18
Ich schlug die Augen auf.
Was zu Hölle war passiert!?
Im einen Moment hatte Kaitanjane mich am Unterarm gepackt und meinen Freunden die grausame Enthüllung geliefert. Im nächsten hatte sich eine seltsame Dunkelheit um mich gelegt und ich hatte mich gefühlt, als würde ich in diesen seltsamen Strudel aus Schatten und Schwärze fallen.
Und jetzt das.
Meine Augen gewöhnten sich langsam an das spärliche rote Licht und den Nebel, der die gesamte Umgebung einnahm.
Ich spürte etwas Hartes an meinem Rücken, was mich darauf schließen ließ, dass ich auf einem der selbstgezimmerten Tresen lag, die die gesamte Lagerhalle einnahmen. Die Geräuschkulisse bestand größtenteils aus Stimmengewirr und dem Klimpern von Münzen. In der Luft lag der Gestank nach Drogen, Zigaretten und Alkohol.
Wie war ich auf den Schwarzmarkt gelangt?
Vorsichtig setzte ich mich in eine aufrechte Position. Mein Rücken schmerzte, weil er so lange auf dem harten Tresen gelegen hatte. Ich konnte nicht einordnen, wie viel Zeit vergangen war, seit mich die Dunkelheit verschlungen hatte.
Wie war das überhaupt möglich?
Ich hätte den Stand sogar erkannt, wenn man mir die Augen verbunden hätte und ich mich ganz auf meinen Geruchssinn hätte verlassen müssen. Der rosige Duft nach Damenparfum erfüllte die Luft. Ein Parfum, das ich auswendig kannte.
Das vertraute Gesicht erschien vor mir, sodass ich mich festklammern musste, um nicht rücklings umzukippen. Es war nur eine Woche vergangen, seit ich sie verlassen hatte, aber es fühlte sich wie mehrere Ewigkeiten an.
„Tray", flüsterte ich. Meine Stimme zitterte noch mehr als meine Finger, als ich sie um ihre Wangen legte. Erleichterung erfüllte mich. Scerus und sein Auftraggeber hatten ihr noch nichts angetan.
Die ältere Frau lächelte mich an. „Aria."
Mein Lachen wurde zu einem Schluchzen. Meine Tränen der Freude wurden zu Tränen der Erleichterung. Mein gebrochenes Herz wurde ein wenig geheilt. Einfach weil sie da war. Weil sie immer da war, wenn ich sie brauchte.
„Ich hab dich vermisst", gestand ich, wobei mir nach wie vor Tränen über die Wangen rannen.
Sie lächelte mich freundlich an. „Ich weiß, Aria. Du hast mir auch gefehlt. Und ich habe mir Sorgen gemacht. Jeden Tag vor dem Einschlafen und jeden Abend nach dem Aufwachen. Das nächtliche Geschäft läuft nicht sonderlich gut, seit du weg bist."
Ich lächelte. „Ich bin jetzt wieder hier, Tray. Ich bin hier. Ich bin zurück."
Alle Gedanken an die blöde Krönungszeremonie verschwanden in meinen Gedanken, verdrängt von der Freude und Erleichterung, die ich verspürte, als ich erfahren hatte, dass es ihr gut ging. Sie war wirklich wie eine Mutter für mich.
Alle Bedenken an den Mörder der Königin schob ich beiseite und vergaß ich, damit ich das Gefühl der ständigen Hoffnungslosigkeit loswurde, die mich in der letzten Woche erfüllt hatte. Ich ersetzte sie durch ein neutrales Gefühl. Hoffnungen wurden zerstört. Neutrale Gefühle nicht.
Alle Erinnerungen an den Schmerz in Dominics, in Cas', in Spencers Augen verbannte ich aus meinem Gedächtnis. Die Tränen, die mir übers Gesicht liefen spülten sie aus mir heraus und ich konnte vergessen, wer Dominic war, wer Cas war, wer Spencer war. Nur der Moment zählte.
„Du hast keine Ahnung, was du verpasst hast", sagte Tray jetzt todernst. „Du warst fast siebzehn Stunden bewusstlos. Sie hat zwar gesagt, dass es eine Nebenwirkung dieser Reise sein würde, aber dass es so lange dauert? Ich frage mich, wann sie hier sein wird. Sie wollte in einigen Minuten nach dir sehen. Ich denke, ihr beide habt einiges zu besprechen."
„Sie? Reise? Nebenwirkung? Tray, wovon redest du? Wie spät ist es? Wann ist die Krönung?", sprudelte es nur so aus mir heraus. Tausende von Fragen flogen wirr durch meinen Kopf.
Aber ich sollte nie eine Antwort bekommen.
Eine lange Klinge hatte sich in Trays Rücken gebohrt und stieß durch ihre Brust wieder hinaus.
Ich keuchte.
Der Angreifer riss seine Klinge aus dem Körper meiner Freundin und ließ sie leblos auf den Boden sinken.
„Nein!", schrie ich. Immer wieder dasselbe Wort. Nein, nein, nein. So durfte es, so konnte es nicht enden. Wir waren so weit gekommen. Wir hatten so verdammt viel durchgemacht.
Ich sank auf den Boden.
Dabei ignorierte ich die polierten schwarzen Herrenschuhe vollkommen. Ich wusste, wer Tray das angetan hatte und ich wusste auch, warum.
Ich war der Grund. Einzig und allein ich war Grund, dass meine letzte Freundin tot war. Ich war der Grund.
Ich hatte sie nicht getötet, aber ich war dennoch ihre Mörderin.
Schuldgefühle stiegen in mir auf.
„Tray...", flüsterte ich. Die letzten Scherben meines gebrochenen Herzens waren zu Staub zerfallen.
„Ich fürchte, sie wird nicht antworten", säuselte eine heisere, kratzige Stimme, die sich wie Schleifpapier auf den Trümmern meiner Gefühle anfühlte.
„Du!", zischte ich und schnellte rasend vor Wut hoch. Reflexartig griff ich nach dem Kragen seines weißen Hemds und zog ihn so nahe zu mir, dass ich ihm die Glasscherbe, die ich vom Boden hochgehoben hatte, an seine Kehle pressen konnte. „Du kleiner, widerwärtiger Bastard!"
Ich ließ all meine Wut auf den Auftragsmörder und seinen Chef heraus, die sich in letzter Zeit angesammelt hatte.
Scerus lächelte mich an. „Oh, Aria. Wir beide wissen, dass meine Leiche nichts bewirken wird, außer den Tod deiner wertlosen Freunde. Es ist ihm verdammt egal, ob es sich um eine Prinzessin, einen König oder einen Bauern handelt. Er schlachtet sie alle nacheinander ab. Jeden einzeln."
Ich zuckte nicht mit der Wimper. „Das macht das verdammte Arschloch sowieso. Einfach weil es ihm Spaß macht. Er hätte es sogar getan, wenn ich den gesamten Palast niedergebrannt und alle Schätze des Königreichs für ihn gestohlen hätte."
Ich konnte die bittere Wahrheit aus meiner Stimme heraushören. Dieser ganze Auftrag... dass ich überhaupt Anas Platz eingenommen hatte... es war alles umsonst gewesen. Scers Boss hatte nie vorgehabt, irgendjemanden am Leben zu lassen. Und ich hatte ihm mit meiner Kooperation nur noch mehr Opfer geliefert. Dominic. Cassandra. Finn.
Bei dem Gedanken an ihre toten Körper schauderte ich.
„Aber weißt du was?", flüsterte ich jetzt so bedrohlich dass nur noch er es hören konnte. „Der verdammte Deal ist geplatzt. Ich stehle gar nichts. Und wenn er kommt und mich fertigmacht, werde ich verdammt nochmal bereit sein und den Scheißkerl umbringen."
Und ich wusste, dass ich das ernst meinte. Wenn er es wagte, auch nur einen krummen Finger an Cas oder Dominic zu legen, wenn er es sogar schon wagte, auch nur einen halben Versuch hinzulegen, ihnen etwas anzutun, würde er bluten. Und er würde lange bluten.
Dieses Versprechen erfüllte jede meiner kalten Adern und fror schließlich auch das ein, was von meinem Herzen übrig war. Vor diesem Mann würde ich kein Erbarmen zeigen. Nicht bis zum bitteren Ende und auch darüber hinaus nicht.
Scerus versuchte, seine Überraschung zu verbergen, doch er schaffte es nicht. Ich erkannte jedes unsichere Zögern, jeden Fehler, der sich in den gelben Augen seines Schädels spiegelte. Ich kannte keine Gnade mehr.
Nicht heute.
Nicht ihm gegenüber.
Ich lächelte ihn kalt an und wollte ihm die Glasscherbe über die Kehle ziehen und sein Blut auf meinen Armen spüren, auf meinen Händen.
Aber er war schneller.
Scerus schnellte nach vorne, schlug mir mit der Faust in den Magen, wirbelte dann herum und traf mein Gesicht mit dem Handrücken. Er war bei der Drehung leicht außer Kontrolle geraten, weswegen sein Schlag nicht das volle Ausmaß der Kraft besaß, die er sich erhofft hatte.
Dennoch wurde ich nach hinten geschleudert und mein Rücken krachte gegen den Tresen, auf dem immer noch die Klingen und Pistolen lagen. Aber ich hatte nicht die Zeit, mir eine Waffe zu greifen und mich zu wehren. Scerus hatte sich sein Opfer gesucht.
Und niemand entkam ihm, wenn er bereits in sein klebriges Netz gewickelt war. Ich hatte nicht die geringste Chance.
„Was der arme Dominic wohl sagen wird, wenn er herausfindet, dass du tot bist? Ich bin mir sicher, er wird keine einzige Träne vergießen. Nicht nach allem, was du ihm angetan hast", setzte Scer zu seinen letzten Worten an, bevor er zuschnappte, um mir mit seinem Langschwert das Leben zu nehmen. „Merk dir eines, Aria Pencur. Der schnellste und beste Weg zum Herzen eines Mannes-"
Weiter kam er nicht. Das Blut, das aus seinem Mund lief, hielt ihn davon ab, seine Lektion fertigzustellen.
Wenige Sekunden später lag der Auftragsmörder am Boden.
Tot.
Auf seinem Rücken klaffte eine präzise Stichwunde.
Meine Augen weiteten sich. Ich kannte diese Taktik. Wie zur Hölle...?
Jasmine Wyatt trat aus der Dunkelheit auf mich zu. Das blutige Messer wirbelte einmal geschickt um ihre Finger, bevor sie es an ihrem Gürtel befestigte. Ihre schwarzen Haare waren zu einem Pferdeschwanz gebunden.
„Der schnellste und beste Weg zum Herzen eines Mannes ist durch seine vierte und fünfte Rippe", sagte sie. Ein Lächeln stand ihr ins Gesicht geschrieben und obwohl ich eigentlich lieber in eine Ecke gekrochen wäre und geweint hätte, musste ich ihr Grinsen erwidern.
„Wie ich sehe, bist du wieder auf den Beinen."
Ich nickte nur. Also war Jasmine diejenige, von der Tray gesprochen hatte.
Aber ich hatte dennoch eine Unzahl an Fragen. „Wie spät ist es? Wann ist die Krönung?"
Plötzlich schoss mir ein Gedanke in den Kopf. Blut, das in Strömen über den Boden fließt. Leute, die wild durcheinanderlaufen und schreien. Ein Vater, der nach seinem Kind ruft und keine Antwort bekommt.
Jasmine presste die Lippen aufeinander. „Der Maskenball beginnt in einer Stunde. Wir haben einiges zu besprechen."
Ich schluckte. Leider klang das alles andere als gut, aber dennoch. Ich musste eine Antwort auf meine Fragen bekommen.
„Jasmine... wieso hast du mich von dort weggeholt? Und vor allem... wie?"
Jasmine schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht genau, was mich dazu getrieben hat, aber ich habe euch die gesamte Zeit über beobachtet. Angefangen bei dem Rundgang auf dem Marktplatz. Und als ich diese Fußspuren auf dem Boden gesehen hatte, war ich mir irgendwie sicher, dass du unschuldig bist. Du magst in den Palast eingebrochen sein, aber deine Freundin..." Sie legte eine kurze Pause ein und starrte auf Trays Körper, der noch immer am Boden lag. „Sie hat mir alles erzählt. Ich glaube dir, Aria. Und ich glaube, ich habe die Lösung des Rätsels gefunden."
Ich zog eine Augenbraue hoch.
„Nach dem Attentat bei unserem Training... als wir alle im Krankenzimmer lagen und auf unsere Heilung warteten. Ich war die Letzte. Ein Naturmagier hatte mir einige ekelhaft giftige Wunden verpasst." Sie schauderte. „Ich hatte sehr lange Zeit, um das Deckengemälde zu bewundern. Eine durchaus schöne Legende, findest du nicht?"
Ich wusste immer noch nicht, worauf die Adelige hinauswollte und konnte sie nur weiterhin gebannt anstarren. Was wusste sie, was ich nicht wusste?
„Jedenfalls ist mir später bei der Erinnerung an den weißen und schwarzen Höllenhund ein Gedanke gekommen. Klar, Cassandra und du haben Recht. Saraphina und Spencer sind die einzigen, die ein Motiv haben. Ihr habt verdammt nochmal Recht, was die Sache mit der ascalinischen Königin angeht. Sie ist irgendwie in die ganze Sache verwickelt. Aber Spencer hat genauso Recht, wenn er sagt, dass eigentlich nur Finn und er für die Tat in Frage kommen, weil alle anderen für irgendeine Tat ein Alibi vorzuweisen haben. Also habe ich nachgedacht", setzte sie ihre Erklärung fort.
Langsam dämmerte mir, worauf sie hinauswollte. Aber woher wusste sie das alles? Woher wusste Jasmine, was ich und Cassandra an jenem Nachmittag kalkuliert hatten? Woher wusste Jasmine, was Spencer am gestrigen Morgen eingeworfen hatte? Was verheimlichte sie mir?
„Ein weißer Hund. Und ein schwarzer Hund", meinte sie geistesabwesend.
In meinem Kopf legte sich plötzlich ein Schalter um.
Ich wusste, was sie mir mitteilen wollte. Was mir von Anfang an hätte auffallen sollen.
Ich sah nun den Grundstein des Rätsels. Ich sah das Offensichtliche, das wir alle übersehen hatten.
Ich erkannte, was für Rollen wir alle in diesem verwirrenden Schachspiel eingenommen hatten.
Ich wusste endlich, was ich wissen musste, um alles aufzudecken. Und langsam fügten sich auch die restlichen Puzzleteile in meinem Kopf zusammen. Es entstand ein Bild, bei dem nur noch das Gesicht fehlte.
Ich wusste nun, wie der Mörder seine Tat vollziehen konnte. Wie der Dieb die Flöte gestohlen hatte. Wie die Gilde des schwarzen Adlers in das ganze Schema passte.
Ich wusste, weshalb die Verbrechen begangen worden waren und ich wusste auch, wie all das zusammenhing.
Es ergab endlich Sinn.
„Wir suchen nicht nur nach einer Person", flüsterte ich.
„Bingo!", rief Jasmine. „Einhundert Punkte! Perfekt! Rätsel gelöst!"
„Aber wer ist es?", fragte ich, weil mir diese Frage einfach keine Ruhe ließ.
„Wenn ich Recht habe, ist es die Person, von der wir es am wenigsten erwarten. Aber ich weiß es nicht."
Das war keine richtige Antwort. Die Person, von der wir es nicht erwarteten? Welche Person war das?
Ich war so nah an der Lösung des Knotens, dass ich mich darin erneut zu fesseln drohte.
„Aber wie?", fragte ich jetzt. „Wie kannst du wissen, was Cassandra und ich besprochen haben? Und Spencer? Was ist mit meinem plötzlichen Verschwinden gestern? Tray hat etwas von Reise und Nebenwirkungen gesagt. Was zur Hölle ist hier los?"
Jasmine schenkte mir ein Lächeln.
Sie hob eine ihrer Hände, als würde sie einen Feuerball formen. Ich ging sicherheitshalber in Abwehrstellung.
Aber die junge Frau formte keinen Machtball.
Stattdessen löste sich ihre dunkle Haut in der Finsternis auf. Dunkle Schwaden lösten sich von ihrem Körper und bald war sie verschwunden. Eine Sekunde später tauchte sie wieder auf, diesmal hinter mir.
„Schattenmagie? Scheiße verdammt, das ist ja unglaublich. Sind die Schattenmeister nicht fast alle ausgestorben?", fluchte ich.
„Ich bin eine von ungefähr zehn auf dem ganzen Kontinent. Deshalb halte ich meine Macht geheim."
Aus diesem Grund hatte ich Jasmines Begabung nie gespürt. Jetzt fühlte ich ganz deutlich die düstere Stimmung in der Luft um mich herum.
„Es ist zu gefährlich, sich als Herr der Finsternis bekannt zu geben, weswegen ich bisher darauf verzichtet habe. Aber ich denke, heute wird es endlich so weit sein, dass die Welt mich kennenlernt. Die echte Jasmine Wyatt." Sie presste die Lippen zusammen.
Ich konnte nichts tun, außer sie anzustarren. Das war eine ganz andere Jasmine als jene, die ich kennengelernt hatte. War das etwa alles nur Show gewesen?
Dennoch nickte ich. „Hast du einen Plan?"
Erneut lächelte sie. „Ich bin eine Assassinin. Ich habe immer einen Plan."
Meine Augenbrauen schossen nach oben. Jasmine war eine Assassinin? Jetzt hatte sie meine Neugier geweckt.
„Die Zeremonie beginnt demnächst. Zu unserem Glück ist es ein Maskenball. Du kannst etwas von mir tragen, ich habe ein paar Kleider, die dir sicher gut stehen."
„Ich soll auf einen königlichen Ball gehen? Ich?"
„No shit, Sherlock", meinte Jasmine nur genervt.
„Ich kann nichtmal tanzen!"
„Du hast eine halbe Stunde Zeit, um es zu lernen, Schätzchen."
„Das ist unsinnig. Können wir nicht einfach die Krönung stürmen und die Attentäter erstechen?"
„Denk mal nach, Darling. Wie kommt das denn rüber? ‚Hi, wir sind zwei dahergelaufene Vollpfosten, die den König vor Attentätern retten, aber nicht wissen, wer die Attentäter sind.' Sag mal, klingelt's? Wir müssen sie glauben lassen, dass niemand Verdacht schöpft."
Ich brummte nur. Jasmine hatte mich innerhalb der letzten paar Sekunden mit „Sherlock", „Darling" und „Schätzchen" angesprochen und ich wusste im Moment nicht, was mir davon am liebsten war.
Vermutlich nichts.
„Wir mischen uns unter die Tanzenden, verhalten uns wie gewöhnliche Ballgäste und erregen somit keine unnötige Aufmerksamkeit. Verstanden?"
Ich murmelte nur etwas, das sie bewusst überhörte.
„Gut", sagte sie. „An die Arbeit, bevor der Ball losgeht haben wir noch einiges zu erledigen. Wir müssen nur hoffen, dass es reicht, wenn wir eine Stunde nach Beginn dort aufkreuzen. Alles andere wollen wir uns mal lieber nicht vorstellen."
Ein sehr schlechtes Gefühl erfüllte mich. Wenn wir uns erst zum Anfang des Events auf den Weg machten, wäre das dann bereits zu spät? Was mussten wir alles erledigen, bevor wir den Ball besuchten? Wir hatten eine Stunde Zeit, in den Palast zu gelangen, uns dort umzuziehen und dann unbemerkt in den Thronsaal zu schleichen.
Das würde die stressigste Stunde meines Lebens werden.
„Der ganze Adel wird bei der Krönungszeremonie anwesend sein. Die perfekte Gelegenheit für einen Angriff. Sogar der gesamte Thronsaal wurde umdekoriert. Die Stühle wurden alle entfernt, sogar der goldene Thron. Frag mich bitte nicht, wer den tragen konnte. Vermutlich Arin."
Ich konnte mir vorstellen, dass der muskulöse Wassermeister den goldenen Thron alleine tragen konnte.
„Aber wenn das Schloss leer ist, sollte es doch nicht schwer sein, mit deiner Schattenmacht dort einzudringen, oder etwa doch?", hakte ich nach.
„Sie haben eine magische Barriere errichtet, die jegliche Versuche scheitern lässt. Die Wachen mögen vielleicht nicht die hellsten Kerzen auf der Torte sein, aber Nero hat mehr Gehirn als wir beide zusammen. Wir müssen wohl auf die Magie verzichten und auf deine Fähigkeiten als Meisterdiebin, sowie meine Künste als Assassinin vertrauen." Trotz allem lächelte sie mich leicht an. Innerhalb dieser Zeit, in der wir uns hier auf dem Schwarzmarkt unterhalten hatten, hatte sich meine Meinung geändert.
Ich mochte Jasmine.
„Außerdem sind nicht alle Palastbewohner dort. Die Wachen werden in den Gängen patrouillieren. Nero selbst wird sich die Feierlichkeiten natürlich nicht entgehen lassen. Denkst du, dass dir meine Klamotten passen werden?", fragte sie und ließ ihren Blick kritisch über meinen Körper gleiten.
Ich tat es ihr gleich und musste schlucken. Es war mir bisher nie aufgefallen, aber Jasmine war etwas größer als ich und hatte jene Figur, die sich jeder Junge für seine Freundin wünschte. Sie war hochgewachsen, sportlich schlank und hatte außerdem eine größere Oberweite als ich. Vermutlich war sie eine der schönsten Frauen im Königreich mit ihrem schwarzen langen Haaren und den dunklen Augen.
Augen, die zu ihrer Magie passten.
Ihr Make-Up saß - wie immer - perfekt und betonte ihre ebenholzfarbene Haut. Sie sah aus, wie eine düstere Kriegerprinzessin.
„Ich... ähm... ich... weiß nicht", gestand ich.
Sie lächelte mich an. „Ach, wir finden bestimmt etwas, das dir steht."
Ich nickte.
Überzeugt war ich nicht.
„Ach, fast vergessen." Sie schlug sich mit der Handfläche gegen die Stirn. „Wir haben noch ein weiteres Ass im Ärmel. Naja... heißt, wenn wir sie überzeugen können mitzumachen. Aber drei sind mächtiger als zwei, oder nicht? Ich glaube, du hast sie nie kennengelernt."
„Wen kennengelernt?"
Jasmine ging nicht auf meine Frage ein, sondern sprach einfach weiter. „Sie ist sehr... schüchtern... gegenüber Fremden. Mal sehen, vielleicht können wir sie überzeugen, unserem kleinen Fight-Club beizutreten. Drei mächtige Meister haben vielleicht eine Chance gegen wen-auch-immer."
Ich nickte. Auch wenn ich keine elementare Begabungen besaß, meine Fähigkeiten hatten Kraft.
Und diese Kraft konnte vieles. Diese Kraft konnte Leben retten und Leben zerstören.
Und ich war mir irgendwie seltsam sicher, dass sie heute Abend zu beidem verwendet werden würde.
Jasmine zeigte mit dem Finger auf den Tisch vor uns. „Also was davon können wir gebrauchen?"
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Dann packten wir eine halbe Stunde lang alles Mögliche zusammen, das irgendwie von Nutzen sein könnte. Messer, Bogen und Köcher, Seile, Wurfsterne, Taschenlampen, Dietriche und Handspiegel.
Alles wurde an Gurten befestigt, die unseren gesamten Körper ummantelten. Ich trug Waffen am Oberschenkel und an der Hüfte, Seile in der Tasche, die von meiner Schulter hing und hatte ein Messer in jedem Stiefel. Einige Spiegel und Taschenlampen waren an meinen Armen befestigt und in meinen Hosentaschen befanden sich Dietriche. Auf meinem Rücken prangte ein Köcher und ich hielt einen schwarzen Bogen in der Hand, während Jasmine sich der Pistolen bedient hatte.
Wir sahen aus, als wollten wir eine Bank ausrauben.
Als wir schließlich alles an Ort und Stelle befestigt hatten, wandte ich mich Jasmine zu. Sie sah exakt so aus, wie ein Samurai aussehen musste.
„Sind wir bereit?", fragte ich. Meine Stimme klang fester, als ich mich fühlte.
Sie lächelte entschlossen. „Immer. Wir werden das schaffen, was noch niemand vor uns je geschafft hat."
Sie machte eine dramatische Pause und wirbelte die Pistole einmal in ihrer Hand herum.
Dann sah sie mir direkt in die Augen und sprach das aus, was wir beide dachten. „Wir brechen in den Palast ein."
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