~ 18 ~
Als wäre der Hochzeitsstress nicht schon genug, so fingen meine Klausuren so langsam aber sicher an. Ganz zu Anfang hatte ich Victoria und Hannes gesagt, dass die Hochzeit erst nach meinen Prüfungen sein kann. Die hatten einfach Vorrang für mich.
Obwohl ich immer wieder gelernt hatte, wurde ich das Gefühl nicht los, dass ich es nicht schaffen würde. Ich hatte einfach das Gefühl, dass mein Kopf komplett leer war. Aber dennoch passte nichts mehr rein. Natürlich konnte ich Klausuren auch wiederholen, aber das war mir einfach zu viel Stress. Mehr brauchte ich nun wirklich nicht. Außerdem würde dann alles noch länger dauern, als es sowieso schon tat.
Die Fahrt zur Uni kam mir vor wie der Weg zu meiner Hinrichtung. Aber ich würde das schon hinbekommen. Das redete ich mir immer wieder ein. Irgendwann würde ich es bestimmt glauben.
Nach Stunden war ich endlich fertig mit einer meiner längeren Klausuren. Zügig packte ich meine Sachen zusammen, damit das Universitätsgebäude schnell verlassen konnte, um mich im Bett zu verkriechen.
Doch vor der Tür des Prüfungsraumes stand David und wartete scheinbar auf jemanden. Na ja, nicht auf irgendjemanden. Sondern auf mich. Wen denn auch sonst. Das war auch noch nie passiert.
"Hey.", lächelte er mir zu, als er mich entdeckte. Was war hier los? So ein aufrichtiges Lächeln hatte ich von ihm noch nie bekommen. Und als ich neben ihm trat, nahm er mich in den Arm. Warum roch er nur so gut?
Nein, Claire! So durftest du gar nicht erst anfangen zu denken!
"Was machst du hier?", fragte ich, als wir uns voneinander lösten. Ich sah zu ihm hoch, er war immerhin ein gutes Stück größer als ich.
"Darf ich meine Verlobte etwa nicht abholen?" Er hielt sich verletzt seine Hand an die Brust. "Heute ist unsere erste Tanzstunde. Und ich dachte, wir können danach noch einen Kaffee trinken oder so. Weil du deine Klausur geschafft hast.", erklärte er
Wie konnte ich das denn vergessen? Ich hatte mich so lange wie möglich vor den Tanzstunden gedrückt. Aber das letzte Mal, dass ich einen Standardtanz konnte, war vor gut zehn Jahren, als ich einen Tanzkurs absolvieren musste.
Warum war ich enttäuscht? Was sollte es denn auch sonst sein als ein Termin? Dachte ich wirklich, dass er mich aus eigenem Interesse abholen würde? Freiwillig Zeit mit mir verbringen würde? Wie konnte ich so naiv sein?
Ich wandte mich von ihm ab, damit er die Enttäuschung, den Schmerz, in meinem Gesichtsausdruck nicht sehen konnte. So sollte das nicht sein. So durfte das nicht sein, nein. Das hier war alles nur geschäftlich.
"Okay, dann lass uns gehen.", meinte ich, während ich mich auf den Weg zu meinem Auto machte. So wie ich David mittlerweile kannte, hatte er sich von Fahrer herbringen lassen, damit er mit meinem Auto fahren konnte.
Still gingen wir Hand in Hand zum Auto. Wir mussten ja immer noch die Illusion aufrecht erhalten, wenn wir in der Öffentlichkeit waren. Aber leider passte seine Hand fast schon zu perfekt in meine.
Wie selbstverständlich zielte er die Fahrerseite an, als wir am Auto ankamen. Wer hätte das gedacht. Aber gut, er wusste auch, wo wir hinmussten, ich nicht.
"Wie war deine Klausur?", fragte David nach ein paar Minuten im Auto. Er wollte sich freiwillig mit mir unterhalten?
"Ich kann es nicht einschätzen. Ich habe viel gelernt, aber gleichzeitig habe ich auch das Gefühl, nichts zu wissen.", gestand ich.
Es war immer einfacher, mit David zu reden.
Natürlich würden wir eine private Tanzstunde bekommen. Zum Glück. Ich wusste nicht, wie gut ich noch im Standardtanz war und ich durfte ja niemanden bloßstellen.
Meine Hand lag auf seiner Schulter, die andere hielt seine. Seine andere Hand lag auf meinem unteren Rücken. Zu weit unten für meinen Geschmack.
Ich nahm sie und schob sie weiter nach oben.
"Keine Sorge, Claire. Dich würde ich nicht mal nehmen, wenn du auf einem Präsentierteller liegst.", fauchte er, "Das alles ist nur Business. Nicht mehr."
Auch wenn ich das wusste, so tat es nicht weniger weh, als er mir das direkt ins Gesicht sagte. Und mit direkt meinte ich etwa 30 Zentimeter entfernt.
Unsere Tanzlehrer hatten uns zuvor vorgeführt, was wir machen würde. Und ich musste leider zugeben, so schön dieser Tanz auch war, so unangenehm würde mir das ganz sein. Wir würden einen langsamen Walzer zu Can you feel the love tonight von John Elton tanzen. Victoria fand es supersüß, dieses Lied zu nehmen, weil David und ich wie Simba und Nala uns als Kinder gekannt haben und jetzt wieder zueinandergefunden haben.
Aber der Tanz war schon sehr intim. Dafür war ich nun wirklich nicht bereit. Sinn des langsamen Walzers war es nun mal, dass man sich sehr nah ist und sich viel in die Augen schauen kann beziehungsweise soll. Das war nicht unbedingt meine Lieblingsbeschäftigung.
Doch am meisten fürchtete ich mich vor den Hebefiguren. Bei der einen würde David mir an den Po packen und das nicht nur kurz. Mal abgesehen davon, dass ich mir immer wieder Kommentare zu meinem Gewicht anhören durfte. Ich müsse ja in das Kleid passen können, ich sei nicht sein Typ, er möge es ja lieber dünner, bla bla bla. Das machte mich schon etwas unsicher, obwohl ich schlank war.
Zuerst lernten wir die Routineschritte, bevor wir zu den Drehungen und letztendlich Hebungen kamen. Unsere Lehrer waren ja ganz nett, aber auch ziemlich streng.
"Claire, schau ihm in die Augen, das ist doch nicht so schwer.", belehrte man mich. Doch das war ziemlich schwer. Vor allem, wenn man kurz vorher noch so eine Abfuhr bekommen hatte.
Wie sollte ich ihm denn in die Augen schauen und so tun, als wären wir verliebt, wenn er mich verabscheut?
~~~
Nach dieser für mich grauenhaften Tanzstunde fuhr David uns zu einem kleinen, süßen Café nicht allzu weit von der Tanzschule entfernt.
Wir suchten uns einen Tisch aus, der etwas abgelegener war, was mich verwunderte. Normalerweise mussten wir immer sichtbar sein für andere, damit das gut auf die Presse wirkte. Alles für die Öffentlichkeit.
Wir setzten uns hin und es kam direkt auch eine Bedienung. David bestellte einen Karamell-Macchiato und ich einen grünen Tee. Ich hätte nicht erwartet, dass David so etwas trank.
"Bist du plötzlich ein typical white girl geworden oder was?", lachte ich, nachdem die Bedienung wieder weg war. Dieser Gedanke holte mich kurzzeitig aus meiner Bedrücktheit.
"Bitte was?" Er schaute mich verwirrt an.
"Ein Karamell-Macchiato ist so ziemlich das Getränk, das jedes junge Mädchen bestellen würde. Muss ich mir Sorgen machen?"
Er grinste verschmitzt. "Keine Sorge, Claire. Bei mir ist alles so, wie es sein sollte. Soll ich es dir beweisen? Wir können gerne eben auf die Toilette gehen." Sofort wurde ich rot im Gesicht. "Das dachte ich mir."
Flirtete David etwas gerade mit mir? Nein, das bildete ich mir nur ein. Mein Körper dachte da wohl etwas anders, denn mein Herz schlug auf einmal mächtig schneller. Was war denn heute nur los mit mir?
Und was war mit ihm los? Vorhin bei der Tanzstunde hatte er sich noch ganz anders benommen. Hatte mich sogar beleidigt und jetzt wollte er mir also beweisen, was er in der Hose hatte. Dieses ständige Hin und Her nervte mich schon dezent.
"Also wie war die Klausur?", fragte er, nachdem sich meine Wangen wieder etwas beruhigt hatten.
Was sollte das? Er hatte sich noch nie für mein Studium interessiert. Ganz am Anfang dieser gezwungenen Beziehung wollte er nicht mal, dass ich weiter studierte. Und jetzt wollte er wissen, wie es lief? Ich bekam so langsam Kopfschmerzen von seinem Verhalten.
"Ganz gut.", antwortete ich schulterzuckend. Er sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als ich nicht weitersprach.
"Das wars?" Erwartete er jetzt wirklich, dass ich ihm alles haargenau erzählte? Er hatte noch nie Interesse an meinem Leben gezeigt.
"Ich bin froh, dass sie vorbei ist. Ich habe mein Bestes gegeben. Wenn ich sie nicht bestanden habe, dann muss ich sie halt wiederholen. Hoffentlich ist es dann etwas weniger stressig in meinem Leben."
"Du wirst das schon geschafft haben. Du hast in letzter Zeit nicht anderes gemacht, als zu lernen. Irgendwas muss ja hängen geblieben sein." Er lächelte mich an. Wenn ich ehrlich war, sah das sogar aufrichtig aus. Oder war er nur ein guter Schauspieler? Übung machte immerhin den Meister und wir hatten mittlerweile schon einiges an Übung in der Hinsicht gesammelt. Wie sah sein aufrichtiges Lächeln denn überhaupt aus? Hatte das irgendjemand schon mal gesehen?
Wir blieben eine Weile still, während wir tranken. Die warme Tasse zwischen meinen Händen fühlte sich super an. Auch wenn es draußen immer wärmer wurde, so wärmte Tee einen von innen heraus. Das war noch mal etwas ganz anderes.
War David das passiert? Hatte er eine Menge Tee getrunken und sein kaltes Herz war aufgetaut? Moment, wie alt und naiv war ich eigentlich? Was ein Schwachsinn! Jetzt, wo ich wieder Zeit zum Nachdenken hatte, kam nur Blödsinn dabei raus.
"Was ist das hier, David?"
Ich hielt es irgendwann dann doch nicht mehr aus. Das war mir alles zu suspekt und unangenehm. Er verhielt sich so seltsam. Da hatte ich den alten, gemeinen David irgendwie lieber. Da wusste ich wenigstens, was ich an ihm hatte. Vielleicht wollte Victoria das Ganze hier ja. Das würde sehr viel Sinn ergeben.
"Was meinst du?", wunderte er sich.
"Du bist gerade so nett. So sehr ich das auch schätze, werde ich das Gefühl nicht los, dass hier irgendwas im Busch ist. Du warst bei der Tanzstunde noch ganz anders drauf." Er sagte nichts und ich sprach weiter. "Wir sitzen gerade abseits, man kann uns von draußen nicht sehen. Du hast die Bedienung nicht angestarrt und sie war wirklich schön. Ja, das ist mir aufgefallen. Dich schien es wirklich zu interessieren, wie meine Klausur lief. Was ist hier los?"
Er sah mich ausdruckslos aus, nachdem ich fertig war. War das zu viel?
Wortlos griff er in seine hintere Hosentasche und holte sein Portemonnaie heraus. Er nahm einen Zwanziger raus und legte ihn auf den Tisch.
"Weißt du, Claire, da versucht man einmal, nett zu sein, und dann kommt so was. Wir heiraten bald, da dachte ich, es wäre vielleicht mal angemessen, nett zu sein. Aber wenn dir das auch wieder nicht gefällt, dann lasse ich es eben."
Oh Shit. Ich hatte es verkackt!
Er stand auf und nahm seine Jacke mit. "Wundere dich nicht, wenn das Bett heute Nacht leer bleibt.", zischte er und verließ das Café. Mit großen Augen schaute ich ihm hinterher.
Was zur Hölle war hier gerade geschehen?
Warum musste ich immer alles ruinieren?
~~~
Was ist das weitentfernteste Land, in dem ihr wart oder in das ihr reisen wollt?
Wollt ihr, dass ich die Fragen auch beantworte?
Ich bin ja ein Mensch, der so gut nie weint, aber dieser Tanz mit der Musik hat mich schon getestet. Da wusste ich sofort, dass ich das als Vorlage für die beiden nehmen muss.
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