🌊 Kapitel 4 🌊
Während er von der Wache durch mehrere Gassen gezogen wurde, fiel Mike auf, dass er die Gegend kannte. Das war nicht der Weg zum Ratsgebäude, er hatte denselben Weg zur Mauer genommen. Da war auch wieder das Haus mit den Tierbildern. Und davor wohnte sein bester Freund Dennis, mit dem er gewettet hatte, weswegen er jetzt so ein Problem hatte. Na, der konnte was von ihm hören, wenn er ihn das nächste Mal traf.
Siedend heiß wurde Mike bewusst, dass sie geradewegs zu seinem Zuhause gingen. Das war gar nicht gut. Okay, das war sicher besser, als wenn er vor den Rat treten musste. Aber wenn die Wache mitten in der Nacht seine Eltern weckte, war das auch nicht wirklich gut. Und schon schoss ihm der nächste Gedanke durch den Kopf. Bestimmt würde der Mann seine Eltern wecken, damit sie alle zusammen zum Rat gingen.
Mike versteifte sich für einen kurzen Moment. Er wollte sich lieber nicht ausmalen, wie seine Mutter ärgerlich schimpfte. Sie mochte es gar nicht, wenn sie mitten im Schlaf geweckt wurde. Die Wache bemerkte seinen Widerstand und zog noch energischer an ihm. Mike geriet ins Straucheln, fing sich aber und stolperte weiter.
Für all seine Gedanken und Ängste war es mittlerweile zu spät. Mike konnte schon sein Haus sehen. Er seufzte leicht und schickte ein letztes Stoßgebet zum Himmel. Auch wenn von dort sicher keine Hilfe kam. Aber wahrscheinlich eher von da oben als von unten aus dem Wasser des Ozeans.
Die Wache blieb auf einmal stehen. Der alte Mann drehte Mike zu sich und packte ihn an beiden Armen, dann beugte er sein Gesicht ganz nah an Mikes Ohr und raunte ihm zu: „So, Bursche, du wirst jetzt ohne einen Laut ins Haus gehen, und dass du mir aufpasst, dass dich keiner sieht! Du schleichst dich auf dem gleichen Weg hinein, wie du herausgekommen bist. Hast du mich so weit verstanden?“
Mike war stocksteif und begriff nicht wirklich, was der Mann gerade gesagt hatte. Das passte überhaupt nicht zu seinen Schreckensvorstellungen!
Die Wache redete leise weiter: „Morgen früh wirst du dich ganz normal verhalten und so tun, als wäre nichts geschehen. Wenn du irgendeiner Menschenseele von deinem kleinen Ausflug erzählst, dann bekommst du Ärger. Aber jetzt wollen wir mal Gnade vor Recht walten lassen. Die Glaskugel haben wir ja sichergestellt. Und ich denke, du hast dir auf dem Weg hierher schon genug Sorgen gemacht. Das sollte erst mal als Strafe reichen. Haben wir uns verstanden?“
Der Mann ließ Mike los und drückte ihm seinen Rucksack gegen die Brust. Mike nickte schnell, hielt seinen Rucksack fest und wollte sich gerade umdrehen, als die Wache weitersprach: „Noch etwas, ich will dich nicht noch einmal nachts hier draußen erwischen. Beim nächsten Mal geht es für dich nicht mehr so glimpflich aus. Die Forschungsschiffe freuen sich immer über neue Leute.“
Mike schluckte schwer und antwortete hastig: „Ich werde bestimmt nichts sagen, keine Sorge.“ Er blickte die Wache an und drückte den Rucksack noch fester an sich, sodass er sogar das Buch durch den Stoff fühlen konnte. Die Wachen hatten es ihm nicht weggenommen. Darüber war er sehr erleichtert. „Und ich mach das nie wieder, versprochen.“
Er war heilfroh, dass die Wache ihn einfach gehen ließ. Deshalb hatten sie miteinander getuschelt. Weil sie überlegt hatten, wie sie ihn bestrafen konnten und doch nicht vor dem Rat anzeigen brauchten. Er fand es zwar ein wenig seltsam, dass er nicht einmal Ärger wegen der Glaskugel bekam, aber er würde garantiert nicht darauf bestehen, dass er eine Strafe erhielt. Auf eine Tour auf dem Forschungsschiff oder der Arrestzelle war er wirklich nicht scharf.
Langsam drehte er sich um und ging auf sein Elternhaus zu. Er konnte es nicht wirklich glauben. Durfte er sicher sein, dass das kein Trick war? Aber warum dann dieser Aufwand? Irgendwie ergab das alles für ihnen keinen Sinn. Er schaute über die Schulter zurück und sah, dass die Wache immer noch da stand und ihn fest im Blick hatte.
Langsam, ohne ein Geräusch zu machen, ging er zu seinem Fenster und zog es vorsichtig auf. Es quietschte wieder leicht. Er drückte sich am Fensterbrett hoch und kletterte in sein Zimmer. Er ließ den Rucksack zu Boden gleiten und entfernte rasch das Seil. Dabei blickte er noch einmal zur Straße und konnte die Wache im Dunkeln der Nacht erahnen. Der Mann sah in seine Richtung, und Mike spürte den strengen Blick der Wache bis hierhin. Er bekam davon eine Gänsehaut.
Hastig schloss er das Fenster und setzte sich auf sein Bett, dann holte er tief Luft. Er konnte es einfach nicht fassen, er hatte es wirklich geschafft auf die andere Seite der Mauer zu kommen und wieder zurück nach Hause. Unglaublich! Nur ärgerlich, dass die Glaskugel weg war, jetzt musste er Dennis wohl doch das Buch zeigen.
Stimmt ja, das Buch! Er sprang schnell vom Bett auf und ging wieder zum Fenster, wo er den Rucksack abgestellt hatte. Langsam öffnete Mike ihn und holte das Buch raus. Wo sollte er es bloß verstecken, damit es seine Eltern nicht fanden? Er konnte ihnen unmöglich erklären, von wo er es hatte. Dann müsste er sein Versprechen brechen, dass er der Wache gegeben hatte. Er sollte doch niemandem von seinem Ausflug erzählen – schon gar nicht seinen Eltern!
Mike blickte sich im Zimmer um. Im Schrank wäre eine Möglichkeit oder doch lieber unter seiner Matratze? Da schaute eh keiner nach. Wobei der Schrank – wenn er genauer nachdachte, fiel der schnell raus, seine Mutter öffnete ihn häufiger wegen seiner Klamotten, die sie ihm gefaltet reinlegte. Das Bett war auch eine dumme Idee. Was war, wenn er beim Schlafen genau dort lag, wo das Buch versteckt war und es durch sein Gewicht beschädigt wurde? Nein, das ging auf keinen Fall, ihm musste was Besseres einfallen.
Sein Blick auf den Schreibtisch. Da lagen Karten mit Sternbildern vom Unterricht rum und ein Haufen Zettel mit Texten, die noch in seine Mappe mussten. Ein Buch fiel in dem Papiergewühl überhaupt nicht auf. Außerdem ging sein Vater eigentlich nie ins Zimmer, und seine Mutter hatte es aufgegeben, bei seinen Schulsachen eine Ordnung reinzubringen. Ja, da würde niemand das Buch finden. Alex hatte ihm oft gesagt, das beste Versteck war eines, was jeder sehen konnte. Schnell schob Mike ein paar Karten beiseite und legte das Buch da drunter.
Zufrieden zog er Pulli und Hose aus, schlüpfte in seine Nachtwäsche und legte sich ins Bett. Kaum berührte sein Kopf das Kissen, fühlte er eine bleierne Müdigkeit in sich fließen. Es war eine sehr lange Nacht gewesen. Der heftige Adrenalinschub ließ nach. Er blickte hoch zur Decke, spürte die Schwere in seinen Gliedern. Immer langsamer und gleichmäßiger kam seine Atmung. Die Augen fielen ihm zu, und er schlief ein.
Doch sein Geist fand noch keine Ruhe. Im Traum sah er das Schiff Marevita, wie es über den weiten Ozean schwamm. Als Mike genauer hinsah, befand es sich in einer riesigen Glaskugel. Er sah Delfine, die aus dem Wasser heraus hoch in die Luft sprangen und dabei das Wasser hochspritzen ließen. Einer balancierte auf seiner Schnauze ein Buch, das schimmerte und glitzerte. Mike nahm die Kugel in die Hand und schüttelte sie, bis das Schiff im Wasser unterging und das Buch in den Wellen verschwand. Es taumelte tief nach unten, immer tiefer und tiefer, bis es in einer unterirdischen Grotte auf eine Sandbank fiel. Mike wollte nach dem Buch greifen, da zerfaserte der Traum, löste sich auf und zurück blieb eine traumlose Dunkelheit.
☆🌊☆🌊☆
🌊 Wörter 1.239
🌊 Wörter insgesamt 6.512
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro