Loki stand vor der Tür zu Thors Gemächern. Schon wieder.
Er war in letzter Zeit oft vor dieser Tür gestanden. Meistens hatte er jedoch Angst gehabt, dass ihn ein Blitz traf, wenn er die Tür öffnete.
Gestern hatte er den Mut aufgebracht, um hinein zu gehen, aber nur weil die Winde nicht mehr geweht und das Donnern und der Regen aufgehört hatten.
Der Gott klopfte.
Nichts.
Er klopfte erneut.
Wieder nichts.
Loki begann sich Sorgen zu machen. Sein Bruder hatte in den letzten Tagen völlig neben der Spur gestanden. Hoffentlich hatte er nichts Dummes angestellt. Er drückte die Tür auf. Es war nicht abgeschlossen. Der Gott der Lügen sah sich um. Thor war nicht hier.
Er lief auf die Terrasse. Sie war ebenfalls leer. Panik erfasste ihn.
Wo war er? Hatte ihn die Trennung so sehr zugesetzt, dass er Asgard verlassen hatte?
Und das obwohl es ihm letzte Nacht besser gegangen war?
Jedenfalls hatte es diesen Eindruck gemacht.
War Hadraniel auch hier aufgetaucht?
Nur um Thor erneut zu verletzen?
Loki ignorierte die Wut, die ihre kalten Hände nach seinem pochenden Herzen ausstreckte.
Er würde ihn umbringen.
Er würde diesen arroganten Schönling eigenhändig in die tiefsten Höllen Helheims schicken.
Aber dafür müsste er ihn finden. Und Loki hatte die Vorahnung, dass der Ase bald wieder vor seiner Tür stehen würde.

Tatsächlich lag er mit dieser Vermutung nicht falsch.
Jedenfalls nicht ganz.
Er hätte Hadraniel in seinen Gemächern vorgefunden, wenn er bis dorthin gelangt wäre.
Doch auf den Weg traf Loki jemand viel interessanteres.

"Loki?"
Besagter blieb ruckartig stehen als er Thor den dunklen Flur entlang kommen sah.
"Ich habe nach dir gesucht. Wo warst du?"
"Auf der Suche nach dir", antworte der Gott der Lügen. Als Thor lächelte schlug sein Herz schneller.
"Um dir zu sagen, was mir gestern Abend jemand eingeflüstert hat."
Dass er diesen jemand im Moment am liebsten erwürgen würde ließ Loki unerwähnt.
Neugier blitzte in Thors Augen auf. "Ja?"
Er hatte es schon viel zu lange aufgeschoben, aber es ihm jetzt zu sagen...
Loki wurde unsicher.
"Loki? Ist alles in Ordnung?"
"Ja. Nein. Es ist nur... Ich weiß nicht wie ich es ausdrücken soll."
Thor trat näher zu ihm. "Sag einfach was du denkst", flüsterte er.
Erschrocken blickte der Jüngere den Donnergott an.
"Ich... uhm... ich mag dich", stotterte er. Als er Thors verwirrtes Gesicht sah fügte er noch hinzu: "Mehr als gut für mich ist."

Im Schatten einer Säule versteckt betrachtete er das Szenario.
Mit einem Lächeln auf den Lippen, obwohl er innerlich zerrissen war.
Glücklich, obwohl sein Herz zersplitterte als er sah, wie die beiden Prinzen Hand in Hand den Gang hinunter gingen.
Zufrieden, obwohl er wusste, dass er dieses Glück niemals finden würde.
Aber Hadraniel lächelte.
Lächelte weil Thor es ebenfalls tat.
Weil in Loki's Augen Sterne zu leuchten schienen.
Und er lächelte, selbst dann noch, als vereinzelte Tränen ihre salzigen Bahnen über seine Wangen zogen.