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"So weit sieht alles gut aus.", der Arzt klappt den kleinen Notizblock zu, "Sie sollten ihren Fuß in nächster Zeit kühlen und hoch lagern.". Magnus legt seine Hand auf meine Schulter und drückt sie. "War das alles?", fragt er den Arzt besorgt, "Fehlt ihm auch sonst nichts? Ich meine, er ist aus dem ersten Stock gefallen.".
Mit einem Seufzen lege ich meine Hand auf seine, "Mags, beruhige dich. Ich bin auf ein weiches Kissen gesprungen. Mir fehlt nichts. Der Doktor wird schon wissen, wie er seinen Job zu tun hat.". Ich nicke ihm freundlich zum Abschied zu.
Nachdem ich mich von der Liege gehievt habe, kommt mein Mann natürlich sofort auf mich zugeeilt. Seine Hände flattern unruhig vor mir umher. "Magnus.", brumme ich genervt, "Mir geht es gut.". Seine Augenbrauen ziehen sich zusammen, "Alexander, wenn ich mir um dich Sorgen machen möchte, dann tue ich es. Und mir ist es wirklich egal, ob dir das passt oder nicht.".
Grummeln machen wir uns auf dem Weg zum Ausgang, als ich ruckartig im Wartezimmer stehen bleibe. "Einen kurzen Moment.", murmel ich abwesend zu ihm und löse vorsichtig seine Hand von meinem Arm. Ich humpel auf das kleine Wesen zu, welches zusammen gesunken auf einem der Stühle sitzt.
"Hey, Kleiner.", sage ich leise, um ihn nicht zu erschrecken. Mit großen brauen Augen starrt er mich unsicher an. "Weißt du noch, wer ich bin?", frage ich ihn. Nachdem er einen kurzen Moment überlegt hat, fängt er an zu Nicken, bevor er vom Stuhl rutscht und mir um den Hals fällt. Sein kleiner Körper fängt an, wie verrückt zu zittern.
Fest drücke ich ihn an mich und erhebe mich vorsichtig. "Pscht.", murmel ich beruhigend und streiche durch seine schwarzen Haare. Mein Fuß schmerzt, also lasse ich mich auf den Stuhl sinken. Mit aller Macht unterdrücke ich den erleichterten Seufzer, der mir beinahe entkommen wäre.
Mein Blick landet auf Magnus, der mich fragend anguckt. Entschuldigend zucke ich mit den Schultern. Langsam kommt er auf uns zu und setzt sich vorsichtig neben uns. Der Kleine hat inzwischen aufgehört zu weinen. Sein Atem wird ruhiger und sein Kopf liegt auf meiner Brust, direkt über meinen Herzen. Vorsichtig schiebe ich ihn leicht von mir in Magnus Richtig. "Nimm du ihn mal kurz, Mags.", flüster ich ihm leise zu. Als der Kleine widerwillig seine Augen öffnet, lächel ich ihn beruhigend an. "Das ist Magnus. Wir sind verheiratet und er ist genau so kuschelig wie ich.".
Müde streckt er seine kleinen Ärmchen nach meinen Mann aus und schmiegt sich dann an ihn. "Ich bin kurz weg.", sage ich leise zu ihm, nachdem ich das Bild vor mir aufgesaugt habe. Magnus schenkt mir ein kleines Lächeln. Ich hieve mich hoch und humpel zum Empfang.
Abwartend stehe ich davor und warte darauf, dass die Schwester mich bemerkt. Endlich richten sich ihre Augen auf mich. "Was kann ich für Sie tun?", fragt sie mich höflich. "Ich wollte fragen, ob Sie mir verraten können, wo ich die Mutter von dem Kleinen finde.", frage ich sie und deute in seine Richtung. Ihre Augen werden mitfühlend, "Armer Kleiner. Sie liegt im Zimmer 209. Einfach nur den Gang hinunter, es ist auf der rechten Seite.".
Ich bedanke mich und mache mich auf in die Richtung, die sie mir gezeigt hat. In meinen Gedanken wiederhole ich immer wieder die Zimmernummer, um sie ja nicht zu vergessen. Ich bereite sogar schon eine Rede vor, die ich dieser Frau an den Kopf werfen werde, wenn ich sie endlich sehe. Wie kann sie ihr Kind nur unbeaufsichtigt im Krankenhaus herum laufen lassen? Es hätte sonst wer zu dem Kleinen gehen können.
Der Ärger baut sich immer weiter in mir auf, bis förmlich Blitze aus meinen Augen geschossen kommen. Doch als ich endlich vor dem Zimmer angekommen bin, verpufft er ins Nichts.
"Schrecklich, nicht war?", höre ich eine Stimme neben mir. "Jocelyn?", frage ich die braunhaarige Frau neben mir überrascht, "Was machst du denn hier?". Clarys Mom schenkt mir ein Lächeln und legt mir eine Hand auf den Arm. "Ich habe gehört, was du heute getan hast. Magnus wird stolz und gleichzeitig unglaublich besorgt sein.", sagt sie zu mir, ohne auf meine Frage weiter ein zu gehen.
Wir drehen uns wieder zu dem Zimmer um, in das wir durch eine Glasscheibe hinein gucken können. "Ich bin beruflich hier.", antwortet sie endlich. Fragend drehe ich leicht meinen Kopf. Ihre Lippen verziehen sich zu einem kleinen Lächeln, welches ihre Augen nicht vollständig erreicht. "Ich bin Sozialarbeiterin.", hilft sie mir auf die Sprünge, "Ich bin hier um mich nach ihrem Jüngsten zu erkundigen und den Älteren erst einmal mit zu nehmen. Doch er ist von Erdboden verschwunden.". Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen und fast schon besorgt verschränkt sie ihre Arme vor der Brust.
"Wieso mit nehmen und was ist mit dem Kleinen?", platzen die Fragen aus mir heraus. "Alec, er kann nicht über Nacht hier bleiben, wir werden ihn vorübergehend in einem Heim unterbringen, bis es seiner Mutter entweder besser geht oder er in eine Pflegefamilie kommt.", sie wendet ihren Kopf ab und kramt in ihrer Tasche nach einem Foto, "Wobei ich mir nicht sicher bin, ob sich ihr Zustand überhaupt bessern wird. Nachdem sie gehört hat, dass ihre Kinder in Sicherheit sind, ist sie zusammen gebrochen und liegt seitdem im Koma.".
Ein schlechtes Gewissen macht sich in mir breit. Ich wollte ihr gerade noch gehörig den Marsch blasen, wie sie nur so rücksichtslos mit der Sicherheit ihres Kindes um gehen kann. Und jetzt erfahre ich das. Jocelyn hält mir ein Bild von dem Kleinen, den ich in Magnus Arme zurück gelassen habe, hin. "Hast du ihn gesehen?", fragt sie mich.
"Ich kann dich zu ihm führen.", sage ich mit einem Nicken und humpel langsam los. Ich sehe ihren verwirrten Gesichtsausdruck, habe aber nicht vor, noch näher darauf einzugehen. "Was ist mit dem Jüngsten?", frage ich sie.
Seufzend umfasst sie den Riemen ihrer Handtasche fester und zieht besorgt ihre Augenbrauen zusammen. "Es scheint, als würde er spüren, dass irgendetwas nicht mit seiner Mutter stimmt. Die Ärztin macht sich große Sorgen um ihn, anscheinend verweigert der Kleine die Flasche.".
Wir erreichen das Wartezimmer, wo Magnus bequem zurück gelehnt in einem Stuhl sitzt und den kleinen Jungen leise summend schaukelt. "Na, damit habe ich nicht gerechnet.", sagt Jocelyn und ein kleines Lächeln breitet sich auf ihrem Gesicht aus, "Guten Abend, Magnus.".
"Pscht.", flüstert er leise, "Er ist gerade eingeschlafen.". Er grinst, bevor er mir die Zunge ausstreckt, "Scheint als würde er sich bei mir wohler fühlen und mich mehr mögen als dich. Schließlich schläft er bei mir und nicht bei dir.".
Mit einem Augenrollen lasse ich mich neben ihn sinken und strecke meinen überstrapazierten Fuß aus, "Das kann ich ihm auch nicht verübeln, schließlich bist du bequemer als ich.".
Zuerst breiten sich ein Grinsen auf seinen Lippen aus, bevor es von seinem Gesicht fällt. Finster guckt er mich an, "Möchtest du etwa sagen, dass ich dick bin?".
Abwägend lehne ich meinen Kopf von einer Seite auf die Andere, "Seit unserer Hochzeit hast du bestimmt ein paar Kilos zu gelegt.". Mit aller Macht halte ich das laute Lachen zurück, welches bei seinen entsetzten Schnappatmern aus mir heraus brechen möchte. "Darüber werden wir uns noch unterhalten, Alexander.", erklärt er mir verschnupft.
"So ungern ich eure belustigende Unterhaltung auch stören möchte, muss ich den Kleinen jetzt trotzdem mit nehmen.", unterbricht Jocelyn uns.
"Wohin mitnehmen?", fragt Magnus sie und zieht den Kleinen noch näher an sich heran, als wenn er ihn nicht mehr hergeben möchte. Ich kann das Gefühl nachvollziehen und lege ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter. "Jocelyn ist Sozialarbeiterin. Seiner Mutter geht es nicht so gut und sie muss ihn in ein Heim bringen, bis er in einer Pflegefamilie unterkommen kann.".
"Er kann doch zu uns kommen.", bricht es aus Magnus heraus und flehend guckt er mich an, "Das kann er doch, Alexander, oder?". Lächelnd umfasse ich seine Wange mit meiner Hand.
Seufzend setzt sie sich neben Magnus, "So gerne ich ihn euch auch mit geben würde, kann ich das leider nicht tun. Es gibt Regeln und Richtlinien, die ich befolgen muss. Und auch wenn ich weiß, dass ihr tolle Eltern für ihn sein würdet, reicht das leider nicht aus. Ihr könnt euch gerne heute Nacht darüber unterhalten, ob ihr wirklich dafür bereit seid, schließlich seid ihr noch kein Jahr miteinander verheiratet und Kinder bringen viel Verantwortung mit sich. Solltet ihr morgen früh aber immer noch so denken, sagt ihr mir einfach Bescheid und ich werde alles nötige in die Wege leiten.". Sie steht auf und zieht sich ihre Strickjacke dabei zurecht, "Jetzt muss ich ihn aber mit mir nehmen.".
Widerwillig stimmt Magnus ihr zu und ich streiche dem Kleinen durch seine schwarzen Haare. Mit verhangenen Augen wacht er auf und guckt mich müde an. "Das ist Jocelyn.", sage ich leise zu ihm, "Sie wird dich irgendwo mitnehmen, wo du schlafen kannst und noch ganz viele andere Kinder sind.".
Seine braunen Augen weiten sich erschrocken und wild schüttelt er mit seinem Kopf, bevor er sich ganz fest an meinen Mann klammert und sein Gesicht an seinem Hals vergräbt. "Es tut mir leid.", sage ich leise zu ihm und streiche über seinen Rücken, "Es gibt leider keine andere Möglichkeit. Ich verspreche dir aber, dass wir uns bald schon wieder sehen.".
Langsam hebt er seinen Kopf und guckt mich ernst an, bevor er nickt. Magnus setzt ihn vorsichtig auf dem Boden ab und streicht ihm ein letztes Mal durch das dichte Haare. Lächelnd streckt Jocelyn ihre Hand nach ihm aus und mit schwerem Herzen gucke wir den Beiden nach, wie sie das Krankenhaus verlassen. "Das fühlt sich unglaublich falsch an.", sage ich leise zu meinen Mann, der sich bei meinen Worten an meine Seite schmiegt. "Unglaublich falsch.".
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