Kapitel 16 - flüchten
»Ist alles in Ordnung?«, hinterfragt Lina in der Pause besorgt, während sofort alle Augenpaare auf mir liegen.
Nein, absolut nicht. Ich muss einen blöden Aufsatz mit Louis halten und ich habe das Gefühl, dass meine Augen jeden Moment zufallen und ich vom Stuhl kippe. Die Müdigkeit macht mich so unfassbar schwach und ich freue mich mit jeder Minute mehr, die vergeht, auf mein Bett.
»Ja, ich habe einfach nur nicht geschlafen«, erkläre ich und stehe auf. »Ich glaube, ich gehe mal etwas an die frische Luft.«
Ich verlasse die Cafeteria und beschließe dann wirklich etwas raus zu gehen. Das kann ich gerade nämlich gut gebrauchen. Ich seufze und sehe auf die Uhr: nur noch vier Stunden. Das überlebe ich schon.
»Maja«, ertönt eine Stimme hinter mir, die ich nur zu gut kenne, bevor Rob Sekunden später in meinem Blickfeld auftaucht.
Das überlebe ich allerdings nicht, also drehe ich mich wieder um und ändere meinen Plan. Draußen kann ich schlecht vor ihm weglaufen, aber hier kann ich einfach schnell auf Toilette rennen oder mich in einem Raum verstecken. Natürlich klingt das kindisch, aber ich kann und will heute einfach nicht mit Rob reden. Dazu fühle ich mich nicht gut genug.
Rob hat anscheinend nicht damit gerechnet, dass ich mich umdrehe und gehe, weshalb ich einfach um eine Ecke biege und dann die Treppen nach oben gehe, da er bereits außer meiner Sichtweite ist. Hoffentlich ist er mir gar nicht erst gefolgt.
Im ersten Stock ist kein Mensch, da man sich hier in der Pause nicht aufhalten darf. Doch trotzdem laufe ich an der nächsten Ecke gegen jemanden und erschrecke mich so sehr, dass ich sofort zurückweiche.
»Was machst du denn hier?«, will ich verwirrt wissen und schaue zu Louis.
»Das gleiche könnte ich dich auch fragen«, meint er skeptisch und verschränkt die Arme vor der Brust.
»Maja!«, ertönt Robs Stimme erneut und ich sehe Louis mit großen Augen an.
»Ach, versteckst du dich etwa vor einem Verehrer?« will Louis frech grinsend wissen.
»Nein.«
»Okay«, meint er grinsend und ruft daraufhin: »Maja ist hier oben!«
Ich schlage ihm empört auf die Schulter. »Spinnst du?!«
Kurz darauf ertönen Schritte auf der Treppe und in den nächsten Sekunden reagiere ich so schnell, dass ich gar nicht darüber nachdenken kann und ziehe Louis mit mir in den nächstbesten Raum, welcher sich als enge Besenkammer herausstellt.
»Was soll das?«, will er verärgert wissen.
»Halt deine blöde Klappe«, maule ich an und halte ihm den Mund zu.
»Maja?«, höre ich Robs Stimme ganz nah neben der Tür und versuche so leise zu atmen, wie ich kann.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals und als die Türklinke langsam nach unten gedrückt wird, drücke ich Louis und mich reflexartig hinter die Tür. Ich presse mich so stark gegen ihn, sodass ich sein Herz schlagen höre. Die Wärme die von ihm ausstrahlt hätte mich wahrscheinlich umgehauen, wenn ich jetzt nicht auf etwas anderes fokussiert wäre.
Die Tür wird leicht aufgemacht, weswegen Louis und ich noch näher aneinander rücken. Mein Herz schlägt so schnell, dass ich es kaum glauben kann.
Wenn Rob uns zwei jetzt tatsächlich so erwischt, dann weiß ich nicht, was ich machen soll. Wie soll ich die Situation denn überhaupt erklären? Ich verfluche Louis! Wenn er nicht gewesen wäre, dann wäre ich Rob bestimmt gut ausgewichen, aber stattdessen verstecke ich mich in einer engen Besenkammer, weil ich vor meinem Exfreund flüchte.
»Was machst du da?«, ertönt plötzlich die Stimme unseres Hausmeisters im Flur, weshalb Rob die Tür schnell wieder schließt und sich entschuldigt.
Ich atme erleichtert aus und nehme meine Hand von Louis' Lippen.
»Was war-«, will er ansetzen, doch ich unterbreche ihn, indem ich einen Finger vor meinen Mund halte und ihn eindringlich ansehe.
Er erwidert meinen Blick, doch ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich ihn gerade wirklich so anschaue, wie er mich. Denn der intensive Blick, den er mir zuwirft und die plötzliche Nähe zu ihm, bringen mich beinahe um den Verstand.
Eigentlich müssen wir auch nicht mehr so nah aneinander gepresst sein, doch irgendwie scheint sich keiner von uns lösen zu wollen. Denn in dem Moment, in dem er mich so intensiv anschaut, dass seine Augen beinahe leuchten, habe ich das Gefühl kurz die Kontrolle zu verlieren. Ich höre seinen schnellen Herzschlag und bin mir sicher, dass mein Herz mindestens genauso schnell schlagen muss.
Doch dann löst er sich abrupt von mir, was auch die Wärme aus meinem Körper entweichen lässt, woraufhin er zwei Schritte zurück geht und die Seifenblase, in der ich mich gerade noch sicher gefühlt habe, plötzlich platzt.
»Ich glaube, wir sollten wieder gehen«, flüstert er rau und öffnet die Tür, wodurch er direkt verschwindet und mich erstaunt zurücklässt.
Daraufhin starre ich ich die Tür an, durch die Louis gerade verschwunden ist und bleibe noch einen Moment länger in der Abstellkammer stehen.
Anscheinend bin ich wohl nicht die einzige, die gerne flüchtet.
***
»Euer Lieblingskind ist wieder da!«, rufe ich, als ich das Haus betrete und meine Schuhe in die Ecke schleudere.
»Ida?«, ruft meine Mutter und schaut grinsend aus der Küche heraus.
»Du bist so gemein«, meine ich enttäuscht und laufe niedergeschlagen auf sie zu.
Meine Mutter lacht herzhaft und scheint sich sehr darüber zu amüsieren. »Das war doch nur Spaß«, schmunzelt sie und zieht mich dann in eine Umarmung. »Ich liebe euch beide gleich viel.«
»Das will ich doch hoffen«, seufze ich und löse mich dann wieder aus ihrer warmen Umarmung. Das hat wirklich gut getan, denn nach dem ganzen Chaos in der Schule, habe ich wirklich etwas Liebe nötig gehabt.
»Möchtest du was essen?«, will sie wissen und holt bereits einen Teller aus dem Schrank.
»Nein, danke. Ich glaube, ich gehe erstmal schlafen.«
Heute ist ein ganz komischer Tag. Das bemerke ich so langsam, denn ich habe noch nie etwas dem Essen vorgezogen. Doch ich kann mich kaum noch auf den Beinen halten, deswegen muss ich einfach unbedingt etwas schlafen.
Meine Mutter lacht. »Das hat Ida auch gesagt, als sie nach Hause gekommen ist.«
»Ida ist schon da?«, will ich neugierig wissen und gleichzeitig bin ich erleichtert, dass meine Mutter das vorhin tatsächlich nicht ernst gemeint hat, da Ida bereits zu Hause ist.
Vielleicht schaue ich doch noch kurz bei ihr vorbei, bevor ich schlafen gehe. Ich würde gerne wissen, wie es ihr nach dem heutigen Tag geht.
»Ja, sie ist vor einer Stunde nach Hause gekommen, aber Mittwochs hat sie ja sowieso nicht so lange Uni.«
»Okay, ich gehe mal nach ihr schauen«, teile ich ihr mit und stehe dann auf.
»Ja, mach das.«
Ich schleife mich die Treppe nach oben, was wirklich anstrengender ist, als ich gedacht hätte und schmeiße meine Tasche dann auf mein Bett. Ich ziehe mich noch um und gehe dann anschließend zu Ida ins Zimmer.
Leise öffne ich die Tür und schaue rein. Ida liegt in ihre Decke eingewickelt auf dem Bett und hat die Augen geschlossen. Ich lächele. Hoffentlich geht es ihr wieder besser.
»Wie lange willst du noch starren?«, ertönt plötzlich ihre Stimme, die mich mehr erschrocken hat, als ich zugeben will.
»Ich kann einfach nicht glauben, dass du jetzt auch zu so einer Schlafmütze mutierst. Ich dachte immer, ich wäre die einzige in der Familie, die so faul ist«, necke ich sie schmunzelnd, woraufhin ein Lachen ihrerseits ertönt und sie die Augen öffnet.
»Möchtest du vielleicht hierbleiben?«, flüstert sie, als ich gerade die Tür wieder hinter mir zuziehen will.
Erstaunt sehe ich zu ihr, aber nicke dann lächelnd. »Klar.«
Ich schmeiße mich neben sie aufs Bett, weshalb ein kleines Erdbeben entsteht und Ida lachen muss. Dann kuschele ich mich ebenfalls unter ihre Decke und atme erleichtert aus, als ich meine Augen schließe und mein Körper endlich zur Ruhe kommen kann.
»Schlaf gut«, flüstere ich meiner großen Schwester zu und meine es auch genauso.
»Du auch.«
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