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Es gab doch nichts Schöneres, als seine Zeit am Strand zu verbringen. Also zu mindestens nicht für mich.
Der leichte Wind, der schön abkühlend wirkte bei den heißen Temperaturen. Das Salzwasser, das meine Haut schön geschmeidig machte, aber meine Haare fahl und stumpf aussehen ließ. Die heiße Sonne auf meiner Haut, die schon nach ein paar Tagen eine leichte Bräune hinterlassen hatte. Einfach traumhaft.
Die letzten paar Tage waren absolut atemberaubend, aber zugleich auch wirklich anstrengend.
Wir waren die Road to Hana gefahren, hatten dabei unzählige Wasserfälle gesehen, waren an einem Black Sand Beach, hatten das angeblich beste Bananenbrot gegessen - das wirklich unglaublich gut war - und waren bei einer der vielen heißen Quellen, die Maui zu bieten hat. Und das nur an einem Tag!
Am nächsten Tag haben wir West Maui erkundigt und einen Felsen gesehen, der ein herzförmiges Loch hatte. Als hätte man es mit einem Förmchen ausgestochen. Nur wenige Meter davon entfernt war ein Loch, wo Wasser hochgeschossen kam, wenn die Wellen an die Felsen nicht weit entfernt stießen. Ging man zu nah dran, dann wurde man mächtig nass. Man musste etwas wandern, um dahin zu kommen, aber das war es auf jeden Fall wert.
Danach waren wir in einem Meeresschutzgebiet, wo man gut Schnorcheln konnte, so hieß es. Aber da waren so viele Leute, dass man kaum etwas sehen konnte. Stattdessen sind wir dann an einen Strand, wo häufiger Schildkröten zu sehen waren und dann sind wir dort schnorcheln gewesen. Und ich konnte sogar eine Schildkröte von Nahem sehen Unterwasser!
Außerdem waren wir in der Woche noch Wandern im Iao Valley, was wirklich anstrengend war. Teilweise ging es wirklich steil bergauf. Aber auch das war es wert, die wunderschöne Natur zu sehen, die Maui überall zu bieten hatte.
An einem anderen Tag erkundigten wir die Innenstadt von Lahaina mit Designer Outlets, Restaurants und Shaved Ice zum Nachtisch, das einfach nur superlecker und erfrischend war. Dabei war das total simpel und nicht zu vergessen, voller Zucker. Was gab es Besseres? Dort besorgte ich auch meine Souvenirs, die einfach sein mussten.
Und heute stand auch wieder Wandern auf dem Plan. Wir würden die große Runde hinauf zu Haleakalā, einem Vulkankrater, gehen. Eigentlich sagte man, dass man von oben nach unten laufen sollte, aber wir wollten pünktlich zum Sonnenuntergang dort sein. Zum Sonnenaufgang bekam man keinen Platz mehr, so beliebt war die Aussicht.
Die große Runde war mehr als 17 Kilometer lang und die drastischen Höhenunterschiede und wechselnden Wetterbedingungen würde uns die Wanderung erschweren. Aber auch das würde es im Endeffekt wert sein. Wir bereiteten uns ausreichend dafür vor.
Ausgestattet mit extra Sauerstoff - falls uns die Luft ausging - Essen, viel Wasser und extra Kleidung für kaltes Wetter machten wir uns auf. Die Fahrt zum Parkplatz, von wo aus wir starteten, dauerte schon fast drei Stunden von unserem Hotel aus. Aber wir hatten unser Abenteuer früh genug begonnen, damit wir rechtzeitig oben waren.
~~~
Wir waren mittlerweile bestimmt schon drei Stunden unterwegs. Aber wir hatten das Schwierigste noch vor uns; die Sliding Sands. Ein Schritt vorwärts waren drei wieder zurück. Das war der Grund, warum man den Weg auch andersherum gehen sollte.
Mal wieder merkte ich, wie unsportlich ich doch war.
Die vorherigen Tage hatten meiner Kondition zwar schon etwas verbessert, aber das hier war für mich, was für erfahrene Bergsteiger der Mount Everest war. David war dabei aber zum Glück immer an meiner Seite gewesen, auch wenn er locker schon da sein könnte, wenn er nicht immer auf mich warten müsste.
Immer mal wieder redeten wir. Über die Aussicht, andere Wanderer. Hielten an, um Fotos zu machen. Vor allem der großen Krater war atemberaubend. Und das nicht nur wortwörtlich, weil wir immer höher kamen.
Ich musste zugeben, dass ich wirklich gefallen am Wandern gefunden hatte. Man hatte nicht nur Zeit, die Natur zu genießen, sondern auch mal um den Kopf freizubekommen oder in Ruhe nachzudenken.
So wie über das, was David mir gestern erzählt hatte. Er war gestern so ehrlich und hatte mir von seinem Leben erzählt. Und ich hatte ihm ein kleines Stück aus meinem Leben zugeworfen, mit dem er sich zufriedengeben musste. Eigentlich wäre es nur fair, wenn ich ihm auch von meinem Leben erzählen würde. Oder?
"Mein Vater hat die Firma in den Ruin getrieben und ist dann mit seiner Sekretärin abgehauen."
David blieb abrupt stehen und drehte sich zu mir. "Bitte, was?"
"Mein Vater hat die Firma in den finanziellen Ruin getrieben und ist mit dem restlichen Geld und seiner Sekretärin einfach abgehauen.", wiederholte ich. Nach ein paar Sekunden Stille, in denen David mich nur ansah, ging ich weiter.
Das war mir zu unangenehm. Deswegen wollte ich nicht darüber reden.
"Und dann?"
"Meine Mutter hat eine kleine Wohnung für uns gefunden, die sie mit unserem Kindergeld bezahlen konnte. Sie hatte Schwierigkeiten, einen neuen Job zu finden, weil sie seit der Hochzeit mit meinem Vater nicht mehr arbeiten war, sondern auf uns aufgepasst hat. "
"Willst du deswegen dein Studium abschließen?", fragte er. Ich nickte.
"Wenn das hier vorbei ist, dann will ich auf meinen eigenen Beinen stehen können. Es hat meine Mutter zerrissen. Wir waren das Beste gewöhnt. Wir mussten uns über Geld keine Sorgen machen. Aber dann von jetzt auf gleich war alles anders. Ich musste mir ein Zimmer mit meiner kleinen Schwester teilen. Alle meine Spielsachen wurden verkauft, damit wir mehr Geld hatten. Ich musste mir einen Job suchen, sobald ich arbeiten durfte."
"Und dein Vater hat sich nie gemeldet?" Ich schüttelte den Kopf.
"Er hat sich sonst wo versteckt, weil man ihn hier wegen Steuerhinterziehung sucht. Meine Mutter ist unter Verdacht geraten, aber wusste nichts davon. Sie hat sich immer aus den geschäftlichen Sachen rausgehalten.", erklärte ich. Ich wusste bis heute nicht, wo er war. Er wollte nichts mehr mit uns zu tun haben.
"Was ein Feigling! Wer lässt denn seine eigenen Kinder zurück?!", regte David sich auf. Das hatte ich mich auch immer gefragt.
Ich war bis zu dem Punkt Papas kleines Mädchen gewesen. Nachts im Bett hatte ich mich immer wieder gefragt, was ich falsch gemacht habe, dass er mich nicht mitgenommen hatte.
"Irgendwann hat meine Mutter dann zur Flasche gegriffen, um ihren Schmerz und die Enttäuschung zu ertränken. Sie verlor ihren Job und von da ging es nur noch weiter abwärts. Ich musste meine Sachen verkaufen, damit ich für Grace Schulsachen kaufen konnte, ihre Klassenfahrten bezahlen konnte. Neben dem Abi musste ich permanent arbeiten, damit wir weiterhin ein Dach über dem Kopf haben."
"Gibt es da denn keine Hilfe vom Staat oder so?"
"Ja schon, aber da es direkt auf das Konto meiner Mutter ging, wurde das Geld direkt versoffen oder sie kaufte sich sonst was davon. Eigentlich sollte ich die Firma übernehmen, wenn ich älter bin. Aber es gab keine Firma mehr zum Übernehmen. Deswegen habe ich mich entschlossen, Menschen zu helfen, Ärztin zu werden. Ich habe mein Sozialleben aufgegeben und mich aufs Lernen und Arbeiten konzentriert. Dann kamt ihr."
"Wow.", hauchte David. Keine Ahnung, ob ihm sprachlos war wegen dem, was ich ihm gerade erzählt hatte, oder weil wir dem Ziel immer näher kamen, also auch immer höher.
"Ich hoffe nur, dass Grace auch etwas von dem Geld hat, das ihr meiner Mutter gegeben habt im Austausch gegen mich.", murmelte ich.
"Das klingt ja so, als hätten wir dich gekauft."
"So kam mir das auch vor. Ich würde es meiner Mutter auch zutrauen, dass sie Grace das Gleiche antun würde." Bei dem Gedanken, dass meine kleine Schwester auch an irgendeinen Kerl 'verkauft' werden könnte, wurde mir schlecht. Und das lag definitiv nicht an einer möglichen Höhenkrankheit.
"Dann werden wir dafür sorgen, dass dem nicht so ist.", beschloss er. Wir? Das klang besser, als es sollte.
"Danke.", lächelte ich. Auch wenn es nicht immer so rüberkam, so war ich wirklich froh für alles, was mir David und seine Familie ermöglichten. Auch wenn das hieß, dass ich mit ihm für ein paar Monate verheiraten sein musste.
"Hattest du eigentlich je einen Freund? Also einen festen Freund?", fragte er ebenso zögerlich wie ich gestern, als ich ihm die Frage stellte.
"In der zehnten Klasse, ja. Wir waren um die neun Monate zusammen, glaube ich. Aber er hat Schluss gemacht, weil ich ihn nie mit zu mir nehmen wollte. Er war der Meinung, dass man komplett offen in einer Beziehung sein musste. Und ich war noch nicht bereit, ihm meine alkoholabhängige Mutter vorzustellen."
"Also bist du keine Jungfrau mehr?" Was hatte dieser Kerl nur mit dem Thema?
"Nein, bin ich nicht. Aber es auch schon eine Weile her." Ich war nun mal nicht der Typ für eine schnelle Nummer. Und es gab niemanden nach meinem ersten Freund. Ich hatte ja schließlich keine Zeit.
"Interessant.", murmelte David in Gedanken. Wollte ich wirklich wissen, was in seinem Kopf vorging?
Wahrscheinlich nicht.
Mittlerweile waren wir auf den letzten Metern angekommen. Ich konnte den Aussichtspunkt schon sehen. Perfekter Zeitpunkt, denn in etwa 20 Minuten würde die Sonne untergehen. Es herrschte eine erstaunlich angenehme Stille zwischen uns.
Als wir endlich oben ankamen, nutze ich schnell die Toiletten, bevor wir uns einen Platz für die perfekte Aussicht suchten. In den letzten Minuten konnte ich noch schnell ein paar Souvenirs im Besucherzentrum kaufen.
Dann saßen wir also auf einer Decke, die wir uns mitgebracht hatten. Es war wirklich kalt hier oben, 3.000 Meter in der Höhe. Erschöpft, wie ich war, lehnte ich meinen Kopf an Davids Schulter und schaute dem Sonnenuntergang über den Wolken zu.
Nachdem wir ein paar Fotos gemacht hatten, besorgten wir uns eine Mitfahrgelegenheit zu dem Parkplatz, wo unser Mietwagen geparkt war. Danach machten wir uns auf zum Hotel, denn wir hatten noch eine Sache auf unserer Liste für heute.
~~~
In diesem Moment war noch nie so froh über eine entspannte, warme Dusche. Am liebsten wäre ich unter dem Wasser direkt eingeschlafen, so schön fühlte sich das an.
Nach unserer extremen Wanderung und dem wunderschönen Sonnenuntergang über den Wolken hatten wir vor, auszugehen. Wir hatten uns eine Bar ausgesucht, die zur Happy Hour einen Liter Mai Tais für nur $7 anbot. Nicht, dass wir uns übers Geld Gedanken machen musste, aber das klang einfach zu gut, um wahr zu sein.
Nach der Dusche schminkte ich mich ein wenig und zog ein kurzes Kleid an mit hohem Kragen und langen Trompetenärmeln. Das dunkle Muster mit weißen und dunkelroten Blumen hätte ich nie ausgewählt, es schrie nur so nach Jess. Aber ich musste sagen, dass es wunderschön fiel und ich mich superwohl drin fühlte und das war die Hauptsache beim Kleiden.
Dazu kombinierte ich hohe, offene Schuhe aus weinrotem Samt und einen passenden kleinen Rucksack, große schwarze Ohrringe und hellrosa Lippen. Eine Sonnenbrille durfte in Hawaii natürlich nicht fehlen, auch wenn es schon dunkel war.
"Also du hast dich ja richtig herausgeputzt. Und das nur für mich.", grinste David, als ich im Flur auf ihn traf.
"Für meinen geliebten Ehemann doch nur das Beste.", gab ich ebenso grinsend zurück. Auch er sah zugegeben nicht schlecht aus in seinen beigen Shorts und dem dunkelblauen Hemd mit Blumenmuster. Er hatte die ersten Knöpfe geöffnet und ich musste sagen, dass ich ihn noch nie in einem lässigeren Outfit gesehen hatte. Ich war einfach so gewöhnt, ihn im Anzug zu sehen.
"Bist du bereit?", fragte er und hielt mir seine Hand hin. Ich ergriff sie und wir machten uns auf den Weg. Da wir beide trinken wollten, bestellten wir uns ein Uber. Auch wenn ich noch keine 21 Jahre alt war, so hatte David irgendwas geregelt, damit ich trinken konnte. So lange ich nicht erwischt wurde, war alles in Ordnung.
Life's a beach war mir allein wegen des Namens direkt sympathisch. Wir suchten uns einen freien Tisch draußen aus, weil das Wetter einfach zu schön war.
Da wir noch nichts zu essen hatten und nach der Wanderung nahezu am Verhungern waren, bestellten wir uns Tacos und einen Teller mit Nachos. Und nicht zu vergessen, den $7 Mai Tai, der sich als bester Cocktail auf der Welt herausstellte.
David und ich redeten über die Wanderung und was uns morgen noch bevorstand, während wir aßen und tranken. Wir schauten uns die Fotos an, die wir gemacht haben. Vor allem die Fotos vom Sonnenuntergang, zu dem wir noch rechtzeitig angekommen waren.
Wir hatten jede Menge Spaß und lachten den ganzen Abend über. Es war schön, so frei mit ihm reden zu können.
Das Gespräch bei unserer Wanderung und auch gestern am Strand hatten mir die Augen etwas geöffnet. Ich konnte verstehen, warum David sich manchmal so verhielt, wie er sich nun mal verhielt. Und ich hoffte, ihm erging es auch so, nachdem ich mich ihm geöffnet hatte.
Das Letzte, an das ich mich an dem Abend erinnern konnte, war David, der mich fragte, ob wir aufhören sollten.
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Wo würdet ihr am Liebsten leben wollen, wenn ihr die freie Wahl hättet?
Danke übrigens für alle die Reads, Votes und Comments 🖤
Claires Outfit für den Abend ⬆
Der Sonnenuntergang über den Wolken auf Haleakalā.
Heart-Shaped Rock (den es seit Januar 2020 nicht mehr gibt, wie ich herausgefunden habe).
Einer der ersten Wasserfälle auf der Road to Hana.
Der Sonnenuntergang in Lahaina vor life's a beach.
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