Das erste Ziel vor Augen
Juri Olbekin schaute durch die zersplitterte Fensterscheibe hinaus in den frühen Morgen. Ein leicht silbrig glänzendes Licht über den Baumkronen kündigte von Osten kommend den erwachenden Tag an. Die Linie des Lichtes, welche sich über dem nahen und dunklen Wald erhob, war noch schwach. Doch bald schon würde sich das Licht auf den Schneemassen reflektieren und die weiße Helligkeit den Augen wehtun. Im Westen und Norden der Waldarbeitersiedlung waren noch die Reste der tiefhängenden Wolkenmassen zu erkennen, welche für den Schneefall der letzten Nacht verantwortlich waren.
Endlich einmal klare Sichtverhältnisse- ideal für den Aufbruch in das Unterfangen. Das Abenteuer konnte also beginnen- genau zum richtigen Zeitpunkt hatten die Schneefälle aufgehört.
Die Anderen schliefen noch. 'Sollen sie ruhig noch einmal Kraft schöpfen.', dachte Olbekin bei sich. Und Recht hatte er damit.
Dieses Quartier in der Waldarbeitersiedlung mit dem Namen„ 41. Quartal" war vorerst das letzte bewohnte und bewirtschaftete Lager. Doch jetzt im tiefen Winter wirkte die Siedlung leer. Das Wohnheim der Waldarbeiter bot Wärme und erträgliche Betten- ein Luxus im Gegensatz zu dem, was sie dort draußen für die nächsten Tage zu erwarten hatten. Und allein schon hierher zu gelangen, war eine Herausforderung für die zehn Teilnehmer der Expedition.
Wie vereinbart hatte man sich am 23. Januar 1959 in Jekaterinburg am Bahnhof getroffen. Was folgte war eine Zuganfahrt über Serow nach Idwel, der nördlichsten Stadt im Bezirk Swerdlowsk. Dies allein hatte zwei Tage in Anspruch genommen. Was dann folgte, war die Weiterreise mit vollem Ausrüstungsgepäck als Anhalter. Allerdings als 'geplante Anhalter', denn das „UPI", wie das Polytechnische Institut des Ural allgemein benannt wurde, hatte telegrafische Informationen schon im Vorjahr bereits mitgeteilt, um eine Mitnahme der Genossen abzusichern. Auf den Ladeflächen der zwei monströsen Lastkraftwagen hatte man sich neben Vorräten und Baumaterialien eingenistet. Unter wärmenden Decken eingegraben und dem Geschaukel der Lastkraftwagen ausgeliefert war man nach langer Fahrt durch Schneefall und Wälder in der Dunkelheit der Nacht hier erst angekommen.
Doch die Zeit drängte. Die verbesserten Wetterbedingungen musste man nutzen, wollte man im Zeitplan bleiben- und das heutige Ziel, die alte verlassene Bergwerksiedlung „Wtoroi Sewerny" musste erreicht werden, wenn man nicht unter freiem Himmel schlafen wollte. Auch wenn die Bedingungen jetzt gut waren- der Weg war lang und das Wetter konnte jederzeit wieder umschlagen.
Sechszehn Tage war die Skitour geplant- eine Tour der III. Kategorie, also der höchsten Schwierigkeitsstufe.
Im letzten Sommer hatte man sich schon im Sportverein der UPI Gedanken gemacht, welche Grußbotschaft der Verein und damit das Institut aus Anlass des bevorstehenden XXI. Parteitages der Kommunistischen Partei der Sowjetunion setzen konnte. Nach überraschend kurzen Beratungen hatte der Vorsitzende des Sportklubs angeregt, für den Winter im nördlichen Ural eine 350 Kilometer lange Ski- Expedition durchzuführen und dabei die Berge Otorten und Ojko-Tschakur hierbei zu überqueren. Noch nie zuvor hatte sich ein Team diese schwere Route gesetzt, die durch fast unbewohnte Gegenden verlief. Mit dem Sportverein des UPI als Ausrichter konnte man auf bestmögliche Unterstützung dieses Vorhaben rechnen. Gute Ausrüstung, Unterstützung der Planungen, Kartenmaterial und gesicherte Unterstützung von Entscheidungsträgern an den nötigen Stellen. So war es dann auch.
Juri Olbekin war im fünften Studienjahr der Fakultät für Funktechnik. Durch seine Mitwirkung am Entwicklungsprojekt von UKW- Funkgeräten hatte er sich am UPI in der Fakultät trotz seiner 23 Jahre einen Namen gemacht. Erst zu Beginn dieses Jahres hatte der Direktor des UPI ihn beglückwünscht zu seiner herausragenden Arbeit und eine sichere Assistentenstelle in der Fakultät übertragen. Da er auch noch als einer der besten Sportler des UPI- Sportklubs war und bereits mehrere Touren schwerer Kategorien bewältigt hatte, übertrug man ihm die Führung der Expedition. Olbekin empfand dies als besondere Ehrung, zumal dies auch seinem eigenen Interesse an langen Extremtouren entsprach.
Und allein war er ja auch nicht.
Sein bester Freund und Mitstreiter Wassili Koroljow teilte nicht nur dieses Interesse an Weit- und Extremwanderungen, er war auch im gleichen Studiengang der Fakultät. Geübt und trainiert, wie Koroljow war, erklärte er sich auch als Erster freiwillig bereit, diese Expedition mit Olbekin gemeinsam zu absolvieren.
Über Wassili kam seine damalige Partnerin Julia Radenowa als Dritte hinzu. Auch Julia war im gleichen Studiengang für Funktechnik. Auf Wanderungen war auch sie geübt, hatte im Ural und auch dem Altai- Gebirge mehrtägige Wanderungen unternommen. Sogar den Biss einer Viper hatte die Radenowa überlebt- da würde diese extreme Skiwanderung auch von ihr bewältigt werden.
Über einen Aushang im UPI und dem Sportklub kamen dann nach und nach die weiteren Teilnehmer hinzu. Der dreiundzwanzig Jahre alte Wadim Rodin aus der Fakultät für Wirtschaftsingenieurwesen hatte als erster auf den Aushang geantwortet. Er galt im Sportklub als erfahrener Wanderer und wollte sich einfach einmal austesten, ob er diese Skitour bestehen könnte.
Fast zeitgleich meldeten sich Natasha Sobitowa, eine 22- jährige Bauingenieur- Studentin aus dem vierten Studienjahr, und der bereits 27- jährige Viktor Oribatow aus der physikalisch- technischen Fakultät an. Wegen dieses Zufalles mutmaßte Juri Olbekin anfangs, dass die Beiden ein Paar sein könnten. Doch dies bestätigte sich nicht, denn auf der herbstlichen Semesterfeier der UPI war Natasha Sobitowa in Begleitung eines wesentlich älteren Mannes erschienen, mit dem sie sich auf der Feier sehr vertraut gab.
Ob die Zwei ein Verhältnis hatten ist bislang noch nicht geklärt, allerdings war dieser 38- jährige Georgi Warjakow ein erfahrener Wanderführer. Er war mit dieser Aufgabe lange Zeit in Altai und Kaukasus unterwegs und vor einem Jahr zum Obersten Wanderführer der Hütte Kourowka im Oblast Swerdlowsk ernannt worden. Sportlich und durchtrainiert war Warjakow auf jeden Fall und er besaß einen für sein Alter erstaunlich ästhetisch aussehenden Körperbau. Dies führt er auf sein abgeschlossenes Studium am Institut für Körperkultur in Minsk zurück und ausgewogene Ernährung, wie er sagt. Jedenfalls beeindruckte Warjakow die jugendliche Frauenwelt des UPI als Gast- Sportlehrer wohl deutlich, wenn man den Gerüchten Glauben schenkt. Die Sobitowa und auch Oribatow befürworteten zudem die Teilnahme Warjakow's an der Expedition, dies sei ein Zugewinn an Erfahrungen für das Team.Dieser Warjakow hatte ein sehr einnehmendes Wesen. Seiner Wortgewandtheit war es wohl zu verdanken, dass zwei ehemalige Absolventen der UPI ebenfalls zum Expeditionsteam hinzu kamen.
Einen davon kannte Juri Olbekin noch. Es war Iwan Gregorow. Mit Gregorow war Juri Olbekin zu Beginn seines Studium auf mehrere Wanderungen gemeinsam im Ural unterwegs, bis Iwan Gregorow seinen Abschluss machte und als Bauleiter in ein Kombinat empfohlen wurde. Dann verlor sich der Kontakt zu dem nunmehr 25- jährigen Sportfreund.
Der andere Absolvent war im Vorjahr an der UPI fertig geworden und ebenfalls als Bauleiter in Swerdlowsk beschäftigt. Es handelte sich um Boris Russeaux, einen Mann mit französischen Vorfahren. Der „Franzmann" war im Sportklub während des Studiums ein Mitglied. War Russeaux ein sehr verschlossener Mensch, so hatte er mit Erfahrungen im Wandern auf mehreren Kategorien aufzuwarten, was auch ihn für diese Ski- Expedition empfahl. Russeaux schien allerdings eher die Wanderung am Ende der Gruppe vorzuziehen, wie sich am Tag der Übungswanderung im Dezember zeigte. Der „Franzmann" war schwer einzuschätzen- mal ruhig, dann wieder rastlos und von etwas Fremden angetrieben, wie einem inneren Motor.
Als man schon glaubte, es würde sich niemand mehr melden für eine Teilnahme, da erklärte der ehemalige UPI- Absolvent Sasha Resutkin seine Interesse. Der als Ingenieur tätige Resutkin war 24 Jahre alt. Wenngleich er weniger ein Extrem-Wanderer war, suchte er die großen und schweren Herausforderungen. Am UPI hatte er den Sportklub im Boxen und Langstreckenlauf vertreten und auch überregional in beiden Disziplinen Erfolge gebracht. Resutkin war nicht nur sportlich ein Freund der Extreme. So war er der erste Boxer, welchen Olbekin mit feiner Motorik eine Mandoline spielen sah. Ob die Idee aus einer Wodka- Laune oder einer Wette entstanden war, weiß Juri Olbekin schon nicht mehr, jedenfalls hat Sasha Resutkin diese Mandoline sogar im Expeditions- Gepäck irgendwie mitgebracht. 'Falls einmal die Stimmung am Boden ist!', hatte der Boxer beim Treff am Bahnhof von Jekaterinburg gesagt und schon auf der Zugfahrt sein Abteil unterhalten.
Das waren sie- seine Gefährten. Zehn Teilnehmer auf einer hochgradig schweren Tour. Alle erfahrene Wanderer bei guter Verfassung.
Juri Olbekin ging zum Fußende seines Bettes. Hier war sein schwerer Rucksack abgestellt. Gezielt suchte er in einer abgedeckten Seitentasche.
Ein kleines, gebundenes Heft und ein Bleistift kamen zum Vorschein- das Tagebuch der Expedition. Beim Eintreffen in der Waldarbeitersiedlung in der Nacht hatte er wie alle anderen nur noch einen Gedanken- schnell im Wohnheim das Bett suchen und schlafen. Doch jetzt kam sein Pflichtbewusstsein als Leiter der Skitour wieder durch. Er wollte es nachtragen, um den Nachweis zu erbringen, wie man im Zeitplan lag. Der Sportklub hatte zwar darum gebeten, ein Tagebuch anzulegen, aber es war kein Dogma. Dennoch sah Juri Olbekin es als Notwendigkeit an, wollte als Tour- Leiter im Nachgang ja auch berichten, vielleicht einen Vortrag vor allen Fakultäten halten.
Olbekin laß die bisherigen Einträge: „Teilziele: Anfang Februar 1959- Berg Otorten auf Höhe von 1235 Meter erreichen und passieren. (.....) Nach 16 Tagen, zirka am 14.02.1959 den Ort Wischai erreichen - daneben stand ein dick gestrichenes Ausrufezeichen. Wichtig: Telegraphenposten Wischai! UPI informieren. Nachricht über Erfolg absetzen."Nach einigen Einträgen der Vortage kam nun ein neuer hinzu.„Haben in der Nacht die Waldarbeitersiedlung „41. Quartal" erreicht. Starke Schneefälle. Minus 26 Grad am Wohnheim abgelesen. Alle guten Mutes und bester Gesundheit."- dies schrieb er für den 26.01.1959 ein.Auch für den heutigen Tag schrieb Juri Olbekin gleich etwas vor. „Ziel: Siedlung „Wtoroi Sewerny" erreichen. Am Morgen- klare Sicht, Minus 25 Grad. Treff mit mansischem Wildnisführer ....", mehr gab es nicht vorzuschreiben. Und auch wenn Juri die Temperatur heute noch nicht abgelesen hatte- die Kälte war am Fenster deutlich spürbar gewesen. Kein Fremder würde diesen kleinen Makel überprüfen wollen- hier in dieser Einöde.Das kleine Heft war schnell wieder verstaut.
Olbekins Blick ging über die fest schlafenden Mitstreiter. Es war eine Schande, sie jetzt schon aufscheuchen zu müssen. Sie schliefen in den verschiedensten Positionen in den Schlafsäcken auf den Bettgestellen. Bei manchen schaute das Gesicht, bei anderen nur die Nase aus dem Schlafsack. Zwei waren voll und ganz in den wärmenden Nachtlagern verschwunden.
Juri Olbekin hockte sich neben das Bett, wo Wassili Koroljow mit offenem Mund Luft einzog. Ein kleiner Anstoß am Arm des Schlafenden und ein leichtes Rütteln am Schlafsack brachten den unrasierten Koroljow dazu, mit gekniffenem Auge wenigsten eine Reaktion zu zeigen.
„Was? Wie spät ist es?" Wassili Koroljow begrüßte- schmatzend auf Grund des trockenen Mundes- den neuen Tag.
„Fast Sieben. Wasja, komm. Gib ein gutes Beispiel und steh langsam auf."
Eine Beule arbeitete sich durch Wassili Koroljows Schlafsack träge nach oben zu der kleinen Öffnung. Eine Hand erschien. Koroljow rieb sich damit mehrmals übers Gesicht.
„Sieben?"
„Ja. Und- Du wirst es vielleicht nicht glauben- es hat mit dem Schneefall aufgehört."
„Tatsächlich?" Auch wenn es Wassili Koroljow wenig behagte, sich aus seinem warmen Schlafsack- Kokon herausschälen zu müssen, auch ihm war gutes Wetter für den ersten echten Wandertag mit Skiern lieber, als dichter Schneefall.
„Ja."
„Na dann wollen wir mal. Einmal kein Schneefall? Das sollten wir ausnutzen."
Zustimmend nickte Juri Olbekin, auch wenn es der noch schlaftrunkene Freund nicht wahrnahm.
Wassili Koroljow setzte sich auf und streckte sich lautlos gähnend im ganzen Körper durch. Erneut schmatzte er, während sein Blick auf den freistehenden Ofen mit dem rostigen Rauchabzugsrohr fiel.„Hast Du geheizt und das Holz eingeworfen?"
„Nein. Das was wohl eine gute Fee."
„Eine gute Fee?"
Juri Olbekin grinste.„Ja. Eine gute Fee. Dicke Winter- Kombi , Winter- Handschuhe, Kopftuch, Stiefel. Vom Gewicht wohl 100 Kilogramm. Hat mich munter gemacht, als sie die Holzstücke in den Ofen warf."
Nun lächelte auf Grund der Beschreibung der zauberhaften guten Seele auch Koroljow zurück.„Jaja. Und wenn sie so gut aussieht, wie Du sie beschreibst, dann kann sie bestimmt auch gut kochen, deine Traumfrau?"
„Weiß ich nicht. Doch wenn sie den Samowar so gut eingeheizt hat, wie unseren Ofen, dann brauchen wir uns nicht sorgen."
Wassili Koroljow stand nun endlich. Kurz fröstelnd schüttelte er sich. Dann ging er ein wenig in den Schlafraum hinein, um nach den anderen zu sehen. Vor allem sah er zuerst nach Julia Radenowa.
Auch wenn Sie sich vor kurzem getrennt hatten- Julia hatte in seinem Herzen eine besondere Stellung. Er fühlte sich immer noch sehr zu ihr hingezogen, auch wenn Julia Radenowa wohl nun mehr einen „guten Freund" in ihm sehen wollte. Seit der Trennung machte Julia auch um ihr privates Leben danach wenig durchschaubar für ihn. Über Weihnacht und Neujahrsfest war sie unangekündigt wer weiß wohin weg gefahren, ohne sich zu verabschieden. Alles ging recht schnell. Bis heute war Wassili nicht klar, wie es zu der Trennung kam. Man war doch über fast zwei Jahre zusammen gewesen- das verbindet doch. Nun reden sie zwar, aber mit gewisser Distanz und nur diese Reise und die Aufgaben betreffend. Glücklich machte dies Wassili nicht.
Allerdings sah Julia Radenowa in ihrem Schlafsack zufrieden und glücklich aus- als bräuchte sie nichts anderes.Koroljow rüttelte vorsichtig am Schlafsack.
„Guten Morgen, meine Schöne!" zischelte er ihr flüsternd zu.
Zurück bekam er ein unwilliges Knurren. Schnell zog sich Wassili zurück aus der Zone möglicher Gefahren. 'Sie ist wach!', sagte er sich selbst- und ärgerte sich ein wenig über die Reaktion der Radenowa. 'Früher hat sie sich gern so wecken lassen. Allerdings war es da noch anders mit uns.'
Auch Georgi Warjakow, der im Bett daneben lag, steckte nun seinen Kopf aus dem Schlafsack. Er wirkte weit weniger verschlafen und setzte sich zumindest im Bett auf.
Nach und nach kamen alle hoch und wurden wach. Zum Knistern des Feuers im Ofen gesellte sich nun lautes Gähnen, Ruscheln von Schlafsäcken, ein kurzes Scheppern vom Umfallen eines Rucksackes im Gang.
„Auf, auf, Genossen!", motivierte Juri Olbekin seinen Trupp. „Der Tag ist jung, die Luft ist klar und der Schnee ist weiß."
Sasha Resutkin waren diese Weisheiten noch zu früh. „Juri, bist ja ein ganz schlauer! Und der Winter ist kalt- hast du vergessen zu sagen, damit es komplett wird."
Natasha lachte unvermittelt.
„Kommt! Kommt! Ich gehe schon einmal in die Kantine. Wasja? Willst Du mit?", fragte Juri.
Wassili stopfte seine Füße in die fetten, harten Stiefel hinein und warf seine Winterjacke über sich. Er wollte wohl aus dem Raum sein, wenn Julia zu Leben erwachte.
„Komme!"
„Dann gehen wir!"
Kaum das Juri Olbekin die Tür des kleinen Vorraumes vor dem Schlafraum öffnete, so schlug ihm eine eisige Kälte entgegen, die ihm fast die Luft zum Atmen raubte. Mehrere tiefe Fußstapfen im Schnee zeigten den Weg zur Hütte mit der Kantine, die nicht weit entfernt war. Doch weit genug, um den westsibirischen Winter bis fast an der Haut zu spüren.
„Gevatter Frost gibt heute sein bestes! Beeil dich Wasja!", rief er zurück hinter sich.
„Lauf zu! Ich habe meine Handschuhe vergessen. Ich will nicht gleich am ersten Tag erfrieren!", wetterte Wassili Koroljow und drängte zur Eile.
Dies war leichter gesagt als getan. Die Fußstapfen gingen tief, bis über die Knie. Und die schweren Winterstiefel konnten nicht so schnell, wie die zwei Freunde wollten vorwärts. Dennoch war das Wegstück alsbald geschafft und die Kantine erreicht.
Hier schien nun wieder noch mehr Wärme zu herrschen, als in der Unterkunft.
Eine Frau mittleren Alters, die wohl vorhin für das Feuerchen sorgte und ein alter Mann saßen an einem Tisch und wärmten sich die Handschuhe an Teegläsern. Heißer Dampf zog aus den Gläsern feine Bahnen. Die Besucher wurden eher kühler begrüßt- eigentlich eher wahrgenommen.
„Herzliche Grüße. Wir sind erwacht. Die Anderen werden sich auch bald blicken lassen.", durchbrach Wassili Koroljow die Stille.
Die Frau warf ihre Winterjacke einfach nach hinten von der Schulter herunter auf die Stuhllehne. Dann stand sie auf und ging hinüber zu der Essenausgabe.Interessiert kamen Wassili und Juri näher. Doch das Angebot war eher dürftig. Stolz zeigte die Frau jedoch mit ihren Handschuhe auf all das Gute, was die Morgenmahlzeit sein musste.
„Wir haben Brot. Dort in der Schüssel ausgelassenes Schmalz mit Zwiebeln. Wer will- hier im Tonkrug sind Zwiebeln. Salz ist dort in der Schüssel. Braucht ihr einen Wodka, um auf die Beine zu kommen?"
„Nehmen wir!", legte Juri fest.
„Setzt Euch. Ich bring Euch den Wodka."
Brot und Schmalzabstrich landeten auf den Holz- Brettchen. Nachdem man Messer gefunden hatte in der Auslage am Tresen, setzte man sich an den Tisch mit dem Alten hinzu, um sich nicht verloren vorzukommen.
„Wie viele Waldarbeiter sind hier übers Jahr?", fragte Koroljow, um eine Unterhaltung zu Stande zu bringen. D
er alte Bärtige hob seinen Kopf ein wenig. Erst jetzt konnten Juri und Wassili erkennen, dass es sich wohl um einen eingeborenen Mansen handelte. Seine mandelförmigen Augen sprachen dafür.
„Fünfzig waren es im letzten Sommer. Arbeit und Holz gibt es genug. Aber es gab auch einen bösen Unfall. einer wurde von einem stürzenden Baum erschlagen."
„Fünfzig also. Und alle schlafen hier in der Unterkunft?"
„Wenn sie nicht zu weit weg arbeiten müssen, dann schon. Hatten auch schon einmal mehr, aber irgendwie zieht es die Arbeiter eher in den Westen. Die Guten gehen weg. Nach Ufa oder Swerdlowsk- wollen dort in die Betriebe."
„Aber Holz wird doch gebraucht! Warum gehen sie?", hakte Juri nach.
„Ist eine schwere Arbeit hier. Wenn sie nicht arbeiten, dann wird getrunken und gewürfelt. Sie haben dort vielleicht ein besseres Leben.", stellte der Alte für sich fest.
„Und was ist in dem langen Haus? Das Haus nebenan?"
„Das ist der Stall. Im Sommer stehen dort Ochsen und Pferde drin. Sind jedoch jetzt alle weggeholt nach Idwel."
Juri versuchte, durch deutliches Essen der Schmalzschnitten nun doch dem Gespräch aus dem Weg zu gehen.Doch der Alte ließ nicht ab. Jetzt war es an ihm zu fragen.
„Und Ihr? Eine Expedition macht ihr? Wozu treibt ihr Euch hier in den verschneiten Wäldern herum? Was wollt ihr da?"
„Was wir da wollen, fragt er.", Juri schien fast beleidigt. hastig stürzte er den Wodka herunter, den die Frau neben das Teeglas serviert hatte.
„Wir wollen der Partei Ehre machen. Ein Zeichen setzen wir!"
„Was redest Du da? Ein Zeichen wollt ihr setzen? Was wollt ihr HIER DRAUßEN IM WINTER für ein Zeichen setzen?" Bewusst betont fragte dies der Alte. Eine Frage, die genauso gut durch jeden anderen aufgeworfen werden könnte, der den sibirischen Winter seinen Bekannten nennt.
„Wir wollen zeigen, was man erreichen kann, wenn man einen festen Willen dazu hat. Für die Partei! Unsere Expedition soll eine Grußbotschaft unseres Sportklubs an die Partei sein. Zu Ehren des Parteitags- ein Zeichen eben!"
Der Alte rollte die Augen. Sagen brauchte er nichts- wahrscheinlich verstand er nicht einmal den Sinn dahinter. Vielleicht wollte oder konnte er dies nicht verstehen.
Sie - die jungen Leute von der UPI- hatten jedoch für heute ein erreichbares Ziel vor Augen: den ersten echten Tag der Ski- Wanderung, der sie zur verlassenen ehemaligen Bergarbeitersiedlung bringen würde.
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