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  Cassandra und ich stiegen die Treppen nach oben, bis wir den gläsernen Aufzug erreichten und mit seiner Hilfe schließlich bis Etage 12 nach oben fuhren. Der Turm, wie sie ihn nannten, war einer der höchsten, die Neun Rosen zu bieten hatte. Es roch bereits auf der gewundenen Wendeltreppe nach Schokolade und Blumen. Wieso sollte es in einem Turm nach Schokolade riechen? Oder nach Blumen? Aber generell war hier offenbar alles ein bisschen anders als es in meiner Vorstellung der Fall war.

Es gab insgesamt sieben Suiten. Drei unten und je zwei in den oberen Stockwerken. Eine Wendeltreppe, die sich in der Mitte des Raumes nach oben wand, führte zu den höhergelegenen Etagen.

Cassandra lebte nach eigener Aussage in einer der Suiten in Etage 16, dem obersten Geschoss des Turmes. Blair und Jasmine beanspruchten die komplette Etage 15 inklusive beider Suiten in voller Ausstattung. Die drei Suiten im Erdgeschoss waren unbesetzt.

Ich entschloss mich, neben der Seherin in die freie Suite zu ziehen, so lange ich hier war.

Sie wünschte mir eine gute Nacht und begab sich schließlich in ihre eigenen Gemächer, um sich auszuruhen. Morgen würde für uns alle ein langer Tag werden, für mich mehr als für irgendjemanden sonst. Oh ja, es würde ein verdammt langer Tag werden...

Ich hatte nicht einmal Zeit, um die teuren schwarzen Samtsofas und den schwarz-weißen Teppich zu bewundern, der auf dem glänzenden Marmorboden lag. Darauf befand sich ein kleiner Glastisch, auf dem Süßigkeiten und andere Willkommensgeschenke bereitlagen. Ich wettete, dass auch in den drei Suiten unten überall Geschenke lagen. Königin Helena wollte einen guten Eindruck hinterlassen. Deshalb machte sie alles gleich doppelt richtig.

An der rechten Wand, die fast vollständig aus Glas bestand, zog sich ein gigantischer Balkon entlang. Draußen waren schicke weiße und schwarze Gartenstühle um einen Tisch aufgestellt, der aussah, wie ein Schachbrett. An der linken Seite ging es ins Schlafzimmer, von wo aus man auch auf direktem Weg ins Bad gelangen konnte, während der Weg geradeaus vom Wohnzimmer in die Küche führte. Überall standen schwarze und weiße Möbel. Elegant, aber ohne persönlichen Touch. Schränke, Kommoden und Regale säumten quasi jedes freie Stückchen Wand... okay fast jedes. Im Badezimmer lagerten sich alle möglichen Cremes und Shampoos und Beautyprodukte.

Irgendeiner der Diener hatte sogar ein schäumendes Bad eingelassen, das nach Vanille duftete. Ich rümpfte die Nase. Ich bevorzugte den Geruch nach der Stadt eindeutig gegenüber dem der Vanille. Irgendwie war mir das eine Nummer zu weiblich.

Trotzdem beschloss ich, die Gelegenheit zu nutzen und das angebotene Bad anzunehmen.

Ich wusch meine Haare und kämmte den ganzen Dreck und das Blut heraus, das noch darin klebte. Ich benutzte außerdem seit langem wieder einen Fön, um sie zu trocknen.

Als ich fertig war, ließ ich mich erschöpft auf das Bett fallen. Es war ein anstrengender Tag gewesen, auch wenn er eigentlich nur zweieinhalb Stunden gedauert hatte.

Ich schloss die Augen und dachte ein wenig nach. Ich versuchte all meine Gedanken zu ordnen und zu verarbeiten, was passiert war.

Plötzlich stieg eine sehr düstere Vorahnung in mir auf. Die Vision, die ich heute gehabt hatte, milderte dieses Gefühl leider nicht im Geringsten, auch wenn ich mir wünschte, es wäre anders.

Irgendetwas sehr Seltsames ging hier vor sich. Ein verdammtes Spinnennetz und jeder in diesem Palast war darin verwickelt. Dominic, Finn, Spencer, Blair, Jasmine, Cassandra, Nero, Helena, Rafael und alle anderen auch.

Und ich musste wirklich aufpassen, dass ich nicht auch in den schwarzen Strudel gesaugt wurde, der unter dem Palast lauerte und nur darauf zu warten schien, uns alle verschlingen zu können.

Ich dachte noch eine Zeit lang nach, bis ich schließlich müde wurde und mich nicht mehr wachhalten konnte.

Ich schlief ein und versank in meinen Träumen.

Auch, wenn es eigentlich keine Träume waren, sondern Erinnerungen.

Erinnerungen an Ereignisse, die ich lieber vergessen hätte...

Dunkelheit umhüllte mich.

Dunkelheit, die nur ab und an vom Scheinwerferlicht eines Autos unterbrochen wurde, das scheppernd über den nassen Asphalt der nächtlichen Straßen schlitterte.

Dunkelheit, die nicht nur die Umgebung einnahm, sondern auch mein Herz.

Es war Mitte August und die sengende Hitze, die auch so spät noch immer über Mavar lag, brannte auf meiner Haut. Schweißtropfen bildeten sich auf meiner Stirn und meinem Rücken und immer wieder spiegelte sich mein verschwitzter Anblick in einem der vielen Schaufenster, die die Straße säumten. Alle Geschäfte hatten geschlossen und nirgendwo brannte auch nur der kleinste Funken Licht, solange nicht ein lautes, dröhnendes Auto vorbeifuhr.

Es war finster.

Es war einfach nur finster und definitiv nicht der richtige Zeitpunkt für eine Siebzehnjährige, alleine auf einer nächtlichen Straße in der Hauptstadt eines von Intrigen durchwobenen Königreichs herumzulungern. Obwohl man das, was ich tat eigentlich nicht als „herumlungern" bezeichnen konnte.

Stehlen" traf es viel besser.

Ich schob mich vorsichtig um die nächste Ecke und presste mich gegen die Wand. Meine Finger schlossen sich fest um den Rubin, den die Halterung der Goldkette einschloss. Meine Umhängetasche klimperte, als sie gegen die Backsteinwand geschleudert wurde. Die Juwelen und das Gold darin stießen gegeneinander und machten mehr Lärm als mir lieb war. Mein Auftrag war aus dem Ruder gelaufen. Ich war so dumm und naiv gewesen. Und vor allem gierig.

Meine Aufgabe war es, die Juwelen und das Gold zu stehlen, aber ich hatte mich einfach nicht davon abhalten können, auch den Rubin mitzunehmen, der jetzt kalt in meiner Hand lag.

Und nun stand ich hier. Auf der Flucht vor jemandem, der unberechenbar war und vor nichts zurückschrecken würde.

Die ascalinische Einwanderin hatte sowohl einen Ruf voller Gerüchte als auch die Fähigkeiten, all diese Gerüchte zum Leben zu erwecken. Und ich wollte wirklich nicht erfahren, was davon stimmte und was besser nicht. Wenn nicht gleich alles stimmte, was man ihr nachsagte.

Dennoch war sie eine Ascalinerin und ich würde mein gesamtes Geld darauf verwetten, dass alles, was man über sie sagte der Wahrheit entsprach.

Alles.

Jedes noch so kleine, hässliche Detail.

Die Feuermeisterin wusste aus eigener Erfahrung, wie sie ihre Magie am besten einsetzte, um einen Gegner möglichst langsam und qualvoll zu töten.

Sadistische Ascaliner. Sie waren alle exakt gleich. Am besten lange und schmerzhaft, sodass man auch schön unter dem litt, was einem angetan wurde.

Aber es war auch meine eigene Schuld. Ich hatte mich in diese Lage gebracht und nur ich konnte mich wieder herausholen.

Wenn überhaupt.

Ich stieß mich von der Wand ab und lief so schnell ich konnte die enge Gasse entlang, versuchte so leise vorzugehen, dass man mich bestenfalls gar nicht hören konnte.

Meine schwarzen Turnschuhe stießen bei jedem Schritt ein paar der Kieselsteine gegen die Wand. Es kam mir unheimlich laut vor, auch wenn es in Wahrheit wahrscheinlich nicht mehr Geräusche machte, als das Summen einer Wespe.

Ein perlendes Lachen schallte durch die Nachtluft. Das Lachen einer Frau, die mit jemandem spielte... mit mir spielte. Das Lachen einer Frau, die wusste, dass sie das Spiel bereits gewonnen hatte.

Kaitanjane DiMarcoPhy wusste, dass ich hier irgendwo war. Sie wusste ebenfalls, dass ich versuchte, auf den Schwarzmarkt zu gelangen und sie wusste, dass es für mich keinen Ausweg aus dem ganzen Schlamassel gab.

Es war ein Katz-und-Maus-Spiel. Ich war die Maus, die genau auf die Krallen der riesigen Katze zulief und nicht mehr umdrehen konnte.

Schwer atmend erreichte ich das Ende der Enge zwischen den beiden Gebäuden – einer Lagerhalle für Käse und einem Hotel für die reichen Leute, die hier in diesem Elite-Viertel Urlaub machten. Bei dem Gedanken musste ich fast kotzen.

Ferien mit den ganzen reichen Schnöseln, die hier überall herumlungerten. Jene Leute, deren eigener Arsch sie mehr interessierte, als dass auf den Straßen täglich Leute getötet wurden – oder Schlimmeres. Keiner von ihnen hatte auch nur die leiseste Ahnung davon, was es bedeutete, in den schäbigen Vierteln zu leben, weil ein Jahr zuvor ihre Eltern ermordet worden waren. Kein einziger!

Der Schmerz über den Verlust meiner Eltern schnürte mir den Hals zu. Ich bekam keine Luft mehr und musste mich eine halbe Minute an einer der Wände abstützen, um nicht vornüber umzukippen, wie ein verdammter Dominostein.

Ich wäre wahrscheinlich stundenlang dort gestanden, hätte nicht einer der Hotelbewohner von einem der zwanzig Stockwerke herunter geschrien, dass ich mich gefälligst verziehen solle, wenn ich nicht darauf aus war, dass er den Besitzer darauf ansprach, welches „Gesindel seine edlen Hauswände begrapschte".

Bitte! Als hätte ich nichts Besseres zu tun, als in dem Licht zu stehen, das aus den wenigen Fenstern des Hotels leuchtete, hinter denen noch jemand wach war, und möglicherweise die Aufmerksamkeit eines Jägers auf mich zu ziehen.

Weiterzulaufen zum Beispiel.

Ich trat auf die regennasse Hauptstraße, die aufgrund der Uhrzeit quasi leer war. Keine Fußgänger schlenderten von einem überteuerten Geschäft zum nächsten. Keine Autos störten die Dunkelheit und die Stille. Keine Menschenseele wagte es, so spät alleine auf den Straßen von Akar zu sein. Nicht, wenn sie wussten, was bereits tagsüber hier geschah. Was bereits tagsüber Leuten angetan wurde.

Niemand würde sehen, wie ich entkam.

Oder gefangen und getötet wurde.

Ich verhielt mich möglichst natürlich, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu erregen. Wenn man mich nicht sah, konnte man mich nicht wiedererkennen und vor allem nicht töten. Sehr nah an den Wänden der Gebäude bewegte ich mich langsam vorwärts, ohne mich umzusehen.

Nach hinten zu blicken war mehr als nur verräterisch verdächtig. Und wenn ich den Abend überleben wollte, durfte ich mir keine Fehler erlauben. Nicht, dass das etwas anderes gewesen wäre, als in den siebzehn Jahren davor. Ich durfte mir niemals einen Fehler erlauben. Niemals.

Nach etwa zweihundert Metern bog ich links in eine kleine Seitenstraße ein.

Die Goldkette lag kälter als Eis in meiner verschwitzten Handfläche. Woher hätte ich denn wissen sollen, dass sie mit einem Zauber belegt war?

Ich verfluchte mich erneut für meine eigene Dummheit. Meine Magie hatte die Falle erkannt, doch ich war zu fasziniert von der Kette gewesen, um sie an Ort und Stelle zu lassen und hatte sie stattdessen einfach mitgenommen. Und mir dabei aufs Härteste die Handfläche verbrannt.

Kaitanjane war durch den hohen, schrillen Schrei aufgewacht, den die Magie aus mir herausgekitzelt hatte. Verdammt, war ich dumm gewesen!

Aber daran ließ sich jetzt auch nichts mehr ändern. Aus Fehlern lernt man... wenn man sie überlebt.

Erst rechts, dann zweimal links und dann wieder dreimal rechts. Ein wenig gerade aus, dann wieder links und schließlich noch die zweite Gasse auf der anderen Seite nehmen.

In meinem Kopf zeichnete sich allmählich eine Skizze von allen Seitengassen und Hauptstraßen ab, die diesen Teil des Viertels bildeten. Der Ort, an dem sich der prunkvolle Park befand brannte sich mit derselben Präzision in mein Gedächtnis ein, wie der Standpunkt jeder einzelnen Bus- und Bahnstation.

Ich lief einfach bunt durcheinander in der Hoffnung, sie abzuhängen.

Denn ich wusste, dass sie mich beobachtete.

Ich passierte aufgebauschte Bars, überteuerte Clubs und extravagante Bordelle, in denen auch die sündigen Wünsche der Elite von Akar gestillt werden konnten – für den richtigen Preis.

Ich verdrehte nur die Augen. Ich hatte nie verstanden, wie Männer oder Frauen ihren Körper für Geld verkaufen konnten, selbst wenn es sich um mehrere Tausend Goldtaler pro Stunde handelte, je nachdem wie hübsch, jung und willig sie waren.

Ich verzog das Gesicht zu einer Grimasse, als ich an einem großen Platz vorbeikam, auf dem überall die Tische der Restaurants standen, die sich um den Springbrunnen im Zentrum verteilten. Ich überflog kurz die leuchtenden Schilder, die den Namen des Ladens und manchmal sogar das jeweilige Sonderangebot angaben, aber außer überteuerten Speisen konnte ich absolut nichts Hilfreiches darauf erkennen.

Also wandte ich mich dem zu, was wirklich interessant war.

Und zwar dem Brunnen in der Mitte des Platzes.

Ich schlängelte mich durch hölzerne Stühle und Tische, auf denen schwarze Keramik-Aschenbecher standen, in Richtung des Marmorbrunnens.

Ich wusste, dass er auf den Zentimeter genau zehn Meter hoch war.

Königin Helena hatte die sieben Springbrunnen letztes Jahr in den Vierteln Akars aufstellen lassen, um ihr Volk an die Kriegssituation in ganz Mavar zu erinnern.

Als der König damals gestorben war, hatte er immer davon gesprochen, dass das Erste, was auf seiner Liste stand, war, sein Volk zu schützen. Und er hatte nicht gemeint, es vor dem Krieg oder einer Eroberung durch die Synthier oder die Ascaliner fernzuhalten.

Sondern vor sich selbst.

Der Krieg hatte das Land noch nicht erschüttert, aber der König wusste, dass die Bürger von Akar ihre eigenen Feinde waren und bald ein Bürgerkrieg auszubrechen drohte.

Er hatte immer von den „sieben Damen des Todes" gesprochen, die jeden Bürger der Stadt in ihren hübschen Bann zogen, bis niemand mehr entkommen konnte.

Um die Bürger von einem Krieg untereinander abzuhalten und sie stattdessen als Einheit gegen die feindlichen Truppen einzusetzen, hatte die verwitwete Königin schließlich diese sieben Damen in Form von Statuen auf den Springbrunnen in den sieben Stadtvierteln errichten lassen. Man munkelte sogar, dass jede von ihnen ihr Revier bewachte und Feinde abschreckte.

Wenn man einen genaueren Blick auf die zehn Meter hohe Gestalt vor mir warf, kam einem diese Theorie noch nicht einmal so absurd vor, wie sie auf den ersten Blick erschien.

Denn das Wesen aus weißem Marmor, auf das ich starrte, glich eher einem grotesken Monster als einer Dame.

Die Frau trug eine aufwendige Hochsteckfrisur, die unter normalen Umständen wahrscheinlich sogar schön gewesen wäre. Allerdings wuchsen ihr anstatt Haaren Würmer aus der Kopfhaut und kräuselten sich um den hässlichen Schädel.

Schädel. Anders konnte man es eigentlich nicht mehr nennen. Es sah aus, als wäre die Haut von den Knochen abgefallen und nur das Skelett war jetzt noch übrig. Ich blickte in leere Augenhöhlen über einer Reihe von zugespitzten Zähnen, die mich seltsamerweise an Grinsers erinnerten. Außerdem sah man ihre kantigen Wangenknochen stark hervortreten. Auf ihrer Stirn ruhte eine Krone aus verdorbenen Dornenranken, deren spitze Stacheln sich in den Schädel bohrten.

Überall an ihrem Körper trug sie glitzernden Perlenschmuck, der mit Sicherheit mehrere Millionen Taler wert gewesen wäre, wenn die Frau echt existiert hätte. Ihr dürrer Körper, durch den man bereits die Rippenknochen erahnen konnte, stand auf langen, hässlichen Hühnerbeinen, die sich verdreht bis auf den Boden wanden, wo sie in insgesamt sechs überdimensionalen Krallen endeten. Ihre stachelbesetzten, knochigen Arme hingegen spalteten sich in je sieben Krallen, die man eigentlich nicht mehr Finger nennen konnte.

Eine der Hände hatte das Monster in die Hüfte gestemmt, während es mit der anderen Hand einen silbernen Spiegel vor seine groteske Fratze hielt.

Das, was der Brunnen eigentlich zum Ausdruck bringen sollte, befand sich in der Reflexion des Spiegels, die der Architekt als dreidimensionales Gesicht dargestellt hatte. Doch im Gegensatz zu den Erwartungen, die man eigentlich haben sollte – ein weiteres absurdes Skelett-Gesicht zu sehen bekommen – wurde man hier überrascht. Aus dem Spiegel blickte eine atemberaubende Schönheit, deren volles Haar die wohlgeformten Lippen betonte. Ihre Augen funkelten fast ein kleines bisschen im Mondlicht.

Ich schauderte. Ich kannte nicht jede der Statuen, die die sieben Springbrunnen in den verschiedenen Stadtteilen zierten, aber ich hatte bereits Bekanntschaft mit zwei weiteren gemacht. Eine von ihnen befand sich in der Nähe der Stelle, wo Tray mich vor einem Jahr von der Straße geholt hatte, die andere stand nicht weit von einem Restaurant entfernt.

Ich beugte mich vor, um die Inschrift zu lesen, die in Großbuchstaben in den Marmor gemeißelt war.

SUPERBIA – DER HOCHMUT

Ich starrte das Abbild des Hochmuts an. Irgendwie hatte die Königin ja schon einen ausgeprägten Sinn für Humor.

Gerade im Elite-Viertel stand der Brunnen des Hochmuts. Jener Brunnen, der die Menschen ermahnen sollte, nicht übermütig zu sein, nicht etwas in ihnen zu sehen, das nicht da war und nicht zu überschätzen, was sie eigentlich waren. Denn letztendlich hielten sich die Bewohner dieses Viertel immer noch für etwas besseres.

Ich schnaubte sarkastisch. Es passte einfach wie die Faust aufs Auge. Hochmut und Elite waren in Mavar quasi schon Synonyme, auch wenn es offiziell noch nicht ins Wörterbuch eingetragen worden war. Sollte ich jemals die Chance bekommen, würde ich diese kleine Veränderung allerdings noch vornehmen.

Akar war seit seiner Gründung in sieben Stadtteile unterteilt. Viele hatten im Laufe der Jahrhunderte ihr Verhalten spezialisiert und waren so von ihren alten Namen zu neuen gewechselt. Die Damen des Todes – oft auch bekannt als die sieben Todsünden – „bewachten" je das Viertel, das am meisten Gefahr litt, der Versuchung zu verfallen.

In meinen Augen hatte die Superbia-Statue hier auf jeden Fall versagt. Ich kannte kein Viertel, das so für Arroganz stand, wie das, in dem ich mich gerade befand.

Das Elite-Viertel bildete zusammen mit dem Palast-Viertel den Teil der Stadt, in dem die Reichen ihr Leben genossen. Schon immer waren jedoch nur hier die teuersten Hotels, die besten Bars und Clubs, sowie die prunkvollsten Läden ansässig gewesen.

Dies war auch der Grund, weshalb die Invidia über das benachbarte Viertel wachte, in dem sich auch der Palast befand.

Ich selbst hatte das Abbild des Neides nie gesehen, aber ein- oder zweimal hatte ich darüber einen Artikel in der Zeitung gefunden, zum Beispiel als irgendwelche Unruhestifter das Brunnenwasser gefärbt hatten oder ein Feuer mit eben jenem Wasser gelöscht worden war.

Aber ich war nie dort gewesen. Das Palast-Viertel war für Straßendiebe einfach zu gefährlich.

Ganz im Gegensatz zu manch anderen Teilen Akars.

So hatte ich es bereits geschafft, ein Selfie mit der Gula zu machen, deren riesiges Abbild sich am Rand des Außenviertels befand, und eine Münze in den Wunschbrunnen der fetten Acedia zu werfen. Ich konnte mich noch genau daran erinnern.

Es war kurz bevor Tray mich im Geschäftsviertel gefunden hatte. Ich hatte mir gewünscht auf den Straßen nicht zu verhungern.

Aber abgesehen von der Völlerei und der Faulheit war ich den anderen vier Damen noch nicht gegenüber getreten. Ich wusste, wo sie sich befanden, aber es schien Zeitverschwendung zu sein, jede einzelne von ihnen zu besuchen wie ein verdammter Tourist.

Das Grenzviertel war sogar bei Touristen unbeliebt, da es quasi nur aus Militärlagern bestand, zwischen denen die Soldaten ihr Kriegstraining absolvierten. Deshalb war die Besucherrate der Ira auch deutlich niedriger als die der anderen sechs. Ich hielt den Jähzorn zwar für nicht unwichtig, aber das sollte doch jeder selbst entscheiden.

Für das Innenviertel hatte ich mich nie richtig interessiert. Überall waren Shoppingcenter und Freizeitparks, ebenso wie Super- und Baumärkte, wohin das Auge auch reichte. Auch hier fand ich die Wahl der Statue ziemlich ironisch, da man quasi vor Lust triefte, wenn man einkaufen war oder einen Tag auf dem Jahrmarkt verbrachte. Luxuria möge die armen Seelen verschonen... Nur leider versagte sie darin täglich.

Und schließlich war da noch das Handelsviertel.

Das Handelsviertel war eigentlich das Viertel, in dem ich mich am häufigsten und vor allem am längsten aufhielt, weil sich dort auch der Schwarzmarkt befand. Ebenso wie im Elite- und Innenviertel war auch die Wahl der Dame hier eigentlich zum Totlachen.

Ich wusste selbst nicht, weshalb ich nie einen Blick auf Avaritia geworfen hatte, aber Habsucht passte perfekt zu den gierigen Händen der Kunden und Verkäufer in diesem Viertel, zu denen ich schließlich auch gehörte. Niemand widerstand dem Drang, mehr Waren einzukaufen oder mehr Geld zu kassieren, sobald man einmal in den zerstörerischen Strudel gesaugt worden war.

So wie ich heute, als ich meine verdammten Finger nicht von der Rubinkette hatte lassen können, die immer noch kühl auf meiner Handfläche ruhte.

Dieser Gedanke schleuderte mich zurück auf den Marktplatz, auf dem ich immer noch stand.

Leicht verwirrt schüttelte ich den Kopf und warf der Superbia einen letzten angewiderten Blick zu, bevor ich mich abwandte und in eine weitere schmale Straße bog.

Wenn ich den Schwarzmarkt erreichen wollte, musste ich von hier aus das ganze Geschäftsviertel durchqueren und außerdem noch in die Tiefen des Handelsviertels eintauchen...

Eigentlich konnte ich Kaitanjane auch gleich mein herausgeschnittenes Herz übergeben.

Und den abgetrennten Kopf.

Es hatte einfach keinen Sinn, herumzulaufen wie eine Irre und dann doch tot zu enden.

Automatisch musste ich an das perlende Lachen denken, das vor noch wenigen Minuten durch die Umgebung geschallt war. Ein eisiger Schauder lief mir den Rücken hinunter.

Irgendetwas in meiner Brust sagte mir, dass ich nicht so schnell sterben würde, wenn die Feuermeisterin mich in ihre brennenden Finger bekam.

Ich war gerade dabei, mir darüber Gedanken zu machen, wie sie mich am grausamsten Foltern konnte, als ich um eine weitere Ecke bog...

...direkt in die Arme von Kaitanjane DiMarcoPhy höchstpersönlich...

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Schweißgebadet erwachte ich aus meinen Erinnerungen.

Ich setzte mich zitternd auf, um einen flüchtigen Blick auf den Wecker zu werfen. Sieben Uhr morgens. Eindeutig zu früh, um aus einem so bequemen Bett aufzustehen.

Ich wollte mich gerade wieder in das weiche Kopfkissen sinken lassen, als jemand an die Tür klopfte.

Es war Cassandra, die eine Sekunde später auch eintrat.

„Guten Morgen, Schlafmütze", flüsterte sie. Ihre Haare waren zu einem hohen Pferdeschwanz gebunden und leichtes Make-Up betonte heute ihre verschiedenfarbigen Augen und die wohlgeformten Lippen.

Ich grummelte nur irgendetwas Zusammenhangloses vor mich hin, worauf sie ein leises Lachen ertönen ließ, das ich unwillkürlich erwidern musste.

„Hör zu, du Morgenmuffel", sie stieß mich mit dem Ellenbogen in die Seite. „In einer halben Stunde gibt es für uns beide Frühstück mit Blair und Jasmine in der Wohnung der Prinzessin, also schlage ich vor, dass du dich besser fertigmachst, wenn du nicht mit dem Aussehen einer Hexe dort auftauchen willst."

Cassandra zwinkerte mir zu, dann verschwand sie im Flur.

Und mit ihr wichen all meine Gedanken an den merkwürdigen Traum.

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