Die Normalität des Abnormen
So wie Angriff die beste Form der Verteidigung ist, so ist Offenheit der beste Weg zum Dialog.
Dies hatte sich Marica gedacht, als sie die fremden Menschen auf dem vom Schneetreiben unwirklich erscheinenden Bergplateau von Weitem schon wahrnahm. Wenn eine Bedrohung von diesen Menschen für Sie ausging, so wollte sie jetzt und hier mit Gewissheit klären, welcher Art dieses sorgenvoll gefühlte Unheil war.
Ein Mann löste sich aus der Gruppe. Er kam auf sie zu. Ging um sie herum.
Marica hatte die Augen geschlossen. Sie spürte jedoch die Personen und den sich nähernden Mann. Dieser war nicht die Person, die eine Bedrohung darstellte- dies sagte ihr sowohl ihre Eingebung, aber auch ihr Wissen über die Menschen.
Der Mann schritt um sie herum- stand nun vor ihr.
Marica hörte, wie der Mann sie ansprach, vernahm jedoch seine Worte nur unterbewusst. Tief in sich selbst hinein horchend, hatte Marica einen Entschluss bereits gefasst. Sie wollte sich offenbaren, sich so zeigen, wie es nur ein übernatürliches Wesen kann.
Der Mann sagte noch etwas- diesmal jedoch zu den etwas entfernt verharrenden anderen Leuten der Gruppe.
Energien sammelten sich in Maricas Körper. Energien aus Natur und Umfeld, aus dem steinigen festen Boden, aus der Luft um sie herum. Wenn Marica sich anstrengte, war die wenige erforderliche Energie schnell in ihrem Körper aufgesogen. Dies ersparte es ihr, eigene Energien aufzuwenden.
Hatte das dichte Schneetreiben auf dem Bergplateau dafür gesorgt, dass wesentliches Tageslicht der Sonne verschluckt und absorbiert wurde, so erhob sich nun Marica und nahm ihre vor Licht erstrahlende astrale Gestaltform an. Während Marica diese Wandlung vollzog erschien es nicht so für die Betrachter, als könnte diese Erscheinung für ein Verschlingen aller Dinge im Umfeld verantwortlich sein. Marica begann aus sich heraus zu leuchten - an Händen, dem Gesicht, dem Kopf.
Einer wärmenden Sonne gleich, trat all die Kraft, Stärke und Energie in einer Helligkeit um Marica herum auf, dass die Wanderer sich fast veranlasst sahen, sich davon abzuwenden, um nicht geblendet zu werden.
Doch die sich langsam vollziehende Wandlung der Frau von einem Schattenumriss im Schneegestöber zu einem leuchtenden Wesen großer Anmutigkeit, welcher auch leicht über den verschneiten Boden zu schweben schien- dieser Anblick bannte alle Mitglieder der Expedition. Einem Phoenix gleich, welcher sich langsam aus der Asche erhebt, so wandelte sich die junge Frau in dieses übernatürliche Wesen aus Licht und Anmut in einem Prozess unbeschreiblich schöner Wandlung.
Marica spekulierte darauf, das dieser Effekt eine von Ihr selbst erwünschte und erhoffte Wirkung erzielen würde.
Dieses kurze- jedoch überaus wirksame- Schauspiel fand nun jedoch ein ebenso schnelles Ende.
Marica verließ ihren Astralzustand. Sie nahm ihre Normalgestalt, ihre menschliche Wesensform wieder an.
Auch dies geschah mit einer fließend und sanftmütig wirkenden Erhabenheit, wie es nur ein übernatürliches Wesen geschehen lassen kann. Sanft und spielerisch setzte Marica wieder mit ihren beschuhten Füßen auf dem Schnee des Plateaus auf. Kurz danach versiegte die Lichterscheinung um Marica herum.
Schneegestöber und Winde umfassten wieder alle Personen, welche soeben dieses wunderbare Schauspiel erleben durften.
Und während ein Jeder für sich noch nach einer Erklärung für dieses Erlebnis nachgrübelte, so musste man mit einem Mal wieder gegen die Windspiele der verschneiten Natur ankämpfen und sich gegen den Schneesturm stemmen.
Juri Olbekin konnte vor Anspannung kaum atmen.
Manche blickten immer noch hinauf in den verschneiten, grauen Himmel, aus welchem diese junge Frau in einem wunderschönen astralem Leuchten- wie nicht von dieser Welt- herab gesunken war.
Und was sie dort auch zu sehen hofften- jeder Einzelne der Wandergruppe begriff, dass dieses junge und schwach wirkende weibliche Geschöpf dort vorn bei Juri Olbekin in Wahrheit ein Wesen übernatürlichen Ursprunges ist. Ein Wesen von Erfahrung und Zeitlosigkeit. Ein Wesen, dessen bloße Existenz man sich mit normaler Rationalität nicht erklären konnte.
Hatte man Sorge gehabt, diese menschliche Gestalt dort vorn könnte erfrieren oder schlimmeres, schon vom Tode umfangen sein- jetzt hatte man mehr Sorge, wie dieses Wesen weiter reagieren würde. Was es so freundlich, wie man den Bildern nach, unterstellen würde? Oder würde das Zusammentreffen mit diesem Wesen für alle ungeahnte, fatale Folgen haben? Musste man sich gar fürchten? Um Juri besorgt sein? Um das eigene Leben bangen?
Dort, wo Juri Olbekin und die Frau sich gegenüber standen, geschah jetzt nichts übernatürliches mehr.
Sprach Juri mit dem Mädchen etwa?
Was würde nur geschehen?
Fast alle verharrten in einer Starre.
Nur Wassili Koroljow, der Freund Juri's, nicht. Gegen den zurückgekommenen Schneesturm arbeitete er sich näher an Julia Radenowa heran.
Er zog seinen Mundschutz etwas herunter und schrie gegen die Winde an, dass es Julia aus ihrem Traum von einem wundervollen Wesen riss: "Auch wenn dieser Platz hier vollkommen schlecht ist und ungeeignet- wir sollten unser Biwak wohl besser jetzt und hier aufschlagen, bevor die lange Nacht zurückkehrt. Viel weiter werden wir wohl heute und jetzt nicht mehr gehen? Was meint ihr dazu?"
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