Kapitel 24 - Hass
Ich weiß wirklich nicht, wie lange wir bereits hier sind und uns mit dem Aufsatz beschäftigen, aber von mir aus können wir noch lange bleiben. Doch ich merke, wie der Himmel dunkler wird und das bedeutet im Sommer meistens, dass es schon ziemlich spät ist. Ich ignoriere es jedoch und hoffe, dass Louis auch noch nicht gehen will.
Wir haben bereits eine Menge geschafft. Ein paar mal konnten wir uns überhaupt nicht einigen, welche Sätze wir wo einfügen und ein paar mal mussten wir gar nicht erst darüber reden, da wir beide gleicher Meinung waren. Aber der Anfang ist immerhin beinahe geschafft, doch ich glaube nicht, dass wir damit heute noch fertig werden. Schließlich ist es irgendwie doch mehr Arbeit, als ich gedacht habe. Vor allem da man auch auf den anderen Rücksicht nehmen muss.
Und schmunzelnd muss ich feststellen, dass wir beide heute einen Rekord aufgestellt haben, denn Louis und ich haben uns in der langen Zeit kein einziges Mal gestritten. Einfach nur unfassbar, wenn man sich vorstellt, mit was für Wörtern wir am Anfang um uns geschmissen haben.
»Was ist los?«, will Louis verwirrt wissen, da ich wahrscheinlich, wie eine Verrückte vor mich hinlächele.
Wieder sehe ich zu ihm und kann einfach nicht glauben, dass er heute so viel attraktiver als sonst aussieht. Vielleicht hat Attraktivität doch ziemlich viel mit Benehmen zu tun? Denn irgendwie scheint Louis heute sehr gut gelaunt zu sein und es gefällt mir immer mehr.
»Ich finde es nur schön, dass wir hier sitzen können, ohne uns zu streiten«, erwidere ich ehrlich. »Du Auspuffbumser«, füge ich frech hinzu und sehe ihn grinsend an.
Louis' Lachen ertönt und in dem Moment wird mir klar, wie oft ich es heute bereits gehört habe. Wohingegen ich ihn an anderen Tagen nicht einmal lächeln gesehen habe. Wahnsinn, wie sehr sich ein Tag wenden kann. Heute Morgen habe ich die ganze Zeit nur an Sam gedacht, wohingegen ich am Nachmittag vielleicht nur ein oder zweimal an ihn gedacht habe. Und jetzt? Jetzt ist er plötzlich nur für Sekunden in meinem Kopf und verschwindet dann wieder, sobald ich zu Louis schaue.
»Ja, da hast du Recht«, stimmt er mir zu. »Du kleine Hexe.«
Ich lächele in mich hinein und suche dann nach weiteren Aussagen, die zu unserem Aufsatz passen, als ich plötzlich auf etwas spannendes stoße. Ich tippe Louis an und halte ihm mein Handy vor die Nase.
Die Liebe hat drei Feinde: Die Gleichgültigkeit, die uns Stück für Stück den Atem raubt, die Unentschlossenheit, die uns am Weitergehen hindert, und die Hoffnungslosigkeit, die allem praktisch sofort ein Ende setzt.
»Das ist gut«, meint er, doch ich bin immer noch leicht skeptisch.
»Aber da fehlt doch der größte Feind«, spreche ich meine Gedanken laut aus. »Der Hass.«
Louis sieht lächelnd zu mir. »Das würde ich nicht sagen.«
»Du würdest nicht sagen, dass Hass ein Feind der Liebe ist?«, hinterfrage ich und kann es kaum glauben. Hass ist doch das schlimmste, was es gibt. »Das ist doch das komplette Gegenteil.«
Louis sieht mich für einige Sekunden so an, als wenn er mehr weiß, als ich. Und irgendwie fühle ich mich verwirrt.
»Liebe und Hass sind keine Gegenteile«, fängt er an und schaut dann aus dem Fenster, wo die Sonne gerade untergeht und die ganze Stadt in einem orange strahlen lässt. »Gleichgültigkeit ist das Gegenteil von Hass, denn schließlich empfindest du dann nichts mehr für deinen Partner und dir ist einfach alles egal. Bei Hass und Liebe empfindest du solche unfassbaren Emotionen, die dich einfach nicht loslassen können. Klar ist Hass nicht das gleiche, wie Liebe, aber wenn du einen Menschen hasst, dann ist er dir eigentlich nie ganz egal.«
Für einen Moment bin ich sprachlos, denn komischerweise habe ich noch nie darüber nachgedacht und irgendwie stimmt es. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich Rob damals gesagt habe, dass ich ihn hasse, als ich ihn wieder in der Schule gesehen habe. Denn das lag daran, dass ich ihn einmal geliebt habe, daran dass er sich in mein Herz geschlichen hat und mir weh getan hat. Daran, dass ich ihn immer noch auf irgendeine Art und Weise liebe und genau das habe ich in dem Moment so sehr gehasst.
»Hass kann manchmal auch nur aus Liebe entstehen«, flüstert Louis. »Vielleicht weil eine Person dich verletzt hat, oder weil du betrogen wurdest. Denn ich finde, wenn du eine Person nicht liebst oder gemocht hast, dann kannst du sie auch nicht richtig hassen. Wir benutzen das Wort viel zu oft und viel zu unbewusst. Vielleicht gibt es schlechte Menschen, die du nicht magst oder die dich und andere nerven. Vielleicht gibt es Menschen, die absolut scheiße sind, aber das bedeutet nicht direkt, dass du sie hasst. Denn um zu hassen, muss man immer irgendwas für die Person empfinden.«
»Aber was ist mit Menschen, die wirklich schreckliches getan haben?«, hake ich nach. »Ich meine, wir lernen im Geschichtsunterricht so viele Leute kennen, bei welchen ich sagen würde, dass ich sie hasse.«
»Ich würde sagen, dass sie schreckliche Menschen sind und ich sie nicht ausstehen kann«, erklärt Louis. »Aber das ist eigentlich Ansichtssache, denn ich kann verstehen, dass du jemanden hasst, der für den Tod von Menschen verantwortlich ist. Schließlich spielen da auch gewisse Emotionen mit rein, die deinen Hass vielleicht erklären können. Jeder Mensch hat eine andere Meinung und das ist auch gut so.«
»Wow«, gebe ich erstaunt von mir. »Jetzt würde ich auch gerne einen Aufsatz über Hass schreiben.«
»Das glaube ich dir«, lacht Louis. »Es gibt eben so viele verschiedene Ansichten, dass man Ewigkeiten dafür brauchen würde alles zusammenzufassen. Und irgendwie ist es ja auch interessant zu erfahren, wie andere Menschen darüber denken.«
Ich schaue nach draußen und versuche das Gespräch erstmal zu verdauen. Der Himmel präsentiert sich in den schönsten Farben, die dem tollen Tag ein wunderschönes Ende bereiten, während ich aus dem grübeln nicht herauskomme.
Es ist schön zu erfahren, wie Louis darüber denkt, allerdings bin ich mir selber noch nicht sicher, wie ich darüber denke. Schließlich kann ich einen Menschen doch auch hassen, wenn ich ihn davor nicht geliebt habe, oder? Habe ich Louis denn jemals gehasst? Ich weiß es nicht. Ich meine, er ist mir am Anfang wirklich auf die Nerven gegangen und das tut er immer noch, aber ich weiß nicht, ob ich jemals gedacht habe, dass ich ihn hasse. Möglicherweise hat er ja Recht damit, dass wir das Wort viel zu oft in den Mund nehmen. Ich hätte echt nie gedacht, dass jemand so eine Sicht auf die Liebe und den Hass hat und ich hätte auch nicht gedacht, dass mich eine Meinung derart aus der Bahn werfen kann.
Aber vielleicht steckt in jeder einzelnen Meinung da draußen auch ein kleines Stückchen Wahrheit und zusammen bilden sie alle die perfekte Antwort.
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