15
Hayley Dilans grüne Augen passten perfekt zu ihrem gleichfarbigen Hosenanzug. Mit ihren Absätzen von mindestens zehn Zentimetern normal laufen zu können, war eine echte Spitzenleistung. Bei jedem ihrer Schritte ertönte ein lautes Geräusch.
Tack, Tack, Tack.
In regelmäßigen Abständen, immer wieder. Um ihre Schulter hing eine schwarze Handtasche, deren Griff mit geschliffenem Onyx besetzt war. Sie war auf den Farbton des schmalen Gürtels abgestimmt.
Das Outfit betonte ihre sportliche Figur, auf die mit Sicherheit einige Frauen eifersüchtig waren. Ihre langen, schlanken Beine wurden von dem Grün eng umschmeichelt, während ihre Taille mithilfe des Gürtels klar hervortrat. Ihre braunen Haare waren zu einem französischen Zopf geflochten, der ihr über den Rücken fiel. Ihre kaffeebraune Haut stand im leichten Kontrast zu dem schimmernden Lippenstift.
Ihr Labor lag in einem der Kellergeschosse des Palastes verborgen und diente hauptsächlich der medizinischen Forschung an Krankheiten, Giften und Heilmitteln.
Das Licht hier war düster und kalt. Die Lampen strahlten mehr silbern als golden und es fühlte sich alles seltsam distanziert und sauber an. Der Raum war in einem schlichten Weiß gehalten und jede Oberfläche glänzte. Hayley wirkte hier wie ein Klecks Farbe, der eigentlich auf ein anderes Bild gehörte.
Das saubere Weiß wurde nur durch die Farben der Medikamente und Chemikalien unterbrochen.
Dieser Ort sah genauso aus, wie jedes Labor in einem guten Film aussah: Sauber, weiß und irgendwie ein bisschen als gehöre es einem Psychopathen, der hier gelegentlich Leuten fremdes Blut spritzte.
Mit einem lauten Geräusch ließ Hayley ihre weißen Plastikhandschuhe gegen ihr Handgelenk schnalzen, dann schob sie sich eine gewellte Haarsträhne, die sich aus dem Zopf gelöst hatte, hinter die Ohren.
Ich beobachtete sie gespannt. Es war wirklich aufregend, eine professionelle Naturmeisterin bei ihrer Arbeit zu beobachten. Der Eimer mit den Rattenkadavern stand leer auf dem Fußboden. Ich zählte vierzehn Ratten auf der Ablagefläche.
Eine Ratte für jedes Kind...
Erneut lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Ich glaubte nicht, dass ich Angst vor Ratten hatte, aber wirklich wohl war mir beim Anblick der Ringelschwänze und Knopfaugen auch nicht. Diese Biester konnten verdammte Löcher in Menschen fressen. Ich hatte Gerüchte über eine Foltermethode gehört, bei der...
„Ich schlage vor, ihr tretet besser einen Schritt zurück." Hayleys Stimme war sanft und weich. Sie war sicher gut im Geschichtenerzählen...
Aber ich gehorchte ihr ohne Widerspruch und machte einen großen Schritt nach hinten, weg von den toten Ratten.
Die Nacht war mittlerweile hereingebrochen. Dominic, Spencer, Cassandra und ich standen seit einer halben Stunde in diesem Raum und halfen Hayley bei den Vorbereitungen für ihre Analyse. Wenn die Naturmeisterin etwas finden konnte, das uns vielleicht zum Rattenfänger führen könnte, mussten wir die Gelegenheit ausnutzen.
Ich sah die anderen stirnrunzelnd an. „Woher wissen wir, dass sie nicht selbst hinter allem steckt?"
Meine Stimme war nicht mehr als ein Zischen.
Cassandra trug eine violette Tunika. Sie kniff die Augen leicht zusammen und betrachtete die Heilerin bei der Arbeit. „Sie hat versucht, Helena zu retten und nicht, sie zu töten. Es würde keinen Sinn machen."
Ihre unausgesprochenen Worte hingen zwischen uns in der Luft: Im Gegensatz zu unserer Spencer-Theorie.
„Sie hat Recht", stimmte jener zu. Der Eismeister trug einen hellblauen Pullover und eine graue Jeans. „Von der Tatsache abgesehen, dass es hier unten kiloweise Kreischgift gibt, hat Hayley sehr viele entlastende Aspekte auf ihrer Liste."
„Ich kann das im Übrigen alles hören", flötete die Adelige von ihrem Platz an der Arbeitsfläche zu uns herüber.
Mein Gesicht verzog sich zu einer Grimasse. „Verzeihung."
Sie lachte nur.
In diesem Moment schoss mir eine Idee in die Gedanken. „Wer hat alles Zugriff auf das Kreischgift hier unten? Sie mögen nicht die Täterin sein, aber vielleicht hat jemand Ihre Waffen benutzt."
Hayley warf mir einen bedauernden Blick zu. „Nur ich."
Ich seufzte. Jede Spur stellte sich als verdammte Sackgasse heraus.
„Könnten wir uns das Giftlager vielleicht anschauen?", fragte Dominic. In seinen Augen erkannte ich Neugier.
Hayley nickte geistesabwesend. „Ich rufe euch, wenn ich fertig mit der Analyse bin."
Wenige Augenblicke später riss sie einen Notizzettel von einem karierten Block und schrieb mit einer ordentlichen Handschrift ein paar Stichpunkte darauf. Dann erfüllte ihre Magie den Raum.
Spencer, Cassandra, Dominic und ich verließen möglichst unauffällig das Labor der Naturmagierin und liefen dann den Flur entlang, bogen rechts in einen Seitengang ein und öffneten schließlich eine schwere, verriegelte Eisentür auf der linken Seite. Dahinter befand sich das Giftlager.
Meine Augen flogen über die rostigen Regale – es waren mindestens zwei Dutzend – und die kleinen Fläschchen voller flüssigem Tod. Es gab pflanzliches Gift, tierisches Gift und magisch präpariertes Gift. Zu dieser letzten Gattung gehörte auch das Kreischgift, das Helena getötet hatte.
Ich erkannte auch deutlich bekanntere Gifte, die auf dem Schwarzmarkt ihr Unwesen trieben.
An der rechten Wand reihten sich gläserne Schüsseln, in denen sich fingernagelgroße schwarz-weiß-gestreifte Samen befanden, die ich als Rizin erkannte. Das Gift war gefährlich, aber nicht unheilbar. Ich hatte schon ein paar Mal etwas davon bei Grinser gekauft, um es auf meinen Missionen einzusetzen. Bisher hatte ich es allerdings nicht verwendet und es befand sich noch immer irgendwo in Trays Schreibtischschubladen.
An der linken Wand hingen Schlangenköpfe über verschiedenen Phiolen, in denen seltsame Flüssigkeiten glänzten. Die Reißzähne der Schlangen steckten noch immer in ihren Mäulern. Ich erkannte eine Viper, der ich früher in meinem Leben bereits in der Realität begegnet war. Unter ihr schimmerte ein Reagenzglas, welches mit einer blutroten Flüssigkeit gefüllt war. Ich schauderte, als ich in die toten Augen des Reptils blickte.
Direkt vor mir befanden sich die Insekten und Spinnen. In Bernstein eingehüllt erkannte ich Mücken, Wespen und Vogelspinnen. Unter den Kennzeichnungen befanden sich kleine Kugeln aus Glas. Sie waren kleiner, als die Mücke in ihrem goldenen Gefängnis und man musste wahrscheinlich aufpassen, sie nicht zu verlieren. Vor allem, weil sie mit konzentriertem Insektengift geladen waren. Ich wollte mir nicht vorstellen, wie schmerzhaft reines Wespengift war, wenn man es schluckte.
Manche der Tiere befanden sich auch in Terrarien und bewegten sich ab und zu. Ich erkannte einige schwarze Witwen, einen Oktopus mit seltsamen blauen Kreisen und eine riesige Wanze, von deren grotesken Kiefern schon das durchsichtige Gift tropfte.
Und dann waren da die präparierten Gifte. In einem Regal stand eine seltsame Bohne, aus der Teufelshörnchen wuchsen. Beschriftet war sie mit „Teufelsbohne". Außerdem stank sie nach Feuermacht. Daneben befand sich eine seltsame Wurzel, auf der sich Wassertropfen sammelten: „Tropfwurzel". Darunter eine seltsame grüne Flüssigkeit, die nach Naturmacht duftete. Es roch nach Rosen, aber je länger man es einatmete, desto fauliger wurde der Unterton.
„Das ist es." Ich zeigte mit dem Finger auf ein farbloses Pulver in einer weißen Schale. „Ich erkenne den Geruch. Das ist das Kreischgift."
„Sieht so aus, als würde eine Schale fehlen", erkannte Cas. Sie strich mit dem Finger über den staublosen Abdruck. „Noch nicht lange."
„Gibt es hier Überwachungskameras?", fragte ich.
Spencer schüttelte den Kopf. „Vor der Tür befindet sich ein Zauberwall. Jeder kann den Raum betreten, aber einzig und allein Hayley kann Gifte mit nach draußen nehmen. Alle anderen werden sofort von ihrer Macht beschossen. So einen Angriff überlebt kein gewöhnlicher Magier."
Ich fluchte. Das alles war wohl wirklich ein schlechter Scherz. „Das bedeutet, dass Hayley das Gift aus dem Lager genommen und es nach draußen getragen hat. Aber wozu?"
„Ich weiß es nicht", murmelte Dominic. „Aber ich bin mir sicher, sie kann es uns beantworten. Lasst uns zurückgehen."
Als wir die schwere Eisentür hinter uns verriegelten, ertönten Hayleys Rufe aus dem Labor. Sie hatte etwas gefunden.
Wir rannten so schnell es ging die Gänge zurück zu ihr und kamen nur schlitternd zum Stehen.
Fast wäre ich dabei in einen der weißen Schränke gekracht.
Fast.
„Hast du in letzter Zeit mit dem Kreischgift gearbeitet?", platzte es aus Dominic heraus.
Hayleys Augenbrauen schossen nach oben. „Nein, das Gift steht seit etwa zwei Jahren unberührt an seinem Platz."
Spencer kniff die Augen zusammen. „Jemand hat eine Portion gestohlen und in den Champagner gefüllt."
Die Naturmagierin zog ihre Augenbrauen, falls das überhaupt möglich war, noch höher, sodass sie fast den Haaransatz erreichten. „Niemand entkommt meinem Giftlabor lebendig, wenn er etwas entwenden will."
Dominic nickte. „Ich weiß. Deshalb dachten wir uns, dass du vielleicht -"
„Ich habe dieses Gift seit zwei Jahren nicht angerührt." Ihre Augen funkelten zornig, als der Kronprinz den Mund öffnete, um zu widersprechen. Sobald er das sah, presste er seine Lippen aufeinander und sagte nichts mehr zu diesem Thema.
Cassandra und ich tauschten einen vielsagenden Blick.
„Jedenfalls", setzte Hayley an. „Habe ich meine Untersuchungen abgeschlossen. Und ihr hattet Recht. Ich habe etwas gefunden, das euch vielleicht interessiert."
Sie streifte sich die Handschuhe ab und warf sie in den Mülleimer. Es ertönte ein quietschendes Geräusch, als sie mit ihrem Stuhl über den Boden rollte und sich an den Computer auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes setzte. Das Schwarz des Bildschirms schien irgendwie extrem fehl am Platz zu sein.
Ihre Finger flogen in schnellen, abgehackten Bewegungen über die Tastatur. Ihre Augen verengten sich zunehmend. Ihre Anspannung stieg.
„Diese Ratten sind an einem Schock gestorben. Irgendetwas hat sie wohl zu Tode erschreckt und ihnen anschließend das Blut ausgesaugt", sagte sie mehr zu sich selbst als zu uns.
Ich schluckte. Nicht irgendetwas... irgendjemand.
Hayley fuhr mit ihren Erklärungen fort. „Es scheint, als hätten sie jedoch niemanden gesehen, sondern nur seine Anwesenheit gespürt. Es haften noch immer Spuren von Magie an ihren Körpern."
Meine Augen wurden schmal. „Du glaubst, der Rattenfänger ist nur eine Zusammensetzung aus Magie?"
„Ich glaube es nicht nur, ich weiß es."
Ich fluchte wieder. Das bedeutete...
„Das bedeutet?", fragte Cas.
„Es bedeutet, dass nur eine Person mit Elementarmagie den Rattenfänger herbeirufen kann. Außerdem konnte ich herausfinden, dass es sich bei dem Angriff auf die Kinder um eine Zusammensetzung aus Metall- und Luftmacht handelt. Das Kreischgift besitzt die seltene Fähigkeit, einem Magier die gesamte Magie aus dem Körper zu ziehen. So konnte der mysteriöse Luftmeister vermutlich Königin Helenas Metallmagie verwenden, um dieses Monster zu beschwören. Alles, was er dafür tun musste, war bei ihrem Tod anwesend zu sein", erklärte Hayley.
„Das bedeutet, der Mörder war am Tag der Friedensverhandlungen anwesend", schlussfolgerte Casandra laut. Die Naturmeisterin nickte, während ihre Finger noch immer über die Tasten flitzten.
„Luftmagie und ihre Komponenz-Ableger sind vor allem in Ascalin verbreitete Gaben. Ich versuche gerade, eine ascalinische Website aufzurufen und mir den royalen Stammbaum genauer anzusehen. Vielleicht hat die Königin einen ihrer Untergebenen in Neun Rosen eingeschleust."
Ich nickte. Das passte ungefähr zu der Theorie, die Cassandra und ich vor ein paar Stunden ebenfalls durchgesprochen hatten.
Auf dem Computer vor Hayley erschien ein großes rotes Rechteck, auf dem nur zwei Worte standen: Access Denied.
Zugriff abgelehnt.
„Was machen wir jetzt?", fragte Dominic, wobei er auf den Bildschirm starrte.
„Wir verschaffen uns anderweitig Zugang." Ein Lächeln hatte sich auf Hayleys Gesicht ausgebreitet.
„Anderweitig Zugang?", hakten Spencer und Cassandra gleichzeitig nach.
„Sagen wir einfach, wir besuchen morgen eine alte Freundin."
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