Kapitel 18 - Zweite Chance
Ich weiß nicht, ob ich wirklich hundertprozentig bereit für das Gespräch bin, aber ich wäre wahrscheinlich nie wirklich bereit dafür und da es mir heute einigermaßen gut geht, beiße ich die Zähne zusammen und ziehe es durch.
Außerdem hat doch jeder eine zweite Chance verdient, oder? Wenigstens um sich zu erklären.
Wir schlendern nach draußen auf den Schulhof und gehen in eine Ecke, die weit von allen entfernt ist. Da sowieso keiner hier ist, herrscht absolute Ruhe.
Rob lässt sich auf die Holzbank nieder und ich tue es ihm seufzend gleich.
»Also«, fängt er an und schaut in die Ferne. »Ich denke du kannst dich noch an den Abend erinnern, als wir damals...« Er unterbricht sich selber und ich spüre, wie die Tränen wieder hochkommen. »Als wir unser erstes Mal hatten.«
Ich nicke und versuche die Erinnerungen zu verdrängen.
»Ich fand es perfekt«, flüsterte er. »Ich fand alles an unserer Beziehung perfekt. Ich fand dich perfekt.«
Ich fand es auch perfekt und genau deshalb tut es so verdammt weh.
»Und mitten in der Nacht habe ich einen Anruf erhalten«, fährt Rob fort. »Du warst, wie immer, am schlafen und hast nichts um dich herum wahrgenommen. Doch trotzdem habe ich mich vor die Tür geschlichen, als ich dann die schlimmste Nachricht meines Lebens erfahren habe.« Rob sieht bedrückt auf den Boden und ich erkenne einzelne Tränen, die sein Gesicht herunterfahren.
»Mein Vater ist gestorben«, schluchzt er und ich habe das Gefühl mein Herz explodiert gleich. Sein Vater ist gestorben?! Wie bitte? Das habe ich bis heute nicht gewusst.
Plötzlich sehe ich die Situation aus Robs Sicht und kann gar nicht glauben, dass das tatsächlich passiert ist. Denn in meinen Erinnerungen war sein Vater bis heute noch quicklebendig.
»Er war in Frankreich, du kanntest ihn ja, also weißt du sicher noch, dass meine Eltern aus Frankreich kommen. Er wollte mal wieder seine Eltern besuchen und mitten in der Nacht, auf der Autobahn in Frankreich, hat es einen Unfall gegeben, in den mein Vater verwickelt war. Anscheinend war ein Geisterfahrer auf der Autobahn. Die Rettung kam natürlich sofort, doch es war zu spät, denn mein Vater ist auf dem Weg ins Krankenhaus....« Wieder ein Schluchzen. »Er ist gestorben.«
»Du musst verstehen, dass es für mich danach keine andere Möglichkeit gab, als zu flüchten«, erklärt Rob. »Ich musste raus aus der Wohnung und an die frische Luft. Ich habe fürchterlich geweint und geschrien, bis meine Mutter mich irgendwann abgeholt hat.«
Und schon wieder jemand, der vor gewissen Situationen flüchtet, denke ich. Vielleicht sind Menschen manchmal gar nicht so verschieden, wie man zuerst vermutet.
»Deine Mutter?«, hinterfrage ich verwirrt, da ich nicht richtig mitkomme.
Das ist alles so viel aufeinmal, ich will gar nicht wissen, wie Rob sich damals gefühlt hat.
»Ja, sie hat mich schließlich angerufen und mir erzählt, was passiert ist. Ich habe ihr gesagt, dass sie mich abholen soll. Ich wusste nicht, was ich machen soll und als meine Mutter dann da war, habe ich mich mit meinem ganzen Leben an sie gehalten und geweint. Ich dachte wirklich ich sterbe, weil es so geschmerzt hat.«
Ich fühle mich schlecht, weil ich nie für Rob da sein konnte. Auch wenn ich es gewollt hätte, aber ich wusste ja nicht, was passiert ist.
»Jedenfalls sind wir dann zusammen nach Hause gefahren, meine Mutter hat angefangen zu packen und hat gesagt, dass wir nach Frankreich fahren. Sie wollte ihre Familie sehen und die von meinem Papa. Und da mein Vater eben dort gestorben ist und auch dort aufgewachsen ist, sollte seine Beerdigung dann auch in Frankreich stattfinden. Ich habe mich also darauf eingestellt erstmal ein paar Tage dort zu bleiben.«
Ich erinnere mich wirklich nur ungern an den Tag, als ich aufgewacht bin und gedacht habe, dass Rob plötzlich nichts mehr von mir wissen will. Ich habe mich monatelang gefragt, wie er einfach so verschwinden konnte. Ich habe gewartet und geheult, zu mehr war ich damals nicht im Stande gewesen.
»Doch aus Tagen wurden Wochen und aus Wochen Monate. Schließlich sind wir ein Jahr in Frankreich geblieben, weil meine Mutter nicht zurück wollte. Sie wollte sich an die schönen Momente ihrer Jugendzeit mit meinem Papa erinnern und die haben sie schließlich in Frankreich verbracht. Sie hatte immer das Gefühl, dass sie ihn alleine lässt, wenn wir fahren«, schluchzt er. »Natürlich habe ich ihr gesagt, dass das nicht stimmt, aber sie hat eben eine Weile gebraucht, um darüber einigermaßen hinwegzukommen.«
Rob dreht sich plötzlich zu mir mit seinen roten Augen und ich bin mir ziemlich sicher, dass meine genau so rot sind.
»Ich habe dich so sehr geliebt, Maja. Ich habe unsere Beziehung geliebt und diese verdammte Nacht mit dir. Ich habe jeden Tag an dich gedacht, aber ich habe mich nicht getraut mich bei dir zu melden. Den ersten Tag musste ich erstmal realisieren, was passiert war, da war ich mit meinen Gedanken nur bei meinem Vater. Aber dann wollte ich dich anrufen und ich habe es nicht getan, weil ich wusste, dass du dir Sorgen machen würdest. Ich wusste genau, dass du dich dann jeden Tag fragen würdest, wann ich wieder komme und dass du mich fragen würdest, wie es mir geht. Ich wollte nicht, dass du genauso leidest, wie ich. Und in dem Moment war es mir lieber, dass du mich hasst, weil ich mich nicht melde, anstatt, dass du dir Sorgen machst, dass mir vielleicht das gleiche widerfährt. Ich wollte nur das Beste für dich. Ich wollte nicht, dass du auf mich wartest. Ich wollte, dass du lebst und nicht überlebst, so wie ich es das ganze Jahr getan habe. Also haben meine Mutter und ich niemandem erzählt, was passiert ist. Wir mussten selber erstmal alles realisieren. Für die anderen waren wir dann wie vom Erdboden verschluckt. Bis heute.«
»Das beste für mich, wärst aber du gewesen«, gestehe ich und ziehe ihn in eine Umarmung. »Es tut mir so fürchterlich leid, dass dir das passiert ist, Rob.«
»Und mir tut es leid, dass ich dich verletzt habe. Ich wollte unbedingt das Richtige machen und habe dabei trotzdem den falschen Weg gewählt«, flüstert er in meine Halsbeuge hinein und ich habe zum ersten Mal, seit der einen Nacht, das Gefühl, dass ich wieder angekommen bin.
Es tut so unfassbar gut ihn in meinen Armen zu halten. Es tut so gut, zu wissen, dass ich Rob auch etwas bedeutet habe. Dass alles was wir hatten ihm etwas bedeutet hat.
Ich löse mich von ihm und lächele ihm zu. Rob wischt mir die Tränen aus dem Gesicht und ich schließe kurz die Augen bei seinen Berührungen.
»Ich habe immer gedacht, dass du mich für Sex ausgenutzt hast«, gestehe ich ihm.
Rob schüttelt sofort seinen Kopf und legt seine Hand an meine Wange. »Das habe ich nicht. Ich habe dich wirklich mehr als alles andere geliebt, Maja. Das tue ich immer noch.«
Kurz bin ich geschockt über seine Worte. »Rob... es hat sich viel verändert. Ich denke nicht, dass ich noch...die gleiche bin.«
Er schmunzelt. »Ich weiß, du bist viel frecher geworden. Deswegen war ich damals auch so geschockt, als du mir eine geklatscht hast.«
»Das tut mir wirklich leid, das war ein Fehler«, gebe ich zu. »Ich wusste ja nicht, dass du deswegen gegangen bist. Ich habe immer gedacht, dass du mich ausgenutzt hast.«
»Das habe ich mir dann auch gedacht, deswegen wollte ich unbedingt mit dir reden«, erklärt er.
Meine Miene verfällt wieder, als die Stille einkehrt und ich an Robs Vater denke. »Und wie geht es dir jetzt?«
Er seufzt und fährt sich durch seine schwarzen Haare. »Es tut weh«, erwidert er ehrlich. »Es ist nicht mehr so schlimm, wie am Anfang, als ich dachte, dass ich so nicht weiter leben kann... aber es tut immer noch weh.«
Robs Geständnis tut mir so unfassbar im Herzen weh. Warum kann man die Zeit denn nicht einfach zurückdrehen?
»Jetzt bist du ja wieder hier«, erinnere ich ihn und halte seine Hand fest. »Und ich kann endlich für dich da sein, wenn es dir wieder schlecht geht.«
»Danke, Maja. Du bist wirklich der beste Mensch, den ich kenne.«
Ich spüre, dass Rob mir näher kommt, doch ich unterbreche den Augenkontakt sofort wieder, da ich nicht möchte, dass er sich wieder Hoffnungen macht. Denn ich weiß gerade überhaupt nicht, wie ich all meine Gefühle deuten oder sortieren soll. Ich brauche Zeit und ich bin mir sicher, dass Rob das versteht, denn er zieht sich sofort wieder zurück.
»Tut mir leid«, flüstere ich.
»Das ist in Ordnung, Maja. Gefühle ändern sich eben, egal ob wir es wollen, oder nicht.«
Ich lächele ihm zu, da ich seine Art wirklich unfassbar vermisst habe. Rob ist so ein toller Mensch und sogar in seiner schlimmsten Zeit hat er seine Sorgen in sich hineingefressen, damit ich nicht auch davon betroffen werde.
»Ich habe dich wirklich vermisst«, gestehe ich in der friedlichen Stille und hoffe, dass bald alles wieder besser wird.
»Ich dich auch«, flüstert Rob, während ich mich an seine Schulter lehne und endlich glücklich mit der Vergangenheit abschließen kann.
Vielleicht sind zweite Chancen manchmal doch etwas ziemlich tolles.
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Ich denke, in nächster Zeit werden häufiger Kapitel kommen, da ich mehr Zeit zum Schreiben habe und außerdem versuchen möchte, das Buch bis zu den Wattys fertig zu schreiben. Am Wochenende wird auf jeden Fall immer ein Kapitel kommen und in der Woche auch, wenn ich Lust habe zu posten. Ich hoffe, ihr freut euch darüber 🙈❤️
Was sagt ihr übrigens zu dem neuen Cover? Fandet ihr das alte besser, oder gefällt es euch jetzt mehr? Ich muss sagen, ich bin gerade ziemlich zufrieden damit 🥰
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