wahrscheinlich das Gefühl gegeben hätte, ich könnte das alles überstehen. Tray retten...
Auch Dominic schenkte mir einen Blick. Entschuldige...
Ich lächelte nur raubtierhaft zurück. Wer zuletzt lacht...
In seine Augen trat ein Ausdruck, der dieses Lächeln allerdings verblassen ließ. Bedauern und Vertrauen. Er glaubte mir, dass ich diese Flöte nicht gestohlen hatte.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Was ich nur für ein Arschloch gewesen war.
Ich blickte auch die anderen Gesichter in der Runde an; blendete die Außentische komplett aus.
Ein triumphierender Blick in Saraphinas Augen, ein breites Grinsen auf den Gesichtern von Finn und Arin. Die grünäugige Frau hatte die Augen zusammengekniffen und sich mit verschränkten Armen zurückgelehnt.
Ich machte mir nicht die Mühe, auch zu Jasmine zu blicken, weil ich wusste, dass sie mich entweder – wie immer – kalt musterte oder abschätzig die Stirn runzelte.
Doch dann unterbrach die Königin die Stille, griff nach der Champagnerflasche, der immer noch in der Flasche auf dem Tisch stand und schenkte sich ein Glas ein.
Von sonstiger Stille begleitet wanderte das hochwertige Getränk um den Tisch, damit auch ich mir ein Glas einschenken konnte. Die restlichen Adeligen begnügten sich mit einem Glas des Sektes. Der Champagner war Helena und mir vorbehalten.
Königin Helena hob ihr funkelndes Glas und fing an zu sprechen: „Auf den Friedensvertrag!"
Aber gerade als ich mein Glas zum Anstoßen gehoben hatte und ihre Worte wiederholte, stieg mir ein beißender Geruch in die Nase.
Gift.
„Halt!", rief ich noch, doch es war bereits zu spät.
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