21
Mein Tablett stand unberührt vor mir.
Der Lärm um mich herum war gedämpft, als würde ich mich unter Wasser befinden. Ich hörte das Klappern von Besteck, das gedämpfte Murmeln von Gesprächen, das gelegentliche Lachen von Schülern, die weit genug weg waren, um sich nicht wie eine Bedrohung anzufühlen.
Und doch saß ich hier, unfähig, mich zu entspannen.
Minho war in meinen Gedanken. Seine Nachrichten von letzter Nacht, sein Zögern, seine Unentschlossenheit – all das ließ mich nicht los. Ich wusste nicht einmal mehr, was ich mir wünschte. Eine Antwort? Eine klare Entscheidung? Oder einfach nur, dass er sich für mich entschied?
Ich ließ meine Finger über die Tischkante gleiten, meine Nägel kratzten über das Plastik.
„Verdammt, sieh dir das an. Wie ein verlorenes, kleines Rehkitz.“
Mein ganzer Körper spannte sich an.
Ich erkannte die Stimme sofort.
Langsam hob ich den Kopf.
Taeil.
Er grinste, als hätte er mich bereits in die Ecke getrieben, bevor er überhaupt richtig angefangen hatte. Seine Haltung war locker, entspannt – als wäre ich nichts weiter als ein harmloses Spielzeug, mit dem er sich die Zeit vertreiben wollte.
Er ließ sich mit einer selbstgefälligen Bewegung auf die Tischkante sinken, spreizte die Beine viel zu weit und lehnte sich leicht nach vorn.
„Alleine, hm?“
Meine Kehle war trocken.
„Was ist los, Jisung? Hat dein großer, starker Freund dich verlassen?“
Ich drückte mich unbewusst gegen die Rückenlehne.
„Lass mich in Ruhe“, murmelte ich.
Taeil lachte leise. „Oh, süß. Du glaubst, du hast hier was zu sagen.“
Seine Finger trommelten langsam auf den Tisch, dann beugte er sich vor. Sein Atem streifte meine Wange.
„Sag mal…“ Er zog das Wort in die Länge, als würde er über etwas nachdenken. „War Minho schon in dir?“
Mir wurde eiskalt.
Er grinste, als wäre das eine vollkommen harmlose Frage.
„Oder bist du noch so eng, dass du beim ersten Mal weinen wirst? Das du vor Schmerzen schreist, wenn man dich das erste Mal so richtig fickt.“
Mein Körper versteifte sich.
Taeils Hand wanderte über den Tisch, seine Fingerspitzen strichen beiläufig über meinen Unterarm.
„Gott, Jisung, ich wette, du bist ein verdammtes Naturtalent.“
Seine Stimme war samtig, giftig.
„So einer wie du…“ Seine Hand glitt tiefer, über meinen Oberschenkel. „Wurde doch nur dafür gemacht, auf den Knien zu enden.“
Meine Kehle zog sich zusammen.
Ich wollte mich bewegen. Ich wollte aufspringen, wollte schreien – aber meine Muskeln fühlten sich wie eingefroren an.
Taeil beugte sich noch weiter vor, seine Lippen fast an meinem Ohr.
„Weißt du…“ Sein Atem strich über meine Haut. „Ich wollte schon immer wissen, wie du klingst, wenn du keine Widerworte gibst. Ich meine, so ein hübscher Mund wird doch nicht fürs Reden eingesetzt, oder?“
Seine Finger kreisten langsam auf meinem Bein.
„Ob du auch süß keuchst, wenn man dich ordentlich anfasst?“
Meine Finger krallten sich in die Tischkante.
„Oder stöhnst du?“ Taeil lachte leise, als wäre es ein amüsantes Gedankenspiel. „Hm? Ich wette, du bist so eine richtige, kleine Schlampe, wenn man dich erst einmal richtig—“
Seine Hand rutschte höher.
Direkt zwischen meine Beine.
Ich zuckte zusammen, ein Schock durchfuhr meinen ganzen Körper.
Taeil hielt inne – nicht aus Reue, sondern aus Genuss. Er wartete auf meine Reaktion, sog meine Angst auf, als wäre sie etwas Köstliches.
„Ohhh, Jisung.“ Sein Ton war ein dunkles Flüstern.
„Bist du etwa nervös?“
Mein Atem ging flach. Mein Herz raste.
Ich musste mich losreißen.
Ich musste—
„Was zur Hölle machst du da?“
Die Luft um uns herum schien plötzlich zu gefrieren.
Taeil hielt inne, drehte langsam den Kopf.
Minho stand nur ein paar Meter entfernt.
Sein Blick war nicht das übliche spöttische Funkeln, nicht die übliche spielerische Arroganz.
Er war kalt.
Dunkel.
Sein Kiefer mahlte, seine Fäuste waren so fest geballt, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
Taeil musterte ihn, dann grinste er provozierend. Seine Hand lag immer noch auf meinem Bein.
„Oh, also doch ein Beschützer?“ Er drückte noch einmal zu, fest genug, dass mir übel wurde. „Musst du dein kleines Hündchen vor mir retten, Minho?“
Es geschah schneller, als ich denken konnte.
Minho war plötzlich da, packte mich an der Hüfte und zog mich in seine Arme. Sein Körper war warm, fest, sein Griff so stark, dass ich fast den Halt verlor.
Dann spürte ich seine Hand in meinem Nacken.
Und plötzlich…
Er küsste mich.
Es war kein sanfter Kuss. Kein vorsichtiges Herantasten.
Es war ein Anspruch.
Ein Bekenntnis.
Sein Mund bewegte sich fordernd über meinen, seine Finger verkrampften sich leicht in meinem Haar. Ich spürte seine Wut, seine Besitzgier – aber auch seine Angst. Angst, mich zu verlieren.
Als er sich löste, brannte sein Blick auf Taeil.
„Wenn du ihn nochmal anfasst, breche ich dir die Finger.“
Taeil lachte leise. „Wow, bist du besitzergreifend geworden. Hätte ich echt nicht gedacht.“
Minho trat einen Schritt vor. Sein Blick war tödlich.
„Halt die Fresse, Taeil.“
Taeil musterte uns beide, dann zuckte er gelangweilt mit den Schultern.
„Na schön, na schön. Ist ja süß, wie du ihn verteidigst.“
Dann neigte er seinen Kopf, seine Augen funkelten belustigt. „Aber mal ehrlich, Minho – du weißt, dass ich recht habe, oder? Typen wie er sind doch dafür gemacht, genommen zu werden.“
-
Minhos Griff um mein Handgelenk war fest, fast schmerzhaft, als er mich aus der Cafeteria zog. Ich stolperte hinter ihm her, meine Beine fühlten sich taub an, mein Kopf war leer.
Die Geräusche um uns herum verschwammen. Ich hörte das Blut in meinen Ohren rauschen, meine eigene Atmung, die viel zu flach ging.
Taeil war weg.
Aber sein Schatten lag noch immer auf mir.
Minho zog mich in einen leeren Flur, weit weg von den neugierigen Blicken der anderen Schüler. Erst als wir sicher waren, blieb er abrupt stehen, ließ meine Hand los und drehte sich zu mir um.
„Jisung.“ Seine Stimme war rau vor unterdrückter Wut. „Geht es dir gut?“
Ich konnte nicht antworten.
Ich spürte meine Lippen noch immer, das Phantomgefühl von Taeils Berührung auf meiner Haut. Es ekelte mich an. Es ekelte mich so sehr an, dass mir schlecht wurde.
Minhos Kiefer mahlte.
„Sag was“, presste er hervor.
Nichts.
Mein Blick war auf den Boden gerichtet, meine Arme hingen schlaff an meinen Seiten.
Minho fluchte leise. Dann spürte ich plötzlich seine Hände an meinen Schultern.
„Jisung, verdammt!“ Er packte mich fester, sein Griff so stark, dass es wehtat.
„Reagier doch! Sag irgendwas!“
Er schüttelte mich.
Nicht grob. Nicht mit Absicht, um mir wehzutun. Aber aus Verzweiflung.
Und das war der Moment, in dem ich brach.
Ein einziger, erstickter Laut entkam mir, dann kamen die Tränen.
Heiße, unaufhaltsame Tränen, die meine Wangen hinunterliefen, während mein Körper unter Minhos Griff zu zittern begann.
„Es tut mir leid…“ Meine Stimme war ein heiseres Flüstern. „Es tut mir leid…“
Minho erstarrte.
Dann – ohne ein weiteres Wort – zog er mich in seine Arme.
Seine Hände legten sich fest um meinen Rücken, seine Wärme hüllte mich ein, als könnte er mich damit wieder ganz machen.
„Hör auf“, murmelte er rau. „Sag das nicht. Du hast nichts falsch gemacht.“
Ich konnte nicht aufhören zu weinen.
Ich fühlte mich so… dreckig.
So widerlich.
Taeils Worte hallten noch immer in meinem Kopf nach, seine Berührung brannte sich in meine Haut wie ein giftiges Brandmal.
„Ich hasse das“, flüsterte ich erstickt. „Ich hasse mich.“
Minho packte mein Gesicht mit beiden Händen, zwang mich, ihn anzusehen.
Seine Augen waren dunkel, aber nicht vor Wut.
Vor Schmerz.
„Jisung.“ Seine Daumen strichen sanft über meine Wangen, wischten meine Tränen fort.
„Ich schwöre dir… ich werde dich nie wieder alleine lassen.“
Seine Stimme bebte.
Ich schluckte schwer.
„Ich hätte da sein sollen“, fuhr er leise fort. „Ich hätte dich beschützen sollen.“
„Es ist nicht deine Schuld“, hauchte ich.
Minho schüttelte den Kopf. „Doch. Ich hätte das verhindern können.“
Seine Stirn senkte sich gegen meine. Unser Atem vermischte sich.
Dann – ganz leise, ganz vorsichtig – flüsterte er:
„Ich liebe dich.“
Mein Herz stolperte.
Mein Verstand setzte aus.
Ich sah ihn an, suchte nach einem Witz, nach einem Zögern, nach irgendeinem Zeichen, dass er es nicht so meinte.
Aber Minho sah mich nur an, als wäre ich das Einzige, was in diesem Moment existierte.
Als wäre ich wirklich wichtig.
Als wäre ich… liebenswert.
Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen – doch ich wusste nicht, was.
Minho atmete tief durch. Dann zog er mich noch fester an sich.
Und ich ließ es zu.
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