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Das leise Rascheln von Stoff füllte mein Zimmer, während ich ein Shirt nach dem anderen durch meine Finger gleiten ließ. Behalten oder wegwerfen – eigentlich eine simple Entscheidung, aber mein Kopf machte selbst daraus eine komplizierte Angelegenheit.
Ich seufzte und ließ mich auf die Matratze sinken. Mein Zimmer war ein einziges Chaos.
Klamottenhaufen auf dem Bett, verstreute Bücher auf dem Boden, mein Schreibtisch eine Mischung aus halb geleerten Kakaotassen und Notizblättern, die ich sowieso nie wieder ansehen würde.
Ich hatte nie wirklich Ordnung gehalten, aber heute war es schlimmer als sonst. Vielleicht, weil ich diesen Tag irgendwie loswerden wollte.
Weil ich Minho aus meinem Kopf bekommen wollte.
Ich schnaubte leise. „Als ob das jemals klappt.“
Seit Jahren war er da. Seit Jahren ein Schatten in meinem Leben, der nie verschwand. Anfangs war es nicht so schlimm gewesen – vielleicht, weil wir früher einfach nur zwei Klassenkameraden waren, die sich nicht groß beachtet hatten. Ich war nie jemand, der im Mittelpunkt stand, und Minho hatte damals noch andere Leute gehabt, auf die er sich konzentrieren konnte.
Aber dann, irgendwann, hatte es angefangen.
Ich konnte nicht einmal mehr genau sagen, wann.
Vielleicht in der siebten Klasse, als ich mit einem pinken Hoodie in die Schule kam und Minho sich den ganzen Tag über mein Outfit ausgelassen hatte.
Vielleicht, als er mir das erste Mal absichtlich den Rucksack vom Tisch gefegt hatte, nur um zu sehen, wie lange es dauerte, bis ich meine Sachen wieder einsammelte. Vielleicht, als er irgendwann anfing, mich „Schwuchtel“ zu nennen, einfach weil es ihm Spaß machte zu sehen, wie ich darauf reagierte.
Es war nie das Offensichtliche gewesen. Minho war kein Schläger.
Er prügelte sich nicht mit Leuten auf dem Schulhof oder trat gegen Spinde. Er brauchte keine Gewalt – seine Worte waren scharf genug. Und er wusste genau, wo er treffen musste.
Ich zog eine Hose aus dem Haufen und hielt sie einen Moment lang in den Händen. Eine enge Jeans, die ich früher oft getragen hatte, bevor ich es mir irgendwann abgewöhnt hatte, irgendetwas zu tragen, das Minho als „zu mädchenhaft“ empfinden könnte.
„Scheiße“, murmelte ich und warf die Jeans in die Ecke.
Warum ließ ich mich von ihm so beeinflussen?
Warum war es mir nicht einfach egal?
Ich wusste genau, warum. Weil es nicht nur er war. Weil er es geschafft hatte, dass es nie nur er war.
Mit den Jahren hatten sich immer mehr Leute seinem kleinen Spiel angeschlossen.
Manche aus Angst, manche, weil sie einfach mitlachten, um nicht selbst das Ziel zu werden. Und dann gab es Changbin, der nie wirklich etwas sagte, aber auch nie aufhörte zu lachen, wenn Minho mich in die Ecke drängte. Ich hasste dieses Lachen. Ich hasste es, wie es sich in meinem Kopf festgesetzt hatte – schrill, gehässig, wie eine verdammte Hexe.
Ich rieb mir mit den Händen übers Gesicht und atmete tief ein.
Es war immer das Gleiche. Minho sagte etwas, ich versuchte nicht zu reagieren, und trotzdem fühlte es sich jedes Mal an, als hätte ich verloren. Er wusste es, und ich wusste es. Und das Schlimmste war: Ich konnte nichts dagegen tun.
Mein Blick wanderte zu dem Spiegel an meiner Schranktür. Ich sah müde aus. Augenringe, zerzauste Haare, die Schultern eingefallen. Ich erkannte mich kaum noch wieder.
Wie lange noch?
Wie lange würde das noch so weitergehen?
Ich schüttelte den Kopf, riss mich aus meinen Gedanken und griff nach dem nächsten Shirt. Weitermachen. Nicht nachdenken. Einfach weitermachen.
Denn wenn ich einmal anfing, darüber nachzudenken, was Minho mir alles genommen hatte, würde ich so schnell nicht mehr aufhören können.
Ich warf das nächste Shirt auf den „Behalten“-Stapel, dann das nächste in die Ecke. Meine Hände bewegten sich automatisch, mein Kopf war woanders.
Es war immer dasselbe. Ich wusste nicht mal, warum ich mir die Mühe machte, den ganzen Mist auszusortieren. Am Ende würde ich doch wieder in den gleichen Sachen rumlaufen – den Sachen, die möglichst unauffällig waren, die bloß nicht wieder Minhos Aufmerksamkeit auf sich ziehen würden.
Ich ließ mich rücklings auf mein Bett fallen und starrte an die Decke.
Mein Handy vibrierte auf dem Nachttisch. Ich drehte den Kopf und griff danach, entsperrte es mit einer gelangweilten Bewegung.
Felix: Yo! GUESS WHAT!!!
Ich blinzelte.
Dann noch eine Nachricht.
Felix: Du wirst es nicht glauben, Jisung. Schreib mir sofort zurück!!
Ich richtete mich auf und setzte mich im Schneidersitz auf die Matratze. Was auch immer es war, Felix klang verdammt aufgeregt.
Ich tippte schnell eine Antwort.
Ich: Was ist los?
Keine fünf Sekunden später kam schon die nächste Nachricht.
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