Der Anfang vom Ende
Damit war die 'Katze aus dem Sack' gelassen. Während Iwan Gregorov sich unvermittelt über den 'Franzmann' Boris Russeaux hermachte, um ihn zum Stillschweigen zu bringen, entstand im Zelt ein Tumult aus heller Aufregung.
Während Sasha und Juri dem unten liegenden Boris helfen wollten und Iwan unter Aufbringung aller Kräfte von ihm herunter zogen. Wassili Koroljow versuchte - nur in Unterhosen und einer wattierten Weste bekleidet- sich aus seinem Schlafsack zu entwirren und über die Natasha und Julia hinweg an Marica vorbei zu den Raufbolden zu gelangen. Selbst Viktor Oribatov konnte sich dem Handgemenge nicht entziehen und unterstützte aus seinem Schlafsack heraus die Trennung der Zankhähne. Einzig Marica und Georgi Warjakov blieben in einer fast stoisch wirkenden Ruhe und Gelassenheit.
Als nun Iwan Gregorov durch die anderen von Boris herunter gezogen wurde, plapperte Boris, der 'Franzmann' wieder weiter: "Wir haben Auftrag vom KGB, einen Behälter mit einer Stoffprobe an einen Agenten des französischen Geheimdienstes zu übergeben! Iwan hat mich rekrutiert am UPI, weil ich fließend französisch spreche. Ich sollte nur den Dialog führen mit dem Agenten, dann ist mein Teilauftrag erfüllt. Georgi hat den Stoffproben- Behälter in seinem Rucksack. Iwan ist mein Kontaktoffizier. Georgi ist sicherlich auch beim KGB, aber ich wurde nur für diesen Auftrag angeworben. Sie haben mir zugesichert, dass man meine Personalakte bereinigt und mir ermöglicht in Moskau, Leningrad oder am Schwarzen Meer zu arbeiten. Der KGB will das für mich in die Wege leiten. Nur deshalb bin ich hier! Versteht ihr? Nur deswegen! Ich will raus aus dieser Gegend."
So abrupt, wie dieser Streit eskalierte- so schnell schien sich nun alles wieder zu entspannen, da wohl alles gesagt schien. Iwan wurde immer noch von Juri und Sasha im festen Griff gehalten, schien jedoch zu merken, dass es keinen Sinn machte gegen die zwei kräftigen Männer gegen zu halten- jetzt, wo Boris alles ausgeplaudert hatte. Alle Geheimnisse schienen ausgesprochen.
Wassili hatte sich nun- in seiner Unterhose- bis zu Iwan und den anderen Streithähnen durch das Zelt gekämpft von der einen zur anderen Seite. So war er nun nahe vor Iwan.
"Aua!", jammerte Viktor, da Wassili ihn in all der Aufregung wohl getreten hatte, als er über dessen Schlafsack gestiegen war.
Wassili ließ diesen Schmerzensschrei unbeachtet. Viel mehr schienen ihn nun andere Dinge zu interessieren, da der Raufbold Iwan wieder unter Kontrolle gebracht war.
"Was für eine 'Stoffprobe'? Was schleppt ihr Drei da mit Euch?"
Für Iwan Gregorov war wohl nun auch die Stunde der Wahrheit. Er war enttarnt, auch wenn die Drei Männer sich bis jetzt im Dunstkreis und Deckmantel der Gruppe mitbewegen konnten. er blickte enttäuscht zu Boris Russeaux- ja fast schon entschuldigend für seinen Ausraster. Dann blickte Iwan zu Georgi Warjakow, der den 'Boten' zu spielen hatte. Zuletzt- und ihm war bereits klar, dass er das Kind beim Namen zu nennen hatte- blickte der vorwurfsvoll zu Marica hinüber, die immer noch zwischen Natasha und Julia hockte.
"Strontium 90. Wir sollen eine Probe "Strontium 90" an einen französischen Geheimagenten übergeben. Nahe dem Berg Ojko- Tschakur, den wir auf der Route haben, ist die Wetterbeobachtungsstation Syranka. Die Genossen wollen, dass wir Euch dorthin locken. Der enttarnte französische Agent soll diese Isotopen- Probe von Georgi erhalten und ihm dafür Devisen geben. Die Probe soll die Franzosen allerdings in die Irre führen. Sie taugt nicht sehr viel. Sie ist alt und dürfte bald in Yttrium 90 zerfallen. Die Genossen haben Auftrag von höchster Stelle. Demzufolge hat man Uns allen große Zugeständnisse gemacht. Man gibt den Franzosen was überholtes. Unser Atomprogramm ist schon viel weiter. So will man allerdings die Franzosen für uns gewinnen. Ist eine politische Sache. Die höchsten Kreise der Sowjetunion haben dies entschieden. Und ihr? Ihr macht alles kaputt. Jetzt bin ich geliefert."
Juri Olbekin schienen diese Offenbarungen die Tränen in die Augen zu treiben.
"Iwan! Du bist mein Freund! Wir haben so viele Touren zusammen gemacht! Um UPI hast Du mir noch Nachhilfe gegeben! Und jetzt? Verrätst unser Land für irgendwelche Zugeständnisse?"
"Nein. Ich verrate Niemanden! Ich verhelfe unserer Sowjetunion zu neuen geheimen Bündnissen. Und ..." - Iwan Gregorov machte eine kurze Pause seiner emotionsgeladenen Offenbarung- "... und mir helfe ich, gesund zu werden."
"Gesund zu werden?", fragte Wassili nach, der ebenfalls Iwan lange kannte und als Freund sah.
"Ja. In der Kyschtym- Anlage Majak habe ich nach dem Unfall Kontakt mit radioaktiven Substanzen gehabt. Ich bin verseucht damit, brauche eine aufwendige Heilbehandlung, wenn ich nicht in drei oder vier Jahren tot sein will. Nur deshalb habe ich mich darauf eingelassen. Ich werde in Sotschi auf ein Jahr behandelt und habe dann mit Glück noch dreißig Jahre gewonnen. Kann froh sein, wenn ich die Fünfzig erreiche. Bin ja eigentlich schon in Kyschtym gestorben."
"Aber?"
"Kein aber. MEIN FREUND! Am besten ist, ihr lasst uns den Auftrag zu Ende bringen. Sonst war es das für mich."
"Und Boris? Was ist mit dem?"
"Boris habe ich ausgesucht, weil er im Internierungslager geboren wurde und französisch spricht. Ich brauche ihn als Dolmetscher mit dem Agenten. Er hätte niemals mit auf diese Tour gehen dürfen, das hier ist eigentlich zu Extrem und anstrengend für ihn. Aber Juri, dies hast Du sicherlich auch schon mitbekommen."
Juri Olbekin hatte in der Tat am Durchhalten des relativ schwachen 'Franzmannes' seine Zweifel. Jetzt wurde ihm auch klar, warum Iwan und der erfahrene Wanderführer Georgi ständig um Boris waren und auch manchmal sein Zeug schleppten.
Ja- was war eigentlich mit Georgi Warjakow? Warum hat er sich darauf eingelassen mit seinen 38 Jahren? Er war top-fit, wie kaum ein anderer der Gruppe. Maskulin und dominant. Er hatte vor dieser Expedition sogar seine feste Anstellung als oberster Wanderführer der Berghütte Kourow im Oblast Swerdlowsk gekündigt. Was hatte man ihm wohl in Aussicht gestellt, damit der alte Mann hier mit auf diese Expedition gehen kann?
Juri Olbekin ließ von Iwan ab. Nun waren seine Gründe bekannt.
Nur der 'Boxer' behielt Iwan im Armgriff, der auch schnell wieder angespannt werden konnte, falls der Streit erneut ausbrechen würde.
Juri beachtete Boris nun nicht. Statt dessen blickte er zu Georgi, um von ihm zu erfahren, was seine Gründe waren.
"Und Du schleppst das radioaktive Zeug mit Dir herum, wie nichts? Weißt Du nicht, in welche Gefahr du uns alle damit bringst? Was hat man Dir versprochen?"
Georgi Warjakow blieb von den Geschehensabläufen und emotionsgeladenen Ausbrüchen bislang vollkommen unbeeindruckt. Er hockte am Zeltausgang- immer noch in voller Montur- verbarg sein Gesicht unter der Fellkapuze, hinter dem Mundschutz und der Schneebrille.
Juri hakte nach. Er versuchte, Georgi eine Rechtfertigung zu entlocken.
"Was war es bei Dir? War es Geld? Ein Batzen Rubelchen? Vielleicht noch versüßt mit einem Köfferchen voller Dollar? Was war es bei Dir? Warum hast Du Dich darauf eingelassen, hier mitzukommen?"
Mit empathischer Langsamkeit schob Georgi Warjakow die Fellkapuze in den Nacken zurück.
Immer noch wetterte Juri Olbekin gegen ihn. Er wollte Antworten.
"Reichen Dir ein Paar Rubel vielleicht sogar? Wolltest Dir wohl am Schwarzen Meer mit deinen Kumpanen einen schönen Lebensabend gönnen? Was war es also bei Dir?"
Georgi Warjakow zog den Gesichts- und Mundschutz herunter. Mann konnte seine Bartstoppeln nun gut erkennen. Schnee fiel in Zeitlupe von seiner Kapuze herunter auf den Boden des Zeltes.
Und nun nahm er mit einer sehr langsamen Bewegung die Schneebrille ab, so dass ihm alle in die Augen sehen konnten.
Auch Marica. Sie wurde mit einem Male ihrer gesunden Gesichtsfarbe beraubt.
"Ein Paar Rubel und Dollar waren wirklich für mich drin." - Dann blickte er jedoch entschlossen zu Marica.- "Doch eigentlich hab ich gehofft etwas anderes hier zu finden."
Der Blick von Georgi Warjakow verwandelte sich in einem Moment zum nächsten vom gutmütigen Wandergesellen und Mitstreiter zum Blick eines 'Entfesselten Biestes'! Blutdurchwirkt schienen seine Augen! Sein Körper schien anzuschwellen- größer und kraftvoller zu werden unter dem Schneeanzug. Hätte man einen Vergleich suchen wollen, so wirkte dies, als würde jemand einen Ballon mit Luft auffüllen.
Juri Olbekin, der neben Warjakow am Boden kauernde 'Franzmann'- ja selbst der starke Sasha, der immer noch den entsetzt wirkenden Iwan im Klammergriff hatte- alle wichen sie aus Instinkt und Intuition vorsichtig zurück.
Offensichtlich für alle in diesem Zelt gab es hier wohl nicht nur Marica, die ein übernatürliches Wesen in sich zu verbergen wusste. Georgi Warjakow schien ebenfalls ein übernatürliches Ich in sich zu beherbergen.
Marica's Augen waren von Schrecken geweitet. Jetzt war es ihr mit einem Male klar, woher diese gespürte Gefahr für Sie kam. Es war dieses Wesen, welches sich nun- einem Raubtier gleich- zeigte, um die letzte Sirene auf Erden entweder für seine Zwecke zu missbrauchen oder die Welt mit ihr zu verschlingen!
Erst leise gesprochen, dann ein weiteres Mal -für alle im Zelt- als eine deutliche Warnung laut herausgeschrien, sprach Marica aus, was für ein Wesen sich hier erhob:
"S A T Y R !!", schrie Marica in die eiskalte Winternacht auf dem Felsplateau heraus. Ein Schrei, der alle erzittern ließ und sofort in der eiskalten Sturmnacht über dem Ural verschluckt wurde.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro