Trough your eyes
"Jarvis, ist das Team schon zurück?", erkundigte ich mich bei der im gesamten Tower integrierten KI. "Nein, tut mir leid, Miss. Ihre voraussichtliche Ankunftszeit lautet 21:30." Ich sah auf die Uhr. Noch zwei Stunden. Ich würde mich wohl oder übel noch einige Zeit gedulden müssen. "Vielen Dank, Jarvis!" Ich beschloss in den Trainingsraum zu gehen und die Zeit sinnvoll zu nutzen.
Nach etwas mehr als einer Stunde kehrte ich in mein Zimmer zurück und gönnte mir eine lange heiße Dusche. Das warme Wasser prasselte angenehm auf meinen Körper und löste die Anspannung; Spuren, die der Stress der letzten Tage hinterlassen hatte.
Nachdem ich mich abgetrocknet und angezogen hatte, warf ich erneut einen Blick auf die Uhr: 21:10 Uhr. Ich wusste nicht, was ich mit den verbleibenden zwanzig Minuten anfangen sollte und beschloss in Steves Zimmer zu gehen und dort auf ihn zu warten. "Jarvis?", sprach ich die KI im Fahrstuhl an. "Das Team ist in achtzehn Minuten hier", antwortete er auf meine unausgesprochene Frage. Ich lächelte. "Danke!"
Die Fahrstuhltüren öffneten sich und ich trat hinaus in ein kleines Wohnzimmer. Jede Etage, in denen Wohnräume eingerichtet waren, war ähnlich aufgebaut. Neben dem Wohnzimmer war eine kleine Küche und vom Wohnraum ging ein längerer Flur ab, der alle Schlafzimmer miteinander verband. Jedes Zimmer hatte sein eigenes großes Bad, was manchmal sehr von Vorteil sein konnte. Ich selbst hatte drei Geschwister und vermisste die lautstarken Streitgespräche, die besonders morgens vor dem Badezimmer entstanden waren, überhaupt nicht.
Aus Gewohnheit klopfte ich an, bevor ich eintrat. Ich schüttelte den Kopf über mein eigenes Verhalten. Es war doch ohnehin niemand hier!
Steves Zimmer war nicht außergewöhnlich groß, doch es bot genug Platz für ein gemütliches Bett, einen hölzernen Schreibtisch und einen schlichten Schrank. Ich schlenderte auf das Bett zu, doch als ich mich setzte, spürte ich etwas hartes unter mir. Schnell stand ich wieder auf und als ich einen Blick auf die Stelle warf, an der ich wenige Sekunden zuvor noch gesessen hatte, erkannte ich einen DIN A4 Zeichenblock.
Neugierig nahm ich ihn in die Hand und ließ mich dann wieder auf das Bett fallen. Ich wusste, dass Steve seine Zeichnungen peinlich waren und sie niemand sehen durfte, aber es kitzelte mich in den Fingerspitzen. Nach einer anstrengenden Diskussion zwischen dem Engel und dem Teufel auf meinen Schultern, gewann schließlich die Neugierde.
Die erste Seite zierte eine gewöhnliche Tasse. Sie war wohl mit etwas heißem gefüllt, denn sie dampfte stark. Die Zeichnung sah so realistisch aus, dass mir der leicht bittere Geruch von Kaffee in die Nase stieg. Genüsslich schloss ich die Augen. Eine Erinnerung aus dem letzten Winter blitze vor meinem inneren Auge auf. Steve und ich hatten einen langen Spaziergang durch den Central Park unternommen, da uns Zuhause die Decke auf den Kopf gefallen war. Es war unglaublich kalt gewesen und um uns aufzuwärmen, hatte Steve uns zwei Becher heißen Kaffee geholt. Wir hatten uns stundenlang unterhalten, ohne, dass uns irgendwann langweilig geworden wäre. Ein Lächeln legte sich bei der Erinnerung auf meine Lippen. Es war ein wunderschöner Adventstag gewesen!
Auf der nächsten Seite war eine Zeichnung einer französischen Boulangerie zu sehen. Sie erinnerte mich an die, in der wir gewesen waren, als uns eine Mission nach Frankreich geführt hatte. Ich hatte Steve erzählt, dass ich noch nie echtes französisches Gebäck probiert hatte, also hatte er unseren Aufenthalt um einen Tag verlängert und mit mir eine Tour durch die leckersten Bäckereien und schönsten Sehenswürdigkeiten in Paris unternommen. Noch immer konnte ich das Croissant auf meiner Zunge zergehen schmecken. Es war das beste, das ich jemals hatte probieren dürfen.
Auch die nächsten Seiten weckten einige Erinnerung, die ich niemals vergessen würde. Seite für Seite begriff ich Steves Talent für Kunst immer mehr, meine Bewunderung stieg ins Unermessliche. Gleichzeitig wurde mir auch immer unverständlicher, warum Steve anderen seine Werke nicht zeigen wollte.
Auf der letzten Seite stockte ich. Ungläubig starrte ich auf die Bleistiftzeichnung. Mit dem Finger fuhr ich jeden einzelnen Strich nach. Mit großem Staunen erkannte ich mich selbst darin. Ich saß in meinem Lieblingspullover auf der Couch und war in ein Buch vertieft. Die Umgebung war nur leicht anskizziert, sodass ich nur noch mehr hervorstach. Steve hatte mich nicht nur in allen Einzelheiten gezeichnet, sondern auch gleichzeitig jede Faser meiner Seele eingefangen. Ich hatte mich nie für besonders hübsch gehalten, aber als ich mich so auf der Zeichnung betrachtete, durchs Steves Augen sah, waren alle Selbstzweifel vergessen. Ich konnte kaum glauben, dass die junge Frau ich war. Sie hatte etwas magisches an sich, obwohl sie objektiv betrachtet nur einer einfachen Tätigkeit nachging. Doch man konnte genau erkennen, dass sie keine normale Frau war. Sie war eine Träumerin, eine Entdeckerin fremder Welten und eine mutige Kriegerin in den Kämpfen der Geschichte, ein großes Vorbild für kleine Augen und eine starke Quelle des Mutes für ihre Mitstreiter. Sie würde die Geschichte verändern, die Welt retten.
Ich wusste nicht, wie lange ich auf die Zeichnung starrte. Erst als ich das Geräusch der Tür hörte, fand ich wieder in die Realität zurück. Mit großen Augen sah ich Steve an, der erschrocken im Türrahmen stehengeblieben war. Sein Blick wanderte von meinem Gesicht zu der Zeichnung in meinen Händen. Er schluckte schwer und schlug die Augen nieder. "Bitte, lass es mich erklären!", flüsterte er flehend.
Doch da war ich schon aufgesprungen und hatte ihn in eine herzhafte Umarmung gezogen. Überrascht verspannte er sich erst, doch dann erwiderte er die Geste und drückte mich an sich. "Danke", hauchte ich. "Wofür?", erkundigte sich Steve verwirrt. Ich löste mich ein Stück von ihm, um ihm in die Augen sehen zu können. "Dafür, dass ich mich durch deine Augen sehen durfte. Ich hatte ja keine Ahnung, dass..."
Und auf einmal begriff ich, warum es ihm so peinlich gewesen war, warum ich mit jeder Zeichnung eine wunderschöne und unvergessliche Erinnerung verband. Ungläubig begann ich zu lächeln, sah ihm in die Augen und begann zu grinsen.
"Ich liebe dich auch!" Ungläubig blinzelte er verwirrt. Lächelnd stellte ich mich auf die Zehenspitzen und küsste ihn sanft auf die Lippen. Endlich schien er zu verstehen, zog mich an sich heran und vertiefte den Kuss.
"Woher wusstest du es?", fragte er, als er seine Stirn an die meine legte und mir tief in die Augen sah. "Jemand, der die Magie einer Seele – meiner Seele so gut einfangen kann, muss sie verstehen. Ich hatte keine Ahnung, dass du mich so gut kennst, mich so, ich deutete auf die Zeichnung, die aufgeschlagen auf dem Bett lag, auf diese Weise sieht. Lächelnd sah er mich an. Und mich dennoch nicht zu hassen scheint, ergänzte ich halb im Scherz und entlockte ihm ein raues Lachen. "Nein, hassen tu ich dich ganz gewiss nicht! Ich liebe dich!", bestätigte er, verwandelte seine Worte immer mehr in einen warmen Hauch und küsste mich erneut.
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