Kapitel Fünf - Whisky Küsse
Ich wusste nicht, was mich so lange an Tills Seite hielt, aber wir sprachen gefühlt die ganze Nacht. Es waren belanglose Gespräche, nicht wirklich etwas Weltbewegendes, auch wenn ich mir vorstellen konnte, dass Till ein Mann war, mit dem man sich über die Missverständnisse in der Welt unterhalten konnte. Dabei kippte ich mir immer wieder ein Glas Schnaps, oder Bier nach hinten. Scheinbar waren meine Gehirnzellen mittlerweile so gut wie tot. Ich war einfach so dämlich.
Auch mein Gegenüber griff gerne nach einer Flasche Bier, die er bei Bedarf einfach nachbestellte.
„Deshalb fand ich Bananen einfach so faszinierend. In der DDR, also zu meiner Kindheit, gab es die nicht", erklärte er mir, während er einen Schluck des Weißbieres nahm. Seine blauen Augen funkelten dabei wie tausend Sterne, als er mich ansah. Wäre ich selbst nicht so verdammt benebelt gewesen, hätte ich mitbekommen, dass Till genauso besoffen war wie ich. Aber mein Gehirn schien in den Ruhemodus gegangen zu sein.
„Waren deshalb dann auf einmal die ganzen Bananen im Westen weg? Mein Vater hat gesagt, dass ihr euch wie Tiere auf Bananenkisten gestürzt habt." Laut lachte ich, verschüttete dabei beinahe mein Glas.
Till lachte ebenfalls mit, rutschte etwas näher. „Du bist ein echt komischer Kauz. Sag mal, weißt du wirklich nicht, wer ich bin?" Dabei zog er die Augenbraue hoch, grinste etwas, sodass sich wieder diese süßen Grübchen auf seinem Gesicht bildeten.
„Vielleicht mein Traumprinz?", fragte ich grinsend, kam ihm ebenfalls etwas näher. Der Alkohol schoss durch meine Adern, bemerkte, wie mir ganz heiß wurde. Mein Herz klopfte wie wild, nahm noch einen Schluck des starken Whiskys. Ich konnte fühlen, wie meine Hemmungen immer weiter schwanden. Diese blauen, stechenden Augen Tills bohrten sich in meine Haut, drangen vor bis in mein Mark und stießen in meine Seele.
Grob packte ich ihn am Nacken, zog ihn in einen harten Kuss. Unsere Lippen prallten aufeinander, ich konnte das Bier, sowie den Schnaps auf den seinigen schmecken. Seine starken Arme schlangen sich um meinen Oberkörper, presste mich dichter an seine breite Brust.
Tills Lippen waren rau, an manchen Stellen sogar rissig. Jedoch störte mich dies nicht, sondern ließ meine Zunge über jene Stellen gleiten, leckte über die rissige Haut. Wie von selbst strich meine Hand durch das Haar von Till, zog leicht an den schwarzen Strähnen. Sie waren so weich, fühlten sich so gut an.
Ein leises Stöhnen entwich ihm, packte auf einmal fest meinen Arsch, leckte ebenfalls über meine Lippe. Nur zu gerne gewährte ich ihm den Einlass, presste mein Becken an den Schritt des Größeren. Ich brauchte noch einen Schluck. Wie von selbst tastete meine andere, noch freie Hand nach dem Glas, stürzte den nächsten Shot Whisky hinab. Ich wusste nicht woher er kam, vielleicht hat der Barkeeper einfach nachgeschenkt, weil er gedacht hat, dass es sowieso schon zu spät für mich war.
Während ich trank, sah ich in diese intensiven Augen von Till, betrachtete jedes noch so kleinste Detail. Vor allem seine langen Wimpern vielen mir auf. Sie erinnerten mich an die Schwingen eines Raben. Etwas lehnte ich mich an seine Stirn, fokussierte mich auf seine blauen Iris'. Wieder erschienen sie mir manchmal grün, je nachdem wie das Licht in seine Augen schien. Zitternd streichelte ich seine Wange entlang, strich mit dem Daumen über diese wundervollen Lippen, welche ich schmecken durfte.
Auf einmal packte er mich am Handgelenk, starrte mich regelrecht an, durchsickerte meine Seele. „Du bist betrunken." Aus seinem Mund heraus wehte mir eine zarte Alkoholfahne entgegen, welche dennoch nicht einmal ansatzweise an meine eigene herankommen würde.
Als Antwort lachte ich leise. „Wie meinst du, hätte ich dich sonst küssen können?", fragte ich, grinste dabei breit, während ich nach einem weiteren Glas griff. In seinen schwarzen Pupillen spiegelte sich mein Antlitz, wie ich völlig betrunken auf seinem Schoß saß, mit geröteten Wangen, leicht vernebeltem Blick und einen sich immer schneller bewegender Brustkorb. „Ich wusste ja nicht einmal, ob du schwul bist." Erneut entwich mir ein lautes Kichern, wollte das Getränk wieder hinunterstürzen, doch Till ergriff meinen zweiten Arm.
„Es reicht, Anthony", sprach er leise, zog mir mühelos das Glas weg, welches er einfach selbst leer trank. „Ich bin auch nicht schwul. Nur bin ich von Männern ebenso wenig abgeneigt, wie Frauen", erklärte er, strich kurz durch mein braunes Haar.
Ich musste zugeben, auch wenn mein Verstand so gut wie vernebelt war und ich einfach nicht aufhören konnte, rot im Gesicht zu sein, so bemerkte ich, wie mein Herz schnell schlug. Diese sanfte Berührung, wie er mein kurzes Haar streichelte, fühlte sich so gut an. Noch besser als ein Kuss. Ein wenig schloss ich sogar die Augen, versuchte so viel wie möglich zu genießen. Wer wusste denn schon, wann mich wieder jemand so liebevoll berühren würde?
„Ich weiß, was du brauchst, Kleiner. Aber ich kann dir diese Sehnsucht nicht erfüllen, Tony." Vorsichtig strich er weiter durch mein Haar, fuhr meinen Nacken entlang, bis er auf meinem Rücken ruhte. Ich saß einfach nur da, regelrecht regungslos, rührte keinen Muskeln. Ich genoss einfach die Streicheleinheiten von Till, wie seine raue Hand über meinen Rücken streichelte, immer mal wieder durch mein Haar wuschelte. Seine Berührungen waren so überraschend sanft und zärtlich. Mein Herz klopfte wie wild. Ich war sowas nicht wirklich gewohnt, außer wenn ich betrunken in Patricks Armen lag. Nun, meine Situation gerade ist nicht viel anders. Nur, dass ich vor paar Minuten wie wild mit Till rumgemacht habe und ich jetzt wie ein zahmer Hund auf seinem Schoß saß, um mich am Nacken streicheln zu lassen.
„Was brauche ich denn?", fragte ich leise, öffnete wieder die Augen, um ihn wieder anzusehen. Mein Herz schlug etwas schneller. Ich wollte nicht, dass mich jemand lesen konnte. Intensiv erwiderte ich seinen Blick, legte meine Hand behutsam auf die feine Wange. Wie automatisch fuhr mein Daumen über die Einkerbungen in seiner hellen Haut. Manche erinnerten mich an Narben. Woher er diese wohl hatte? Andererseits war ich zu müde, um irgendwelche Theorien aufzustellen, weswegen ich mich einfach nur auf das angenehme Gefühl seiner Haut konzentrierte.
Till war angespannt. Zuerst habe ich es nicht wirklich beachtet, doch bald schon konnte ich sehen, wie seine Schultern nach hinten gestrafft waren und er mich mit seinen intensiven Augen beobachtete. Vielleicht sah er mich aber auch so scharf an, da er nicht wollte, dass wir im betrunkenen – naja, besser gesagt ich – Zustand in einer öffentlichen Bar einen Schwulenporno abziehen würden. Wobei dies auch eine neue Erfahrung für mich wäre. Wahrscheinlich nicht die Beste, aber immerhin eine neue. Als mir erneut dieser stechende Blick Tills, sowie seine Anspannung auffiel, ließ ich meine Hand einfach sinken, sah ihm weiterhin in seine Seelenspiegel.
„Mach das nicht nochmal", sprach er leise. Seine raue Stimme kitzelte dabei meinen Nacken, meine Härchen stellten sich auf. „Fass mich so nicht an", hauchte Till. Auch wenn seine Stimme sich wie Samt anhörte, so hörte ich den Nachdruck, die Ernsthaftigkeit in seinen Worten.
„Auch wenn es dir gefallen hat?", flüsterte ich zurück, war seinem Gesicht wieder so nah. Feine Schweißtropfen ließen seine Haut leuchten, sowie Poren ihn verzierten. Bei seiner Nase konnte ich feine Einstechnarben sehen. Wahrscheinlich von einem Piercing, welches er nicht trug. Erneut kam ich in Versuchung, seine Wange zu streicheln, aber ich wollte seinen Stolz nicht verletzen und ließ meine Hand einfach auf seiner Schulter ruhen.
Till kam mir etwas näher, unsere Köpfe berührten sich fast. „Gerade deshalb. Du bist betrunken, weißt nicht richtig, was solche Berührungen bedeuten." Sanft griff er nach meiner Hand, drückte einen Kuss auf den Handrücken.
Etwas fing in mir an zu kribbeln, als ich ihm zusah. Dieser Mann vor mir löste etwas in mir aus, hat meinem Herzen das Atmen wieder beigebracht und jetzt schien er mich weiter einzureißen. Ohne Rücksicht auf Verluste zog er mich immer tiefer in diesen verwirrenden Strudel mit dem herben Geschmack des Whiskys, welcher noch auf meiner Zunge lag.
„Was bedeuten sie denn?"
Leise seufzte er, aber seine Mundwinkel zuckten nach oben. „Sie bedeuten mehr, als du dir denken kannst. Wie alt bist du?" Er massierte meinen Knöchel mit seinem Daumen, was mir eine Gänsehaut bereitete. Nervös biss ich mir auf die Unterlippe, schmeckte noch etwas von Tills Bier.
„Siebenundvierzig." Ich log. Ich wusste nicht weshalb, aber ich log einfach. Mir war bewusst, dass der Mann vor mir um einiges älter sein musste als ich, aber ich wollte nicht das Klischee des Schwulen erfüllen, der alten Männern hinterherlief, um einen „Sugardaddy" zu haben. Die abartige Fetischvorstellung vieler junger Mädchen. Ich konnte ihren Reiz verstehen. Es wirkte alles so sündenhaft und alles was von unserer heuchlerischen Gesellschaft als Sünde bezeichnet wurde – wenn auch nicht direkt – war anregend.
Ich fand ältere Männer attraktiv, wegen der häufigen Dominanz, die sie ausstrahlten. Wie mein Fick vor paar Stunden. Er hat dieses Selbstbewusstsein gehabt, wovon ich und viele Männer in meinem Alter nur träumen konnten. Wobei es auch Ausnahmen gab. Patrick war zwar paar Jährchen älter als ich, dennoch ein noch relativ junger Mann mit der Ausstrahlung eines sechzigjährigen Geschäftsmannes. Für manche vielleicht arrogant und eingebildet, für mich einfach nur erstrebenswert. Er fuhr mit seinem Porsche nicht durch die Straßen Berlins, weil er auf das Auto angewiesen war, sondern weil er es sich leisten konnte.
„Du siehst so jung aus", riss mich Till aus den Gedanken. Behutsam strich er paar meiner Haarsträhnen aus meinem Gesicht. „Ich denke, dass du jünger bist. Du hast so eine schöne, weiche Haut", murmelte er beinahe schon gedankenverloren. Dieses Mal war er es, der über meine Wange strich.
Etwas verwirrt blinzelte ich, jedoch fiel mein Blick auf die leere Bierflasche, die vor ihm auf dem Tisch stand. Deshalb also der plötzliche Sinneswandel.
Zögerlich tastete ich nach einem weiteren Whisky-Glas, stürzte es auf einmal hinab, bevor ich mich wieder vorbeugte, um ihn zu küssen. Es war ein noch innigerer Kuss als vorhin. Dennoch weitaus zärtlicher. Wie vorsichtig er an meiner Lippe zupfte, seine Hände in meinen Nacken wanderten. Mir wurde ganz schwindelig.
Wieder dieser Strudel, gepaart mit Whisky. Wie ein wimmerndes, hoffnungsloses Stück saß ich in seinen Armen, als er an meinem Nacken zog, um mich noch intensiver küssen zu können. Ich gab mich ihm hin. Seine Lippen brannten mittlerweile wie Feuer, als er meinen Mund für sich beanspruchte, ließ seine Zunge immer wieder über diese empfindliche Stelle gleiten.
Ich verstand es nicht. Erst hat er mich weggedrückt, aber jetzt nahm er mich regelrecht in Anspruch. Mein Herz klopfte dennoch wie wild. Wie schaffte er das nur?
Vorsichtig drückte ich ihn von mir, auch wenn alles in mir danach schrie, ihn weiter zu küssen. „Du bist betrunken", meinte ich grinsend, als ich seine Schnute sah, die sich jedoch zu einem leichten Grinsen verwandelte.
„Genau deshalb hätte ich deine Berührungen nicht einmal zulassen sollen", hauchte er, strich mir kurz durch das Haar. Erneut war ich verwirrt. Was hatte er mit Berührungen an der Wange? Machten die ihn etwa geil? Nun, jedem das seine.
„Du solltest Nachhause gehen. Du siehst aus, als würdest du gleich zusammenkippen", murmelte er besorgt, gab mir einen kleinen Kuss auf die Stirn. Verdammt, warum widersprach er sich andauernd? Und wieso kam mir nie ein Ton heraus, wenn er mich küsste, oder berührte. Dieser verdammte Whisky-Strudel! Frustriert brummte ich, aber nickte.
„Von mir aus", murmelte ich, erhob mich langsam von seinem Schoß. Innerlich betete ich, dass ich diese Nacht einfach am nächsten Tag vergessen würde, da dieses warme Gefühl in meinem Magen so fremdartig und neu war. Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Wie Recht mein Großvater damals nur hatte.
Till legte mir die Lederjacke um meine Schultern, während er seine Jacke anzog, sowie eine Mütze aufsetzte und ... Sonnenbrille.
Leise lachte ich. „Du siehst aus wie ein Zuhälter", kommentierte ich sein Aussehen, als er noch einen Mantel anzog. Als Antwort schüttelte er nur den Kopf, jedoch zuckten seine Mundwinkel wieder. Irgendwie niedlich.
„Na komm, sag mir, woich dich hinbringen muss. Ich begleite dich. Es wäre Körperverletzung gegenübereinem Taxifahrer, dich mit ihm mitfahren zu lassen." Amüsiert wackelte er mit den Augenbrauen, woraufhin ich erneut lachen musste und zu ihm stolperte.
„In diese Richtung, du Zuhälter", meinte ich grinsend, schlang die Arme um ihn, ignorierte die Anspannung an seinem ganzen Körper. Mein Hirn fühlte sich wie bei einer Achterbahn, versuchte zu verstehen, was überhaupt los war, während sich die Welt um mich herumdrehte.
„Das kann ja was werden", murmelte Till, aber anstatt mich wegzudrücken, hielt er mich fest und lächelte sogar schwach.
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