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Als wir den Säulenflur durchquerten, erfüllte mich plötzlich das Gefühl von Magie. Sehr starker Magie. Ein ziemlich mächtiger Elementar musste vor kurzem hier seine Kräfte eingesetzt haben.
Finn, der todtraurig in einer Ecke saß, weil seine Magie ein solcher Fluch für ihn war. Es war, als würde die große, undurchsichtige Binde von meinen Augen fallen. Finn musste sicher den Magier erblickt haben, bevor er seinen plötzlichen, heftigen Stimmungswechsel gehabt hatte. Aber welcher Magier? Ich hatte genau hingesehen und da war niemand gewesen...
Irgendetwas seltsames ging hier vor sich und ich würde herausfinden, was es war.
Da ich aber leider nicht allein unterwegs war, musste sich meine Neugier hinten anstellen und ich den Jungs folgen, die geradewegs auf den Fahrstuhl am Ende des Ganges zusteuerten.
Ich wusste nicht, wer „die Anderen" waren und wo sie sich befanden. Also folgte ich den beiden einfach und hörte ihrem Gespräch darüber zu, wer von ihnen beiden die besseren Chancen bei den Sportwetten hatte. Ich verdrehte die Augen. Jungs!
Nach einer Weile erreichten wir unser Ziel: den Innenhof in Etage 0. Wahrscheinlich waren die Prinzen und Prinzessinnen zu nobel, um einfach Erdgeschoss zu sagen...
Hier ließ der aufgehende Mond das Gras dunkel und silbrig erscheinen. Der Marmorspringbrunnen in der Mitte war mit hellblauen Steinen besetzt und das plätschernde Geräusch des Wassers erfüllte die Nachtluft. Auf dem Rasen verteilt befanden sich einige schmiedeeiserne Bänke, die von Birken und Buchen gesäumt wurden. Ich erkannte einen majestätischen Steingarten am anderen Ende und auf den Blumenbeeten vor uns blühten Rosen und Lilien in allen möglichen Farben. Königsblau, knalliges Pink und strahlendes Weiß.
Dominic, Finn und ich betraten den weitläufigen, freien Platz durch einen Steinbogen, der mit Schnitzereien verziert war. Der nächtliche Himmel ließ das Licht, das von den Laternen ausging, die überall am Rand der Pfade platziert waren, noch goldener wirken. Die Atmosphäre gab mir das Gefühl, als befände ich mich in einem Park und nicht im Innenhof des königlichen Palastes.
Es war still. Zu still.
Ich mochte die Stille nicht. Wenn alles um einen herum leise war, waren die eigenen Bewegungen umso lauter zu hören. Und das war im Geschäft einer Meisterdiebin nicht immer von Vorteil. Naja, eigentlich war es nie von Vorteil.
Aber als ich mich anstrengte, hörte ich das leise Gemurmel von Stimmen im hinteren Teil des Gartens.
Ich konnte nicht genau ausmachen, wie viele es waren, aber ich wusste, dass es mindestens drei Leute waren - eher vier.
„Wen genau suchen wir eigentlich?", unterbrach ich das Gespräch der beiden Typen. Ich war wirklich neugierig. Aber Neugier war keine schlechte Eigenschaft... sie konnte einem zum Verhängnis werden, aber an sich war sie tatsächlich ein Gefühl, das man nicht unterdrücken musste. Zumindest hatte meine Mutter mir das immer erzählt, bevor...
„Wirst du schon sehen.", antwortete Dominic mir zwinkernd.
Ich hatte natürlich mit einer solchen Antwort gerechnet, verzog aber dennoch leicht das Gesicht. Ich war mehr als nur ein bisschen enttäuscht und ungefähr doppelt so neugierig.
Ich musste mir dringend antrainieren, dass sich meine Gefühle nicht immer auf meinem Gesicht widerspiegelten. Aktuell musste ich so leicht zu lesen sein wie ein Plakat am Straßenrand - wenn man direkt davor stand.
Finn grinste nur amüsiert und ging weiter den Pfad entlang, der sich durch die Blumenbeete schlängelte. Zu beiden Seiten war er gesäumt mit Birken und Straßenlaternen, neben denen auch die ein oder anderer Bank stand. Überall erleuchtete Gold und Silber die Nachtluft, wo Laternenlicht und Mondschein aufeinandertrafen.
Wir passierten den auffälligen Springbrunnen und schritten durch den Hof. Die Stimmen wurden immer lauter und mittlerweile konnte ich auch ungefähr ausmachen, wie viele Personen es waren, die miteinander sprachen. Es waren vier. Eine Männer- und drei verschiedene weibliche Stimmen. Es hörte sich auch so an, als wären sie alle nicht älter als fünfundzwanzig Jahre alt. Im Gegenteil, ich hätte wetten können, dass sie in etwa so alt wie Dominic und ich sein mussten. Dreiundzwanzig, eher jünger.
Und als wir schließlich die Stelle erreichten, von der die Geräuschkulisse ausging, konnte ich auch endlich die passenden Gesichter zu den Stimmen sehen.
Hier waren neun große Felsbrocken in einem Kreis auf das Gras gelegt worden, sodass es aussah, wie der Treffpunkt einer Selbsthilfegruppe. Und ich bemerkte seltsamerweise, dass sich nur drei Personen auf den Steinen befanden. Hatte sich die vierte Stimme in Luft aufgelöst?
„Leute, das ist Aria ...", begann Finn mich vorzustellen. Doch ein wenig später hielt er inne und runzelte die Stirn. „Wie war noch gleich dein Nachname?"
Ich fluchte innerlich. Was sollte ich denn jetzt antworten? War eine falsche Antwort noch akzeptabel? Wussten sie überhaupt von Anas Nachnamen?
Ich verzog leicht das Gesicht, antwortete aber dann mit meinem echten Nachnamen. „Aria Pencur." Das war der Name, den Tray mir gegeben hatte, als sie mich von der Straße aufgesammelt hatte. Ich war so durcheinander gewesen, dass ich mich nur an meinen Vornamen erinnern konnte, weswegen sie mir einfach einen neuen gegeben hatte. Einen durchaus passenden.
„Hast du Pencur gesagt?", fragte eines der beiden Mädchen auf den Felsen. „Pencur wie in altmavarisch für ‚gefunden'?"
„Ja, genau", meinte ich und setzte ein falsches Lächeln auf. Niemand durfte wissen, was dieser Nachname alles über mich aussagte. Absolut niemand. Aber es war die Wahrheit. Aria, die Gefundene. Doch wer gefunden wurde, war davor erstmal verloren worden. Und als ich gefunden worden war, hatte ich nichts besseres mehr mit meinem Leben anfangen können als eine Straßendiebin zu werden. Mehr war ich nicht und mehr würde ich nie sein, auch wenn ich noch so teure Klamotten trug und in einem Palast wohnte.
Ich musterte die junge Frau, die mich angesprochen hatte nun genauer.
Goldblondes Haar fiel ihr in Wellen über den Rücken und landete auf einer hellgrauen Tunika. Ihre schwarze Jeans lag eng um die schlanken Beine und passte farblich außerdem perfekt zu dem mit Diamanten besetzten Gürtel. Ihre Augen schimmerten wie Silber in ihrem blassen Gesicht, auch wenn ich wusste, dass sie eigentlich grau waren. Ihre schmalen Lippen glänzten in einem dunklen Rot und auch die Ohrringe waren mit Rubinen besetzt. Sie strahlte mich breit grinsend an, ihre Zähne glänzten weiß in der schwarzen Nacht.
Ich hatte dieses Mädchen - sie war wahrscheinlich um die einundzwanzig - noch nie zuvor gesehen und wusste dennoch instinktiv, um wen es sich handelte.
Helenas Tochter.
„Prinzessin Blair", murmelte ich respektvoll und sank ein weiteres Mal in einen wackeligen, mavarischen Knicks. Auch diesmal versagte ich.
Blair schenkte mir daraufhin ein leichtes Lächeln. „Was hat mich verraten?", wollte sie wissen.
Doch ich zuckte nur mit den Schultern und erwiderte ihr Lächeln. „Die Augenfarbe."
Sie nickte, als reiche ihr meine Erklärung. „Ich habe Mutters Augen, das stimmt."
Als sie das so beiläufig erwähnte, wurde mir endlich auch die Ähnlichkeit zwischen Blair und Dominic bewusst. Beide hatten dieselbe kantige Nase und das wohlgeformte Kinn. Obwohl seine Augen blau und ihre grau waren, erkannte man deutlich, dass sie dieselben Eltern hatten - den König und die Königin.
Je mehr ich Blair aber anstarrte, desto deutlicher wurde auch der Unterschied von ihr zu dem Mädchen, das neben ihr auf einem der höchsten Felsen saß.
Während die Prinzessin mich angestrahlt hatte, schenkte sie mir nur einen kalten Blick. Sie war in etwa so alt wie alle anderen in der Runde, aber durch den ernsten Gesichtsausdruck wirkte sie viel weniger aufgesetzt. Kein falsches Lächeln zierte ihr durchaus hübsches Gesicht und sie machte auch keine übertriebenen Komplimente.
Aus irgendeinem Grund stieg mein Sympathielevel für sie damit sofort um ein Vielfaches. Sie machte mir deutlich, dass sie mir nicht über den Weg traute und dass sie eigentlich nichts mit mir am Hut haben wollte, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ.
Sie machte mir deutlich, was sie von mir hielt.
Oder besser: Was sie nicht von mir hielt.
Sie stand im völligen Kontrast zur Blair. Goldblondes Haar, hellgraue Augen und blasse Haut trafen auf tiefe Dunkelheit.
Das Mädchen auf dem hohen Felsen hatte ebenholzschwarze Haare und ihre Haut war nicht viel heller. Vor der Finsternis der Nacht, wirkte sie wie ein kalter Schatten. Im Gegensatz zu Finn und Blair ging von ihr kein Geruch nach Magie aus, es funkelte keine elementare Begabung in ihren pechschwarzen Augen und auch meine eigene Magie reagierte nicht auf ihre Anwesenheit.
„Ähm... Aria, das ist Jasmine Wyatt", erklärte Finn schuldbewusst. Er schämte sich offensichtlich dafür, dass Jasmine mich nicht lächelnd empfing, wie es alle anderen taten, aber sie schenkte ihm nur einen vernichtenden Blick, der dafür sorgte, dass er im Satz verstummte.
Da sie offensichtlich echt keine Lust hatte, mit mir zu sprechen, wandte ich meine Aufmerksamkeit dem jungen Mann zu, der auf dem Stein saß, der gegenüber des Brunnens lag. Dort war außerdem ein weiterer Felsen, doch darauf war nur eine kleine Ansammlung von Wasser zu sehen. Der Brunnen hatte ihn offensichtlich nass gemacht. Misstrauisch beäugte ich zuerst die nassen Stellen, dann die Fontänen des Springbrunnen. Aber es war tatsächlich nicht unwahrscheinlich, dass einer der Strahlen den Stein treffen könnte.
Der Typ war blond und blauäugig. Von ihm ging eine kalte Aura aus, die mir gleichzeitig ein Gefühl von Respekt einflößte. Er sah aus wie ein Albino, auch wenn ich wusste, dass seine hellblauen Augen vom Gegenteil sprachen. Ich erkannte in ihm auch eine weitere Person wieder: Die blonde Frau von der Galerie. Sie war mit Sicherheit seine Mutter.
„Spencer Snow", stellte er sich vor, wobei er möglichst viel seiner Eismacht in die Worte legte. Die Luft um uns herum wurde kälter und ich musste ein Schauern unterdrücken. Wenn Spencer mich mit Worten zum zittern bringen konnte, wollte ich nicht einmal darüber nachdenken, wie viel reine Macht er und vor allem seine Mutter besitzen mussten.
Er streckte mir die Hand entgegen und ich ergriff sie. Einen Moment später wusste ich, dass es eine Falle gewesen war. Sie war eiskalt.
Reine Eismacht erfüllte meinen Körper und ließ meine Finger gefrieren. Spencer hatte nicht bewusst Magie in diese Berührung gelegt, dennoch schlummerten die kalten Scherben des Winters in seiner Handfläche und hatten nur darauf gewartet, sich in mein Fleisch zu bohren.
Es war verdammt kalt.
Doch ich biss die Zähne zusammen und versuchte, so viel seiner Eismagie in meinen Körper zu ziehen, wie möglich. Dadurch wurde seine Berührung wärmer, während meine immer kälter wurde. Immer kälter, kälter, kälter.
Spencer runzelte die Stirn. Er musste bemerken, dass seine Haut sich langsam erwärmte. Oder dass meine immer kälter wurde.
Doch es war nicht nur meine Berührung, in die ich das Eis fließen ließ. Ich fror auch meine Augen ein, wie einen winterlichen See. Kein Ausdruck außer Kälte stand in meinem Gesicht.
Und dann, - so schnell, wie er begonnen hatte - war der Moment vorüber und die seltsame Verbindung zwischen Spencer und mir brach schlagartig ab, auch wenn seine kalten Eisscherben sich weiter in mein Fleisch bohrten und ich seine Magie in meinen Adern fühlte. Diese starke, harte und kalte Macht.
„Was war das denn eben?", mischte sich Blair von ihrem Felsen aus ein. Sie hatte es also auch bemerkt... natürlich hatte sie es bemerkt! Jeder musste es bemerkt haben!
Ich öffnete schon den Mund, um ihr irgendeine schlechte Lüge aufzutischen, aber Spencer kam mir Gott sei Dank zuvor: „Ich dachte, sie erinnere mich an jemanden und hab sie gemustert. Nichts besonderes also."
Er schenkte mir einen eiskalten Blick. Seine Augen schienen Romane zu schreiben: Kein Wort mehr oder ich jage dir all die Eisdolche ins Gesicht, die unter meiner Haut schlummern.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter. Dann drehte ich den Kopf so, dass Blair und Jasmine einen guten Blick auf mein Gesicht hatten und nickte bestimmt, als wäre es genau das gewesen, was es zu sein schien. Als wäre es genau das gewesen, was es nicht im Geringsten war: Die Wahrheit.
Ich wusste nicht, wie eine Berührung mit einem der anderen verlaufen wäre, aber ich tippte darauf, dass jeder einzelne von ihnen - außer Jasmine vielleicht - mindestens das Ausmaß von Spencers Magie besaß. Magie war Macht und Macht bestimmte über den Rang eines Menschen. Die Rays, die Snows, die Wyatts... und wie auch immer Finns Nachname war. Sie alle trugen nicht von Beginn der Zeit einen Adelstitel. Magie hatte sie aufsteigen lassen und ich wettete darauf, dass dieselbe Magie sie auch wieder zu Fall bringen würde. Es war nur eine Frage der Zeit.
Eher früher als später.
Mir fiel auf, dass Dominic sich während der gesamten Konversation im Hintergrund gehalten hatte. Sein Blick war mit zusammengekniffenen Augen auf Spencer gerichtet. Ich wusste es nicht, aber ich konnte fühlen, wie angespannt die Stimmung zwischen den beiden war. Spencer und Dominic waren keine Freunde und ich fragte mich, ob sie es jemals werden könnten... Dominics Blick nach zu urteilen eher nicht.
„Was macht ihr hier unten?", fragte ich. Ein weiteres Mal an diesem Abend konnte ich die Neugier nicht unterdrücken.
„Wir sind oft hier", erklärte Finn mit einem Anflug von Aufregung, weil dieses Umfeld neu für mich war. Er wollte mir unbedingt alles zeigen. Ich lächelte. Er war schon süß - auf seine eigene, übermotivierte Art und Weise.
„Stimmt", bestätigte Blair lächelnd. „Normalerweise haben wir morgens unser Training, aber abends sitzen wir hier meistens einfach beieinander und unterhalten uns... das Leben in einem Palast ist vorwiegend einsam und oft fühlt man sich alleine. Da tut es gut, sich auszutauschen, auch wenn natürlich jeder weiß, was für ihn auf dem Spiel steht."
Sie sprach es nicht aus, aber ich wusste, was sie damit sagen wollte: Im Palast war niemand dein Freund. Jeder würde dein Geheimnis gegen dich verwenden, sobald er nur einen Nutzen daraus ziehen könnte. Das musste Vertrauen fast unmöglich erscheinen lassen.
Ich fragte mich, weshalb Finn und Dominic trotzdem so gut befreundet waren, obwohl die anderen so distanziert untereinander waren. Aber es gab schließlich immer eine Ausnahme von der Regel. Absolut immer.
In diesem Fall waren es wohl Dominic und Finn.
„Wann trainiert ihr?", fragte ich weiter. Wenn die fünf alle beim Training waren, könnte ich die Gelegenheit ergreifen und unbemerkt in den Safe der Schatzkammer einbrechen...
„Das nächste Mal am Mittwoch", antwortete Dominic. „Wenn du willst kannst du zusehen... oder vielleicht willst du mitmachen? Schaden sollte es jedenfalls nicht."
Ich zwang meine Gesichtsmuskulatur zu einem falschen Lächeln. „Natürlich!"
Das warf selbstverständlich alle meine soeben entstandenen Pläne durcheinander, aber das musste ich wohl akzeptieren. Es würde sich bald eine Möglichkeit bieten, meine Ziele zu verfolgen. Es musste einfach eine geben...
Anderenfalls...
Darüber wollte ich jetzt nicht nachdenken. Stattdessen musste ich es irgendwie schaffen, dass sie mir so weit über den Weg trauten, um mit mir zu sprechen.
Und mir so die Informationen zukommen zu lassen, die ich benötigte.
Blair. Dominic. Finn. Jasmine. Spencer.
Sie alle würden mir dabei helfen, in die Schatzkammer einzubrechen und die Königin zu bestehlen. Jeder einzelne von ihnen würde mir helfen, meine Aufgabe zu erfüllen und unbemerkt davonzukommen. Sie alle würden mir noch nützlich werden.
Sie wussten es nur noch nicht.
„Prinzessin Blair?"
Eine sehr leise Stimme hallte durch den Innenhof zu uns. Ich hätte schwören können, sie würde nach Blair rufen.
„Prinzessin Blair!"
Im ersten Stock zog sich eine weitere Galerie um den Innenhof. Ich musste zuerst die Augen zusammenkneifen, um zu erkennen, ob ich mir die Gestalt, die dort stand, nur einbildete oder ob sie wirklich echt war.
Doch sie war nicht nur in meinem Kopf entstanden. Wenn ich jetzt Geister sah, sollte ich wirklich meinen Kopf auf bleibende Schäden untersuchen lassen. Aber auch die anderen drehten nach und nach ihre Köpfe in die Richtung des Mannes, der von dort aus nach der Prinzessin rief.
Ich konnte quasi nichts von ihm erkennen, außer den Umriss des kleingewachsenen Körpers und der Stimme, die tief über den Rasen hallte.
Blair erhob sich von ihrem Platz auf dem Felsen und sah zu der Gestalt auf der Galerie nach oben. „Rafael?", rief sie ihm als Antwort entgegen.
Der Mann - er hieß offensichtlich Rafael - war wahrscheinlich um einiges älter als wir. Ich schätzte die Stimme auf Anfang oder Mitte Vierzig.
„Rafael, was ist denn?", fragte Blair, während sie sich mit schnellen Schritten der Treppe näherte, die sich in engen Kreisen nach oben wand. Sie beschleunigte nochmal, um die Stufen so schnell wie möglich zu erreichen. Dann stieg sie zu der Silhouette in Etage 1 hinauf. Ich wunderte mich, wie sie in hohen Schuhen nur so schnell eine enge Marmortreppe nach oben steigen konnte. Ich wäre bestimmt mindestens fünf Mal umgeknickt und hätte mir bei meinem Glück auch noch beide Knöchel gebrochen.
Hätte ich drei gehabt, hätte ich mir auch den dritten gebrochen.
Blair und Rafael tauschten kurz ein paar Worte aus, die ich aber dank des lauten Geplätschers des Brunnens nicht verstand. Sie nickte, während er wie wild mit den Händen gestikulierte, als wolle er irgendetwas Wichtiges loswerden, wüsste aber nicht, wie er es ausdrücken sollte.
In weniger als einer Minute war alles vorbei. Blair stand alleine an der Brüstung und hatte die Ellenbogen auf das Geländer gestemmt. Rafael war wieder in die Richtung verschwunden, aus der er gekommen war und hatte sie alleine dort stehen lassen.
„Ich soll das Kleid für die morgigen Verhandlungen anprobieren", rief sie uns über die Fläche zu. Es mussten ungefähr 50 Meter sein. „See ya tomorrow!"
Sie schenkte uns ein weiteres Lächeln, dann drehte sie sich auf dem Absatz um und eilte in dieselbe Richtung, in die auch Rafael verschwunden war.
„Das war Rafael", beantwortete Finn meine unausgesprochene Frage. „Er ist eine Art Botschafter im Palast. Er überbringt Nachrichten von einem Ende des Gebäudes ins andere und ist darin echt unheimlich schnell. Ich kann mir wirklich nicht vorstellen,wie er das so schnell macht, bei diesem riesigen Palast."
Ich nickte. Das war ebenfalls gut zu wissen. Ein königlicher Botschafter, der sich in Rekordgeschwindigkeit durch ein enorm großes Gebäude bewegte.
Das war alles andere als ein Vorteil.
„Ich bin müde", meinte Spencer schließlich und gähnte laut.
Auch ich konnte ein Gähnen nicht mehr unterdrücken. Die letzten beiden Stunden waren sogar anstrengender gewesen als der Überfall auf die Kutsche und die Flucht über die Dächer zusammen.
„Ich auch. Die letzten Tage waren anstrengend und ich bin sehr erschöpft. Diese Kutschfahrt war nicht so entspannend, wie ich es mir erhofft habe", warf ich ein und gähnte ein weiteres Mal übertrieben, um meine Aussage zu unterstreichen.
Einerseits war ich zwar wirklich müde, aber andererseits brauchte ich einfach mal ein paar Minuten, um meine Gedanken zu ordnen. Und es würde sich morgen wohl keine Gelegenheit dazu bieten, also musste ich mich einfach ein wenig zurückziehen.
„Klar", entgegnete Dominic lächelnd. „Ich würde dir ja zeigen, wo sich dein Schlafzimmer befindet, aber das sollte besser jemand machen, der etwas mehr... weiblich ist. Ich habe außerdem keine Ahnung vom Turm."
Jasmine schnaubte. „Natürlich hast du keine Ahnung. Du bist ja auch männlich und falls du es vergessen hast, erinnere ich dich gerne noch einmal daran: Der. Turm. Ist. Für. Mädchen."
Daraufhin verdrehte der Kronprinz nur die Augen. „Wenn das so ist, hast du sicher kein Problem damit, Aria ihr Zimmer zu zeigen."
„Kannst du dir abschminken", fauchte sie und sprang von ihrem Platz auf dem hohen Felsbrocken. „Frag doch jemand anderen."
„Es gibt aber niemand anderen außer dir, meiner Schwester und..."
„Eben. Da hast du es. Frag doch sie. Ich bin mir sicher, sie wird begeistert sein. Wenn du mich jetzt bitte entschuldigen würdest - auch ich habe heute noch etwas mehr vor als mit dir sinnlose Diskussionen zu führen."
Mit diesen Worten wirbelte Jasmine Wyatt auf dem Absatz herum und war eine Sekunde später mit den Schatten verschmolzen. Meinen Respekt hatte sie sich auf jeden Fall mehr als verdient, indem sie dem Kronprinzen ihre Meinung einfach ins Gesicht sagte. Wahrscheinlich entwickelte ich viel zu viel Zuneigung zu einer Person, die nichts mit mir zu tun haben wollte, aber das war mir egal. Die einzige, der ich hier im Moment traute, war Jasmine. Nicht Dominic, nicht Finn, nicht Spencer und auch nicht Blair. Nein, es war Jasmine. Einfach deswegen, weil sie ehrlich war und mir das Messer in die Brust statt in den Rücken rammen würde, wenn es so weit war.
Spencer seufzte. „Ich habe sie heute noch nicht gesehen, aber ich weiß, wo sie normalerweise um diese Zeit ist. Komm mit."
Ich glitt hinter dem Eiselementar her, verabschiedete mich von Dominic und Finn und versuchte, meine Gedanken zu ordnen. Denn ich hatte das seltsame Gefühl, dass meine eigenen Gedanken mich eher früh als spät auffressen würden. Stück für Stück, bis nichts mehr von mir übrig war, nicht einmal die trockenen, abgenagten Knochen.
Ich folgte Spencer die langen Korridore entlang, bis wir in den hinteren Teil der Etage kamen. Hier beleuchteten nur wenige Fackeln die Dunkelheit. Die Luft war stickig und überall hing grauer Rauch in der Luft. Eine Art Glühen erstrahlte unheimlich aus einem Raum am Ende eines schmalen Gangs. Überall schienen die Wände zu singen. Leise, heiser und wie in Trance. Es wirkte surreal. Als wären die Stimmen nicht wirklich anwesend. Als wären sie fern und würden nicht wirklich zu mir sprechen, weil sie mich nicht sahen, nicht hörten und nicht wussten, dass ich da war. Auf irgendeine seltsame Weise machte diese Theorie sogar Sinn. Jemand der dich sah, ohne, dass er wirklich dich sah oder selbst existierte. Ich schauderte. Es war gruselig, all die Menschen zu hören, ohne zu wissen, was sie sagten. Manchmal hätte ich schwören können, einen hellen Schrei zu hören oder ein ohrenbetäubendes, berstendes Splittern von Knochen.
Ich versuchte, das Geflüster auszublenden und nicht zu hören, was die Stimmen wisperten.
Nach einer halben Ewigkeit kamen wir endlich zu der Tür, unter der das violette Glühen leuchtete. Der gesamte Rauch schien seinen Ursprung dahinter zu nehmen und auch die Stimmen kamen aus diesem Zimmer. Irgendwie wollte ich nicht wissen, was - und auch wer - sich hinter dieser Tür befand. Das lilafarbene Licht, der Geruch des beißenden Rauchs in meiner Nase und außerdem das schrille Geräusch der Stimmen um mich herum. Verlorene Stimmen, die um Hilfe schrien. Lachende Stimmen, kaltes und warmes Lachen. Schreiende Stimmen, aus Zorn, Schmerz und Angst.
Und obwohl mir das Geflüster von etwas, das auf jeden Fall nicht existieren konnte, eigentlich keine Angst einjagen sollte, spürte ich dennoch den Kloß in meinem Hals und die Trockenheit meiner Kehle.
Spencer hob die Hand und ich merkte trotz all seiner Bemühungen, es zu verbergen, dass seine Hand leicht zitterte, als er anklopfte.
Poch. Poch. Poch.
Das Geräusch hallte in der unbehaglichen Stille von den Wänden wider. Poch. Poch. Poch. Wie das Schlagen eines Herzens in einer Brust. Noch war es in der Brust, aber niemand wusste, wann es gestohlen werden würde. Herausgerissen, von Händen voller Blut.
Was machte dieser Ort mit mir? Seit wir diesen Flur betreten hatten, waren meine Gedanken erfüllt von Schreien, Blut und pochenden Herzen, die aus einer Brust gerissen wurden.
Eine Sekunde später wurde die Tür knarzend einen Spalt geöffnet.
„Was?", blaffte uns eine weibliche Stimme an. „Hab ich nicht mehrfach deutlich gemacht, dass ich eure Gesellschaft satt habe? Jeder einzelne von euch hat es nicht im Geringsten verdient, mit mir zu sprechen und außerdem möchte ich mir das auch nicht antun, also lasst mich endlich in Ruhe!"
Durch den kleinen Spalt, den die Tür nur geöffnet war, erkannte ich nichts von der Person dahinter, außer, dass sie offensichtlich in etwas Schwarzes gekleidet war.
„Es geht nicht um uns. Die vindrische Botschafterin weiß nicht, wo die Mädchenräume sind", entgegnete Spencer kalt.
„Ihr Pech", der Ton der Frau, die nach wie vor ihre Gestalt verbarg, war mindestens genau so kalt wie seiner.
Ich berührte Spencer leicht an der Schulter, um ihn darauf hinzuweisen, dass ich die Sache mit - wie auch immer sie hieß - auch selbst klären konnte.
Er trat zurück und überließ mir das sprechen. Vorsichtig trat ich an die Tür. „Hey, ähm... ich bin Aria und -"
Ich konnte den Satz nicht zu Ende sprechen, weil sie mir einfach die Tür vor der Nase zuschlug.
Toll. Das lief ja absolut traumhaft. Ich war erst einen Abend lang hier und von sechs Personen in meinem Alter konnten mich bereits zwei nicht ausstehen. Von Spencer mal abgesehen.
„Wow. Danke auch", giftete ich. Meine Stimme triefte förmlich vor Sarkasmus, als ich ihr die Worte entgegen spuckte, wie eine ätzende Substanz.
Spencer sah mich an, als hätte er bereits erwartet, dass auch meine Worte bei ihr nichts bewirken würden. Ich starrte zurück. „Was?", fuhr ich ihn an. „Hast du etwa erwartet, ich würde einfach weggehen und sie in Ruhe lassen, wie ihr es offensichtlich alle macht?"
Er antwortete nicht, sondern blickte nur auf den Boden, statt mir in die Augen zu sehen.
„Tja, offensichtlich habe ich das nicht vor."
Meine Stimme klang ungefähr doppelt so genervt, wie ich in Wirklichkeit war und Spencer fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut. Angespannt trat er von einem Fuß auf den anderen. Ich spürte es in der Luft, die ihn umgab.
Ich verdrehte die Augen und forderte ihn mit einer ungeschickten Handbewegung auf, mich hierzulassen und schlafen zu gehen, ehe ich auf dem Absatz herumwirbelte und mich erneut der Tür zuwandte. Bei der Bewegung wurden mir meine zerzausten Haare ins Gesicht geschleudert. Ich hatte sie seit einer Ewigkeit nicht gewaschen oder gekämmt und außerdem klebte darin immer noch Dreck und Staub.
„Er ist weg, du kannst jetzt aufmachen.", versuchte ich es. Man konnte nie wissen, aber eine Konversation damit zu beginnen, der Gesprächspartnerin - die immer noch ziemlich angepisst schien - klarzumachen, dass man ähnliche Ansichten hatte, konnte nicht schlecht sein.
Zu meinem Glück verstand ich mich mit Spencer tatsächlich nicht so gut, wie mit Dominic oder Finn, also musste ich nicht noch mehr Lügen erzählen. Ich hatte es absolut satt, jedes Wort, das ich sagte, sorgfältig zu wählen, damit meine ganzen Intrigen nicht mit einem Schlag zunichte gemacht wurden. Einem Schlag in mein eigenes Gesicht, mit meiner eigenen Faust, bei dem ich ganz alleine die Folgen davontragen musste...
Alles musste man hier alleine machen!
Aber anscheinend hatte es funktioniert, denn einen Augenblick später wurde die Tür erneut geöffnet. Abermals jedoch nur einen kleinen Spalt breit und dieser war sogar ein kleines bisschen schmaler als der von vorhin.
„Hör zu", fuhr sie mich an. „Ich habe weder die Absicht, noch die nötige Lust, dir irgendetwas zu zeigen, Prinzessin. Wenn du mich also entschuldigen würdest, ich habe zu tun."
Ein weiteres Mal an diesem Abend verdrehte ich genervt die Augen. „Hast du mich gerade Prinzessin genannt? Ich bin vieles, aber wenn ich eines nicht bin, dann ist das eine verdammte Prinzessin. Wahrscheinlich wäre sogar Nero eine bessere Prinzessin, als ich..."
„Du kennst Nero?"
„Ja, ich habe ihn heute kennengelernt", erklärte ich mich eilig. „Er scheint..."
Verzweifelt suchte ich nach den richtigen Worten. Wenn sie Nero mochte, wäre ein Kompliment durchaus angebracht, aber falls sie ihn genauso verabscheute wie Spencer und die anderen in unserem Alter, würde es unsere brüchige Beziehung alles andere als stärken.
Ich entschied mich, dass es zwar riskant war, aber irgendwie wollte ich glauben, dass diese Frau ein gutes Verhältnis zu Nero pflegte. Dass sie ein gutes Verhältnis zu irgendjemandem pflegte.
Naja, außer den Stimmen, die nach wie vor in meine Gedanken eindrangen.
„... nett", beendete ich schließlich meinen Satz.
„Er ist nett", meinte sie schließlich nachdenklich. „Naja, jedenfalls netter als alle anderen hier."
Ich nickte nur, weil ich nicht wusste, was ich darauf antworten sollte. Außerdem schien es mir fast, als würde sie testen, ob ich ihr widersprach, ob ich ihr eintrichtern wollte, dass die anderen nicht so schlimm waren, wie sie vielleicht dachte.
Ich tat es nicht, sondern blieb einfach still und starrte weiterhin mit undurchdringlichem Blick auf den Spalt, hinter dem sich der Rauch und das Licht bündelten, bis sie die Quelle der Schreie, des Lachens und des anderen Geredes der Menschen bildeten.
„Jemand der dich sieht, ohne, dass er wirklich dich sieht oder selbst existiert", flüsterte ich ehrfürchtig. Ich hatte vor ein paar Minuten bereits genau diesen Gedankengang gehabt, allerdings hatte ich ihn schließlich für mich behalten. „Jemand, der wirres Zeug redet, ohne zu wissen, dass er es tut. Jemand, der anwesend ist, obwohl er nicht anwesend ist", flüsterte ich.
Ich hätte schwören können, dass ich hörte, wie sich ihre Stirn runzelte, wenn das denn möglich war.
„Du redest seltsames Zeug", bemerkte sie schließlich. In ihrer Stimme war eine Spur von Überraschung zu hören, als wollte sie nicht glauben, was ich da gerade gesagt hatte.
Und welche Bedeutung die Worte für mich und für sie hatten.
„So wie du, wenn es passiert, richtig?", ich konnte meine Neugier nicht unterdrücken. Alles machte Sinn. Wenn es wirklich so war, wie ich es vermutete, war mir auch klar, warum sie keine Freunde unter den anderen gefunden hatte. Oder besser finden wollte.
Sie stieß einen langgezogenen Seufzer aus und öffnete die Tür endlich ganz. Der Anblick hätte mich eigentlich nicht mehr überraschen sollen, aber trotzdem konnte ich ein Keuchen nicht zurückhalten.
Ich hatte Recht gehabt.
Der Raum, der sich weitläufig nach hinten erstreckte, war gefüllt mit Vorhängen in allen erdenklichen Lilatönen. Auf einem kleinen, runden Tisch stapelten sich verschiedene Kartenstapel in schwarz, weiß oder bunten Mustern aus Sternen, Spiralen oder Herzen.
Neben dem Tisch, auf dem sich die Tarotkarten befanden, zog sich ein langer hölzerner Tresen an der Wand entlang. Auf dem Tresen befand sich eine gläserne Kristallkugel, in derem Inneren purpurner Rauch waberte. Überall standen benutzte Teetassen und Scherben von Glasflaschen lagen in Schalen auf den hölzernen Regalen.
„Du bist eine Seherin?", auch mein Erstaunen konnte ich nicht wirklich verbergen. Zeitmagier waren mehr als selten. Es war schon fast so ungewöhnlich, dass man froh sein konnte, in seinem Leben auch nur einen einzigen zu treffen.
„Ist es so offensichtlich?", fragte sie bedrückt.
„Nun... eigentlich schon." Ich grinste breit, als ich mich weiter im Zimmer umsah, doch bald schon hatte ich alles gesehen, was es zu sehen gab und drehte mich so, dass mein Blick endlich die Frau traf, mit der ich sprach.
Sie sah umwerfend aus.
Die purpurnen Haare fielen ihr in leichten Locken tief in den Rücken und berührten den schwarzen Kapuzenumhang, der ihren gesamten Körper einhüllte. Ihre Haut war blasser als meine und ich konnte deutlich erkennen, dass sie kein Make-Up trug. Kein Lidstrich betonte ihre violetten Augen. Augen, die ganz offensichtlich voller Zeitmagie waren. Ich sah das leichte Funkeln kurz in den Tiefen aufblitzen, bevor es auch schon wieder verschwand. Über ihre komplette linke Gesichtshälfte zog sich eine lange, gezackte Narbe. Sie begann fast am Haaransatz, zog sich über das linke Auge, das deshalb auch ein wenig heller war als das rechte, über den Wangenknochen und endete erst dort, wo der Hals anfing und der Kopf aufhörte.
Manche Menschen hätten diese Narbe als hässlich oder entstellend empfunden, aber mir machte es nichts aus. Im Gegenteil, ich fand sie passte perfekt zu dem Seherinnen-Look, den die Frau vertrat.
Immer noch grinsend streckte ich ihr meine Hand entgegen. „Aria Pencur"
Sie zögerte kurz, ergriff dann aber meine Finger. „Cassandra Sinigan, freut mich."
Bei der kurzen Berührung unserer Hände blitzte plötzlich eine vage Vision in mir auf. Eine Vision der Zukunft, die ihre Magie heraufbeschworen hatte.
Blut, das in Strömen über glatten Boden floss. Menschen, die schrien und wie wild durcheinander rannten. Jemand, der nach seiner Tochter rief, aber keine Antwort bekam...
Nach weniger als einer Sekunde war alles vorbei und ich befand mich wieder im Hier und Jetzt.
Meine Hand hatte Cassandras losgelassen und ich starrte sie aus irgendeinem Grund verdattert an. Aber sie lächelte nur amüsiert und schien nicht bemerkt zu haben, was ich gesehen hatte.
Mit ihrer Magie.
„Wieso warst du nicht bei den anderen?", erkundigte ich mich, um all die Gedanken von der Zukunft abzulenken und zu vergessen, was mir prophezeit worden war. Irgendwie würde sich schon alles klären...
„Sie wissen nichts von meiner Magie. Ich habe ihnen erzählt, dass ich all die Kraft aus meinen Requisiten ziehe und so die Zukunft sehen kann. Niemand kennt die Wahrheit. Dass ich eine mächtige Zeitmeisterin bin und all das nicht brauche. Die Visionen kommen und gehen, wann immer ich es will. Manchmal auch, wenn sie wollen und ich nicht, aber das sind Ausnahmen", erklärte sie kalt. „Kein Wort zu irgendjemandem. Für die anderen bin ich lediglich die königliche Möchtegern-Seherin und mir wäre es auch deutlich lieber, wenn das vorerst so bleibt."
Ich nickte. Ich mochte Cassandras Absichten nicht nachvollziehen können, aber das war kein Grund, sie nicht zu akzeptieren. Sollte sie doch von ihrer Macht erzählen, wem sie wollte, ich würde mich nicht einmischen. Naja, zumindest noch nicht.
„Verstehe", stimmte ich zu. Ich wollte zeigen, dass ich sie nicht verraten würde und dass sie mir vertrauen konnte. Bis ich die Schatzkammer ausraubte...
Cassandra warf sich die Kapuze über den Kopf und schnürte diese vorne zu, sodass man weder ihre Haare, noch ihr Gesicht erkannte.
Ich wollte gerade fragen, was sie da tat, als sie meine unausgesprochene Frage bereits beantwortete: „Ich verdecke meinen Kopf, damit niemand von ihnen meine Magie in meinen Augen oder an meiner Haarfarbe erkennt."
Ein weiteres Mal nickte ich überfordert. Wahrscheinlich machte das Sinn, aber ich war verdammt müde und musste ein wenig Schlaf nachholen.
„Na dann", sagte ich über beide Ohren grinsend. „Lass uns gehen."
Ebenfalls lächelnd antwortete sie: „Japp, lass uns ins Bett gehen."
„Das klingt verdammt falsch"
„Ich weiß", entgegnete sie triumphierend. Dann verließ sie die Kammer und trat neben mich.
Zum 'zigsten mal an diesem Abend verdrehte ich die Augen.
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